2. Kapitel
Am nächsten Tag erwachte ich mit einem klammen Gefühl im Magen. Dieser Tag würde die Vollstreckung von Radames' Todesurteil sehen, und der gesamte Hof würde dabei Zeuge sein. Ich hatte also keine andere Wahl, als ebenfalls daran teilzunehmen, wenn ich nicht wollte, daß zu früh jemand auf die Idee kam, daß ich Rache im Sinn hatte. Außerdem wollte ich, so sentimental es auch klingt, einen letzten Blick auf Radames werfen.
Aus diesen Gründen brachte ich das Kunststück fertig, mich von meinen Sklavinnen ankleiden und schmücken zu lassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, und verließ dann meine Gemächer. Auf dem Gang ordnete sich mein Gefolge mit der Sänfte, in die ich stieg.
Ich haßte diese passive Art der Fortbewegung und war der festen Überzeugung, daß ich zu Fuß nicht nur schneller am Tempel gewesen, sondern auch bequemer dorthin gekommen wäre. Zumindest erreichte ich den Tempel nach einer Weile und konnte das ungeliebte Fortbewegungsmittel wieder verlassen.
In mir brannte noch immer ein verzweifeltes Feuer. Eigentlich hatte ich geglaubt, inzwischen abgehärtet zu sein, aber als ich das dunkle Loch im Boden sah, in dem sich Aida irgendwo versteckt hielt, und in das Radames in den nächsten Augenblicken hinabsteigen würde, krampfte sich etwas in mir zusammen. Es war Realität, daß er sterben würde, und daß ich nicht das geringste dagegen unternehmen konnte, und diese Ohnmacht war das Allerschlimmste für mich.
Inzwischen war auch mein Vater eingetroffen. Er gab den Wachen einen Wink, woraufhin sie Radames hereinführten. Er hielt sich sehr aufrecht, doch etwas, wie soll ich es beschreiben, beinahe bereits Totes ging von ihm aus. Ob dieses Starre wohl von ihm abfallen würde, wenn er Aida in dem Grab vorfand?
Für ein paar Momente wandte ich den Blick von Radames und sah zu Ramphis hinüber. Dabei stellte ich fest, daß er gar nicht Radames beobachtete, sondern mich. Ein kurzer Schauer durchlief meinen Körper, dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Radames zu.
Er war inzwischen bei den Stufen angelangt, die in das Gewölbe führten, und hatte die erste betreten. Während mein Vater noch einmal das Urteil verkündete, drehte Radames den Kopf herum, so, als wollte er sich jede Einzelheit noch einmal genau einprägen. Sein Blick blieb an mir hängen, und es sprach soviel Zuneigung aus ihm, wie ich es mir immer gewünscht hatte.
Radames schenkte mir ein fast unmerkliches Nicken, dann stieg er hinunter in das Gewölbe.
In meinen Augen brannten Tränen, aber ich durfte sie nicht weinen, ansonsten hätte ich mich verraten. Während es mir gelang, den Kampf, der in mir tobte, nicht nach außen dringen zu lassen, zwang ich mich, dabei zuzusehen, wie sich die Platte auf den Eingang des Gewölbes senkte, und es so verschloß.
Jetzt war es also tatsächlich vorbei! Radames existierte für die Welt genausowenig mehr, wie es Aida tat.
Ich konnte den Blick nicht von der Platte wenden und blieb deswegen unbeweglich stehen, als sich all die anderen zurückzogen. Nur Ramphis blieb mit mir zurück. „Was schaut Ihr so traurig, Prinzessin?" fragte er. „Er war doch nur ein Verräter."
„Ja," antwortete ich und sah Ramphis an. „Nur ein Verräter."
Das schien in ihm ein unbehagliches Gefühl auszulösen, denn er warf mir noch einen unergründlichen Blick zu und ließ mich dann allein.
Ich blieb lange an dem Grab sitzen, strich mit den Fingern über die Platte und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch es gelang mir nicht. Ich war wie leergefegt, und das einzige, was ich vor mir sah, war der ersterbende Ausdruck, der in Radames' Augen gelegen hatte. Alles andere schien der nagende Schmerz in mir zu betäuben. Nach einer unendlich langen Zeit erhob ich mich.
„Du kannst in Frieden ruhen, Geliebter," flüsterte ich. „Ich werde dich rächen."
XXX
Ich ließ mir Zeit mit meiner Rache, denn ich wollte warten, bis Gras über die ganze Sache gewachsen war. Ein Jahr lang unternahm ich gar nichts, außer Ideen zu entwickeln und einige davon wieder zu verwerfen.
Meine Rache hatte drei Ziele: die Priester, die Radames verurteilt hatten, mein Vater, der mir die Hilfe, um die ich ihn bat, verweigert hatte, und Ramphis, für den ich etwas ganz besonderes plante.
Als das Jahr verstrichen war, hatte ich einen vollständigen Gesamtplan, der von einigen Notfallplänen ergänzt wurde. Ich war mir dabei von Anfang an bewußt, daß es für mich nicht ganz leicht werden würde, und daß die Gefahr bestand, daß ich am Ende nicht unbeschadet aus der Angelegenheit herauskam, aber das Risiko nahm ich in Kauf.
Ich begann mit ein paar sehr einfachen Vorbereitungshandlungen. Als erstes suchte ich einen der königlichen Kornspeicher auf. An jenem Tag trug ich kostspielige Kleidung, die sich jedoch in einem solchen Rahmen hielt, daß man nicht sofort darauf kommen mußte, wer ich war. Begleitet wurde ich von einer Sklavin, die wohl durchaus zu Recht fürchterliche Angst hatte, man könnte mich erkennen, woraufhin sie bestraft worden wäre, weil sie mich unterstützt hatte, ohne Gefolge den Palast zu verlassen.
„Wo finde ich den Verwalter?" fragte ich einen der vorbeikommenden Sklaven.
„Dort drüben, Herrin," bekam ich zur Antwort, während sich der Angesprochene tief verneigte.
Ich folgte der angegebenen Richtung und stand einem alten Mann gegenüber, der ein Stückchen Papyrus bekritzelte. „Bist du der Verwalter?" fragte ich.
„Ja, Herrin," antwortete er verbindlich, aber nicht unterwürfig.
„Mein Name ist Neris, und ich bin die Herrin eines großen Hauses," stellte ich mich vor. „Ich habe ein Problem und hoffe, daß du mir helfen kannst."
„Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich es könnte, Herrin," erwiderte er höflich.
