Es war 2 Uhr nachmittag, als Horatio mit Calleigh als Verstärkung Sidonie einen Besuch abstatteten und vor einem großzügig angelegten Appartementhaus stoppten. „Das möchte ich mir mal leisten können." Calleigh schüttelte den Kopf. „Wie kann sie es dann mit 29?"

Ein Türschild wies Sidonies Namen auf, doch niemand öffnete auf das Läuten hin.

Horatio sah sich um und wies dann auf ein Tanzstudio im Erdgeschoß, die Türe stand offen. In einem kleinen angeschlossenen Büro saß eine ältere Dame und blätterte lustlos in einer Zeitung.

„Hallo. Mein Name ist Caine. CSI Miami." – er zeigte seinen Ausweis kurz vor. „Ich suche Sidonie van Dahlen. Wissen Sie, wann sie zu Hause sein wird oder wo sie anzutreffen ist?"

Die Dame stand mit erstauntem Blick auf. „Natürlich weiß ich wo sie ist. Sid ist im Saal und gibt eine Stunde." gleichzeitig deutete sie auf die nächste Türe.

Die beiden Beamten waren etwas erstaunt über die schnelle Information. „Können wir hineingehen?"

Die Frau überlegte und nickte dann. „Geht es etwa um diesen schrecklichen Kerl, der sie vor ein paar Tagen belästigt hat?" fragte sie, als Horatio und Calleigh bereits weitergehen wollten.

„Ein Kerl?" wiederholte Horatio. „Etwa dieser hier?" – Er zog aus seiner Jackentasche ein Foto des toten Marc Polite, aufgenommen am Autopsietisch.

„Ja. Ja ich glaube das war er." stammelte die Frau.

„Wissen Sie was er wollte?" fragte nun Calleigh.

„Nein, Sidonie hat sich um ihn gekümmert. Ich war nicht dabei. Aber es war ein wirklich abscheulicher Mensch." empörte sich die alte Dame.

Horatio ging nochmals ins Freie hinaus und blickte sich kurz um. Calleigh war ihm gefolgt.

„Im Bericht von Alexx stand etwas von einer Abschürfung auf der linken Schulter und Hüfte..." wiederholte er halblaut. Calleigh wußte sofort, wonach sie Ausschau halten mußte, ihr fiel als erste beim Treppenaufgang zum Haus ein kleiner Stofffetzen an der Mauer auf. „Da ist jemand ziemlich heftig dagegen gefallen und muß sich aufgeschürft haben." stellte sie fest.

Prozedereüblich machte sie ein Foto und nahm zwei Proben in der Hoffnung, daß auch ein paar Hautpartikel hängen geblieben waren.

Wieder zurück im Haus, öffnete Horatio die Türe zum Tanzsaal und trat mit Calleigh ein. Der sonnendurchflutete Raum blendete beide zuerst. Das nächste was sie wahrnahmen waren vier Personen, die in der Mitte des Raumes am Boden saßen.

„Ein großer, ein roter, ein runder Luftballon,

fliegt höher, immer höher, gleich fliegt er mir davon.

Doch an der Schnur, der langen,

hol ich ihn mir zurück. Jetzt hab ich ihn gefangen,

da hab ich aber Glück."

Drei Mädchen, etwa 9 oder 10 Jahre als, saßen um eine junge Frau. Gemeinsam sagten sie den Reim auf und machten dazu entsprechende Handbewegungen. Zwei der Kinder litten offensichtlich am Down-Syndrom, das dritte Mädchen wirkte äußerlich gesund.

„Miss van Dahlen?" Horatio trat einen Schritt vor.

Die junge Frau drehte sich um und blickte die Besucher erstaunt und wie es schien beunruhigt an.

„Ja bitte?" fragte sie und erhob sich.

Horatio musterte seine Verdächtige. Sidonie war laut Akt 29 Jahre alt, sie war schlank, groß gewachsen, hatte aber ein ungesund wirkendes blasses Gesicht. Ihre dunklen Augen stachen hervor, doch am meisten leuchtete ihr rotes Haar. Einen Moment fragte er sich, ob die Farbe echt war oder nicht, dann verwarf er den Gedanken gleich wieder und rief sich selbst zur Ordnung.

„Miss van Dahlen. Mein Name ist Horatio Caine, CSI, Miami-Dade Police. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen." Er nahm seine Sonnenbrille ab und griff zu seinem Ausweis.

