Es war später Abend des nächsten Tages, als es an Sidonies Wohnungstüre läutete. Skeptisch öffnete sie nach einem Blick durch den Türspion.

„Sie werden ja schon zur regelrechten Plage." begrüßte sie Horatio, der lässig an den Türstock gelehnt war.

„Ich freu mich auch, Sie wiederzusehen." erwiderte er ebenso ironisch.

„Noch mehr Fragen? Noch eine Aussage? Noch eine Undercoveraktion von mir nötig?" fragte sie und machte dann die Türe ganz auf, um ihn hereinzulassen.

Horatio schüttelte den Kopf und folgte Sidonie ein Zimmer weiter. Er blieb im Wohnraum stehen. Zwei Wandreihen waren mit deckenhohen Bücherregalen vollgestellt, am Boden lagen verschiedene Zettel, CDs und Skizzen, die scheinbar heillos durcheinander lagen. Trotz des offensichtlichen Chaos am Boden strahlte die ganze Wohnung Ruhe und Komfort aus.

„Wagen Sie es nicht, auch nur ein Stück Papier oder eine CD zu verschieben." sagte Sidonie, als sie sah, wie sich Horatio interessiert hinunterbeugte. „Ich bin mit den Kids zu einer Veranstaltung eingeladen und muß zwei oder drei Stücke vorführen. Sie sehen vor sich die Arbeit von 4 furchtbaren Stunden."

„Was wenn ich es doch täte? Wollten Sie mich verprügeln oder gar umbringen?" Horatio konnte sich den Seitenhieb nicht verbeißen.

„Oh bitte, nicht schon wieder die nächste Verdächtigennummer." Sidonie drehte den lautstark auf einer CD singenden Bruce Springsteen um einige Nuancen leiser und ging in die anschließende offene Küche. Horatio blickte ihr unbewusst nach, sie trug ein langes Sommerkleid, bei dem ein Teil des Rückens zu sehen war. Weiße schmale Narben erinnerten ihn an die Fotos, die er gesehen hatte. Sidonie mußte seinen Blick bemerkt haben, denn im nächsten Moment hatte sie zu einer Bluse gegriffen und dieses übergezogen.

„Also, was gibt's diesmal?" fragte sie schließlich ruhig, während sie eine Herdplatte kleiner drehte.Horatio beobachtete, wie sie nebenbei mit einem Schuss Weißwein einen Topf mit duftendem Reis verfeinerte.

„Der Fall ist so gut wie abgeschlossen." meinte er schließlich. Sidonie blickte überrascht auf. „Adams hat den Mord an Polite im Verhör relativ rasch nochmals zugegeben. Ich habe heute mit dem Staatsanwalt gesprochen. Er meinte, er könnte sich vorstellen, auch das Delikt von 1992 einfließen zu lassen. Es kann selbst nicht mehr abgeurteilt werden, wohl aber in Verbindung mit dem Mord. – Aber Ihre Aussage wird trotzdem nochmals erforderlich sein."

Horatio merkte, wie sich Sidonie an der Tischplatte festklammerte. Sie senkte den Kopf. „Warum nochmals aussagen? Ich will das nicht mehr. Nicht schon wieder."

„Sie müssen, schon um für sich die Sache zumindest ansatzweise abzuschließen."

„Sie haben keine Ahnung, Sie kennen mich nicht und auch nicht meine Einstellung." Sidonies Stimme klang aufgebracht. Um ihren Zorn mehr Vertonung zu geben, warf sie wütend die Kühlschranktüre zu.

„Doch, ich weiß so manches. Ihr böser Hohn, der Sarkasmus, den Sie überall verwenden, schützt Sie vielleicht vor einigem, aber nicht vor allem. Und Sie sind immer noch verletzt, mehr als Sie es sich selbst gegenüber je zugeben würden."

„Ich brauche keine Ratschläge. Schon gar nicht von einem Polizisten!"

„Vielleicht keine Ratschläge, aber ich glaube, Sie brauchen Hilfe."

Sidonie schüttelte den Kopf. „Ich brauche keine Hilfe – ich brauche niemanden." antwortete sie, aber nicht so fest klingend, wie sie es vorhatte.

Horatio antwortete zuerst nicht, sondern blickte sie nur unverwandt an. „Jeder braucht jemanden."

