19:43 Uhr. Sidonie saß in Horatios Hummer, nur eineinhalb Straßenblöcke von jener Bar entfernt, in der sich Adams normalerweise und auch heute aufhielt.

Sidonie berührte nochmals, wie um sich zu vergewissern, daß es noch da war, den kleinen, kaum spürbaren Funksender, der von einer Beamtin an ihrem Brustkorb angebracht worden war. Ein unauffälliger Übertragungswagen parkte in der Nähe der Bar, mehrere Polizeibeamte standen in Zugriffsbereitschaft, das Gespräch würde zweimal auf unabhängigen Medien aufgezeichnet werden, einmal durch den Funksender, ein weiteres mal durch ein kleines Mikrofon in ihrer Tasche. Die Übertragung war bereits bestätigt worden, das Band lief mit und zeichnete schon jetzt jedes Gespräch und jeden Ton auf.

Horatio musterte nochmals die Gestalt neben ihm, das schwarze Kleid vom Morgen war einer schwarzen Hose gewichen, dazu trug sie ein kurzes, knappes Top, das einen zweiten Blick auf jeden Fall garantierte.

„Ich bin bereit. Und Sie?" fragte Sidonie lässig und griff schon zur Türschnalle.

„Sie müssen das nicht machen." wiederholte Horatio nochmals, obwohl er ihre Meinung und Antwort schon kannte.

„Doch. Ich muß und ich will und ich werde. – Kann's losgehen? Ich will heute mal etwas früher nach Hause kommen. Vielleicht krieg ich auch eine Mütze Schlaf ab, das fehlt mir schon ganz schön..."

Horatio war zunächst irritiert von ihrer Gleichgültigkeit, doch dann bemerkte er das leichte Zittern ihrer Hände.

„Wir sind in der Nähe und greifen sofort zu, sobald er auch nur ansatzweise etwas zugibt. -- ICH bin in der Nähe." Er berührte kurz unsicher ihre Hand. Sidonie schaute zunächst auf die Hand, dann zum Ermittler. „Ich weiß." war alles was sie sagte. Sie atmete noch einmal hörbar aus, dann stieg sie äußerlich ruhig und gefasst aus dem Auto und machte sich zu Fuß in Richtung der Bar.

Horatio fuhr sein Fahrzeug weiter in die Nähe des Bareingangs und stieg dann in den Einsatzwagen um. Sidonie war klar und deutlich zu verstehen. Sie summte ein Lied, dann pfiff sie wieder ein paar Takte, mittendrinnen sang sie leise ein paar Wörter. Die Melodie war allen im Auto ziemlich bekannt. Es dauerte nicht lange, bis Eric, der sich ebenfalls im Wagen befand, die Melodie unbewusst auffing und im Takt mitklopfte. „Hmmm – Beethovens 9. - 4. Satz – Ode an die Freude." stellte einer der Techniker fest. „Das ultimative Lied für gute Laune. Die Dame hat Geschmack..." . Doch schon endete die Musikuntermalung durch Sidonie, die Crew hörte, wie sie offensichtlich eine schwere Türe öffnete. Horatio kontrollierte das Funkgerät und die Waffe und wartete.

Die Bar entsprach so gar nicht dem Klischee, vielleicht lag es aber auch an der relativ frühen Zeit, in welcher Sidonie diese betrat. Der Barkeeper fixierte Sidonie, noch mehr aber den Ausschnitt des Tops. „Hi. Ich möchte zum Chef." Sidonie lächelte süffisant.

„Warum?"

„Vielleicht möchte ich ja eine Kollegin werden." sie zwinkerte dem Mann zu. Dieser deutete dann fast kommentarlos auf eine Türe, an der das Schild „Privat" hing. „Zweite Türe links."

Im Wagen hatte sich allgemein Anspannung breit gemacht, jetzt wurde es interessant, aber auch gefährlich.

Sidonie pochte kurz gegen die Türe und trat gleich darauf ein.

„Was gibt's?"