Erleichtert stellte ich fest, daß er mich nicht als das erkannte, was ich war. Nun, ja, ich war ja auch nicht viel außerhalb des Palastes und wenn, dann immer von einem so großen Gefolge umgeben, daß man mich nur mühsam erkennen konnte. „Mein Gemahl hat häufig Gäste, und deswegen haben wir viele Vorräte in unserem Haus," erklärte ich. „Was können wir nur gegen all diese fürchterlichen Mäuse und Ratten tun, die unsere Vorräte anfressen?"
„Das ist ganz einfach, Herrin." Der Verwalter lächelte. „Nehmt ein oder zwei geheiligte Tiere der Göttin Bastet in Euer Haus auf."
„Ich habe erwartet, daß du das sagen würdest. Wir haben das bereits versucht, aber nur mit dem Erfolg, daß mein Gemahl in einem fort hustete und nieste." Ein wenig „ngstlich sah ich mich um. „Nicht, daß er Bastet nicht verehren würde, nur... Offenbar erträgt seine Gesundheit die Anwesenheit der geheiligten Tiere nicht."
„Ich verstehe." Der Verwalter nickte und schien nicht vorzuhaben, die Blasphemie meines angeblichen Gemahls zu verurteilen. „Ich denke, es gibt da durchaus Möglichkeiten. Es ist nicht so ungewöhnlich, wie Ihr vielleicht denkt, daß jemand die Anwesenheit der heiligen Tiere nicht verträgt." Er griff in ein kleines Schrankfach und brachte ein Säckchen zum Vorschein. „Das ist ein Pülverchen, das jede Ratte vom Leben zum Tode befördert."
„Aha," sagte ich und nahm das Säckchen entgegen. „Sag mir, ist es wahr, daß Ratten soetwas wie einen Vorkoster haben?"
„Oh, ja, das ist wahr, Herrin." Offenbar fühlte der Verwalter sich dadurch geschmeichelt, von einer hochgestellten Dame um Rat gefragt zu werden. „Das hilft ihnen aber nicht, denn das Gift wirkt mit Verzögerung. Der Vorkoster frißt es, es geschieht ihm nichts, also fressen auch die anderen. Nach etwa einer Stunde fängt das Gift dann an zu wirken."
Ich lächelte freundlich. Dieser Umstand war mir schon vorher bekannt gewesen, aber ich wollte sicher sein, daß genau das mir übergebene Gift mit der notwendigen Verzögerung wirkte. Noch immer lächelnd löste ich einen meiner Armreifen und gab ihn dem Verwalter. „Nimm das als kleines Zeichen meiner Dankbarkeit."
„Das ist zuviel, Herrin," wehrte er ab und gab ihn mit zurück. „Ich habe Euch doch nur einen Rat gegeben."
„Dann nimm ihn, um über diesen Rat zu schweigen." Noch immer hielt ich den Reifen vor ihn. „Es wäre für meinen Gemahl sehr beschämend, wenn jemand erführe, daß er die Anwesenheit der geheiligten Tiere nicht erträgt."
„Wie Ihr es wünscht, Herrin," sagte er und schien bereits zu überlegen, was er alles für diesen Armreifen erhalten konnte.
Ich verabschiedete mich und kehrte mit meiner Sklavin in den Palast zurück. Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als auf eine passende Gelegenheit zu warten, um den Inhalt des Beutels seiner Bestimmung zuzuführen: dem Vertilgen von Ratten.
XXX
Es war ein schöner Sommertag, als ich die Gelegenheit dafür gekommen hielt, meinen Einkauf zu verwenden. Ich wußte, daß Ramphis an diesem Abend mit meinem Vater speisen würde, und auf genau eine solche Gelegenheit hatte ich gewartet. Schließlich konnte ich nicht riskieren, daß Ramphis schon dem ersten Teil meiner Rache zum Opfer fiel, wo ich doch so schöne Pläne mit ihm hatte...
Am Morgen dieses Tages schickte ich eine meiner Sklavinnen in die Stube der Palastwachen, um nach dem Wächter zu fragen, der damals den Eingang zu dem Gewölbe bewacht hatte, in dem Radames und Aida gestorben waren, und ihm zu befehlen, zu mir zu kommen.
Während ich auf ihn wartete, schmückte ich mich ein wenig, um mich von meiner besten Seite zu zeigen.
Lange jedoch ließ man mich nicht warten. Der Wächter trat ein und fiel auf die Knie. „Ihr habt mich rufen lassen, Tochter der Pharaonen?" fragte er.
„Ja, das habe ich allerdings," meinte ich und ging um ihn herum, um ihn genauer zu betrachten. So langsam wurde mir bewußt, warum ich ihn damals im Tempel am Leben gelassen hatte, anstatt ihm seinen Speer in den Bauch zu rammen. Er war ein durchaus attraktiver Mann, wirkte trotz seiner knienden Position groß und schlank, und seine Augen waren von einem sehr intensiven Braun.
Diese Augen blickten mich nun von unten mit einer merkwürdigen Mischung aus verletztem Stolz und Angst an. „Erhebe dich," befahl ich ihm und sah zu, wie er dem Befehl nachkam. „Wie ist dein Name?"
„A-himes," antwortete er.
„Du erinnerst dich noch an unsere... letzte Begegnung?" fragte ich kühl, setzte mich auf meine Liegestatt und lehnte ich zurück.
„Wie könnte ich das vergessen?" fragte er zurück, wobei in seiner Stimme große Bitterkeit mitklang.
„Oh," machte ich, „höre ich da einen Hauch von Vorwurf?"
„Wäre es etwa unverständlich?" Irgendwie erschien er mir gewandter und intelligenter als noch vor einem Jahr, aber vielleicht lag das auch einfach daran, da? ich ihn damals nur als Hindernis betrachtet hatte, das ich überwinden mußte. „Ihr hättet mich beinahe umgebracht," sprach er weiter.
„Ja, das hätte ich," stimmte ich ihm zu. „Ich denke allerdings, daß es darauf ankommt, daß ich es nicht getan habe." Ich musterte ihn noch eingehender. Sein angenehmes Äußeres versprach, die Ausführung meiner Pläne um einiges einfacher zu machen. „Kanntest du Radames?"
„Ich war mit ihm in Äthiopien auf dem ersten Feldzug."
„Wie kommst du dann zur Palastwache?" lenkte ich für einen Moment vom Thema ab.
„Ich bekam einen Pfeil in den Oberschenkel und kann deswegen keine weiten Strecken mehr marschieren."
„Was denkst du über Radames?"