„Was ist eigentlich mit Patricia? Haben Sie sie gefunden?" fragte Sidonie nach einer kurzen Stille. Sie legte in eine Pfanne mit etwas Öl einige Scampi , würzte scharf und ließ diese vorsichtig braten. Wieder wurde etwas Weißwein beigefügt. .

„Ja, das haben wir. – Patricia kam etwas später nach dem Mord hin, weil sie genau die gleiche Idee hatte. Aber da war er schon tot."

„Und hat er... - Hatte sie das gleiche Pech wie ich?" stammelte sie weiter.

Horatio nickte und dachte an die junge, verstörte Frau zurück, die Yelina relaitv rasch in einem Frauenhaus aufgestöbert hatte. Kaum hatten sie sich als Ermittler ausgewiesen, war sie schon weinend zusammengebrochen. Ihr Martyrium hatte allerdings damals ‚nur' 13 Tage gedauert, die Einernahme war allerdings noch nicht ganz abgeschlossen.

„Ist Sie in Haft?"

„Sie ist noch in Haft, aber vermutlich nicht mehr lange. Da sie nicht den Mord an sich ausgeführt hat, wird auch ihre Strafe nur gering ausfallen. Ich habe schon mit dem Staatsanwalt über die ganzen Umstände, die damit einher gegangen sind, gesprochen. – Ich glaube Patricia würde sich über Ihren Besuch freuen, obwohl sie vermutlich auch nichts von Ihnen wußte."

Sidonie stand mit gesenktem Kopf vor dem Küchentisch und war in Gedanken versunken.

„Wie kamen Sie eigentlich an Patricias Nummer?" fragte Horatio dann doch noch.

Sidonie blickte auf und sah ihn an, wieder lachte sie, aber ohne Humor. „Ironie des Schicksals – ich habe wohl auch Beziehungen zur Polizei." Horatio wartete, doch Sidonie klärte ihre Antwort nicht weiter auf.

Wieder war es still. Schließlich gab Horatio auf. „Tja, ich wollte Ihnen das nur persönlich sagen." und drehte sich zur Türe um.

„Haben Sie heute eigentlich schon zu Abend gegessen? Ich habe wieder mal für eine Großfamilie gekocht, das mit den Mengenangaben verstehe ich immer irgendwie falsch. Wenn Sie Scampi in Weißwein mit Safranreis mögen und vor allem wenn Sie mit einer potentiellen Täterin oder von mir aus auch mit einer Zeugin essen dürfen, können Sie gerne bleiben." hörte er sie dann unsicher sagen, sodaß er sich nochmals umdrehte und sie musterte.

Der gehetzte Blick verschwand nun allmählich aus Sidonies Augen.

„Ich will Sie nicht aufhalten." Er deutete auf das Chaos am Boden.

„Das mache ich dann in der Nacht fertig. Ich schlafe seit einer Woche wenig oder eigentlich gar nicht. Liegt wohl an seinem Besuch vorige Woche, daß die Alpträume wieder kamen."

„Alpträume?" Das erklärte ihren abgekämpften Zustand, der ihm von Tag zu Tag mehr aufgefallen war.

Sidonie zuckte mit den Schultern. „Sie kommen wann es ihnen paßt. Ich werde wohl noch ein oder zwei Tage warten, wenn sich dann das ganze nicht beruhigt, muß ich wohl wieder zur Therapie und Tabletten nehmen." erwiderte sie betont gleichgültig, ihr Tonfall und ihre Gestik zeigten diese Lässigkeit als Lüge an.

Schließlich schüttelte sie den Kopf, wie um trübe Gedanken zu entfernen und sah abwartend in seine Richtung.

Horatio überlegte kurz. „Ich bleibe gerne." sagte er schließlich lächelnd. Er wusste jetzt schon, daß es ein interessanter Abend werden würde.


Alexx trat nach einem kurzen Anklopfen in Horatios Büro, er hielt den Hörer an sein Ohr, deutete ihr allerdings, daß sie warten sollte.

„Perfekt." hörte sie ihn sagen. „Welcher Steg? – Gut. Ich bin dir was schuldig. Morgen hast du es wieder. – Ja, mach's gut."

„Hey Horatio. Ich hab die Berichte vom Wochenende fertig." sie übergab ihm ein paar Akte.

