4. Kapitel
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem gemischten Gefühl. Körperlich fühlte ich mich unbeschreiblich gut, mein Geist jedoch hielt mir Vorträge über vernünftiges, angemessenes Benehmen. Ich beschloß, mich in mein Bad zu begeben, um dort Körper und Geist ein wenig zu vereinheitlichen.
Ich war gerade eine Viertelstunde im lauwarmen Wasser, da konnte ich hören, wie meine Sklavin jemandem draußen erklärte: „Ihr könnte jetzt nicht dort hinein." Die Antwort konnte ich nicht verstehen, doch dann hörte ich wieder die Stimme meiner Sklavin. „Sie wird Euch töten lassen, wenn Ihr dort hineingeht."
Diesmal verstand ich die Antwort einer mir sehr vertrauten Stimme. „Ich bin ein sehr mutiger Mann." Mein Blick lag auf der Tür, und ich hoffte, daß dort eine bestimmte Person auftauchen würde und fürchtete es gleichzeitig.
Hoffnung und Befürchtung bewahrheiteten sich. Im Türrahmen stand A-himes und sah mich an. Ich gab meiner Sklavin einen Wink, damit sie uns allein ließ. „Deine Manieren sind an der Grenze nicht einen Funken besser geworden," begrüßte ich ihn.
„Muß ich meine Manieren, die für eine Prinzessin ausgereicht haben, für die zukünftige Pharaonin ändern?" fragte er.
„Oh, du weißt es also schon."
„Ja, und ich weiß noch mehr." Zum ersten Mal bemerkte ich, daß er ausgesprochen wütend war. „Ich weiß auch, daß Ihr Euch inzwischen auf eine politische und persönliche... Allianz mit Ramphis eingelassen habt."
„Die Neuigkeiten scheinen schnell zu reisen," meinte ich nervös.
„Solche Neuigkeiten bestimmt." Er beobachtete, wie ich mich im Wasser bewegte. „Wieso habt Ihr das getan?" brach es aus ihm heraus. „Er hat Radames umgebracht und, wenn ich richtig informiert bin, auch Euren Vater."
„Ja, ich weiß." Ich rekelte mich unter Wasser. Es erregte mich, wie er mich betrachtete. „Es hat Gründe, die ich dir nicht sagen kann."
„Ja, weil Ihr Euch gerne mit Priestern vergnügt. Er hat Euch eingewickelt," fuhr er mich an.
„Das hat er keineswegs." Warum fühlte ich mich nur dazu gezwungen, mich ihm gegenüber zu rechtfertigen? Er war nur ein kleiner, einfacher Soldat.
„Nein, ganz und gar nicht. Ihr seid wahrscheinlich sehenden Auges seine Geliebte und Komplizin geworden," sagte er bitter.
„Ich wünschte, du würdest mir nur ein bißchen vertrauen, A-himes," erwiderte ich leise.
„Welchen Grund hätte ich dazu?" fragte er. „Euer Verhalten gibt mir jedenfalls keinen. Ihr schickt mich an die Grenze, um die Truppen dort auf Euch einzuschwören, und hinterher stelle ich fest, daß Ihr revoltiert habt, daß ich also Beihilfe zum Putsch geleistet habe. Ihr hättet es mir sagen können."
„Das hätte ich vielleicht wirklich tun sollen," gab ich zu.
„Und dann komme ich zurück und stelle fest, daß Ihr Euch in die Arme dieses schmierigen Priesters geworfen habt," fuhr er fort.
„Wenn du dein hübsches Köpfchen ein bißchen anstrengen würdest, wäre dir aufgefallen, daß ich dich die Truppen nur auf mich einschwören ließ," erklärte ich in ruhigem Ton.
Er starrte mich an, als würde ihm das erst jetzt klar. „Ihr habt gar nicht vor, die Macht mit Ramphis zu teilen!"
„Da hast du wohl recht." Ich lächelte ein wenig geheimnisvoll. „Warte vier Tage, und du wirst sehen, was ich vorhabe."
„Das wird mir sehr schwer fallen." Nun mußte auch er lächeln.
„Geduld, A-himes, Geduld." Ich ließ mich ein wenig an die Oberfläche treiben, so daß er noch mehr von mir sehen konnte.
„Geduld war noch nie meine starke Seite," murmelte er ein wenig heiser.
„Ich weiß, aber ein wenig mußt du dich schon darin üben, mein Lieber."
„Es wird mir schwerfallen."
„Vier Tage, dann wirst auch du verstehen, warum ich Ramphis in meinem Bett habe."
