Jack nestelte zum wiederholten Mal am Radio-Knopf. „Gott verdammt. Gibt's denn hier keinen vernünftigen Radio-Sender?", murmelte er entnervt.

„Mir ist langweilig. Ennis, sag doch mal was. Wir sind jetzt seit Stunden unterwegs und Du bist so unterhaltsam wie ein toter Baum."

„Jack, Du redest für zwei. Ich will Euch beide ungern unterbrechen."

„Wenn ich nicht rede, ist's hier totenstill. Selbst das dämliche Radio versagt den Dienst."

„Himmel, Rodeo ! Wir sind hier am Arsch der Welt. Wir fahren seit drei Stunden durch Wüste und Dürre. Wer zur Hölle soll denn hier Radio hören. Die Kojoten?"

Jack seufzte auf und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Wären sie doch nur schon in Lighning Flat. „Gott ist mir langweilig", nuschelte er erneut.

„Herrje, Jack, ich fange an zu bereuen, dass ich heute morgen noch meinen Truck verkauft habe. Dachte, wir beide machen uns ne schöne Fahrt gemeinsam hoch zu Deinen Eltern. Hätte nicht damit gerechnet, dass ich meine Zeit mit einem Jammerlappen verbringen muss", brummte Ennis.

„Baby, gib's zu, dafür liebst Du mich. Ich überrasche Dich immer wieder", sagte Jack und blinzelte Ennis frech zu, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

„Jack, wenn Dir so langweilig ist, übernimm doch mal für ne Zeit das Steuer." „Schon wieder? Wir haben doch gerade vor zwei Stunden getauscht." Jack blickte Ennis irritiert an.

„Hu, Jack, ich ... müsste mir einfach nur mal die Beine vertreten." „Musst Du pinkeln? Dann sag das doch, da müssen wir doch nicht gleich schon wieder tauschen. Mensch, Ennis, ich bin die Strecke in den letzten dreizehn Jahren duzend Mal gefahren. Bin froh, wenn das heute die letzte Tour von Childress nach Wyoming ist, die ich in meinem ganzen restlichen Leben machen muss. Lass mich zur Abwechslung gern mal kutschieren."

Ennis seufzte auf. „Gott, Jack, musst Du jede Antwort von mir kommentieren und zurecht legen? Ich muss nicht pinkeln, ich will mir die Beine vertreten. Und ich kann nicht mehr fahren, weil ... uh ... hm ... ich kann einfach nicht mehr sitzen." Eine leichte Röte kroch an Ennis Hals hoch.

Jack blickte ihn verwundert an ... überlegte ... und hatte es. „Oh, Baby, so schlimm? Das ... äh ... tut mir leid. Schätze, Du hast mich gestern ziemlich angeturnt mit Deinem Strip ..." „Jack, kein Wort mehr davon ... das war nicht MEIN Strip ..." Jack lachte laut auf. „Oh, das seh ich anders. ICH war bis kurz zum Schluss noch komplett angezogen ... Aber ok, lassen wir das. ... Ennis, fahr ran, ich bringe Deinen zarten Popo unversehrt nach Lightning Flat."

Ennis verdrehte entnervt die Augen „Dass der Kerl aber immer das letzte Wort hat, verdammt !", lenkte den Wagen an den Seitenstreifen, stieg mit steifen Beinen aus und umrundete das Fahrzeug, um auf Jacks Seite einzusteigen. Jack erwartete ihn an der Beifahrertür. „He, Ennis, nicht so schnell, Komm, gib mir vorher noch einen Kuss, bevor wir weiter fahren. Motiviere mich für den Rest der Strecke." Ennis erfüllte Jack diesen Wunsch nur zu gern, beide stiegen mit weichen Knien und klopfenden Herzen wenige Minuten später wieder in den Wagen und Jack lenkte sie erneut auf die Straße.

„Hey, Ennis", sagte Jack nach einer Weile. „Weißt Du, was gestern für ein Tag war?" „Der Tag an dem Du mich zum Strippen gebracht hast", brummelte Ennis ungnädig.