„Danke. Aber heute nicht mehr." lehnte er grinsend ab und stand auf. Irritiert sah Alexx auf ihre Uhr. „Nicht das es dir nicht zustehen würde, aber du gehst schon? VOR 8 Uhr Abends? An einem Montag? Wieso das?" necke sie ihn.

Horatio lächelte nochmals. „Ich hab was vor." Alexx überlegte kurz und dachte an das gerade gehörte Telefonat. „Na dann – viel Spaß."

Es war gegen 8 Uhr Abends, als es an Sidonies Türe läutete.

„Nein." kraftlos lehnte sie ihren Kopf gegen den Türstock. „Nicht Sie schon wieder. – Bitte verstehen Sie es nicht falsch. Ich mag Sie wirklich. Aber Sie müssen lernen, ohne mich klar zu kommen." sagte Sidonie schelmisch, als sie wieder Horatio gegenüberstand.

„Wir brauchen Sie nochmals. Es ist dringend." sein ernster Tonfall machte sie stutzig. „Was ist los?"

„Bitte."

Sidonie überlegte kurz und nickte dann. Sie schnappte ihren Rucksack und folgte dem Ermittler. Auch während der Autofahrt blieb Horatio schweigsam.

Bei der Einfahrt zur Miami Beach Marina wurde Sidonie dann merklich unruhig. Horatio zeigte einen Marinapass vor und wurde weitergewunken.„Was soll das? Wohin fahren wir?" alles ruhige war von ihr gewichen. Er merkte ihre verkrampften Hände, erklärte aber immer noch nichts.Vor Steg C stoppte das Auto und Horatio stieg aus. Sidonie sprang fast sofort aus dem Fahrzeug. Schützend hielt sie ihre Tasche vor sich. Horatio musste sich nun durch ihr Verhalten bewusst machen, daß sein Plan auch verkehrt herum losgehen konnte. Doch nun war es zu spät.

„Komm mit." meinte er nur und deutete zum Steg. Immer noch hatte er nichts erklärt. Sidonie war verwirrt, doch da sie sich nicht alleine beim Steg befanden und sie auch neugierig war, folgte sie ihm langsam. Vor einem größeren Motorboot, welches sicher für 4 Personen ausgelegt worden war, blieb Horatio stehen und deutete darauf.

„Was wird das?" forderte die junge Frau nun fast erbost eine Erklärung.

„Das wird ein Ausflug. – – Sid, vertrau mir. Komm mit." in der gewohnten ruhigen Art blickte er sie an und wartete geduldig. Sidonie starrte das Boot an und dann den Mann, der sie hergebracht hatte. Tausend Gedanken schossen durch ihren Kopf. Sie schluckte.

„Du hast nichts zu befürchten." wiederholte er nochmals.

Sidonie biss sich auf die Unterlippe. Dann betrat sie den schmalen Landesteg und ging auf das Boot.

Horatio hatte schnell abgelegt. Immer noch sagte er nichts. Sidonie beobachtete sein Hantieren mit dem Motorboot. Geschickt lenkte er sie aus der Hafeneinfahrt hinaus und fuhrt dann Richtung Süden die Keys hinab. Sidonie saß ihm schräg gegenüber auf einer langen gepolsterten Sitzbank. Die Sonne war kurz vor dem Untergehen, Wind kam auf.

„Im Salon unten sind ein paar Decken. Die kannst du heraufholen."

Erst ein paar Minuten später, nachdem sie die Decken geholt hatte, war ihr aufgefallen, daß er sie nicht mehr so förmlich ansprach, wie noch die Tage zuvor oder beim gestrigen Abendessen, das offenbar sie beide sehr genossen hatten.

Es dauerte nicht lange, bis Horatios Plan aufging. Sidonie war zuerst steif auf der Bank gesessen, etwas später setzte sie sich quer und zog die Füße auf die Bank hinauf. Sie genoss offenbar die Fahrt und sah zur Küste hinüber. Dann lehnte sie sich gegen das Oberdeck und deckte sich zu. Als Horatio das nächste mal zu ihr hinsah, nur wenige Minuten mochten vergangen sein, hatte sie die Augen geschlossen. Sidonie war eingeschlafen.

Horatio lächelte. Das gleichmäßige Motorengeräusch, die Wellenbewegung und der angebrochene Abend – nirgendwo anders schlief man besser als auf einem Boot.

