3. Kapitel
Am vereinbarten Tag kam Ramphis in mein Gemach. „Guten Abend, Prinzessin," sagte er, „ich hoffe, Ihr erinnert Euch daran, daß wir eine Verabredung für heute abend haben..."
„Wie könnte ich etwas vergessen, wonach ich mich schon seit langem sehne?" erwiderte ich. Seit mehreren Stunden hatte ich mich auf diese Begegnung vorbereitet. Ich hatte ein Gewand gewählt, das mehr enthüllte als verbarg, dezente Schminke aufgelegt und trug ein wenig Schmuck.
Seit meinem Erlebnis mit A-himes versuchte ich, mich auf Ramphis und meine Rache zu konzentrieren, doch es fiel mir nicht so leicht, wie ich es gehofft hatte. Trotzdem hatte ich mich dazu gebracht, A-himes und die Erinnerung an ihn in einen hinteren Winkel meines Gehirns zu verdrängen. Jetzt gehörte meine gesamte Aufmerksamkeit Ramphis.
„Wir haben lange auf diesen Moment warten müssen," sagte er. „Ich war nämlich schon an Euch interessiert, bevor Ihr eine erwachsene Frau ward."
„Seid Ihr etwa ein Kinderschänder?" spottete ich und kam auf ihn zu, wie ich es vor einigen Tagen in der gleichen Situation bei einem anderen Mann getan hatte.
„Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, ich würde mich vorrangig für Eure körperliche Vorzüge interessieren." Wir standen so dicht zusammen, wie es möglich war, ohne sich zu berühren. „Obwohl diese durchaus der Teil sind, der mich im Moment am meisten an dir interessiert, Amneris."
Während dieser letzten Worte war seine Hand von meinem Haaransatz tiefer gewandert. Plötzlich fühlte ich, wie er mit eisernem Griff mein Kinn umklammerte und in die Höhe zwang. Seine Lippen nahmen meine in Besitz. Sein Kuß war ein wenig brutal, es lag keine Spur von Zärtlichkeit in ihm, aber trotzdem war er sehr erregend. Für die Dauer unseres ersten Kusses kämpften wir beinahe miteinander.
Nach einer Weile gab er meinen Mund frei, hielt mich jedoch noch immer dicht an mich gepreßt. Ich hatte zwar gewußt, daß ich auf ihn reagierte, aber nicht, daß ich es so intensiv tun würde. Stimmte bei mir etwas nicht, daß mich die Berührungen eines Mannes, den ich verabscheute, so erregen konnten?
„Möchtest du, daß ich aufhöre?" fragte er, den Mund dicht an meinem Ohr.
„Wenn du das tust, bringe ich dich höchstpersönlich um," stöhnte ich.
„Das kann ich wohl kaum riskieren, wo ich noch soviel mit dir vorhabe," Er zog meine Hüften an die seinen.
„Oh, das merke ich," erwiderte ich und schon ihm sein Gewand von den Schultern. Wie ich es schon bei A-himes getan hatte, ließ ich meine Hände und Lippen über seinen Körper gleiten. Dann nahm ich seine Hand und zog ihn zum Diwan. Es war ein anderer als der, auf dem ich meine Jungfräulichkeit verloren hatte. Ich hatte ihn auswechseln lassen.
Vorsichtig drückte ich ihn auf den Diwan. Sehr interessiert sah er zu, wie ich mich meines Gewandes entledigte. Ich wollte genauso fortfahren, wie ich es vor einigen Tagen bei A-himes getan hatte, doch kaum hatte ich ein Bein auf den Diwan gesetzt, packte mich Ramphis, drehte mich unter sich und hielt mich fest.
„Ich bin etwas anderes als eine dieser männlichen Huren. Mit mir spielt man nicht herum," sagte er gefährlich leise. „Hast du mich verstanden, Prinzessin?"
„Du hast ja laut genug gesprochen," gab ich zurück. „Wie kommst du eigentlich dazu, dich für eine Hure zu halten? Ich dachte, du seiest ein Priester." Es fiel mir nicht leicht, diesen lockeren Ton beizubehalten, aber es gelang.
