Schatten der Vergangenheit

Die nächsten Woche verflogen generell ziemlich schnell und besonders für James schienen sie zu rasen. Mit Unterricht, Hausaufgaben, lernen, Streiche spielen und ‚sich-den-Kopf-über-die-erste-Aufgabe-zu-zerbrechen' war er voll und ganz beschäftigt.

Vor allem, wenn man bedachte, dass er immer noch keine Idee hatte, worum es sich bei der mysteriösen ersten Aufgabe handeln könnte.

Natürlich hatte er darüber nachgedacht, Lilys Angebot anzunehmen, sich dann aber entschieden, dass er selbst ihr nicht mit völlig leeren Händen würde gegenübertreten und ein Wunder erwarten können.

Und außer dem nicht unbedingt sehr ergiebigen Satz von Dumbledore hatte er wirklich nichts vorzuweißen, also hatte er beschlossen, sie lieber dann zu fragen, wenn er selbst schon ein paar Ideen hatte.

Nur dass diese Ideen ihn anscheinend nicht leiden konnten. Denn keine – gar keine – von ihnen hatte sich bequemt, in seinen Kopf zu kommen. James hielt das Ganze für eine gemeine Verschwörung, gegen die er – und das wurmte ihn besonders – rein gar nichts unternehmen konnte.

So kamen und gingen also Morgen und Mittag des 24. Novembers und ehe James sich versah, hatte man ihn und die anderen Champions in ein Zelt gesteckt und sie, mit dem freundlichen Hinweis, dass sie hier warten sollten, alleine gelassen.

Anastasia lief ohne Unterlass auf und ab und schien es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, jeden Millimeter des ziemlich großen Zeltes überquert zu haben, während Marcel verzweifelt seinen blitzsauberen Zauberstab zu polieren versuchte und ihn damit allenfalls noch dreckiger machte.

James lehnte an einer Zeltstange, drehte gedankenverloren seinen eigenen Zauberstab zwischen den Finger und fragte sich, worauf er sich da eigentlich eingelassen hatte.

„Habt ihr irgendeine Ahnung, was uns da draußen erwartet?", erkundigte sich Anastasia plötzlich und blieb ruckartig stehen.

Marcel ließ vor Schreck, dass jemand gesprochen hatte, seinen Zauberstab fallen und James riss den Kopf und Stab gleichermaßen hoch, sofort in Verteidigungshaltung. Anastasia lachte auf, doch es wirkte merkwürdig gequält.

„Isch nischt", antwortete Marcel, als er sich gesammelt, seinen Zauberstab aufgehoben und sich zurechtgesetzt hatte.

„Ditto", murmelte James und stopfte seinen eigenen Stab entnervt in die Tasche.

„Dann sieht es ja so aus, als hätten wir alle die gleichen Chancen", bemerkte Anastasia und nahm ihr Auf- und Abgehen wieder auf.

„Du siehst auch in allem etwas Positives, oder?", erkundigte James sich halbherzig.

Anastasia grinste angespannt und nickte, während Marcel sich wieder dem Polieren seines Zauberstabes zuwandte.

James seufzte lautlos, lehnte sich gegen ‚seine' Zeltstange und starrte sinnlos in die Hemisphäre – nicht dass er gewusst hätte, was das ist.

Einige Minuten später, die den drei Champions es eher wie Stunden vorkamen, öffnete sich die Eingangsplane und Dumbledore trat ein, gefolgt von Madame Maxime, Raskolnikoff, Mrs. Bagnold, MacFarlan und James' Vater.

„So", Dumbledore lächelte gelöst, „sind Sie bereit?" Alle drei Champions drehten sich um und in allen drei Blicken stand überdeutlich geschrieben, dass sie es nicht waren.

„Nun denn", immer noch wirkte der Hogwarts Schulleiter beinahe ekelerregend fröhlich, „wer beginnt?" Es folgte ein eisiges Schweigen.

Anastasia blickte zu Marcel, Marcel zu James und James zu Anastasia. Keiner schien bereit, sich jetzt zu melden. Einige Sekunden verstrichen, bis es James irgendwann reichte.

„Dann mache ich es halt. Bei Grindelwald!", knurrte er sichtlich angespannt.

„James. Nicht Fluchen!", kam auch sofort der Tadel seitens seines Vater, den James jedoch geflissentlich ignorierte.