Jack lachte belustigt auf. „Ja, das auch. Aber ich meine ernsthaft. Ennis, was für ein Tag war gestern?" „Jack, keine Ahnung. Sonntag?"

„Oh Ennis, Du bist zum Haare raufen. Gestern, mein Freund, war der erste Tag unseres gemeinsamen Lebens. Vorgestern wäre ich nach unserem Angel-Ausflug wieder nach Childress zurück gefahren und hätte mich als aller erstes sinnlos betrunken. Dann hätte ich in die Sterne geschaut und mich gefragt, was Du wohl gerade machst."

Und leise fügte Jack hinzu: „Dann hätte ich noch mehr getrunken, weil ich den Gedanken an Dich so weit weg nicht hätte ertragen können. Und gestern wäre ich dann in meinem alten Leben morgens so verkatert gewesen, dass ich nicht hätte zur Arbeit gehen können, Lureen wäre genervt gewesen, LD hätte wieder eine seiner Liebeserklärungen an mich abgegeben und ab Mittags hätte ich wieder angefangen zu trinken."

Ennis blickte Jack schweigend an. Jack seufzte auf und sein Blick traf Ennis'. „Baby, es ist so gut, dass gestern mein neues Leben angefangen hat. Du hast mein Leben gerettet", flüsterte Jack.

Ennis rutschte auf seinem Sitz weiter in die Mitte zu Jack und legte seine Hand auf Jacks Nacken. „Jack, wir haben uns beide aus unserem Leben errettet. Ich ... ich habe Dir das nie gesagt. Aber wenn ich nach unseren Ausflügen zurück gekommen bin, hab ich tagelang nicht richtig gegessen, weil ich nicht konnte. Jeder Bissen ist mir im Hals stecken geblieben. Hab jedes Mal wieder ein paar Kilo gelassen. Einmal, nachdem wir von Don Wroes Hütte wieder kamen, weißt Du noch? Danach war es besonders schlimm. Konnte einfach nichts bei mir behalten. Hatte drei Tage nach meiner Rückkehr von der Hütte bei der Arbeit so ein Hungerloch, dass ich ohnmächtig vom Pferd gerutscht bin. Mc Gill hat mir ne Woche Arbeitsverbot gegeben, weil ich mir dabei auch noch die Schulter geprellt hatte. Scheiße, Jack, das war so übel ..."

Jack blickte Ennis mit feuchten Augen an. Vorsichtig nahm er Ennis Hand von seinem Nacken, legte sie auf seine Wange und küsste die Handinnenfläche. Leise sagte er: „Ennis, ab heute sorg ich dafür, dass Du regelmäßig isst. Und wenn ich Dir nur die Dosen öffne – aber Du wirst nie wieder vor Hunger vom Pferd fallen, verstanden?"

Ennis nickte. „Hauptsache, es gibt keine Bohnen, Jack." Beide lachten auf. Der Gedanke an Bohnen brachte sie unweigerlich zurück zum Brokeback Mountain und das hob die Stimmung.

In einträchtigem Schweigen fuhren sie weiter. Mittlerweile war es weit nach Mittag und sie hatten über die Hälfte der Strecke schon hinter sich gebracht.

„Jack", sagte Ennis nach einer Weile zögernd. „Ich ... uh ... hab Dich nie gefragt. Was ... äh ... wie soll ich denn bei Deinen Eltern – also ich meine."

„Puh, Ennis ... back to the roots, ja? Stammel wenigstens in ganzen Sätzen, dann fällt mir das Raten leichter." Ennis lachte leise auf. „Jack, halt die Klappe. Was ich von Dir wissen will: wissen Deine Eltern von mir? Was ... äh ... wie soll ich mich vorstellen?"

„Am besten mit Deinem vollen Namen, Ennis del Mar", grinste Jack ihn an und wurde gleich darauf ernst. „Ennis, meine Ma weiß von Dir. Ich weiß nicht genau, WAS sie weiß – aber sie weiß, dass Du mehr als nur ein guter Freund für mich bist. Und mein Dad – nun ja, schätze bei dem kannst Du machen, was Du willst, die Gefahr, dass wir beide als Tierfutter enden ist groß, wenn Du mich fragst."

