Dancing Queen
So kam und ging der Dezember und ehe man sich versah, war es auch schon Weihnachten. Der Morgen flog dahin, Mittag und Nachmittag folgten und schon war es Abend. Der Weihnachtsball stand an.
Sämtliche Schüler ab der vierten Klasse (und auch die paar Drittklässler, die von Älteren eingeladen worden waren) machten sich fertig und versammelten sich dann in der Eingangshalle, um sein oder ihr Date zu finden, bzw. sich finden zu lassen (wie die meisten der Mädchen es praktizierten).
Auch James stand in schwarzen Festroben gekleidet in der Eingangshalle und hielt Ausschau nach Lily. Sie sah er nicht, dafür aber genug andere Leute.
Da war Peter, ganz in braun, und neben ihm Emma Summers, in einem lila Kleid, die dunklen Haare zu einem festen Dutt gebunden. Ja, sie war definitiv hübsch, aber bei weitem nicht so hübsch wie Beth Fawcett, Sirius' Date.
Sie trug ein atemberaubendes, silbrig-weißes Kleid und hatte ihre langen, braunen Haare halb hochgesteckt, halb offen. Sirius (in dunkelblau) hatte einen Arm um sie gelegt.
Tim Fawcett, Beth' Bruder und wie James in schwarz, ging anscheinend mit Sara. Ein Blick auf ihr grünes Kleid, die lose hochgesteckten Haare, das geschickt aufgetragene Make-up und den geschmackvollen Schmuck sagte James, dass hier Lily und Emmy am Werk gewesen waren.
Emmy selbst stand unweit mit irgendeinem blonden Typen aus Beauxbaton, der es mit hellblauen Roben dann doch etwas übertrieben hatte. Emmy selbst war in eine nicht näher definierbare Farbe gekleidet (zumindest in James' Augen. Jedes Mädchen hätte ihm sagen können, dass es ‚pfirsichfarben' war) und hatte die glänzenden blonden Haare mit glitzernden Kämmen hochgesteckt.
Sie unterhielt sich angeregt mit Candy, in silber-grau und ausgesprochen schlicht aufgemacht, neben der ein dunkelhaariger Durmstrang stand, natürlich in den blutroten Roben mit Pelz, wie alle sie trugen.
Auch Bertha war dabei, in pastellgelb und die ellenlange braunen Haare offen, zusammen mit ihrem Date, einem schwarzhaarigen Franzosen, der dunkelgrün gewählt hatte.
Bevor James sich weiter umsehen konnte, merkte er, dass Anastasia auf ihn zukam, einen etwas widerstrebenden Remus hinter sich herschleifen. James musterte beide kurz.
Remus dunkelgraue Festroben kannte er längst, aber Anastasia überraschte ihn. Er hatte sie für den typischen Tom-Boy gehalten, aber mit ihrem kobaltblauen Kleid und dem kleinen Diadem, dass vor ihrer Hochsteckfrisur im Haar steckte, sah sie beinahe ladylike aus.
Beinahe.
Denn ein Blick auf ihr angespanntes Gesicht, sagte jedem, dass sie sich in dreckigen Hosen auf irgendeinem Schlachtfeld weitaus wohler gefühlt hätte, als sie es gerade tat. Remus Gesichtsausdruck sagte ähnliches aus, was natürlich auch nicht gerade half.
Kaum, dass sie ihn erreicht hatte, begann Anastasia auch schon zu reden: „Hey, James, ich wollte noch…"
James sollte nie erfahren, was Anastasia wollte, denn sie brach mitten im Satz ab und blickte gebannt hinter ihn.
Remus hatte einen ähnlichen Blick aufgesetzt. Kurz blickte James verwirrt von einem zum anderen, dann drehte er sich um, um zu sehen, wer oder was dort genau war.
Lily. In einem roten Abendkleid. Flüchtig dachte James daran, dass wohl niemand rothaariges sonst es sich gewagt hätte in einem roten Abendkleid auf einem Ball aufzutauchen. Und dann auch noch dermaßen atemberaubend auszusehen.