„Gut", Dumbledore lächelte, „danach Mr. Couperin und die Lady zum Schluss? Sehr schön. Ihre Aufgabe ist es, so lange wie möglich stehen zu bleiben. Wer es länger als zehn Minuten schafft, bekommt einen Tipp für die nächste Aufgabe. Alles klar soweit? Nun gut. Dann folgen Sie mir bitte, Mr. Potter. Junior natürlich."

Dumbledore lachte als einziger über seinen schwachen Witz.

James folgte dem Schulleiter und den anderen Richtern nach draußen, hin zu einer großen, runden Arena. Die Mitte wurde durch eine Art durchsichtige Kuppel von den Zuschauern abgeschirmt, die so zwar alles sehen, aber nicht in Berührung mit was-auch-immer-dort-wartete kommen konnten.

James wurde nun also am Eingang der Arena aufgestellt, während die Richter und sein Vater zu einem erhöhten Podest gingen.

„Einen wunderschönen guten Tag und herzlich Willkommen zur ersten Aufgabe des diesjährigen Trimagischen Turniers", ertönte im nächsten Augenblick Mr. Potters (senior) magisch verstärkte Stimme, „als Erster wird sich James Potter, der Hogwarts-Champion, den Geschöpfen stellen, denen es für zehn Minuten zu trotzen gilt, ohne Ohnmächtig zu werden. Den Dementoren!"

James zuckte zurück. Dementoren? War das ihr ERNST?

„Wünschen wir ihm alle viel Glück und gutes Gelingen", fuhr sein Vater fort und kaum, dass er geendet hatte, erhob sich dermaßen tosender Applaus, wie James in noch nicht gehört und schon gar nicht empfangen hatte.

Von irgendwo her erklang ein merkwürdiges Geräusch, dessen Ursprung James gerade wirklich nicht ermitteln wollte, und das Tor vor ihm sprang auf. Es gab den Blick frei auf den Kuppelbedeckten Teil der Arena, an dessen Ende sich ein weiteres momentan noch geschlossenes Tor befand.

Langsam trat James ein, umklammerte seinen Zauberstab und fragte sich nebenbei, wann er den eigentlich aus der Tasche geholt hatte. Er wusste es nicht und hakte den Gedanken als unwichtig ab. Unwichtiger als die Dementoren zumindest.

Der Jubel der anderen Schüler drang nur gedämpft durch die Kuppel und James machte sich nicht die Mühe, aufzusehen. Er fixierte die gegenüberliegende Tür, die langsam aufging.

Heraus kamen tatsächlich Dementoren. Zwei nur, aber er konnte in der Dunkelheit hinter ihnen weitere Bewegungen erkennen, die ihm sagten, dass diese beiden wohl nur der Anfang waren. Vor allem, wenn man bedachte, dass die Tür sich nicht mehr schloss.

Langsam schwebten die Dementoren näher, schienen ihn ebenso genau zu beobachte, ja, abzuschätzen, wie er es bei ihnen tat. Und langsam begann James die Kälte zu fühlen. Diese irrsinnige Kälte, physisch wie psychisch, die ihn ihm aufstieg, ihn umhüllte, erdrückte, zu ersticken drohte.

James keuchte, unbewusste wanderte die Zauberstablose Hand zu seiner Kehle, während die Dementoren immer näher kamen. Näher und näher. Und dann begann es. Das, worauf James gewartet, was er gefürchtet hatte.

Das Schreien. Dieses wahnsinnige Schreien, dass langsam in seinem Kopf aufstieg und ihm den Verstand raubte.

James merkte kaum, dass er auf die Knie sank, dann weiter vor. Er fing sich mit den Händen ab, wieder ziemlich unbewusst, als er plötzlich einen scharfen Schmerz in der linken Handfläche spürte.

Er hob die Hand, blickte auf das Blut, das aus einem Schnitt quoll, der wohl von einem besonders scharfen Stein kam und irgendwie brachte ihn das wieder zu Verstand. Er war hier, um zu gewinnen, nicht um sich diesen Viechern zu beugen!

Etwas mühevoll, aber dafür umso entschlossener richtete er sich auf und versuchte, dass Schreien aus seinem Kopf zu verbannen und darunter irgendeine gute Erinnerung hervorzukramen.

Vollmond. Der erste Vollmond. Mit all seiner Kraft dachte er daran, an den ersten Vollmond, den er und die anderen in Animagi-Form mit Remus verbrachte hatten. Dann „Expecto Patronum" und etwas silbrig leuchtendes, nicht ganz geformtes brach aus seinem Zauberstab.