„Man nennt ihn einen Verräter, aber ich meine... Es erscheint mir nicht so schlimm, weil er es aus Liebe tat." Für einen Augenblick wagte er es, mich direkt anzusehen. „Was sollen all diese Fragen bedeuten, Prinzessin?"
„Du bist ziemlich unverschämt," wies ich ihn zurecht.
Um A-himes' Lippen spielte ein spöttisches Lächeln. „Ich denke, daß ich mir das erlauben kann. Ihr werdet mich sicherlich nicht hierherkommen lassen, um mich zu bestrafen. Die Gelegenheit hattet Ihr vor einem Jahr."
Er hatte tatsächlich Geist und zwar weit mehr, als ich in meinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatte. Sehr schön, A-himes." Ich nickte. „Ich kann dich sehr gut brauchen. Nur eine einzige Frage habe ich noch zu stellen: Würdest du für mich lügen?"
„Habe ich dafür einen Grund?" stellte er die Gegenfrage, und ich mußte gegen meinen Willen lachen.
„Das glaube ich schon. Sonst würde ich meinem Vater sagen, daß du damals versucht hättest, mich zu vergewaltigen." Mein Blick wanderte von seinem Gesicht tiefer. „Ich nehme an, du kennst die Strafe, die darauf steht, und das wäre sicherlich schade."
Er wurde rot. „Selbstverständlich bevorzuge ich es, nicht Euren Zorn auf mich zu ziehen, Prinzessin," brachte er trotzdem sehr glattzüngig hervor. „Was soll ich sagen?"
„Das wirst du heute abend erfahren," antwortete ich. „Sei bei Sonnenuntergang hier und warte auf mich. Und jetzt geh."
„Wie Ihr wünscht, Prinzessin." Er verbeugte sich und ließ mich allein.
Nachdenklich blieb ich einen Moment sitzen. Ich hatte meinen Verbündeten gewählt, und das wohl nicht einmal schlecht. Natürlich gab es keinen Grund, ihm zu vertrauen, aber das hatte ich auch gar nicht vor; ich brauchte A-himes für andere Dinge.
Es fiel mir schwer, den Tag herumzubringen, doch kurz vor Sonnenuntergang verließ ich meine Gemächer. Unter meinem Gewand verborgen hielt ich das Säckchen mit dem Gift. Auf meinem Weg zum Tempel des Ptah traf ich Ramphis, der sich auf dem Weg zu meinem Vater befand. „Ein wundervoller Abend, nicht wahr, Prinzessin?" sagte er, mich sehr genau beobachtend. Seit Radames' Tod begegnete er mir mit einer Mischung aus Spott und Verbindlichkeit. Gleichzeitig behielt er ich sehr genau im Auge. Offenbar versuchte er, in Erfahrung zu bringen, ob ich noch an meinem Racheschwur dachte.
Ich jedenfalls hatte nicht vor, ihn in dieser Frage behilflich zu sein. Es war besser, wenn er rätselte, als wenn ich ihn vorspiegelte, ich hätte ihn vollständig verziehen. Er war zu intelligent, um soetwas zu glauben. „Ja, der Abend ist wundervoll," erwiderte ich.
„Wird er dadurch noch wundervoller, daß Ihr Euch zum Pharao und mir gesellen werdet?" Seine schwarzen Augen blickten auf mich herunter und ließen kalte und heiße Schauer durch meinen Körper rinnen.
Ramphis' Augen waren durchdringend und sehr beunruhigend und ließen mich für einen Moment daran zweifeln, ob es mir, einer jungen, sechzehnjährigen Frau, gelingen konnte, diesen Mann zu besiegen, doch dann riß ich mich zusammen. „Ich wünschte, ich könnte Euch Gesellschaft leisten, aber leider habe ich... schon etwas anderes vor," entgegnete ich, ohne den Blick abzuwenden. „Vielleicht... können wir es irgendwann später nachholen?"
„Es würde mich freuen." Noch immer ruhten seine Augen auf mir, und es war deutlich zu sehen, daß er am liebsten sofort mit mir allein gewesen wäre; allerdings nicht, um zu essen.
Dieses Interesse würde mir einiges erleichtern, dachte ich, doch das würde wieder aufgewogen werden die durch Schauer, die mir unter seinen Blicken über den Rücken liefen. „Ich werde Euch mitteilen, wenn ich Euren Besuch erwarte,"sagte ich mit kehliger Stimme.
„Ich werde darauf warten," erwiderte er mit einem Nicken und ging seines Weges.
Ich blieb noch ein wenig länger stehen, um tief durchzuatmen, schließlich benötigte ich für mein Vorhaben einen klaren Kopf. Dann machte ich mich auf zum Tempel. Ich hatte schon genug Zeit verloren, um möglicherweise zu spät zu kommen.
Meine Eile machte sich jedoch bezahlt. Als ich am Tempel ankam, stand der Topf mit dem Brei bereit, um von den zwei dafür zuständigen Sklaven in den Eßraum gebracht zu werden. Vor den beiden fehlte jedoch jede Spur, was ganz traditionsgemäß war, denn sie wohnten dem abendlichen Gottesdienst bei, der dem Essen voraus ging.
Ich sah mich kurz um, zog das Säckchen hervor und schüttete dessen Inhalt in den Brei, wobei ich das Gift durch sehr sorgfältiges Rühren verteilte. Das Säckchen steckte ich wieder ein und ging dann durch einen Seitengang zum Grab Radames' und Aidas. Dort kniete ich nieder und wartete.
„Ich denke, das war Teil eins," sagte ich leise und strich über die Grabplatte. „Du siehst, ich halte meine Versprechen."
Ich blieb etwa eine halbe Stunde dort sitzen, dann erhob ich mich und suchte nach dem Vorkoster des Tempels. Zitternd gegen eine Wand gelehnt, die Hände auf seinen Magen gepreßt, fand ich ihn in einem verborgenen Winkel. „Es tut mir leid, Freund, ich habe nichts gegen dich persönlich," erklärte ich ihm.
„Werde ich sterben?" fragte er sehr hellsichtig. Offenbar war er sich durchaus bewußt, daß er durch ein von mir verabreichtes Gift litt.
„Ja, das wirst du," sagte ich. „Aber vorher begleitest du mich noch." Ich zog ihn auf die Beine und zwang ihn, sich auf mich stützend mit mir in den Eßsaal zu gehen.
Die Priester starrten uns an, als wir eintraten. Ich ließ den Vorkoster los, woraufhin er zu Boden fiel uns sich dort vor Schmerzen wand. „Er hat das gleiche gegessen wie ihr," sagte ich laut und sah befriedigt zu, wie die klügeren der Priester erbleichten. „Nur ein bißchen früher. In ein paar Minuten wird es euch ebenso ergehen."