„Das gibt mir Mut, Jack, das gibt mir richtig Mut", grummelte Ennis und rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her.

„Ennis, Dein Vater war ein Arsch, mein Vater ist nicht besser. Hey, ich weiß nicht, was ich meinem Vater getan habe, dass er mich als Kind so behandelt hat. Nie konnte ich ihm was Recht machen. Gott, einmal hab ich morgens den Stall nicht ausgemistet, was glaubst Du, wie der mich verprügelt hat. Und weißt Du, warum ich den Stall nicht ausgemistet hatte? Ich hatte mir am Tag davor in der Schule beim Sport die rechte Hand verstaucht. Meine Ma war mit mir beim Arzt, weil die Hand doppelt so dick war wie sonst. Hatte einen riesen Verband. Himmel, der war nicht zu übersehen. Und mein Vater der Hundesohn, verprügelt mich noch oben drauf." Jack schüttelte den Kopf.

„Verstehst Du, Ennis? Mein Vater ist für mich ein totes Universum. Unendlich unverständlich. Ich kenne ihn kaum – und ich mag ihn nicht besonders. Also entscheide selbst, wie Du mit ihm umgehst, ok? ... Hey Ennis, wir nähern uns dem Ziel. Schau dort das Schild „Willkommen in Wyoming". Oh Baby, das war immer der beste Teil der Strecke. Ab jetzt konnte ich die Minuten zählen, bis ich Dich wieder gesehen habe!"

Jack blickte mit leuchtenden Augen zu Ennis, der sich leise lachend zu ihm beugte und ihm einen Kuss auf die Wange gab. „Rodeo, Du bist ein unverbesserlicher Romantiker", flüsterte er ihm ins Ohr. „Oh, Ennis, warte ab. Ich hatte dreizehn Jahre Zeit mir zu überlegen, was ich mit Dir alles mache, wenn wir zusammen leben. Ich hab noch nicht mal angefangen, romantisch zu sein", hauchte Jack und blinzelte Ennis verschwörerisch an.

Ennis grinste, stöhnte theatralisch auf und wandte seinen Blick wieder auf die Straße. Er ließ seine Augen über die Landschaft schweifen und es kam ihm vor, als würde er Wyoming zum ersten Mal bewusst sehen. Eine unendliche Weite erstreckte sich vor seinem Auge, braun, grau, in der Ferne erstreckten sich die Berge majestätisch in den blauen Himmel, der von weißen Wolken überzogen war.

Es war ein einsames, raues Land. Es war seine Heimat, seit er denken konnte. Und doch: die letzte Woche hatte ihn entfremdet er war seiner Heimat entwachsen. Seine Existenz war nicht mehr verzweifelt und stoisch an Wyoming oder Riverton gebunden. Seine Heimat, sein zu Hause und sein Leben saß neben ihm und lenkte das Auto durch die unwirtliche Landschaft ihrem Zwischenziel entgegen. Lightning Flat.

„Jack", murmelte Ennis leise. „Ich habe nie nachts die Sterne angesehen, wenn ich an Dich gedacht habe. Ich habe immer tagsüber in den Himmel geschaut. Und jedes kleine Stückchen blau, das durch die Wolken schien, hat mich an Deine Augen erinnert. Ich hatte das Gefühl, Du schaust mich an. Das war ein gutes Gefühl." Ennis blickte Jack an und nahm seine Hand. „Jack, das IST ein gutes Gefühl."


Zwei Stunden später bogen sie in die staubige Auffahrt zur Twist-Ranch. Ein einfaches, zweistöckiges Ranchhaus, das schon bessere Zeiten gesehen hatte, kam in ihr Blickfeld. Die weiße Farbe blätterte ab, die Holzverkleidung hatte Risse, die Veranda-Tür hing schief in den Angeln und quietschte leise im stetigen Präriewind, der den Staub aufwirbelte und Zweignester durch die Luft wirbelte. Es war ein unwirklicher Anblick. Wäre Jack nicht zielsicher in den Weg eingebogen, Ennis hätte vermutet, das Haus stünde leer.