Ramphis lachte. „Weißt du, warum ich dich so mag? Du hast verdammt viel im Kopf und läßt dir nicht einmal von mir etwas bieten. Wir passen zusammen." Er küßte mich erneut und begann, mich zu lieben.
Es war großartig; ich hatte nicht gewußt, daß es so gut sein konnte. Ich reagierte auf ihn, als seien wir füreinander gemacht.
„Amneris," sagte Ramphis später und strich mir durchs Haar, „du bist eine ideale Geliebte, mir ebenbürtig, klug, attraktiv und fürs Vergnügen geradezu geboren."
„Oh, ein Lob vom Meister," spottete ich amüsiert.
„Ich vergaß in meiner Aufzählung ‚scharfzüngig'." Ramphis wirkte entspannter, als ich ihn je zuvor erlebt hatte. „Einen Kritikpunkt habe ich allerdings doch."
„Welchen?" Ich setzte mich ein wenig auf.
„Es gefällt mir nicht, daß du mit diesem einfachen Soldaten herumspielst. Er ist deiner nicht würdig."
„Du hast recht," erwiderte ich und fühlte mich schuldig, daß ich A-himes verleugnete. „Aber irgendwie mußte ich ja meine Bedürfnisse stillen."
„Wir sind uns sehr ähnlich," sagte er lächelnd und strich mit der Hand über meinen Schenkel. „Wir nehmen uns, was wir wollen."
„Ja, da hast du recht, Priester." Meine Lippen glitten über seine Schultern. „Wir haben beide das gleiche Ziel."
„Ach, ja?" fragte er. „Welches?"
„Du weißt, daß wir beide nach Macht streben."
„Du strebst nach Macht, ich habe sie schon," verbesserte er mich.
„Du magst Macht haben, aber nicht die entsprechende Position," erklärte ich ihm.
„Was willst du mir vorschlagen?" Er setzte sich ebenfalls auf.
„Ich habe einen legitimen Thronanspruch, und ich habe keine Lust dazu, noch länger auf die Durchsetzung dieses Anspruchs zu warten."
„Ich kann dich sehr gut verstehen, aber was geht mich das an?"
„Sie werden mir kaum die Regierungsgewalt übertragen, aber höchstwahrscheinlich meinem Mann." Ich beobachtete ihn sehr genau.
„Wenn ich dich richtig verstanden habe, willst du deinen Vater stürzen und mich heiraten."
„Richtig."
„Amneris, er ist dein Vater..." Seine Stimme klang sehr - beinahe zu sehr - vorwurfsvoll und voller Ironie.
„Ein Schwächling, der es nicht verdient, den Titel Pharao zu tragen," entgegnete ich. „Ich verachte ihn."
„Es gefällt mir, daß du dich nicht von Familienbanden abhalten läßt," sagte Ramphis. „Und du willst mich wirklich daran beteiligen?"
„Sicher, ich würde es auch allein schaffen, aber mit dir wird es viel mehr Spaß machen."
„Du bist nicht nur hemmungs-, sondern auch skrupellos." Sein Mund verschloß den meinen wieder. „Das ist für mich eine unwiderstehliche Mischung."
„Das dachte ich mir. Wirst du mir helfen, meinen Vater zu entmachten?" fragte ich und ließ meine Hand in intimere Gegenden seines Körpers vordringen.
„Es wird sicherlich mehr Spaß machen, dich von meinen Ideen zu überzeugen als deinen Vater."
„Dann werde ich dir darauf schon einmal einen Vorgeschmack geben," murmelte ich und zog ihn wieder über mich.
Er war genauso großartig wie beim ersten Mal, und irgendwie wußte ich, daß es immer großartig sein würde. Wir taten es in dieser Nacht noch ein drittes Mal, und erst in den frühen Morgenstunden verließ er mein Gemach.
In der Zeit, in der wir nicht mit dem Körper des anderen beschäftigt waren, schmiedeten wir Pläne für unsere kleine Palastrevolution. Wir wußten, daß noch viel zu tun war, aber wir waren fest entschlossen, nach einem Monat bereits loszuschlagen.