„Es gefällt mir überhaupt nicht zu wissen, daß Ihr und er...," Er stockte. Es fiel ihm schwer zu sprechen.
„Du hast kein Recht, eifersüchtig zu sein," erinnerte ich ihn nicht unfreundlich.
„Vielleicht ist genau das mein Problem." Er zog eine Grimasse. „Darf ich gehen?"
„Wenn du willst." Meine Bewegung im Wasser verursachte einige Wellen.
A-himes wandte sich ab. „Ob ich gehen will, ist nicht von Belang," sagte er fast unhörbar. „Es ist nur so verdammt schwer, die Tochter der Pharaonen zu lieben."
Ich erstarrte. „Liebe?" fragte ich mit sehr trockenem Mund.
Er wandte mir noch immer den Rücken zu. „Ich habe geglaubt, Ihr wüßtet es." Fast lautlos stieg ich aus dem Wasser, während er weitersprach. „Weshalb sonst habe ich mich von Euch demütigen lassen, alles getan, was Ihr von mir verlangt habt, und sei es auch noch so unsinnig?"
Ich war hinter ihn getreten. Um meinen Körper hatte ich ein großes Tuch geschlungen. „Ich habe nicht darüber nachgedacht," flüsterte ich sehr dicht hinter ihm.
Er fuhr herum und blickte mich an.
„Wenn... wenn du dir etwas wünschen könntest, was ich tun sollte, was wäre es?" sprach ich unsicher weiter.
„Ich würde mir wünschen, daß Ihr nur einmal im Leben vergessen würdet, welche Stellung Ihr habt und einfach nur eine Frau seid," antwortete er inbrünstig.
Ich begann, ein Kribbeln zu verspüren, irgendwo tief in meinen Magen. Auf meiner Schulter schien ein Dämon zu sitzen und mir zuzuraunen: „Erfülle ihm seinen Wunsch. Es ist doch auch deiner." Es war zu verlockend, ich konnte nicht anders. „Wenn du in vier Tagen abends zu mir kommst, gehört dir die folgende Nacht," stieß ich hervor. „Für eine Nacht werde ich vergessen, wer ich bin."
„Das würdet Ihr wirklich tun?" fragte er ungläubig, aber mit leuchtenden Augen.
„Genügt dies, um deine Skepsis zu zerstreuen?" fragte ich und küßte ihn auf den Mund.
Statt einer Entgegnung erwiderte er lieber meinen Kuß, was er so heftig tat, daß ich gar nicht anders konnte, als ihm meine Arme um den Nacken zu schlingen. Leider vergaß ich, daß das Tuch, welches ich mir um den Körper gebunden hatte, nur sehr locker saß, und jetzt, wo ich es nicht mehr festhielt, einfach zu Boden fiel.
A-himes schien das sehr zu begrüßen, denn er zog mich noch enger in seine Umarmung hinein. Er preßte mich so fest gegen seinen Körper, daß ich glaubte, jeden seiner Muskeln einzeln spüren zu können.
Erst als seine Hände von meinem Rücken aus auf Wanderschaft gingen, kam ich wieder zu Bewußtsein. Ich wartete ab, bis er meinen Mund für einen Moment freigab, und keuchte: „Wir müssen damit aufhören."
„Oh, ist sich die göttergleiche Pharaonin klargeworden, wen sie da geküßt hat?" Er ließ mich abrupt los.
„Unsinn." fauchte ich ihn an. „Ich habe dich schon früher geküßt, ohne das je zu vergessen. Ich will dich nur nicht in Gefahr bringen."
„In Gefahr?" fragte er irritiert.
„Ramphis hat gedroht, dir etwas anzutun, wenn ich weiter mit dir...," beinahe hätte ich „herumspiele" gesagt, doch es gelang mir gerade noch, dieses Wort herunterzuschlucken, „... meine Zeit verbringe."
„Was für eine Ehre, einen so mächtigen Feind zu haben," sagte er spöttisch.
„Ich möchte nicht, daß er seine Drohung wahrmacht," erklärte ich. „Daher solltest du meine Gegenwart meiden, bis zu diesem Abend in vier Tagen."
„Wenn Ihr es wollt," sagte er unsicher. „Ich werde auf jeden Fall kommen und mir meinen Wunsch erfüllen." Er wandte sich zum Gehen, doch an der Tür blieb er noch einen Moment stehen. „Vielleicht wißt Ihr es nicht, aber ich weiß durchaus, warum Ihr mich schützt." Mit diesen Worten verließ er meinen Baderaum.