Das nächste war ein schriller Schrei. Eines der Mädchen, das äußerlich gesunde, sprang auf und lief in die hinterste Ecke des Saales. Dort kauerte sie sich zusammen. „Sie holen mich. Sie holen mich." stammelte sie unentwegt.

„Verd..." fluchte Sidonie leise, ohne das Wort ganz auszusprechen. Ihr Blick ging von den beiden Beamten zu dem weinenden Mädchen. Die beiden anderen Kinder blieben verschreckt sitzen. Calleigh machte mit guter Absicht zwei Schritte auf das Kind in der Ecke zu.

„Stopp. Bleiben Sie stehen und sagen keinen Ton!" stoppte Sidonie sie leise und hielt sie mit einer resoluten Handbewegung zurück. Dann lief sie zu dem Kind.

Calleigh und Horatio wechselten einen konfusen Blick, während Sidonie sich bemühte, das Mädchen mit gedämpften Worten zu beruhigen. Nach ein paar Minuten stand sie auf, das Kind klammerte sich an ihre Hand, immer noch mißtrauisch vor allem Horatio Caine im Blickfeld.

„Also, Ally. Wir gehen jetzt ganz langsam an den Beiden vorbei. Sie tun dir nichts." „Was wenn doch?" jammerte das Kind weiter.

„Dann kriegen sie es mit mir zu tun. Und du weißt doch, daß du dich auf mich verlassen kannst, nicht wahr? – Kommt ihr zwei. Ihr geht jetzt auch gleich mit." Sie winkte den beiden Mädchen, die immer noch verstört am Boden saßen. Gehorsam standen sie auf und liefen zur Türe, dort warteten sie.

Sidonies Blick galt, als sie mit Ally langsam ebenfalls losging, den beiden Polizeibeamten. Der Ältere erwiderte ihren Blick und nickte fast unmerklich als hätte er ihre lautlose Bitte, nichts zu sagen oder zu tun, verstanden. Was immer mit dem kleinen Mädchen los war, ihre Angst war spürbar.

„Siehst du. Alles in Ordnung. Sie wollen nur mit mir sprechen. Sie tun dir nichts und mir auch nicht." wiederholte Sidonie immer wieder und erreichte langsam die Türe, die sie dann öffnete. „Kommt Mädels. Ende der Stunde. – Holt euch eure Rucksäcke und wartet brav bei der Bank." Auch Ally löste sich allmählich von Sidonie und setzte sich hin, immer noch mißtrauisch die Saaltüre im Blick.

„Dana, paß bitte kurz auf die drei auf. Und laß sie und auch keinen anderen in den Saal. Sonst habe ich gleich das nächste Desaster, dank deiner vorherigen Großzügigkeit Fremde in den Saal zu schicken." hörten die Beamten Sidonie scharf sagen, gleich darauf betrat sie den Raum und schloß die Türe.

„Was kann ich für Sie tun, nachdem Sie mir mit Danas so herrlicher Mithilfe die Stunde kaputt gemacht haben?" fragte sie und ging verärgert auf die Beiden zu, blieb aber dann drei Schritte vor ihnen stehen.

„Das lag nicht in unserer Absicht." entschuldigte sich Horatio. „Wir haben in paar Fragen an Sie. Zunächst mal, kennen Sie diesen Mann?" fragte er gleich darauf und nahm wieder das Foto aus der Tasche.

„Warum stellen Sie mir diese rein rhetorische Frage, wo Sie doch schon wissen, daß er mein Vater ist." antwortete sie mit einer Gegenfrage, nachdem sie einen Blick auf das Bild geworfen hatte. Horatio blickte sie ohne Reaktion an und schwieg.

„Er sieht nicht sehr gesund aus. Ist es das, was ich glaube?" hängte Sidonie dann schließlich an.

„Er wurde heute Morgen erschossen aufgefunden."

Sidonie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nickte unmerklich.

„Ich muß die Mädchen heimbringen und habe um vier noch eine Tanzstunde. Kann Ihre Befragung so lange warten?" bat sie schließlich nach kurzem Überlegen.

„Kommen Sie danach in unser Büro." er übergab ihr seine Karte. „Ich glaube ich brauche nicht sagen, daß das ein verpflichtender Termin ist."

Sidonie lächelte ironisch. „Buh – Jetzt habe ich aber Angst." Sie drehte sich um und hielt den beiden die Türe auf.