Nachdem Ramphis mich allein gelassen hatte, schlief ich mich aus. Als ich wieder erwachte, blieb ich noch ein wenig liegen. Bisher war mein Plan ein so vollständiger Erfolg gewesen, daß ich es kaum glauben konnte.
Eine Komplikation hatte sich allerdings ergeben: Sie hieß A-himes. Ramphis hatte mich eindeutig gewarnt; er würde sich nicht gefallen lassen, einen einfachen Soldaten als Rivalen ansehen zu müssen. Was aber viel schlimmer war, dessen war ich mir sehr bewußt, war die Tatsache, daß auch A-himes sich nicht gefallen lassen würde, von einem anderen Mann, und war es auch der Oberpriester, ausgestochen zu werden. Sollte es zu einer Konfrontation kommen, würde mein kleiner Soldat sicherlich den Kürzeren ziehen, und aus unerfindlichen Gründen wußte ich, daß ich das vermeiden mußte. Es gab nur eine Möglichkeit. Er mußte Memphis verlassen.
Ich erhob mich, ließ mich ankleiden und befahl A-himes zu mir. Sein Gesicht wirkte versteinert, als er mein Gemach betrat. „Was ist es diesmal, Prinzessin?" fragte er unfreundlich. „Wollt Ihr wieder spielen?"
„Nenn mir nur einen Grund, warum ich dich nicht schon längst an die Krokodile verfüttert habe!" forderte ich ihn auf.
„Vielleicht habt Ihr Euch an meine Unverschämtheiten gewöhnt?"
„Durchaus möglich." Ich lächelte. „Nein, heute habe ich einen ernsthaften Auftrag für dich. Du wirst an die äthiopische Grenze reisen."
„Wie bitte?" Er mußte schlucken. „Ihr schickt mich fort?"
„Nein, ich erteile dir nur einen Auftrag, der dich aus Memphis fortführt," verbesserte ich ihn.
„Aber wieso soll ich an die Grenze? Und warum ausgerechnet ich?"
„Ich vertraue dir, und ich will, daß du, immerhin ein Soldat und ehemaliger Grenzkrieger, die Truppen auf mich schwören läßt."
„Ich soll...," er unterbrach seinen Satz. „Ich denke, ich weiß, was Ihr vorhabt, Prinzessin. Das kann Euch den Kopf kosten."
„Es ist mein Kopf," erwiderte ich.
„Dann laßt mich hierbleiben und Euren Kopf beschützen," bat er.
„Deine Sorge um mich rührt mich" sagte ich und spürte, daß ich ihn eigentlich gar nicht fortschicken wollte, aber es mußte sein, zu seinem eigenen Besten. „Aber hier kannst du mir nichts nützen, dort aber sehr viel."
„Wenn es Euer Wunsch ist," entgegnete er steif und unglücklich klingend.
„Es ist mein Wunsch," sagte ich mit soviel Kälte, wie ich ihm gegenüber aufbringen konnte.
„Gut, dann werde ich mich so bald wie möglich auf den Weg machen." Er verbeugte sich knapp. „Kann ich gehen?"
„Ja, geh nur," murmelte ich und sah zu, wie er zur Tür ging. „A-himes?"
„Ja, Prinzessin?" fragte er verbindlich und drehte sich zu mir um.
„Paß auf dich auf," kam es aus mir heraus. „Ich möchte nicht, daß dir etwas passiert."
„Das möchte ich auch nicht, Prinzessin," erwiderte er, doch sein Gesicht strahlte, als er ging.
XXX
Die nächsten Tage und Wochen vergingen schnell. Ramphis und ich zogen diskret Erkundigungen ein, um zu erfahren, wer im Fall unserer Palastrevolution auf unserer Seite stehen würde. Gleichzeitig leisteten wir bei Unentschlossenen Überzeugungsarbeit oder bestachen sie einfach. Es dauerte nicht lange, bis der gesamte Palast auf unserer Seite stand, denn mit der laschen Führung meines Vaters waren die wenigsten wirklich einverstanden.