Ich blieb dort stehen, wo er mich verlassen hatte, und außer dem Aufheben meines Tuchs machte ich keine Bewegung. Mein Herz klopfte lautstark, und mein Gehirn wurde sich langsam dessen bewußt, was A-himes gemeint hatte.
Es war schon richtig, meine Nachsicht mit seinen Unverschämtheiten, meine Reaktion auf seine Berührungen, das große Vertrauen, das ich fast von Anfang an zu ihm gehabt hatte, das alles ließ nur einen Schluß zu. Daß mir dieser Schluß nicht gerade gefiel, änderte nichts daran, daß ich ihn ziehen mußte.
XXX
An diesem Tag versuchte ich mühsam, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, aber das fiel mir sehr schwer. Trotzdem wagte ich nicht, die Arbeit einfach zu beenden oder an Ramphis zu delegieren. Ich durfte ihn nicht aus den Augen lassen, so wenig traute ich ihm. Wer konnte schon ahnen, ob er nicht schon jetzt Vorkehrungen traf, um mich aus dem Amt zu drängen? Er war schließlich sehr erfahren im Ränke schmieden, wie ich mit eigenen Augen gesehen hatte.
Ich wich an diesem Tag einen Moment von seiner Seite, und als er mich am Abend zu meinen Gemächern begleitete und Anstalten machte, die Nacht dort zu verbringen, erhob ich keine Einwände. Ich hätte zwar am liebsten diesen Abend genutzt, um Ramphis loszuwerden, aber der Dolch war in seinen Gemächern, und es mußte auch aus anderen Gründen dort geschehen. Ich wollte schließlich nicht, daß der Verdacht auf mich fiel. Hätte ich jedoch darauf bestanden, daß wir in den Tempel wechselten, wäre er bestimmt aufmerksam geworden.
Also verbrachten wir die Nacht gemeinsam in meinem Gemach, und auch wenn ich am nächsten Morgen einen schalen Geschmack im Mund verspürte, konnte ich es nicht bedauern.
Auch die nächsten beiden Nächte verliefen in dieser Art. Wir landeten beide Male in meinen Gemächern, und ich konnte nicht umhin, seine Berührungen genießen zu müssen.
Am Nachmittag des dritten Tages wußte ich, daß mir nur noch eine einzige Möglichkeit blieb, um meinen Plan auszuführen. Am nächsten Abend würde A-himes zu mir kommen, und solange noch nicht alles erledigt war, konnte ich nicht riskieren, mit ihm eine Nacht zu verbringen, was ich ihm jedoch versprochen hatte, und wonach ich mich auch sehr sehnte. Nein, es mußte während dieser letzten Möglichkeit geschehen.
Doch auch dieses Mal geleitete Ramphis mich zu meinen Gemächern. Ich wurde nervös. Hatte er vielleicht den Dolch gefunden und daraus seine Schlüsse gezogen? Dann benahm er sich aber höchst merkwürdig, denn er wirkte, als sei alles ganz normal, während wir unser Abendmahl einnahmen.
Kaum hatten wir aufgegessen, da ergriff ich den letzten Strohhalm, den ich noch hatte. „Ich brauche etwas frische Luft," sagte ich. „Ich finde es so stickig hier."
„Soll ich dich begleiten?" fragte Ramphis.
„Ja, das wäre nett," erwiderte ich, und wenig später gingen wir nebeneinander her durch die kühle Abendluft.
„Habe ich es richtig mitbekommen, daß dein Soldatenspielzeug wieder zurück ist?" fragte er nach einer Weile.
„Du kümmerst dich anscheinend um jede noch so unwichtige Person," bemerkte ich.
„Nur so wird man selber eine wichtige. Er ist in dein Bad eingedrungen."
„Du scheinst sogar mich zu bespitzeln." Ich bemühte mich, meine Angst um A-himes nicht zu deutlich zu zeigen.
„Ich würde es nicht bespitzeln nennen." Er lächelte so freundlich, wie dies einer Raubkatze vor dem Sprung möglich war. „Eher, daß ich auf dich aufpasse. Du bist noch so jung, daß du leicht Fehler machen könntest."
„Deine Fürsorge ist rührend." Es war ganz und gar nicht einfach, sich seinem Charme zu entziehen, und nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich, wäre ich männlichen Geschlechts gewesen, so wie er geworden wäre.
„Wenn er dich belästigt, könnte ich schnell dafür sorgen, daß er es nie wieder tut," fuhr Ramphis fort.