Du meine Güte", dachte Ennis unbehaglich. „Hier ist Jack aufgewachsen? In dieser Einsamkeit? Es ist ein Wunder, dass aus ihm der Mann geworden ist, der er heute ist."

Jack parkte den Wagen vor dem Hauseingang, zog die Handbremse an und wandte sich Ennis zu. „Wir sind da", sagte er leise und versuchte zu lächeln. „Keine Garantie für nichts, Ennis. Ich weiß, dass das für Dich eine Scheiß-Situation ist aber ich ... ich bin Dir total dankbar, dass Du hier bist."

Sanft nahm er Ennis Hand in seine. „Komm, Cowboy, lass uns aussteigen. Ich möchte, dass Du meine Ma kennen lernst."

Jack und Ennis stiegen aus dem Wagen und Jack rannte die Stufen zur Hautür hoch, riss die Tür auf und rief „Ma, ich bin's Jack, ich bin zu Hause. Ich habe Besuch mitgebracht."

„Jack", kam es dumpf aus dem oberen Stockwerk. „Warte einen Moment, ich komme." Kurze Zeit später erschien Mrs. Twist. Lächelnd kam sie auf Jack zu. „Mein Junge", sagte sie. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Du kommst einen Tag später als Du mir vor zehn Tagen gesagt hast." Liebevoll nahm sie ihren Sohn in die Arme, küsste ihn auf beide Wangen. „Lass Dich anschauen. Jack ... oh, mein Lieber ... das ist das erste Mal ... Junge, Du siehst glücklich aus. Was ist passiert?"

„Ma, ich möchte Dir jemanden vorstellen." Sanft löste sich Jack aus der Umarmung seiner Mutter, drehte sich zu Ennis und lächelte ihm aufmunternd zu. „Ma, das ist Ennis. Ennis del Mar." Mit strahlenden Augen wandte er sich zu seiner Mutter.

Sie blickte ihn an, blickte auf Ennis, blickte Jack an – und lachte ungläubig. „Ennis? Ennis del Mar? Jack, doch nicht DER Ennis del Mar?" „Doch Ma, DER Ennis del Mar", sagte Jack mit brüchiger Stimme und einem schiefen Grinsen.

„Oh, mein Junge. Endlich ! Ennis del Mar. Endlich lerne ich Sie kennen. Ich bin so froh, so froh, dass Sie endlich einmal hier sind." Ennis wusste kaum wie ihm geschah, als er sich plötzlich von zwei Armen umfangen fühlte, die ihn fest drückten. Ein Kuss rechts, einer links und etwas feuchtes streifte seine Wangen. „Tränen?", dachte Ennis verwundert. „Noch nie hat jemand vor Freude geweint, wenn ich gekommen bin. Wo bin ich hier gelandet?" Überwältigt schloss er Jacks Mutter in die Arme. „Bin auch froh, dass ich hier bin, Ma'm", nuschelte er verlegen, löste sich vorsichtig und ging unsicher einen Schritt zurück, seinen Hut tief in die Stirn gezogen.

„Nenn' mich Roberta, Ennis. Das ist einfacher – und Jack hat so viel von Dir erzählt, Ennis – es ist doch in Ordnung, wenn ich Ennis sage? – dass ich glaube, ich kenne Dich auch schon seit dreizehn Jahren."

Wirbelnd wand sie sich zu Jack und sagte tadelnd mit erhobenem Finger: „Hör mal, Junge, warum hast Du mir nicht gesagt, dass Du Besuch mitbringst? Ich bin gar nicht vorbereitet. Ich hab nicht mal meinen Kirschkuchen gebacken."

„Ma," sagte Jack zögernd. „Vor zehn Tagen wusste ich noch nicht, dass Ennis mitkommt." Roberta zog die Augenbrauen hoch und blickte neugierig von einem zum anderen. „Ma, in der letzten Woche ist sehr viel passiert." „Ach, was Du nicht sagst. Jack, dass irgendetwas passiert ist, habe ich sofort gesehen. Und ich danke dem lieben Gott, dass es diesmal scheinbar etwas positives ist, Jack. Hab ich Recht?" „Ja, Ma", sagte Jack einfach.