„Hallo Mister Polizist." Sidonies Stimme klang gefasst, obgleich sie doch auch nervös war. Sie hatte sich gefragt, wie peinlich es wohl werden würde, säße in dem Zimmer nicht der von ihr Gesuchte. Doch schon beim Betreten erkannte sie Adams. Dieser hob nun, nach ihrem Gruß den Kopf. Zunächst war er sichtlich verwirrt, dann huschte merklich ein erstaunter Ausdrück über sein Gesicht.

„Ahh, nun hat es Klick gemacht, nicht wahr. Oder soll ich mich doch vorstellen?" fragte Sidonie ironisch und trat zwei Schritte weiter vor.

„Was zum Teufel...?" begann Adams. Dann lachte er kurz auf. „Na so was aber auch. Mit dir hätte ich wirklich nicht gerechnet."

„Tja. So kann's gehen. Hast du mich etwa vergessen?"

Adams kam hinter dem Schreibtisch hervor und besah sie nochmals eindringlich. „Wie könnte ich..." Adams Stimme klag mit einem Male ziemlich schmierig.

„Willst du mich nicht fragen, was ich hier will? Dein Barkeeper glaubt schon, daß ich die neue Aushilfe werde."

„Das glaube ich nicht. – Was willst du?"

„Krieg ich was zu Trinken? Verdient hätte ich es mir doch, schon aufgrund unserer langen und so intensiven Beziehung, oder?"

Horatio kam nicht hinweg, ihre Kaltblütigkeit zu bewundern. Bisher war jedes ihrer Worte wie auch Adam gut zu verstehen gewesen. „Komm zur Sache..." bat Horatio in Gedanken und wünschte sich, daß Sidonie schon wieder aus dem Haus heraußen war. Aus den Lautsprechern hörten sie das Klirren eines Glases.

„Die Polizei war in den letzten Tagen fast täglich bei mir. Stell dir vor, mein lieber Mister Daddy wurde umgebracht. Und sie glauben doch tatsächlich, daß ich es war. Ich habe ein wirklich gutes Motiv, ich habe kein Alibi und so weiter... Und irgendwie dachte ich dann plötzlich an dich."

„Soso, und warum?"

„Er wurde erschossen. Und du hast ja Waffen schon immer gerne gehabt."

„Hmmm. Denkst du an das gleiche wie ich?" Wieder war ein schmieriger, anzüglicher Unterton von ihm zu hören.

„Diese Spielerei hat dir damals wohl mehr Spaß gemacht wie mir." Sidonie schluckte kurz und versuchte die aufsteigende Erinnerung zu verbannen.

„Was willst du? Willst du dich mit mir anlegen? Hast du vergessen, was der Preis beim letzten Mal war?"

„Er war ein paar Tage, bevor er erschossen wurde, bei mir und wollte Geld erpressen. Ich nehme an, er hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. " Sidonie überging auch diese Anspielung von Admas.

„So, glaubst du das?" Nun war er spürbar auf der Hut.

„Weißt du dazu etwas?"

„Nein, und es interessiert mich auch nicht."

Sidonie schwieg kurz. Was hatte sie sich eigentlich dabei gedacht, hierher zu kommen? Hatte sie wirklich geglaubt, daß Adams einfach so ihr gegenüber einen Mord gestehen würde? Was sollte sie tun, wenn er nichts sagen würde? Sie konnte sich unmöglich umdrehen und gehen. Er musste aus der Reserve gelockt werden.

Ihre Haltung änderte sich bewusst, flirtend strich sie ihre Haare zurück, ihr Tonfall war nun anders. Das fiel auch den Zuhörern im Übertragungswagen auf.

„Bist du noch ... ähhm ... einschlägig tätig?" fragte sie.

„Warum willst du das wissen?"

„Aus Neugierde. – Also, brauchst du immer noch kleine Mädchen, um dich zu beweisen?"

„Du warst doch nie ein kleines Mädchen. Du warst schon immer eine Femme fatale. Vom ersten Tag an. Verhängnisvoll und verführerisch. Und doch hilflos. Rundum perfekt."