Die Dementoren wichen zurück, das Schreien hörte auf. James stieß die Luft aus. Er hatte nicht bemerkt, dass er sie angehalten hatte. Er blickte auf die beiden Dementoren, die von dem Patronus immer wieder zurückgetrieben wurden, doch gerade, als er so etwas wie Triumph spürte, setzte die Kälte erneut ein.

Stärker als zuvor. Viel stärker. Er fuhr herum. Um ihn herum, überall, schienen plötzlich Türen zu sein, aus denen Dementoren herausschwebten. Fünf, Zehn, mindestens Zwanzig. Sie näherten sich, ebenso langsam, bedächtig, wie die ersten. Und dann begann es wieder.


Das Schreien.

James. James, hör mir zu! Du musst jetzt stark sein. Hörst du mich James? Pass auf Sara auf! Du musst auf deine Schwester aufpassen, James!"

James, James, was passiert hier? Wo ist Mami? Und Dad? James!"

Potter's Junge, nicht wahr? Nun, dann wollen wir mal sehen, ob du so toll bist, wie dein Vater behauptet. CRUCIO!"

Hilf mir. James, hilf mir! JAMES! Bitte…hilf mir…"

Wo ist Sara? Wo ist deine Schwester James? Wo ist sie?"

SARA! Bei Merlin. Sara! Harold, was ist mit ihr? Sag, dass sie nicht tot ist! Bitte, sag dass sie nicht tot ist…"

Du magst deine Schwester nicht besonders, nicht wahr, mein Kleiner? Nun, dann wollen wir mal sehen, ob du es lieber magst, sie zu foltern. Sie schreien zu hören. Na, wie wäre das? IMPERIO!"

Pass auf deine Schwester auf, James! Pass auf sie auf! Ich verlasse mich auf dich. Achte auf Sara…"

James? James, was tun die? Wer ist das? Ich habe Angst, James. Du beschützt mich, ja? Beschützt du mich, James?"

JAMES!"

Dann wurde alles schwarz.


Als James einige Stunden später im Krankenflügel erwachte, hatte er zuallererst einige Probleme, sich zu orientieren, aber innerhalb von Sekunden kam die Erinnerung zurück.

Das Turnier. Die Dementoren. Augenblicklich setzte er sich kerzengerade auf, was natürlich erstmal bewirkte, dass alles in seinem Kopf durcheinander zu wirbeln schien.

„Was…?", begann er, wurde aber unterbrochen, als zwei Arme ihn zurück in die Kissen drückten und eine besorgte Stimme irgendetwas sagte, was er nicht verstand.

Langsam hörten seine Gedanken auf, sich zu drehen und die verschwommenen Farbkleckse vor seinen Augen formten Personen. Sein Vater, seine Mutter – flüchtig fragte er sich, was sie hier machte –, Sara und Sirius. Kurz gesagt: seine Familie.

„Geht es dir gut, James? Brauchst du irgendetwas?", erkundigte seine Mutter sich und stopfte gleichzeitig ein Stück Schokolade ins einem Mund. Ein großes Stück.

James würgte, verschluckte sich, hustete und versuchte gleichzeitig die Schokolade zu schlucken. Sobald das vollbracht war, hatte er auch schon das nächste Stück im Mund.

„Du hast die ersten Dementoren gut gemeistert", ergriff nun sein Vater das Wort, „netter Patronus übrigens. Nicht so stark, wie er hätte sein können, aber in Anbetracht der Tatsachen… nun, Kompliment. Was war es? Ein Pferd?"

„Hirsch", brachte James zwischen zwei Stücken Schokolade hervor.

Sein Vater nickte: „Ein Hirsch also! Sehr interessant. Naja, wie auch immer. Du hast die zehn Minuten so gerade ausgehalten, demnach kriegst du den Tipp. Er wird nach dem Weihnachtsball ausgegeben.

Miss Jawlensky hat die Dementoren übrigens am Besten gemeistert und auch der Beauxbaton-Champion – wie immer er heißen mag – hat es länger ausgehalten als du. Aber mit Blick auf ‚damals' gibt es nichts, wofür du dich schämen solltest. Ich nehme an, dass ist es, woran du… denken musstest?"

James nickte schwach, ließ sich in die Kissen zurücksinken, kniff die Lippen zusammen, um weitere Schokoladenattacken seitens seiner Mutter abzuwehren und wandte den Kopf ab. ‚Damals' hatte sein Vater es genannt.

Damals…