„Ok, Jungs, ich will alles wissen. Ich schlage vor, Ihr holt Eure Sachen aus dem Wagen, macht es Euch in Deinem alten Zimmer bequem und in der Zwischenzeit setze ich Kaffe auf. Kuchen oder Kekse werde ich wohl auch noch auftreiben und dann reden wir ein bisschen."

„Ma, wo ich Dad?" fragte Jack unsicher. Die Augen seiner Mutter flackerten auf. „Jack, Dein Vater ist draußen auf der Weide. Er repariert die Zäune. Wir hatten vor ein paar Tagen hier einen schlimmen Sturm und einige Meilen der Weidebegrenzung haben gelitten. Schätze, er ist zum Abendessen hier."

Jack nickte, schluckte und wandte sich an Ennis. „Komm, Cowboy. Du hast die Chefin gehört. Holen wir unsere Sachen."

Einträchtig gingen beide hinaus zum Wagen. „Rodeo, Du hast mir nie gesagt, wie nett Deine Ma ist", flüsterte Ennis, als sie draußen waren. „Warum freut sie sich so, mich zu sehen? Sie kennt mich doch gar nicht." Verständnislos schüttelte Ennis den Kopf.

Jack blieb stehen, sah sich um und ging einen Schritt auf Ennis zu, und noch einen, bis er Zentimeter vor ihm stand. „Baby, ich glaube, Dir ist nicht klar, was nach dem Brokeback mit mir los war. Ich bin hier völlig zusammen gebrochen. Wollte tagelang nicht aus dem Bett raus. Mein Dad hat gedacht ich bin krank, meine Ma hat mir auf den Kopf zugesagt, dass ich Liebeskummer hab. Was sollte ich da sagen? Sie wollte wissen, wer das Miststück ist, das mir das angetan hat – na ja, da hab ich ihr ein bisschen was erzählt. ... Nicht viel ... nicht alles", setzte er hastig hinzu, als er Ennis' panischen Gesichtsausdruck sah.

Jack blickte sich wieder um und nahm Ennis' Gesicht liebevoll in seine Hände. „Cowboy, sie freut sich, dass ich hier bin, weil das für sie heißt, dass ich nicht mehr leiden muss. Und so ist es auch." Sanft küsste er Ennis auf den Mund. „Ich liebe Dich. Danke, dass Du meine Ma heute glücklich gemacht hast", wisperte er ihm ins Ohr.

„Liebling, es war bis jetzt sehr einfach, Deine Ma glücklich zu machen. Es tut mir leid, dass ich das nicht schon früher gemacht habe", antwortete Ennis mit unterdrückter Stimme. Beide lächelten sich an und holten ihre Sachen aus dem Auto.

In der Küche stand Roberta Twist, beobachtete die beiden heimlich und wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augen. „Was bin ich froh, dass Ennis del Mar seinen Hintern endlich hierher bewegt hat", dachte sie. „Ich weiß nicht, wie lange Jack das noch ausgehalten hätte. Ich hab ihn noch nie so glücklich gesehen wie heute. Heute ist ein guter Tag. Hoffentlich macht John nicht alles zunichte." Seufzend wandte sie sich ab und bereitete das Kaffeegedeck vor.

Einige Minuten später standen Ennis und Jack in Jack's Zimmer. Ennis blickte sich neugierig um. Ein altes Bett stand unter der Dachschräge sorgfältig von einer abgenutzten Steppdecke bedeckt. Das Fenster zeigt auf die unendliche Weite und die einzige Straße, die vom Ranchhaus wegführte. Ennis ging zum Fenster öffnete es, verklemmte einen Holzstab zwischen Fensterbrett und Scheibe und ließ frische Luft ins Zimmer. Erschöpft setzte er sich auf einen kleinen Hocker, der vor dem Fenster stand und blickte sich um. Gegenüber vom Bett stand ein Schreibtisch, darauf sah Ennis einige Holzfiguren, einige alte Stifte und über dem Schreibtisch ein kleines Regal und daneben ein Gewehr.

