„Speed. Wie sieht's aus?" Horatio deutete auf diverse Tests.
„Hab ich schon mal gesagt, daß ich Motels nicht leiden kann? Ich habe bisher 12 verschiedene DNA-Proben im Zimmer gefunden. Die Waffe hat nichts erbracht. Keine Verlustmeldungen, keine Fasern, keine Rückstände, keine Abdrücke, sie wurde offenbar mit einem Reinigungstuch abgewischt. Wir nehmen uns nun gerade die Stichwunden genauer vor."
Calleigh meldete sich dazu. „Ich bin mit seiner Kleidung fertig und lasse es gerade auswerten."
„Was ist mit der Tochter von Polite?" fragte Yelina, die dazugestoßen war.
„Die ist ein Thema für sich." meinte Horatio. „Keine Spur des typischen Opfers. – Ihre Unberührtheit, als sie das Foto von Polite sah. Und ihr einziges Kommentar ‚Ist es das was ich glaube'– Sidonie ist wirklich sehr interessant." bestätigte Horatio in Gedanken versunken. „Sie kommt am Abend vorbei, lassen wir uns überraschen, was sie uns zu erzählen hat."
Horatio saß in seinem Büro bei einem Prüfbericht, als Calleigh rein kam.
„Ich hab was ganz ganz tolles." sagte sie mit stolzem Lächeln. „Das ist die DNA von Polite. -- Und DAS ist die DNA eines fremden Haares, das wir auf seinem Hemd gefunden haben."
Horatio begutachtete beide Blätter und lächelte dann ebenfalls.
„Fast identisch. Also ein naher Verwandter..."
„Ein naher WEIBLICHER Verwandter übrigens" korrigierte Calleigh. Die Auswertung ist schon da.
„Das wird ja immer besser. "
Calleigh verließ das Zimmer, kam aber einen Augenblick später wieder zurück. „Du hast Besuch, deine „nahe Verwandte" ist draußen. Ich hab sie ins Besprechungszimmer gesetzt. – Sie wirkt weder wie Täter oder Opfer. Ich frage mich nur, was von beidem sie wirklich ist." rätselte Calleigh.
„Vielleicht beides." ergänzte Horatio. „ Hast du übrigens Zeit?"
„Warum? Ich bin doch sonst nicht für ‚guter Bulle-böser Bulle' zuständig."
„Nein, aber ich glaube es ist vernünftig, wenn eine Frau bei der Vernehmung dabei ist und Yelina ist nicht mehr hier." Calleigh nickte und allzu gern folgte sie ihm in das Verhör, das nur spannend werden konnte.
---
Zu Zweit betraten sie den Konferenzraum. Sidonie van Dahlen stand beim Fenster und drehte sich um, als sie die Türe hörte. Horatios erster Blick galt ihren Haaren – sie waren nachlässig zu einem Knoten gebunden, vereinzelte rote Strähnen hatten sich gelöst und verleihten ihr einen etwas fahrigen Eindruck . „Hallo Sidonie. Danke fürs Kommen." begrüßte Horatio sie und stellte nun auch nachträglich Calleigh vor.
„Ihre so nette Einladung konnte ich ja schlecht ablehnen." Sidonie trat einen Schritt vor und setzte sich dann.
Horatio blieb absichtlich hinten stehen, während seine Kollegin Platz nahm.
„Miss van Dahlen..." begann Horatio und wurde unterbrochen.
„Es reicht, wenn Sie Sidonie oder Sid sagen. Unsere Unterhaltung hier wird wohl länger dauern und es stolpern ohnedies alle nur über meinen Namen."
Calleigh stellte ein Diktiergerät auf den Tisch. „Sidonie, wir möchten das Gespräch aufnehmen. Ist Ihnen das recht?"
„Ja, ja. Ich kenne das schon alles. Und immer brav und vor allem laut antworten und nicht nicken." vervollständigte Sidonie den Satz, ihre Tonlage war fast schon als frech zu bezeichnen, doch noch ignorierten das die beiden Beamten.
„Dies ist lediglich eine Befragung, aber Sie können trotzdem einen Anwalt beiziehen. Möchten Sie das?"
Sidonie verneinte. „Ich glaube nicht, daß ich einen brauche."
„Woher kommt Ihr Akzent?" fragte Calleigh, obwohl sie wußte, daß Horatio die wesentlichen Dinge aus ihrem Polizeiakt wußte.
Sidonie antwortete relativ gelangweilt. „Ich bin eine bunte Nationalitätenmischung. Eine gebürtige Ungarin als Mutter, in den USA geboren und in Österreich aufgewachsen. – Daher die Doppelstaatsbürgerschaft."
„Ist Sidonie ein ungarischer Name?"
„Ein Zigeunername, könnte man sagen." Sie deutete auf ihre Haare. „Was manche auch schnell sehen..."
„Dürfen wir Ihnen etwas zu Trinken bringen lassen, ehe wir beginnen." wurde sie gleich danach von Horatio gefragt. Sidonie blickte ihn aufmerksam an und legte den Kopf schief. Calleigh stutzte kurz, dies war eine Angewohnheit ihres Bosses, Horatio, wenn er Hintergedanken hatte. Das nun bei einer Verdächtigen zu sehen, brachte sie ins Grübeln.