„Aber wer hat das getan?" fragte ein Priester überflüssigerweise.
„Ich natürlich," antwortete ich und genoß, in den Augen der Priester Panik lesen zu können. Die ersten waren bereits dabei, Schweißausbrüche zu bekommen und sich den Bauch zu halten.
„Wieso?" fragte ein anderer Priester.
„Ich weiß nicht, ob ihr euch noch erinnert, aber ihr habt vor einem Jahr einen Mann zum Tode verurteilt. Sein Name war Radames, und ich schwor deswegen Rache." Ich fand, daß sie ein Recht hatte zu erfahren, warum sie sterben mußten. !Das hier ist eben diese Rache."
Die Panik unter den Priestern stieg, als der Vorkoster röchelnd zu meinen Füßen starb. Eine Weile betrachtete ich noch die albernen Versuche einiger von ihnen, den Eßsaal zu verlassen, um Hilfe zu holen, wobei ich sie zurückstieß in den Raum, und weidete mich an ihrer Angst. Als keiner von ihnen mehr in der Lage schien, den Tempel lebend zu verlassen, drehte ich mich um und ging, nicht ohne vorher mich vorher vernünftig verabschiedet zu haben. „Grüßt die Götter der Totenstadt," rief ich ihnen über Schulter zu.
Dann verließ ich den Tempel endgültig und ging zurück zum Palast. Als ich meine Gemächer betrat, fand ich A-himes ausgestreckt auf einem der Diwane vor. Er sah mich und stand auf; allerdings so langsam, daß es fast schon unverschämt war, aber eben nur fast.
„Wie ich sehe, hast du meinen Befehl befolgt," sagte ich.
„Wie hätte ich Eurer Einladung widerstehen können?" gab er zurück.
Ich konnte kaum glauben, daß er es wirklich gesagt hatte. Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit mir zu sprechen. „Du bist ziemlich unverschämt," erklärte ich.
„Ihr wollt etwas von mir, also kann ich es mir erlauben, oder?" Er lächelte, und ich mußte gestehen, daß mir sein Mangel an Respekt imponierte. „Was ist es?"
„Ich denke, wir werden gut zusammenarbeiten," sagte ich mit einem Nicken. „Ich möchte, daß du den Eindruck erweckst, die ganze Zeit hiergewesen zu sein."
„Das war ich."
„Ja, aber nicht mit mir. Und darauf kommt es an." Jetzt lächelte auch ich.
„Das heißt also, die Tochter der Pharaonen hat etwas zu verheimlichen." Er beobachtete, wie ich es mir auf einem der Diwane bequem machte. „Es muß schon etwas sehr Ernstes sein, wenn Ihr lieber in den Verdacht kommt, mit mir..." Er sprach nicht weiter, aber das war auch nicht notwendig.
Ich schloß für einen Moment die Augen. Irgendwie hatte A-himes recht. Ich hatte wirklich etwas sehr Ernstes angestellt, indem ich etwa zwanzig Priester vom Leben zum Tode befördert hatte, nicht zu vergessen den armen Vorkoster, um den es mir wirklich leid tat.
Plötzlich fühlte ich mich müde und zerschlagen. Ich bedauerte nicht, was ich getan hatte, aber trotzdem hatte es mich mehr mitgenommen, als ich zuvor erwartet hatte. Ich schien das Gefühl, Herrscherin über Leben und Tod zu sein, nicht sehr zu genießen, aber Macht ist ja auch niemals der Antrieb für meine Handlungen gewesen.
A-himes kniete neben meinem Diwan nieder und betrachtete mich sinnend. „Es wundert mich, daß du nicht fragst, was ich getan habe," bemerkte ich und spürte den warmen Glanz seiner braunen Augen beinahe körperlich. „Schließlich hast du dir schon alles mögliche herausgenommen."
„Ich weiß gar nicht, ob ich es wissen will," erwiderte er sehr bestimmt. „Ich weiß allerdings, daß ich Eure Wünsche erfüllen werden, gleichgültig, was Ihr getan haben mögt." Seine Augen ruhten noch immer auf mir.
„Woher diese Bereitschaft für mich zu lügen?" fragte ich. Mir war schon am Beginn unserer Unterhaltung aufgefallen, daß er keineswegs der sehr durchschnittliche, mäßig intelligente Soldat war, für den ich ihn gehalten hatte, sondern daß viel mehr Potential in ihm steckte. „Was erhoffst du dir davon?"
„Muß ich mir denn etwas erhoffen?" fragte er. „Vielleicht tue ich es ja nur, weil ich Euch... gefallen will."
„Oh, also ganz selbstlos?" spottete ich.
„Nein, vielleicht nicht ganz." Er stützte sein Kinn auf die Hände. „Machen wir einen Tausch. Meine Hilfe gegen eine Auskunft."
„Jetzt kommen wir der Sache schon näher," sagte ich. Merkwürdigerweise beunruhigte mich seine unmittelbare Nähe überhaupt nicht, im Gegenteil, ich fühlte mich sehr sicher. „Ich traue keinen selbstlosen Motiven. Also, was willst du wissen?"
„Warum habt Ihr mich damals erst geküßt und dann fast umgebracht?"
„Aida," antwortete ich. „Sie wollte gemeinsam mit Radames sterben und benötigte Hilfe, um in das Grab hineinzukommen." Nach einem Jahr konnte ich durchaus die Wahrheit sagen; schließlich mußten sowohl Radames als auch Aida längst tot sein. „Ich habe die Gelegenheit ergriffen, dich abzulenken, aber um weiterzugehen, war dann meine Zuneigung zu Aida nicht groß genug. Der Speer schien mir das angebrachte Mittel zu sein, um... deine Leidenschaft zum Abklingen zu bringen."
„Ihr hattet mich ganz schön in Flammen gesetzt, Prinzessin."
„Das habe ich gemerkt." Ich wollte noch mehr sagen, doch plötzlich waren auf dem Gang Geräusche zu hören, die wie Schritte klangen.
Ich griff mit der einen Hand in die Schale mit den getrockneten Datteln, die andere packte A-himes' Kinn vorsichtig. Während er mich mit erhobenen Augenbrauen erstaunt ansah, schob ich ihm die Dattel in den Mund. Ob er wußte, was ich vorhatte, oder ob er einfach nicht anders konnte, weiß ich nicht; auf jeden Fall küßte er meine Fingerspitzen.