Ramphis und ich waren eigentlich immer zusammen, tagsüber und auch nachts. Ich konnte nicht umhin, seine Zielstrebigkeit und seine Intelligenz zu bewundern, und mir war klar, daß ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, als ich beschloß, ihn zu meinem Verbündeten zu machen.
Seine Geliebte zu sein, war kein Problem für mich, im Gegenteil. Er war ein phantastischer Liebhaber, dem es immer wieder gelang, mich zu Höhenflügen zu bringen. Vielleicht hatte er recht, vielleicht waren wir wirklich von gleicher Art. Möglicherweise reagierte ich ja deswegen so intensiv auf ihn.
Trotz der Tatsache, daß wir uns gegenseitig faszinierten, waren weder er noch ich dumm genug, dem anderen zu vertrauen.
Auf den Tag genau einen Monat, nachdem wir das erste Mal eine Nacht miteinander verbracht hatten, begaben sich Ramphis und ich zu meinem Vater. Er empfing uns mit einem erfreuten Lächeln. „Ich glaube, ich weiß, warum ihr zu mir kommt," sagte er.
„So?" fragte Ramphis. „Weswegen?"
„Ihr wollt mich bitten, eurer Vermählung zuzustimmen." Das Gesicht meines Vaters strahlte wie das eines kleinen Jungen, der an einem Ratespiel teilgenommen und es gewonnen hatte.
„Ich wußte nicht, daß man bereits darüber spricht," erwiderte ich und wurde das Gefühl nicht los, daß Ramphis selbst dieses Gerücht ausgestreut hatte, um zu verhindern, daß ich einen Rückzieher machte.
„Nun, ihr beiden seid ein schönes Paar, sehr passend, trotz des Altersunterschieds," fuhr mein Vater fort.
„Es ist nett, daß Ihr uns Euren Segen geben wollt, Pharao," begann Ramphis, „aber ich denke nicht, daß wir den noch nötig haben."
„Was?" Mein Vater machte instinktiv einen Schritt zurück.
„Wir sind hier, um Euch von der Last des Throns zu befreien, Vater," erklärte ich.
„Aber, Amneris," stammelte er, „du bist doch meine Tochter."
„Richtig, und damit deine natürliche Nachfolgerin. Ich habe keine Lust, noch länger auf die Nachfolge zu warten."
Mein Vater blickte von Ramphis, der sehr sardonisch grinste, zu mir und war mit wenigen Schritten an der Tür. „Wache!" brüllte er.
„Bemüht Euch nicht, alter Freund," klärte ihn Ramphis auf, „die gesamte Palastwache steht auf unserer Seite. Ihr habt verloren."
„Was... was habt ihr mit mir vor?" wollte mein Vater zitternd wissen.
„Sobald Ihr die Macht formell an mich übergeben habt, nichts mehr," antwortete ich.
„Absolut nichts mehr," bestätigte Ramphis, zog seinen Opferdolch aus dem Gürtel, trat hinter meinen Vater und schnitt ihm die Kehle durch.
Mein Vater sank gurgelnd zusammen, und ich schrie auf. „Das war nicht Teil unseres Plans!"
„Nein, war es nicht," gab Ramphis mir recht. Er ging zu meinem Vater, der sich am Boden wand, und aus dessen Körper stoßweise das Blut drang, und drückte ihm den Dolch in die Hand. „Aber so ist es einfach sicherer."
Ich preßte mir die Hand vor den Mund, um mich nicht übergeben zu müssen. Ich hatte meinen Vater nur entmachten wollen, um ihn auf diese Weise für Radames' Tod zu strafen, aber nie im Leben hatte ich in Betracht gezogen, ihn zu töten. Und jetzt mußte ich zusehen, wie er auf diese grauenvolle Weise starb, und konnte nichts dagegen tun.
„Es wird aussehen wie ein Selbstmord," hörte ich Ramphis' Stimme von weither. „Wir haben ihm eröffnet, daß er entmachtet ist, daraufhin riß er mir den Dolch aus dem Gürtel und schnitt sich die Kehle durch, um nicht in Schande leben zu müssen."