„Soso, glaubst du das? Vielleicht war ich das perfekte Opfer. Aber vielleicht bin ich jetzt auch auf Rachefeldzug unterwegs. Zuerst habe ich Polite gekillt und nun steh ich hier und bedanke mich bei dir dafür, daß du mein Leben zerstört hast. Und dann. Tja dann..." sie machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Du hast Polite gekillt? Nie und nimmer." Adams lachte laut auf. Sidonies Ausdruck blieb aber hart.

„Es ist einfach an eine Waffe zu kommen." es war kurz still. „Sieh mal. Eine Kugel war für Polite und eine wird für dich sein."

Daran, daß Adams kurz schwieg, ahnten die Beamten im Auto, daß Sidonie tatsächlich eine Waffe mithaben musste. „Was zum Teufel..." Frank Tripp wollte schon aufspringen und das Signal zum Stürmen geben, doch Horatio hielt ihn zurück.„Sie wird ihn nicht töten. Das ist nicht ihr Plan."

„Was weißt du von ihrem Plan? Sie ist ein Opfer und steht ihrem Peiniger gegenüber. Eine bessere Chance hat sie nicht mehr."

„Sid hätte ihn schön längst töten können, o h n e das ein paar Polizisten zuhören und dabei sind. Also warte noch, sie bezweckt etwas!"

„Du wirst nicht abdrücken." Adams Stimme klang immer noch sehr selbstsicher.

„Warum nicht? Ich habe nichts zu verlieren. Mein lieber Daddy hat übrigens das gleiche gesagt."

„Was? Nicht abdrücken?"

„Genau."

Adams lachte wieder. „Da hast du eigentlich recht gut geraten." Er machte ein paar Schritte auf sie zu und stand nun bedrohlich nahe.

„Das ist übrigens ein Revolver in deiner Hand. Du musst also unten noch Entsichern. Siehst du, der kleine Hebel ist es. Sonst wird nichts aus dem Schuss." gönnerisch erklärte er ihr die Waffe.

„Süsse kleine Siddie. Wie früher. Rebellisch, obwohl schon längst geschlagen und am Boden liegend... Hach, wie vermisse ich die Zeit."

„Lass das. Die kleine Siddie gibt es nicht mehr. Ebenso wie es bald auch dich nicht mehr geben wird."

„Ah ja. Genau. Du hast ja deinen Daddy getötet. Und wie war das so?"

„Angenehm. Eine interessante Erfahrung. Ich frage mich, ob du auch so betteln wirst wie er."

Wieder lachte Adams auf.

„Oh bitte bitte. Erschieß mich nicht. Ich tu alles was du willst. – So etwa? – Ach Siddie. Gerne wäre ich dabei gewesen, wenn du ihn erschießt. Aber wir wissen beide, daß du es nicht warst. Du, weil du zu feige für so was bist. Und ich, weil ich es war."

Sidonie hatte das gehört, was sie wollte, wusste aber gleichzeitig, daß das alleine nicht ausreichen konnte. Ein „weil ich es war" würde in keinem Verfahren auch nur ansatzweise als Geständnis gelten. Es galt weiter schauzuspielen.

„Wie schön. Ein Toter und zwei Mörder. Wollen wir nun knobeln, wer es wirklich war? Aus welchem Grund solltest du ihn nach so vielen Jahren erschießen wollen oder müssen? Ich habe zumindest ein gutes Motiv. Und du?" Sidonie reagierte mit dem üblichen Sarkasmus.

„Der Trottel glaubte hier auftauchen und Geld erpressen zu können." Adams wandte sich kurz wütend ab.

„Wofür brauchte er das Geld?"