Hatten die anderen Mädchen versucht, sich gegenseitig mit Extravaganz zu übertreffen und anscheinend einen Wettstreit eingeführt, wer am meisten Schmuck oder sonstiges Glitzerzeug tragen konnte, so trug Lily überhaupt nichts.
Keinen Schmuck, keine aufwendige Frisur, kaum Make-up. Nur diese rote, enge, schulterfreie Kleid (jedes Mädchen hätte es als Neckholderkleid mit gerafftem Ausschnitt und Beinschlitz bezeichnet) und passende High-Heels.
Die Haare fielen in weichen Wellen über ihren Rücken. Als sie leichte den Kopf bewegten, um einige Strähnen zurück zu werfen, gebot sie James damit einen netten Blick auf den doch ziemlich extravaganten Rückenausschnitt, aber im nächsten Augenblick lagen die roten Locken wieder an ihrem Platz und verdeckten ihn.
„Hallo James", riss Lilys Stimme ihn nun aus seiner Starre, „tut mir Leid, dass du warten musstet. Meine Haare wollten nicht so, wie ich wollte." Sie hob eine Strähne hoch, verdrehte die Augen und ließ sie wieder fallen. Dann entdeckte sie Anastasia und Remus.
„Hallo Stasya. Remus", grüßte sie freundlich. Beide erwiderten etwas, doch bevor ein Gespräch zustande kommen konnte, trat Marcel neben sie.
Er hatte dunkelblaue Festroben gewählt, während seine Partnerin, ein ausgesprochen hübsche Französin mit lackschwarzem Haar, ein blassrosafarbenes Seidenkleid trug.
„Hallo Marcel", James bemerkte ihn als erster, „hallo… ähm!"
„Christine Castillon", stellte Marcel vor, „Christine, ce sont James et Anastasie, les autres champions."
„Ah, bonsoir", das Mädchen, Christine, lächelte.
„Je suis Lily et il s'appelle Remus", stellte Lily sich und Remus vor, als niemand anderes Anstalten machte, es zu tun.
„Vous êtes de 'Ogwarts, oui?", erkundigte Christine sich, offenbar froh, dass noch jemand ihre Sprache sprach.
„Oui, nous…", Lily wollte noch etwas sagen, wurde aber unterbrochen.
Professor McGonagall, in ein sehr, sehr konservatives, weinrotes Kleid gekleidet und mit ihrem üblichen Dutt, kam näher geeilt. Sie wirkte ungewöhnlich aufgescheucht.
„Na los, los. Alles wartet auf Sie. Sie müssen doch den ersten Tanz eröffnen", rief sie ihnen von weitem entgegen. Ein Blick durch den Raum zeigte den sechs, dass sie tatsächlich die letzten waren.
„Nun denn", James hielt Lily einen Arm hin, „wollen wir, Mylady?" „Mit Vergnügen" sie ergriff den dargebotenen Arm und beide folgten Professor McGonagall zu folgen.
Aus den Augenwinkeln sah James, wie Christine kicherte, Anastasia stöhnte und Remus einen nicht gerade glücklichen Blick mit Marcel tauschte, bevor er und Anastasia sich hinter Lily und James einreihten.
James wandte den Blick wieder auf Lily, die geradeaus sah und zu versuchen schien, einen Blick in die Halle zu werfen.
„Ein bisschen Geduld noch und du kannst dir alles in Ruhe angucken", murmelte er in ihre Ohr. Lily blickte auf, blinzelte kurz und lachte leise.
Im nächsten Augenblick betraten sie die große Halle und waren gelinde gesagt erstmal sprachlos. Überall standen Weihnachtsbaume, hingen Kugel oder andere Dekorationen. Die Schüler und Lehrer trugen allesamt Festkleidung und alles blinkte und glitzerte um die Wette.
„Ziemlich atemberaubend, oder?", fragte Lily James leise, während er sie durch die Gasse aus Schülern zur Tanzfläche führte.