Genau in diesem Moment traten mein Vater und Ramphis ein. Mein Vater machte ein sehr schockiertes Gesicht, während Ramphis sehr interessiert von mir zu A-himes blickte und anerkennend nickte.
A-himes sprang auf, um gleich wieder auf die Knie zu fallen, als er erkannte, wer da mein Gemach betreten hatte.
Ich erhob mich von meinem Diwan. „Was verschafft mir die Ehre dieses späten Besuches?" fragte ich so hoheitsvoll, wie es mir für die Situation angemessen erschien, daß die Erbin des Thrones bei Zärtlichkeiten mit einem einfachen Soldaten angetroffen wurde.
Mein Vater öffnete den Mund, um zu sprechen, doch Ramphis kam ihm zuvor. Äußerlich wirkte er wie immer, doch es war zu spüren, daß er kochte. „Ich denke nicht, daß wir dies vor...," er machte eine abfällige Handbewegung in Richtung A-himes', „... diesem da besprechen sollten."
„Ihr habt recht," erwiderte ich sehr ernst. „A-himes, du kannst gehen. Ich glaube nicht, daß ich dich heute noch brauchen werde."
A-himes erhob sich. „Wie Ihr wünscht, Tochter der Pharaonen." Er ging zur Tür, drehte sich dort noch einmal um und verbeugte sich übertrieben hinter den Rücken meines Vaters und Ramphis'. Dann verließ er mein Gemach ganz.
„Was ist also?" fragte ich, mich erneut meinen Besuchern zuwendend.
„Die Priester des Ptah-Tempels sind tot. Alle, ohne Ausnahme," antwortete mein Vater.
„Aber wie ist das passiert?" Ich hoffte, meine Überraschung überzeugend zu spielen.
„Ihr Abendessen," sagte Ramphis knapp. „Zumindest muß ich das annehmen, da auch der Vorkoster tot ist."
„Das ist ja grauenvoll!" brachte ich hervor. „Was ist es gewesen, verdorbenes Korn?"
„Gift, Prinzessin." Ramphis' Stimme klang so düster, daß ich mir ungefähr ausmalen konnte, was mir blühen mochte, wenn er je mich als Täterin identifizieren sollte.
„Aber wer könnte so etwas Schreckliches tun?" wollte ich wissen.
„Die Äthiopier vielleicht," mutmaßte mein Vater. „Sie wollten sich schon seit langem wegen Amonasros Tod an uns rächen. Militärisch sind sie uns zu deutlich unterlegen, also haben sie Gift gewählt."
Es war Ramphis anzusehen, daß er an diese Möglichkeit nicht glaubte. „Wer es auch war, ich werde ihn zur Strecke bringen," sagte er jedoch nur.
XXX
Die nächsten Tage vergingen mit dem Trauern, Einbalsamieren und Grablegungen für die Priester. Ich schaffte es irgendwie, sehr unschuldig dabei auszusehen, und bis heute gibt es außer mir nur eine einzige Person, die Bescheid weiß und noch am Leben ist.
Etwa einen Monat später ließ ich A-himes zu mir rufen. Es war um die Mittagszeit, als er meine Gemächer betrat. „Ich dachte, Ihr hättet mich vergessen," sagte er.
„Oh, wie habe ich deine Unverschämtheiten vermißt," witzelte ich.
„Nun, es gibt zumindest zwanzig, nein, einundzwanzig Personen, die Euch nie wieder Unverschämtheiten sagen werden," Er lehnte sich gegen die Wand.
„Ich hätte darauf achten sollte, daß mein Mitwisser weniger Geist besitzt," stöhnte ich ironisch. „Na, ja, beim nächsten Mal werde ich klüger sein."
„Das nächste Mal?" Er hob die Augenbrauen. „Welche Personengruppe plant Ihr als nächstes zu beseitigen? Vielleicht alle Schreiber?" Seine Stimme war keineswegs vorwurfsvoll, sondern nur sehr ruhig. „Also, warum habt Ihr mich kommen lassen?"
„Ich benötige deine Begleitung, A-himes," sagte ich.
„Aha, und wohin?"
„Du kennst doch sicherlich ein Bordell, oder?"
Zum ersten Mal seit jener Begegnung an Radames' Grab war es mir gelungen, ihn aus der Fassung zu bringen. „Das ist kein Ort für eine Prinzessin," stieß er hervor.
„Oh, du sorgst dich um mich, wie rührend!" Ich erhob mich langsam. „Du scheinst zu vergessen, daß ich vor einem Monat etwas getan habe, wonach mich nichts, was ich in einem Bordell sehen könnte, noch schockieren dürfte."
„Was wollt Ihr dort?" fragte er scharf.
„Zwei Dinge auf einmal erledigen."
„Und dafür wollt Ihr meine Begleitung?"
„Ich kenne keine Häuser dieser Art und kann wohl kaum allein ein solches betreten." Schritt für Schritt kam ich ihm näher.
„Also gut, ich werde Euch in ein solches Haus führen," sagte er. „Aber es muß mir nicht gefallen, oder?"
„Natürlich nicht. Gehen wir?"
„Jetzt?"
„Selbstverständlich, ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit," erwiderte ich.
A-himes sah mich ein wenig kopfschüttelnd von der Seite her an, schwieg jedoch. Gemeinsam verließen wir den Palast, und nach einer Weile waren wir zwischen irgendwelchen Häusern angelangt, die ich nicht kannte.
„Ich würde Euch gerne eine Frage stellen, Prinzessin," begann A-himes.
„Seit wann bittest du um Erlaubnis, um eine Frage zu stellen?" ermunterte ich ihn.
„Warum seid Ihr nicht verheiratet? Ich meine, normalerweise werden Prinzessinnen sehr früh verheiratet, und Ihr..."
„Willst du mir erzählen, ich sei alt?" zog ich ihn auf.
„Nein," rief er empört aus. „Ich wundere mich nur, denn um Eure Hand müßten sich doch etliche hochgestellte Herren bewerben."
„Danke, das tun sie ja auch, aber Ramphis blockt die Bewerbungen alle ab," entgegnete ich. „Mein Gatte würde seine Macht zu sehr beschneiden können. Also überredet er meinen Vater ständig, die Bewerbungen abzulehnen. Bis vor kurzem war ich angeblich noch zu jung, dann wieder ist der Bewerber meiner Hand nicht würdig, und seit einem Jahr benötige ich Zeit, um über die Enttäuschung, die ich durch Radames erlitten habe, hinwegzukommen."
A-himes mußte gegen seinen Willen lachen. „Ihr durchschaut ihn sehr genau. Könnt Ihr auch meine Motive so einfach in mir lesen?"