Mein Vater hatte aufgehört zu zucken, und so ganz langsam riß ich mich zusammen. Mir war bewußt geworden, daß Ramphis es nicht nur getan hatte, um meinen Vater loszuwerden, sondern auch, um mich zu warnen, ihn nicht zu hintergehen. „War es wirklich nötig ?" fragte ich.
„Die Staatsräson fordert manchmal Opfer, meine Liebe," erwiderte Ramphis. „Nun, Pharaonin, gehen wir und teilen deinem Volk mit, daß es jetzt von uns regiert wird."
„Das sollten wir wohl." Es fiel mir sehr schwer, Haltung zu bewahren mit meinem toten Vater zu meinen Füßen. In gewissen Weise war ich daher froh, den Raum verlassen zu können. Auf dem Gang befahl Ramphis der Wache, alle im Palast Anwesenden vor dem Palast zu versammeln.
Dies war die ganze Zeit der springende Punkt unseres Planes gewesen. Wer konnte wissen, ob die wankelmütige Menge den Machtwechsel tatsächlich billigen würde, trotz aller gegenteiliger Beteuerungen, die im Palast gemacht worden waren? Doch jetzt hatten sie eigentlich kaum eine andere Wahl, als mich als Nachfolgerin meines Vaters anzuerkennen. Ich fand den Preis für diese Absicherung abscheulich hoch, aber im Augenblick mußte ich an meine eigene Sicherheit denken. Mir war klar, daß Ramphis nicht eine Sekunde zögern würde, auch mich ins Reich der Toten zu schicken, wenn es dem Erhalt oder dem Ausbau seiner Macht diente.
Wir gingen zum prunkvollen Tor den Palastes, vor dem sich bereits eine riesige Menschenmenge versammelt hatte. „Dein Volk, Pharaonin," hauchte Ramphis mir spöttisch ins Ohr. „Macht es dich nervös?"
„Nein, nicht sehr," log ich. Dann erhob ich meine Stimme. „Vor wenigen Minuten ist der Sohn der Götter, unser geliebter Pharao, mein Vater, ins Reich der Toten übergetreten. Den Göttern hat es gefallen, ihn uns erst zu geben und ihn jetzt zu sich zurückzurufen."
Wieso hat es den Göttern gefallen? fragte ich mich gleichzeitig zynisch. Ramphis hatte es gefallen. Während ich die betretenen, aber durchaus nicht traurigen Gesichter der Menge studierte, beschloß ich, in Zukunft mir meine Verbündeten sorgfältiger auszuwählen.
„Nach den Gesetzen der Götter unseres Landes folgt die direkte Nachfolge durch die Prinzessin Amneris," rief Ramphis aus. „Nach einem Monat der Besinnung wird sie ihren Platz auf dem Thron einnehmen."
Ja, und in diesem Monat mußte ich Ramphis loswerden, denn sobald ich den Thron innehatte, war ich in Lebensgefahr. Denn wenn er auf eine Ehe drängte, und mir etwas geschah, nachdem wir verheiratet waren, war er der Thronerbe. Soetwas wie Verantwortungsgefühl gegenüber meinem Land erwachte in mir. Ramphis mußte von der direkten, absoluten Macht ferngehalten werden, sonst würde er Ägypten zugrunde richten. Es ging also auf einmal um noch mehr als nur um mein Leben.
Der pflichtschuldige Jubel, den die Menge ausstieß, brachte mich in die Realität zurück. Ich hatte jetzt eine Aufgabe, die ich eigentlich nicht gewollt hatte, die mir meine Rachepläne jedoch beschert hatten.
XXX
Die nächsten Stunden vergingen mit der Abholung der Leiche meines Vaters, um sie für die Einbalsamierung vorzubereiten. Einige Entscheidungen mußten sofort getroffen werden, und man kam damit auch tatsächlich zu mir. Das zeigte mir, daß man nicht allzusehr mit meiner Thronfolge haderte.