„Nicht halb so sehr, wie du", murmelte er ihn ihr Ohr. Lily verdrehte die Augen, konnte sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen: „Charmeur."
„Ich bin tief getroffen", verkündete er theatralisch und versuchte erfolglos, ein ernstes Gesicht zu machen. Lily warf ihren Kopf etwas zurück und lachte. James grinste ebenfalls, wirbelte sie einmal herum und zog sie dann näher, in Tanzhaltung.
Im nächsten Augenblick setzten auch schon die Walzerklänge ein. Für einen Moment wirkte Lily verwirrt, dann schien zu begreifen und passte sich beinahe instinktiv seinen Tanzschritten an.
„Du tanzt gut", bemerkte Lily irgendwann und quietschte im nächsten Moment erschrocken auf, als James sie zu einer Hebefiguren hochhob und durch die Luft wirbelte.
„Gleichfalls", er grinste und beugte sich nach vorne, womit er sie zwang, sich nach hinten fallen zu lassen, in vollkommenem Vertrauen darauf, dass er sie hielt. Er spürte, wie sie kurz zögerte, dann aber entschied, dass er sie nicht loslassen würde und sich fallen ließ.
Unnötig zu sagen, dass James sich lieber ein weiteres Mal den Dementoren gestellt hätte, als sie tatsächlich loszulassen.
So überstanden beide die Figur und der Tanz ging weiter, diesmal wieder in Schweigen. Lily hatte die Augen geschlossen und schien es zu genießen, einfach zu tanzen, während James sie beobachtete.
So unauffällig wie möglich natürlich, aber Lily blieb es nicht lange verborgen. Grinsend öffnete sie ein Auge, warf ihm einen Blick zu und schloss es wieder. James zog es daraufhin vor, sich etwas in der Halle umzusehen.
Remus und Anastasia schienen ganz offensichtlich einige Probleme zu haben. Dass Remus kein begnadeter Tänzer war, wusste James, und Anastasia hatte auch relativ klar gemacht, dass sie ein hoffnungsloser Fall war. Jetzt gerade konnte sich jeder davon überzeugen, wie viel Wahrheit in dieser Aussage lag.
James grinste kurz und ließ den Blick weiter gleiten. Marcel und Christine schienen keinerlei Probleme mit dem Walzer zu haben.
Auch Raskolnikoff und Madame Maxime, die nicht weit entfernt tanzten, wussten wohl, was sie taten. Trotz allem wirkte es allerdings weitaus grotesker, als Remus und Anastasias Darbietung, einfach wegen des Größenunterschieds.
Dumbledore tanzte, zu James größter Erheiterung, mit Professor McGonagall und Mrs. Bagnold mit dem fünften Richter, an dessen Namen er sich bei Merlin nicht erinnern konnte.
In dem letzten Tanzpaar erkannte James sein Eltern, was ihn dazu brachte, dass Gesicht zu verziehen. Hingen die seit neustem überall rum, wo er war?
Mr. Potter hatte den Blick wohl bemerkt, denn er grinste und winkte seinem Sohn über die Schulter seiner Frau zu. James verdrehte die Augen und wirbelte Lily in eine besonders spektakuläre Drehung, was sie dazu brachte, die Augen zu öffnen und ihn fragend anzusehen.
Er schüttelte leicht, kaum merklich, den Kopf, aber es schien ihr zu reichen, denn sie schloss die Augen sofort wieder und entspannte sich. James initiierte eine weitere Drehung, so dass er seinen Eltern nun den Rücken zuwandte.
Trotz allem konnte er dieses Grinsen beinahe physisch spüren und verfluchte sie selbst dafür, dass er irgendwann einmal, ganz nebenbei und nur um Sara zu ärgern, gesagt hatte, dass er Lily hübsch fand.
So wie er seine Mutter kannte – und er kannte sie –, würde sie in der Rothaarigen jetzt ihre zukünftige Schwiegertochter sehen. Und dass es nicht mehr viel abwegiger werden konnte, als das, lag ja wohl auf der Hand.
Oder nicht?