„Was willst du damit sagen?"
„Weshalb vertraut Ihr mir, Prinzessin ? Wer sagt Euch, daß ich Euch nicht einfach in einen dunklen Winkel führe, um dort über Euch herzufallen?"
„Vielleicht weil du genau weißt, daß in dem Fall nicht die Schreiber, sondern die Palastwachen die nächsten auf meiner Liste wären?" Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Irgendwie hatte er recht. Warum vertraute ich ihm eigentlich?
Er erwiderte meinen Blick und nickte anerkennend über meine Reaktion. „Ihr seid wirklich etwas besonderes, Prinzessin."
„Wie du schon sagtest, ich bin eine Prinzessin," meinte ich arrogant.
Er wurde einer Antwort enthoben, denn plötzlich blieb er stehen. „Es ist hier," sagte er stattdessen. „Seid Ihr sicher, daß Ihr dort hinein wollt?"
„Ja, ich bin sicher," beantwortete ich seine Frage ein wenig ungeduldig. „Also gehen wir hinein." Mit festen Schritten betrat ich das düstere, etwas schmutzige Haus. A-himes folgte dicht hinter mir.
Schon nach wenigen Metern trat mir eine große, breite Frau entgegen. „Wohin willst du, Mädchen?" fragte sie unfreundlich. „Ich kann keine Neuen hier brauchen."
Ich starrte die Frau an, bis mir aufging, daß sie mich für eine arbeitsuchende Hure hielt, und wollte sie zurechtweisen, doch da trat A-himes hinter mir hervor.
„Du solltest lieber schweigen, Frau," sagte er mit Schärfe in der Stimme. „Du weißt offenbar nicht, mit wem du sprichst." Er sah mich kurz von der Seite an, und als ich nickte, sprach er weiter. „Dies ist die Prinzessin Amneris, die Tochter der Pharaonen."
Die Frau zuckte zurück. „Ist das wahr?" fragte sie mich.
„Ja," antwortete ich sehr kühl und in meinem allerhoheitsvollsten Tonfall.
„Was kann Euch dazu bewegen, in ein Haus wie dieses zu kommen?" brachte die Frau hervor, während sie vor mir auf die Knie fiel. „Dies ist kein Ort für die Tochter der Götter."
„Das sagte er mir auch." Ich deutete auf A-himes. „Trotzdem brauche ich deine Hilfe."
„Wofür?" wollte die Frau wissen.
„Das würde mich auch brennend interessieren," meinte A-himes leise.
„Zwei Dinge," beantwortete ich die Frage und bedeutete der Frau aufzustehen. „Erstens benötige ich etwas, damit ich kein Kind bekomme."
„Das ist kein Problem."
„Und dann möchte ich...," ich wendete A-himes bewußt den Rücken zu, „... ein wenig zusehen."
„Wenn Ihr das wünscht, freue ich mich, Euch helfen zu können." Wenn die Frau schockiert war, zeigte sie es nicht. „Möchtet Ihr etwas... besonderes sehen?"
„Nein." Es gelang mir tatsächlich, ernst zu bleiben. „Ich möchte mir nur das... Übliche ansehen."
„Prinzessin...," begann A-himes hinter mir.
Ich drehte mich zu ihm um. „Ach, A-himes, such dir ein Mädchen aus; ich werde es bezahlen."
Er starrte mich an, als würde er entweder an meinem oder an seinem Verstand zweifeln.
Dafür, daß er sich von Anfang an mir gegenüber soviel herausgenommen hatte, verdiente er zweifellos eine Strafe. „Oh, wenn du lieber einen Jungen willst, bezahle ich selbstverständlich auch den," fügte ich hinzu.
„Ihr...," stieß er vor Wut bebend hervor. „Ich werde vor dem Haus auf Euch warten," preßte er dann zwischen den Zähnen heraus und ging hinaus.
Ich zuckte die Achseln und ließ mich von der Frau zu einem Zimmer bringen, in dessen Wand sich ein Loch befand. „Ihr habt von hier aus einen guten Blick." Ein wenig anzüglich lächelte sie mich an. „Ich mixe Euch inzwischen das Mittel gegen Schwangerschaft." Sie wollte den Raum verlassen, drehte sich dann jedoch noch einmal nach mir um. „Gehört dieser hübsche Junge da draußen Euch?"
„Nein, er ist nur ein Leibwächter," antwortete ich und wußte in diesem Moment, daß ich die Unwahrheit sagte. A-himes war mehr für mich geworden als ein Leibwächter, aber ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken, sondern wendete mich lieber dem Loch in der Wand zu.
Fast fünf Stunden lang sah ich mir das Treiben im anderen Zimmer an. Einen Teil von dem, was ich sah, fand ich lächerlich, einen Teil abstoßend und einen nicht unbeträchtlichen Teil erregend. Am Ende war ich um einiges klüger, was die Wünsche von Männern betraf.
Als ich das Zimmer verließ, drückte mir die Frau, die mich hereingelassen hatte, ein Fläschchen in die Hand. „Nehmt jeden Morgen drei Tropfen. In etwa zehn Tagen wird Eure Fruchtbarkeit nachlassen. Wenn Ihr es wieder absetzt, wird sie wiederkommen."
„Ich danke dir, erwiderte ich. „Wenn ich einmal etwas für dich tun kann, melde dich."
Ich verließ das Bordell und war fast überrascht, daß A-himes noch auf mich wartete. „Ich hatte eigentlich erwartet, daß du wütend verschwunden wärst."
Der Blick, mit dem er mich nur kurz streifte, barg soviel Haß in sich, daß ich innerlich erschauderte. „Können wir jetzt gehen?" fragte er kalt.
„Sicher," erwiderte ich. „Ich hoffe, du hast nicht vor, mich auf dem Weg zum Palast aus verletzter Eitelkeit umzubringen."
„Prinzessin," fuhr er mich an, „es wäre für uns beide besser, wenn Ihr schwieget. Ich kann Euch zwar nicht am Reden hindern, aber so langsam könnte ich der Versuchung erlegen, das zu tun, was Ihr eben vorschlugt."
„Oh, du bist also gewalttätig," mimte ich die Erstaunte, doch als ich den Ausdruck in seinen Augen sah, beschloß ich, wirklich lieber den Mund zu halten. Es war tatsächlich blanke Mordlust darin zu lesen.
A-himes begleitete mich in meine Gemächer und verbeugte sich dort sehr knapp vor mir. „Ich nehme nicht an, daß Ihr heute noch einmal meiner Dienste bedürftet?"