Eine Möwe, die kreischend über das Boot flog, weckte Horatio auf. Es dauerte einen Moment, bis er sich gefangen hatte und wusste wo er war und warum. Auf der anderen Sitzbank, auf der Sidonie geschlafen hatte, war die Decke zusammengerollt und der Platz leer. Langsam setzte er sich auf und sah dann sofort auch jene Person, für die der Ausflug gedacht war. Sidonie stand am Bug, ihre offenen Haare wehten in der leichten Morgenbrise im Wind.

Also Horatio aufstand, wurde sie aufmerksam. Sie drehte zuerst den Kopf in seine Richtung und kam dann zu ihm zurück. Ihre Augen strahlten.

„Guten Morgen." lächelte sie ihn an. Ein entspanntes zufriedenes Lächeln.

„Guten Morgen. – Gut geschlafen?"

Sidonie senkte etwas beschämt den Kopf. „So gut und tief wie schon seit Monaten nicht mehr." sie suchte nach Worten. „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Für den Ausflug. Für die Nacht... Ähhh.." sie wurde angesichts der letzten Bemerkung über und über rot. Horatio lächelte zurück. „Gern geschehen."

Unsicher stand sie immer noch vor ihm, überlegte wie es weitergehen konnte. Ein großer Dampfer der weiter draußen im Ozean vorbeigefahren war, verursachte einige größere Wellen, die das Boot plötzlich gröber ins Schaukeln brachten und Sidonie etwas überraschten. Hilfreich streckte Horatio seinen Arm aus und griff nach ihrer Hand. Ein weiteres mal blickte sie ihn überlegend an. Die Wellen waren rasch vergangen und immer noch hielt er ihre Hand.

„Sid. Du..." begann er leise, doch die Angesprochene unterbrach ihn.

„Nein nicht. Ich... Ich weiß worauf es hinauslaufen soll. – Aber ich bin für so was nicht geeignet."

Horatio musste angesichts ihrer Worte wieder grinsen. „So?" fragte er. „Für was nicht geeignet?"

„Für... zwischenmenschliches."

Er wusste, was kommen würde, doch fragte er trotzdem „Warum nicht?"

"Ich bin oft ziemlich beschäftigt und stressig.."

"Das bin ich auch manchmal."

„ Ich bin schwer verkorkst." flüsterte sie fast

„Das binich auch." entgegnete er lapidar.

„Nein, ich bin es wirklich. Ich – Ich--- Es ist ja nicht so, daß ich es noch nie versucht hätte, eine Beziehung aufzubauen. Aber es ist nicht leicht mit mir."

„Mit mir vielleicht auch nicht"

„Das Wort, das ich am meisten verwendet habe, ist NEIN. Und damit kommen die wenigsten klar. " ihr Blick tastete immer noch das Deck ab, um nichts wollte sie ihn nun direkt ansehen..

„Aber doch nur, wenn du Anlass dazu hattest. Oder nicht?"

„Horatio – hör auf. Ich meine es ernst!" fuhr Sidonie verzweifelt Horatio an.

Horatio registrierte zwei Dinge, erstens, daß sie ihn mit seinem Namen angesprochen hatte und zweitens, daß sie noch kein einziges mal direkt NEIN gesagt hatte, sondern sich nur ins Negative gezogen hatte.

„Das meine ich auch." erwiderte er und blickte sie immer noch unverwandt an.

Beschämt senkte Sidonie wieder den Kopf.

„Sid. Ich bitte dich lediglich um ein Abendessen. Und wenn es uns beiden gefällt, dann sehen wir weiter.."

Sidonie fiel nochmals seine Entgegnung ein, als sie gesagt hatte, ihr meistverwendetes Wort war NEIN. Seine Antwort hatte sie überrascht. Er war anders. Aber was sagte das schon aus.Und trotzdem stand sie nun mit ihm hier auf dem Boot.

„Sid?" hakte er nach, nachdem keine Reaktion kam.

Langsam hob sie den Kopf.

„Ein neues Abendessen wäre schön... Und vielleicht noch irgendwann einmal so ein Ausflug, wenn das geht."

Horatio lächelte wieder. Selten hatte er an einem Morgen so viel zu Grinsen gehabt. Ein großartiges Gefühl machte sich breit.

"Natürlich geht das."