„Fragen Sie aus Höflichkeit, oder um von mir unspektakulär eine DNA-Probe und Fingerabdrücke zu erhalten?" Horatio senkte den Kopf und verbarg ein Grinsen, ebenso wie Calleigh.
„Wie wäre es mit Beidem?" meinte er dann, immer noch ruhig.
„ Na, da Sie alle so unglaublich nett sind kann ich ja kaum Nein sagen." Sidonie zuckte mit den Schultern und lehnte sich in den Sessel zurück.
Calleigh stand auf und kam gleich darauf mit einem Glas Wasser in der einen Hand und mit einem kleinen Koffer in der anderen zurück. Die Ermittlerin nahm einen Abstrich aus dem Mund, weiteren Abstrich aus beiden Handflächen und die Abdrücke der rechten Hand.
Horatio fiel dabei eine breite, ältere Narbe am Handgelenk auf, mehr schlecht wie recht von einer Armbanduhr verdeckt, die augenscheinlich von einer Verbrennung herrührte, frage aber nicht weiter.
Nachdem die Probenentnahme erledigt war und diese verpackt wurden, nahm Sidonie einen Schluck Wasser und lehnte sich wieder zurück. „Nun denn...- Weiter im Text."
Horatio trat einen Schritt vor. „Ihr Verhältnis zu Polite war nicht das Beste..."
„Aus verständlichen Gründen, doch wohl, oder?" wandte Sidonie ein und fixierte ihn kurz.
„Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?" kam es nun von Calleigh.
Sidonie zögerte kurz. „Das muß bei der Verhandlung 1992 oder1993 gewesen sein."
Horatio überlegte einen Moment, ihr die offensichtliche Lüge gleich vorzuhalten, entschied sich aber dann anders.
„Wo waren Sie gestern Abend?" fragte er statt dessen.
„Zu Hause. – Und ehe Sie danach fragen: NEIN, ich habe keine Zeugen und NEIn, ich habe kein Alibi." antwortete Sidonie.
Eric klopfte an die Glastüre, reichte Horatio einige Blätter und blieb auf sein Zeichen hin im Zimmer stehen.
„Das wird ja allmählich richtig voll hier. Hätte ich auch jemanden mitbringen müssen?" meldete sich Sidonie mit gewohnter Ironie, während Horatio über den Bericht flog.
Doch der leitende Beamte blickte nicht einmal auf als er meinte „Möchten Sie nun doch einen Anwalt beiziehen?"
„Nein, möchte ich immer noch nicht. Außerdem sollten Sie nicht mehr viele Leute in das Zimmer stopfen. Ist sicherlich schlecht für das Raumklima."
„Nun, Sidonie. Ich weiß nicht, ob ich in Ihrer Lage zu Scherzen aufgelegt wäre." stellte Horatio fest, während er weiter in den Unterlagen blätterte.
Sidonie schenkte der Gruppe ein verzogenes Lächeln. „Meine Güte, seien Sie doch nicht so humorlos."
„Ich habe heute einen guten Tag, aber ich fürchte nicht mehr lange. Also kriegen Sie noch eine letzte Chance, die Wahrheit zu sagen. -- Polite. Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?"
„Das habe ich doch schon gesagt." antwortete Sidonie langsam und spürbar vorsichtiger.
„Da hat aber Ihre Angestellte, Dana, etwas anderes behauptet."
Sidonie seufzte.
„Nun?" hakte Horatio nach.
„Er tauchte letzte Woche auf und wollte Geld. Ich hab ihm höflich gesagt, er soll gehen. Ende. Das ganze war eine Sache von 3 Minuten."
„Nochmals eine Lüge..."
„Ist es das?" Sidonies Ton war aufsässig.
„Ich mache keine Scherze, Sidonie. – Höflich war Ihre Unterredung nicht. An der Mauer zur Treppe sind uns Abschürfungen aufgefallen und meine Unterlagen hier sagen nicht nur, daß Polite passende Verletzungen an seiner Hüfte hat, so als wäre er sehr kräftig dagegen gefallen, sondern auch, daß die DNA-Probe davon ident mit Polites DNA ist. Woher kommen also die Abschürfungen?" Horatios Ton war nun nicht mehr so zurückhaltend.
„Also gut, ich war nicht unbedingt höflich zu ihm, sondern hab ihn rausgeworfen. Rausgekickt könnte man auch sagen."
„Warum?"
„Schon wieder ein ‚Warum'." wiederholte Sidonie. „Liegt das nicht auf der Hand? Nach Jahren taucht er bei mir auf und will Geld erpressen. Nicht mit mir."
„Womit wollte er Sie erpressen?"
Sidonie zögerte wieder kurz. „Indem er meine Vergangenheit an die große Glocke hängt. Was ihm aber leider nichts bringt oder brachte, da die Mütter bzw. Eltern meiner Kids wissen, was mir damals passiert ist und ich kein Geheimnis daraus mache. Und das habe ich ihm auch gesagt."
„Erpressung wäre aber ein hervorragendes Motiv für einen Mord."
„Tatsächlich? Aber ich bin sicher nicht die einzige, die ein Motiv hätte. Und wie gesagt, ich lasse mich nicht erpressen. Ich hab mir schon zu viel aufgebaut, um es so auf's Spiel zu setzen."
Horatio fixierte seine Verdächtige lange ohne etwas zu sagen, doch ungerührt erwiderte sie seinen Blick.