„Nein, du kannst gehen," entließ ich ihn. Ich hatte eigentlich nicht wirklich vor, ihn gehen zu lassen, aber er mußte sich erst einmal wieder beruhigen, bevor ich weiter mit ihm sprechen konnte.
Das mulmige Gefühl, das sich in mir ausbreitete, konnte ich nicht beseitigen. Trotzdem mußte ich mir selbst die Frage stellen, inwieweit ich A-himes noch vertrauen durfte nach dem heutigen Tag. Hoffentlich noch ziemlich weit; ich legte nämlich gar keinen Wert darauf, ihn als potentiellen Verräter meiner Pläne beseitigen zu müssen...
XXX
In den nächsten Tagen nahm ich das Mittel ein, das ich im Bordell erhalten hatte, und feilte weiter an meinem Plan. Eine Woche nach meiner Rückkehr von meinem Bordellbesuch begann ich mit Teil zwei meiner Rache.
Wieder einmal machte ich mich auf den Weg zum Tempel des Ptah. Diesmal allerdings ließ ich mich in Ramphis' Privatgemächern melden. Schon nach wenigen Augenblicken wurde ich zum Oberpriester geführt.
„Prinzessin," sagte er sehr erfreut und kam auf mich zu, „welche Freude, Euch in meinen bescheidenen Räumlichkeiten begrüßen zu dürfen."
„Habt... Ihr mich erwartet?" Ich blickte auf und dabei in seine dunklen Augen.
„Ich habe es zumindest erhofft." Sein Blick schien förmlich in mich eindringen zu können. Er nahm meine Hand und führte mich zu einem Diwan. „Setzt Euch."
„Wie geht es Euch, Ramphis, nach dem, was hier so schreckliches passiert ist?" Ich notierte, daß er noch immer meine Hand festhielt. „Habt Ihr schon eine Ahnung, wer dafür verantwortlich ist?"
„Nein, aber ich werde es schon noch herausbekommen," erwiderte er. „Ansonsten habe ich sehr viel damit zu tun, die neuen Novizen auszubilden." Seine zweite Hand strich mir betont langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Aber Ihr seid doch nicht hierhergekommen, um mich das zu fragen."
„Nein, natürlich nicht," antwortete ich und versuchte gleichzeitig, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie einem unter dem Blicke eines Mannes, den man aus ganzem Herzen verabscheute, so heiß werden konnte. Doch das war eine Frage, für die ich in diesem Augenblick keine Zeit hatte. „Ich möchte den Kriegszustand zwischen uns beenden." Wie zufällig strich meine freie Hand über sein Knie.
„Mir war nicht bewußt, daß wir beide uns im Krieg befinden." Seine Hand wanderte von meiner Stirn langsam meine Wange herunter bis zu meinem Hals.
„Ich hatte befürchtet, daß Ihr das, was ich Euch damals nach Radames' Verurteilung, nun, ja, entgegenkeifte, ernst genommen hättet." Ich bemühte mich, ein Bild der Zerknirschung zu bieten. „Inzwischen habe ich natürlich eingesehen, daß es gar keinen anderen Weg gab. Die Staatsräson verlangt nun einmal den Tod von Verrätern."
„Dann habt Ihr mir also verziehen?" Sein Gesicht näherte sich dem meinen.
„Die Frage ist eher, ob Ihr mir meine närrische Torheit verzeihen könnt," flüsterte ich.
„Es war nur das Ergebnis Eurer ersten Liebe, Amneris." Fast berührten seine Lippen bereits die meinigen. „Doch diese erste Leidenschaft verschwindet, wenn sie auch niemals vergessen wird, wieder schnell."
„Oh, ja," brachte ich noch heraus, bevor sein Mund den meinen verschloß. Er war geübt, wußte offenbar genau, wie man eine Frau nur durch einen Kuß dazu brachte, alles zu vergessen. Auch ich war kurz davor, meinen Plan zu vergessen, nur damit er nicht aufhörte, mich zu küssen, doch er selbst brachte mich wieder dazu, klar zu denken.
Als er sich für einen Moment von mir löste, damit wir beide nach Luft schnappen konnten, sagte er mit rauher Stimme: „Wißt Ihr, daß dies der Grund ist, warum ich mich allen Heiratsplänen für Euch entgegenstellte? Warum ich Radames nach Äthiopien schickte in der Hoffnung, daß er entweder fallen oder sich unmöglich machen würde?"
Er log, ich wußte, daß er log. Natürlich wollte er mich, aber er wollte mich der Macht wegen, die sich mit mir verband, an der Frau Amneris war er nur am Rande interessiert. Das gab mir die Kraft, ihn zart abzuwehren, als er sich erneut über mich beugte. „Ramphis," begann ich atemlos, „bitte, ich möchte, daß es für uns beide schön wird."
„Das wird es," versprach er heiser.
„Gib mir eine Woche Zeit, dann... steht uns kein Hindernis mehr im Weg," bat ich ihn.
Er betrachtete mich mit einem schiefen Lächeln. „Ja, Ihr habt recht, in einer Woche haben wir beide mehr davon." Noch immer war in seinen schwarzen Augen großes Begehren zu lesen, und unwillkürlich fragte ich mich, wie jemand solche Augen haben konnte, ohne selbst an ihren Flammen zu verbrennen. „Ich werde in einer Woche Eure Einladung zum Abendessen annehmen, die Ihr vor einem Monat ausspracht," redete er weiter.
„Ich fiebere diesem Tag schon jetzt entgegen," antwortete ich und sagte dabei durchaus die Wahrheit.
„Das erwarte ich auch." Er senkte seine Lippen noch einmal auf die meinen, dann ließ er mich los und stand auf.
Auch ich erhob mich. „Es werden lange sieben Tage, aber ich verspreche, daß sich das Warten lohnen wird."
„Das weiß ich jetzt schon," erwiderte er und begleitete mich zur Tür, wo er mir mit der Hand die Wirbelsäule herunterstrich und leise lachte, als ich erschauderte.
Ich blickte ihn noch einmal an und war froh, gehen zu können. So langsam wurde mir bewußt, daß meinem Plan merkwürdigerweise nicht Ramphis im Wege stehen könnte, sondern ich selbst.
XXX
Am zehnten Tag nach meinem Bordellbesuch ließ ich A-himes zu mir rufen. Er kam, nachdem er mich eine unverschämt lange Zeit hatte warten lassen, gegen Abend in mein Gemach. Sein Gesicht hatte einen sehr mürrischen Ausdruck, der mir zeigte, daß er mir die Bordellepisode noch längst nicht verzeihen hatte.