„Jack, das Gewehr hängt da aber nur zur Zierde, oder?" fragte Ennis lästernd und feixte Jack an. Irritiert blickte Jack zu ihm. „Wieso?" „Na ja, wenn Du damit geübt hättest, hättest Du den Elch damals auf dem Brokeback auch selbst schießen können, Rodeo." Leise lachend wehrte Ennis einen Fausthieb van Jack ab. „Idiot", brummte Jack, konnte sich ein Grinsen aber auch nicht verkneifen.

„Hör mal, bevor ich mir weitere Gemeinheiten anhören muss – ich geh mal schnell für kleine Königstiger. Bin direkt gegenüber." „Komm schon ein paar Minuten alleine zurecht, keine Sorge," brummte Ennis.

Jack nickte und ging aus dem Zimmer. Ennis stand müde von seinem Beobachtungsposten auf und ging auf den Schreibtisch zu. Sachte fuhr er mit seinen Fingern über die abgenutzte Tischplatte. Eine Schreibtischunterlage, Tintenkleckse, Kratzer und Dellen zierten die Tischplatte ebenso wie der Spruch „In der Schule lern ich nix für's Leben. Was soll der Scheiß?". Ennis lachte leise auf. „Twist war also schon in jungen Jahren ein Klugscheißer. Gut zu wissen ..."

Vorsichtig hob er die Schreibtischunterlage hoch. Darunter fand Ennis das Deckblatt einer alten Zeitung. Mit spitzen Fingern zog er das Papier ans Tageslicht.

Es war die „Signal Post" vom 28. August 1963. „28. August 1963 ! Shit", dachte Ennis. „Das war der Tag, an dem wir uns das letzte Mal gesehen haben. Verdammt, wo hat er die Zeitung ... wann hat er die gekauft ... Ach Du meine Güte ... oh nein ... hier ... was ... oh, Jack."

Mit einem trockenen Schluchzer ließ sich Ennis auf den Schreibtischstuhl fallen. Er ächzte unter seinem Gewicht und seine langen Beine stießen an die Tischkante – doch Ennis merkte es nicht. Wie paralysiert starrte er minutenlang auf den Leitartikel der Zeitung: „I have a dream – Martin Luther King in einer bewegenden Rede in Washington vor 250.000 Menschen". „I have a dream" war fett umrandet und mit Jack's Handschrift stand dort noch ein Wort: „Ennis". Daneben sah er vergilbte Wasserflecken. Tränen.

„Oh mein Gott", flüsterte Ennis. Die Zeitung zitterte in seinen Händen. Behutsam legte er sie auf den Schreibtisch, atmete tief durch, um sich zu sammeln, nahm einen Stift zur Hand und schrieb mit seiner ungelenken Schrift daneben. „Dein Traum hat sich erfüllt. Ich liebe Dich. 16. Juni 1975."

Ennis legte die Zeitung wieder unter die Unterlage – gerade rechtzeitig, bevor Jack strahlend das Zimmer betrat. „Ennis, komm Du faule Socke. Meine Ma hat den Kaffee fertig. Und ich rieche Waffeln. Los, ich hab Hunger ... uh ...". Ennis Mund erstickte alle weiteren Ausführungen. Verlangend und Jack's Gesicht mit beiden Händen umklammernd, küsste er Jack.

Tief tauchte er ein, spürte und ertastete die Person, die er auf dieser Welt am meisten liebte. Schließlich löste er sich, gerade soweit, dass er sein Gesicht in Jacks Haaren vergraben konnte und drückte ihn fest an sich, jeden Muskel seines Körpers wahrnehmend. „Jack", flüsterte er und alle unausgesprochenen Worte wurden mit dem Klang seines Namens gesagt. Jack erzitterte. „Was ist los, Cowboy? Hast Du einen Geist gesehen?"

„So was ähnliches", antwortete Ennis und lachte unsicher. „Komm, Rodeo, gehen wir Kaffee trinken. Ich will Deine Ma nicht warten lassen."