„Er wollte wohl wieder einen Mädchenring aufziehen, hat aber die falschen Mädels erwischt. Angeblich waren ein paar Mexikaner hinter ihm her, die das Geld kassieren wollten. – Er kommt rein und jammert und droht und jammert und droht. So was kann ich auf den Tod nicht leiden. – Da bist du ganz anders. Du hast nie gejammert, nicht wahr? Ich habe dich nie vergessen. Und das ist schon fast ein Kompliment... "

„Wo hast du ihn umgebracht?" Sidonie überhörte seine Äußerung und bat innerlich, daß er noch in Gedanken war und so über ihre Frage nicht genauer nachdenken würde.

„Er ist in einem Motel beim Dixie Highway abgestiegen. Und weißt du was wirklich witzig war: bis zuletzt glaubte er, ich gebe ihm das Geld. So ein Schwachkopf!"

„Du hast ihn erschossen..." wiederholte Sidonie langsam. Ab jetzt galt es nur mehr, Zeit zu gewinnen, sie hoffte, daß den Polizisten draußen diese Antwort ausreichen würde.

„Du hast nie gejammert."

Während Sidonie überlegt hatte, wie sie nun am besten aus dem Raum hinauskam, stand Adams plötzlich direkt vor ihr und hatte ihr mit einem Ruck die Waffe weggenommen und hielt sie am Arm fest

„Lass mich sofort los!"

„Kleine Wildkatze. Was willst du?. Du tauchst hier auf, machst auf kokett und willst wieder gehen? Sicher nicht. Ich will gerne die Vergangenheit aufleben lassen. Was hältst du davon?"

„Keine gute Idee!" widersprach sie laut. Wie gelähmt stand sie Adams gegenüber. Der fasste ihren mangelnden Widerstand falsch auf, er drängte sie gegen die Wand und fixierte sie. Sidonie war kurz vor einem Panikanfall, als sie hörte, daß es in der Bar turbulent wurde, auch Adams wandte sich aufhorchend zur Tür.

„Keine gute Idee!" wiederholte Sidonie und stieß ihm ihren Ellbogen zuerst gegen das Kinn, trat im nächsten Moment mit dem Fuß gegen sein Schienbein und stieß dann ihr Knie in seinen Bauch. Mit einem „Uff" ging Adams zu Boden.

Sidonie machte einen halben Schritt weg, als er nochmals ihren Knöchel umfasste, Zorn und Wut stand in sein Gesicht geschrieben, dieser Zorn verlieh ihm neue Kraft. Fast gelang es ihm, Sidonie zu Fall zu bringen.

Während Horatio mit gezogener Waffe in Begleitung von drei weiteren Beamten bei der Türe hereinstürmte, machte Sidonie sich neuerlich frei.

„Mistkerl!" Das Adrenalin machte sie ebenfalls rasend. So rasend, daß sie mit dem Fuß gegen seine Rippen trat.„Mistkerl!" wiederholte sie nochmals und trat nochmals zu, diesmal allerdings zwischen seine Beine.„Mistkerl!" ehe sie ein weiteres Mal auf den am Boden liegenden Mann hintreten konnte, fasste Horatio sie fest bei den Armen und zog sie ein paar Schritte zurück. „Sidonie, es ist genug!" rief er sie zur Ordnung.

Während Adams von einem Polizisten festgehalten wurde, legte ihm ein Anderer Handschellen an. Frank Tripp befand sich nun ebenfalls im Zimmer. Er nickte Horatio kurz zu und verlas Adams seine Rechte. Wenige Momente später wurde dieser schon aus dem Raum geschleppt.

Nun erst fiel merklich die Anspannung von Sidonie ab, ihr keuchendes Atmen normalisierte sich wieder.

„Puh." Sie ließ sich in einen Sessel fallen und schloss kurz die Augen. „Glauben Sie, ich kann mir von draußen einen Schluck zu Trinken nehmen? Das war nun doch etwas anstrengender, als ich dachte."

Horatio konnte nicht anders, er musste lächeln. Einen Moment später kam er mit einem kleinen Whiskey on the Rocks zurück und hielt ihr das Getränk entgegen.

„Für diese Leistung haben Sie sich kein Glas verdient, sondern eine ganze LKW-Ladung." Dann, wieder völlig ernst, fügte er an „Gut gemacht!"