„Ihr habt nach mir verlangt?" fragte er kalt. „Was wollt Ihr diesmal besichtigen, Prinzessin?"
„Dich," antwortete ich einfach.
„Was?" stieß er irritiert hervor, während ihm, wie an seiner Miene abzulesen war, bewußt wurde, was ich da gesagt hatte.
„Du bist doch sonst ein kluger Junge." Ich erhob mich von dem Diwan, auf dem ich in recht aufreizender Weise gelesen hatte, und kam auf ihn zu.
„Dann habe ich Euch tatsächlich richtig verstanden." Er blickte auf mich herunter. „Was um alles in der Welt treibt Euch, die Tochter der Pharaonen, dazu, sich mit mir, einem einfachen Soldaten vergnügen zu wollen?"
„Einiges," erwiderte ich. „Ich möchte mich entschuldigen für das, was ich vor einigen Tagen sagte."
„Auf eine so drastische Weise?" Noch immer sah er mich an.
„Heißt das, du willst mich nicht?" fragte ich nicht unfreundlich.
„Doch, ich will Euch, seit ich Euch das erste Mal sah," antwortete er leise. „Aber nicht wegen einer Entschuldigung."
„Oh, der einfache Soldat stellt also Ansprüche," spottete ich leichthin. „Du weißt, daß ich dir das nicht durchgehen lassen kann."
„Wollt Ihr mir etwa befehlen, Euch... zu Diensten zu sein?" Beinahe hätte er einen Schritt zurück gemacht.
Ich lachte. „Ich denke, daß es andere Wege gibt," sagte ich und löste vorsichtig sein Gewand an den Schultern.
Er hielt ganz still, auch als ich ihm das Gewand vom Körper streifte. Ich trat einen Schritt zurück und blickte von seinem Gesicht nach unten. Er war schlank, hatte einen sehnigen gutgebauten Körper und war ganz allgemein sehr attraktiv. Mein Blick wanderte wieder zu seinem Gesicht, und ich stellte fest, daß er errötet war.
Ich trat wieder dichter an ihn heran, legte meine Arme um seinen Nacken und küßte ihn, zuerst vorsichtig, dann stürmischer. Er erwiderte meine Küsse nicht, doch seine Lippen öffneten sich unter meinen.
Ich strich mit meinen Händen und meinen Mund über seinen ganzen Körper. Er ließ es geschehen und protestierte auch nicht, als ich ihn zum Diwan zog und ihn dazu brachte, sich dort niederzulegen. Ich streifte mein Gewand ab, und endlich sah ich, wie in ihm Begehren erwachte.
Offenbar schien ihm das jedoch nicht zu behagen, denn er wendete den Kopf zur Seite. Das konnte mich allerdings nicht davon abhalten, weiter seinen Körper zu erforschen.
Es war faszinierend: berührte ich ihn an der einen Stelle, lief ein Zittern durch A-himes' Körper, streichelte ich ihn an einer anderen Stelle, so stöhnte er leise.
Einige Male versuchte er, den Oberkörper zu heben, um auch mich zu streicheln, aber ich drückte ihn jedes Mal zurück auf den Diwan.
„Prinzessin," keuchte er, nachdem ich eine ganze Weile in dieser Weise weitergemacht hatte, „ich... kann mich nicht mehr lange zurückhalten."
„Was für eine charmante Aufforderung!" murmelte ich und beendete meinen Zustand der Jungfräulichkeit. Ich empfand es als ungewöhnliches, aber durchaus nicht unangenehmes Erlebnis.
Schließlich brach ich über ihm zusammen. Eine ganze Weile blieben wir schweigend nebeneinander liegen. „Warum habt Ihr das getan?" brach er nach einer beinahe unendlich langen Zeit das Schweigen.
„Weil ich Erfahrungen sammeln wollte," sagte ich ehrlich. „Und weil ich meine Jungfräulichkeit beenden wollte."
„Dann habt Ihr mich eben also benutzt," murmelte er so, daß ich es trotzdem deutlich verstehen konnte. „Wie all die anderen Male."
„Die anderen Male?" fragte ich irritiert.
„Das erste Mal, als wir miteinander sprachen, habt Ihr mich geküßt, nur weil Aida die Möglichkeit haben sollte, in das Gewölbe zu steigen," erklärte er, ohne mich anzusehen. „Das zweite Mal, nein, das zweite Mal habt Ihr mich ausnahmsweise nicht benutzt, aber das dritte Mal machtet Ihr mich zu Eurem Alibi, als Ihr zwanzig Priester und einen Vorkoster umbrachtet. Das vierte Mal schlepptet Ihr mich in ein Bordell, und jetzt... jetzt habt Ihr meinen Körper benutzt."
„Ja, und es hat Spaß gemacht," sagte ich und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht.
Für einen Moment blickte er mich an, als wüßte er nicht, ob er lachen oder mich schlagen sollte. „Ich hatte gehofft, es wäre etwas anderes als nur ein... Benutzungsverhältnis," erwiderte er. „Stattdessen wird mir erklärt, ich sei dazu mißbraucht worden, Eure unliebsam gewordene Jungfräulichkeit zu beseitigen."
„Bist du sehr verletzt?" wollte ich wissen.
„Ja, aber ich hätte damit rechnen müssen," antwortete er traurig, aber ehrlich. „Ihr seid die Prinzessin von Ägypten, und ich bin nur ein Spielzeug für jemanden wie Euch." Er schluckte. „Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich ginge?"
„Warum?"
„Weil ich gerne etwas allein wäre."
„Bitte, wenn du gehen willst," entgegnete ich und sah zu, wie A-himes sich vom Diwan erhob und zu seinen Sachen ging.
Ich beobachtete sehr genau, wie er sich anzog und zur Tür ging. „Wenn du mal wieder Lust hast, das Spielzeug einer Prinzessin zu sein, melde dich," bemerkte ich.
Er drehte sich um. Seine Augen funkelten. „Wenn wir je wieder auf diese Weise zusammenkommen, Prinzessin - und ich weiß, daß das passieren wird - dann spielen wir nach meinen Regeln." Mit einer heftigen Bewegung verließ er meine Gemächer.
Ich sah ihm nach und fühlte mich ein wenig schuldig, ihm so wehgetan zu haben. Verflucht, er war mehr für mich als ein Spielzeug, und ich mochte ihn.
Nun, ja, ich hatte keine Zeit, seine Männlichkeit wieder aufzurichten; das mußte warten, bis ich Teil zwei und drei meiner Rache erledigt hatte.
