„Ennis", flüsterte Jack aufgeregt. „Ennis, ich glaube ich hab's. Das ist es, hier, lies mal!" Hektisch drehte Jack das aktuelle Magazin „cattle ranch" zu Ennis und tippte ungeduldig auf eine winzige Anzeige. Ennis kniff die Augen zusammen, starrte auf die Schrift, ihm wurde schwindelig und er presste Daumen und Zeigefinger entnervt auf sein Nasenbein.
„Jack, sag's mir, was steht da? Du weißt, ich bin nicht so gut im Lesen." Irritiert blickte Jack ihn an. „Ennis, red keinen Scheiß. Du hast es bis zur High School geschafft – Du wirst wohl ne Anzeige lesen können?" Wenn Blicke töten könnten, Jack hätte den letzten Satz nicht überlebt.
Jack seufzte, sah nach rechts und links ob die Luft rein war und beugte sich zu Ennis hinüber. „Süßer", flüsterte er verführerisch. „Ich wollte schon immer mal sehen, wie Du mit Brille aussiehst. Wenn wir hier fertig sind, wird mein Wunsch in Erfüllung gehen - so wahr mir Gott helfe!", fügte er unmissverständlich nachdrücklich hinzu und zog das Magazin wieder zu sich.
Leise las er vor:
„Ranch günstig abzugeben.
Concord, New Hamphshire.
Bei weiteren Fragen: Paul & George"
Triumphierend blickte er Ennis an. „Das ist unsere neue Ranch. Concord, New Hamphshire!"
Ennis blickte ihn fassungslos an. „Twist, tickst Du noch ganz richtig? Ich hab ja schon immer gewusst, dass Du leicht zu beeindrucken bist – aber das schlägt dem Fass den Boden aus. Da hat jemand ne Anzeige aufgegeben mit null Inhalt und Du willst sofort kaufen?"
Jack blickte tadelnd zu Ennis. „Ennis, Du musst hinter den Zeilen lesen. Was fällt Dir auf?" „Dass da jemand kein Geld für ne ausführliche Anzeige hatte."
Jack schnaubte durch die Nase. „Ennis, manchmal bist Du wirklich einfältig. Nein, das meine ich nicht. Pass auf: Paul und George bieten eine Ranch an. Hä, was sagt Dir das? Genau, zwei Männer verkaufen ihren Grund und Boden. Lass es Brüder sein, lass es Vater und Sohn sein – oder lass es zwei sein wie wir. Aber dort leben zwei Männer gemeinsam. Das ist das eine." Vielsagend blickte er Ennis an, der dem nicht widersprechen konnte. „Und weiter?", murmelte er.
„Weiter – tja, Ennis, was soll ich sagen? Wenn es einen Ort gibt, der liberal ist, dann ist New England. Weißt Du, was auf den Autokennzeichen von New Hampshire steht?" Ennis verneinte.
„'Live free or die', Ennis. Verstehst Du? Lebe in Freiheit oder stirb. New Hampshire gehört zu den Gründerstaaten der USA, die besten Universitäten sind dort, Harvard, Yale, Amherst. Ennis, wenn die Leute dort nicht liberal sind – wo dann? Und deswegen sage ich: DAS ist unsere neue Ranch."
„Jack, Du Klugscheißer – woher weißt Du das alles, hu?" Jack blickte Ennis ernst an. „Ennis, mein Freund. Ich hatte dreizehn Jahre Zeit mir auszumalen, wo wir leben werden. Und ich hatte damals schon den Eindruck, dass es nicht Lightning Flat sein kann, nicht Wyoming – und nicht Texas. Und Alaska war mir entschieden zu kalt", fügte er vorsichtig grinsend hinzu, als er merkte, dass seine Worte in Ennis ein tiefes Schuldgefühl hervorgerufen hatten, hoffend, dass sein kleiner Witz ihn ablenkte.
Doch Ennis schien es nicht zu hören. Lange blickte er Jack an und murmelte schließlich leise: „Jack, ich werde mir die dreizehn Jahre nie verzeihen, ich hoffe, das weißt Du. Wenn Du also sagst, dass das unser neues zu Hause ist – so soll es sein. Ich habe Dir gesagt, ich werde überall mit Dir hingehen. Nur, tu mir einen Gefallen – bevor wir uns auf den Weg machen, lass uns dort anrufen. Würd schon gern wissen, wie groß die Ranch ist, wie alt – so die Eckdaten halt, verstehst Du?" Ein schiefes Grinsen erhellte sein Gesicht – ein Grinsen, dass Jacks Herz jedes Mal aufs Neue wieder zum Schmelzen und brachte und sein Herz zu Höchstleistungen anregte.
Seine blauen Augen blickte in ein Paar braune, ihre Blicke verschmolzen für einige lange Sekunden, beide dachten an ihre gemeinsame Zukunft, die jetzt zum Greifen nahe schien.
„Ennis, ich würde Dich jetzt leidenschaftlich gern küssen", flüsterte Jack und kam Ennis langsam näher "Ich würde jetzt gern Deinen Atem in meinem Gesicht spüren, Deine Zunge, wie sie langsam in meinen Mund vorstößt, meine Zunge, die Deine Lippen kitzelt, meine Hände, die ... oh ja ... meine Hände, die Deinen Körper streicheln, Deine nackte Haut zum Glühen bringen. Wie gern würd ich meinen Körper jetzt an Deinen pressen und ..."
„JACK !", zischte Ennis zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. Ein dünner Schweißfilm stand ihm auf der Stirn und sein Atem ging schwerer und schneller als gewöhnlich.
„Reiß Dich zusammen. Wir sind hier in der Bücherei von Childress, Herrgott noch mal !"
Jack lachte leise auf. „Ruhig Orte hatten schon immer eine inspirierende Wirkung auf mich", hauchte er und blinzelte Ennis verschwörerisch an – wohl wissend, dass beide in dem Moment an die Stille auf dem Brokeback Mountain vor dreizehn Jahren dachten.
„Gott, Twist, Du machst mich verrückt", murmelte Ennis. „Komm, pack unsere Sachen zusammen. Wir hauen hier ab. Unser Hotelzimmer hat schallisolierte Fenster. Lass Deiner Inspiration dort freien Lauf – und beeil Dich!" Sprachs und verließ fluchtartig den Lesesaal, in dem sie sich den halben Vormittag aufgehalten hatten. Jack lachte. „Vorher will ich Dich aber noch mit Brille sehen", rief er Ennis leise hinterher. Ennis blieb stehen, drehte sich langsam und durchbohrte Jack mit einem leidenschaftlichen Blick „Scheiß drauf Jack", sagte er mit rauer Stimme. „Das was wir vorhaben schaff ich auch mit verbundenen Augen. Hör auf zu Quatschen und komm!"
Jack schluckte und folgte ihm willig, das Magazin „cattle ranch" in seiner Faust zusammen gerollt.