Nachdem ich das erledigt hatte, fand ich endlich Zeit, in den Tempel des Ptah hinüberzugehen. Je näher ich Radames' Grab kam, desto langsamer wurden meine Schritte. Doch irgendwann kam ich doch dort an. Wie jedes Mal, wenn ich hierher kam, setzte ich mich auf die Grabplatte.
„Das war Teil zwei," sagte ich leise in die Stille hinein. „Es ist nicht nach Plan gegangen, Radames, der Preis war hoch, zu hoch vielleicht. Ich weiß, daß du nicht gewollt hättest, daß ich die Schuld am Tod meines Vaters trage, aber ich konnte es einfach nicht verhindern." Meine Hand strich über die Platte. „Es ist jetzt Zeit für Teil drei. Und diesmal, diesmal werde ich dafür sorgen, daß das passiert, was ich plane."
Ich stand auf und ging in den eigentlichen Tempelraum zurück. Er war leer. Auf dem Altar lag ein Opferdolch. Ich griff danach und steckte ihn ein. Dann ging ich hinüber in Ramphis' Gemächer. An dem großen Diwan kniete ich nieder, holte den Dolch wieder hervor und band ihn mit meinem Haarband innen an das Bein des Diwans.
Noch während ich vor dem Diwan kniete, hörte ich von draußen Schritte. Es gelang mir gerade eben noch, mich auf dem Diwan auszustrecken, als Ramphis eintrat.
„Was tust du hier?" fragte er gereizt.
„Auf dich warten," erwiderte ich ruhig. „Ich wollte mit dir unter vier Augen sprechen, ohne diese ganze Versammlung von Schreibern, Priestern und Ratgebern."
„Ich nehme an, es geht um den Tod deines Vaters." Er blickte mich kühl an.
„Es war auf keinen Fall notwendig," sagte ich.
„Nein, aber sicherer." Er kam langsam auf mich zu. „Du solltest so allmählich lernen, kleine Amneris, daß man sich in der Politik nicht von Sentimentalitäten aufhalten lassen darf."
„Das habe ich längst gelernt. Trotzdem wünsche ich nicht, daß du weiterhin eigenmächtig soetwas tust, ohne es mit mir vorher zu besprechen," entgegnete ich in befehlendem Tonfall. „Ich möchte wissen, wen ich der Staatsräson opfern muß."
„Du wirst eine große Pharaonin werden, wenn du schon jetzt so sprichst," sagte er mit widerwilliger Bewunderung. „Wann wirst du es offiziell machen?"
„Was? Meine Thronbesteigung?" stellte ich mich dumm.
„Nein, Amneris, die ist schon offiziell." Ein wenig ärgerlich blickte er mich an. „Ich meine unsere Vermählung."
„Gib mir Zeit," bat ich. „So kurz nach dem Tod meines Vaters... Das könnte Aufruhr bei den Unzufriedenen verursachen."
„Ich werde nicht warten, bis du auf dem Thron sitzt, meine Liebe," widersprach er. „Dann könntest du in die Versuchung kommen, mich zu beseitigen, um allein herrschen zu können."
„Wie kommst du auf eine solche Idee?" fragte ich, mich dabei sehr unbehaglich fühlend.
„Ich sagte dir bereits einmal, daß wir uns sehr ähnlich sind," antwortete er. „Ich täte dasselbe. Also, wann wirst du meine Frau?"
„Gib mir drei Wochen Zeit," sagte ich nach kurzem Nachdenken.
„Die sollst du haben." Er ging vor dem Diwan in die Knie. „Und bis dahin..." Er küßte mich.
Es war absolut irrsinnig. Da mußte ich um mein Leben fürchten und reagierte noch immer in dieser unglaublichen Weise auf Ramphis. Er war der Mörder meines Vaters, und ich genoß seine Berührungen, wie ich es die ganze Zeit zuvor auch schon getan hatte. Vielleicht tat ich es, weil ich wußte, daß ich ihn nicht mehr lange bei mir haben würde, vielleicht aber auch nur, weil irgendetwas bei mir nicht stimmte.
Was es auch war, ich ergab mich ihm und verbrachte die Nacht in seinen Gemächern.