„Nein, er belästigt mich nicht," wehrte ich vielleicht einen Tick zu schnell ab. „Ich bin ihm sehr dankbar für gewisse... Dienste, die er mir erwiesen hat."
„Die Art Dienste kann ich mir lebhaft vorstellen, meine Liebe." Ramphis lachte sehr laut. „Hast du ihn dafür belohnt?"
„Nein, ich habe ihm einfach Befehle gegeben."
Er lachte noch lauter. Dann packte er mich unvermittelt an den Schultern und zwang mich, ihn anzusehen. „Es ist besser, wenn beide Partner wissen, was sie tun und darüber selbst bestimmen, nicht wahr?" fragte er heiser.
„Ja," antwortete ich atemlos unter seinem intensiven Blick, von dem ich meine Augen auch dann nicht hätte wenden können, wenn dies meinen Wünschen entsprochen hätte. „Laß uns es gleich noch einmal beweisen, daß es wirklich besser ist." Wir waren nur einen Steinwurf vom Tempel des Ptah entfernt.
„Du hast immer wieder phantastische Ideen." Er zog mich beinahe brutal an sich, um mich zu küssen.
„Nicht hier," brachte ich sehr mühsam hervor, als er mich wieder freigab. „Man könnte uns entdecken, und ich will nicht, daß morgen früh ganz Memphis darüber spricht, was die künftige Pharaonin und der Oberpriester des Nachts an den Ufern des Nils tun."
„Nein, das wäre wirklich nicht gut," gab er zu. „Gehen wir also in meine Gemächer. Bis zum Palast schaffe ich es nämlich nicht mehr, ohne über dich herzufallen." Seine Stimme war derartig rauh, daß ich ihm dies ohne zu zögern glaubte.
„Gut, dann beeilen wir uns." Ich ergriff seine Hand, und gemeinsam liefen wir in den Tempel hinein.
Wir hatten kaum Ramphis' Gemächer betreten, da waren seine Hände bereits auf meinen Körper und setzten ihn in Brand. Wir schafften es gerade noch bis zum Diwan, um dort dann einen Höhenflug der Sinne zu erleben, wie es ihn selbst bei unseren vorherigen stürmischen Begegnungen nicht gegeben hatte.
Ramphis ließ uns nicht viel Zeit, um wieder zu Atem zu kommen, dann war er erneut über mir, um mich neuerlich zu einem gemeinsamen Höhepunkt mitzureißen.
Erst danach blieben wir erschöpft nebeneinander liegen. Kein Wort fiel zwischen uns, und mir wurde schlagartig etwas bewußt. Mir würde etwas fehlen in einer Welt ohne Ramphis, und wäre ich nicht vollkommen sicher gewesen, daß er mich ohne zu zögern töten würde, hätte ich vielleicht sogar auf den letzten Teil meiner Rache verzichtet. Niemals wieder, das war mir klar, würde es einem Mann gelingen, meine körperlichen Bedürfnisse so sehr zu befriedigen und gleichzeitig in mir diesen Zustand der Anspannung hervorzurufen, der mir nicht unbedingt mißfiel.
Meine rechte Hand wanderte vom Diwan nach unten, während die linke ganz ruhig auf Ramphis' Brust liegengeblieben war. Meine rechte Hand tastete am Bein des Diwans entlang. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, mein Herz würde stehenbleiben, als ich den Dolch nicht sofort fand, doch dann berührte ich das Haarband. Es fiel mir schwer, es nur mit einer Hand zu lösen, aber es gelang mir sogar, den Dolch aufzufangen, bevor er klirrend auf den Boden fiel.
Meine Rechte umklammerte den Griff, alles an meinem Körper war gespannt und bereit, und trotzdem zögerte ich noch. Irgendetwas in mir sträubte sich dagegen, Ramphis einfach zu töten. Er war in den letzten Wochen so sehr ein Teil meines Lebens geworden, daß ich beinahe das Gefühl hatte, den Plan gefaßt zu haben, ein Stück aus mir selbst herauszuschneiden.
Ich biß die Zähne fest zusammen. Reiß dich zusammen, Amneris, rief ich mich zur Ordnung und richtete mich auf.
„Was hast du vor"?" fragte Ramphis schläfrig. „Du mußt mir noch ein wenig Zeit lassen, bis ich wieder soweit bin."
„Ich kann leider nicht mehr warten, Liebster," erwiderte ich und stieß ihm den Dolch bis zum Heft ins Herz. Mit einem Satz war ich vom Diwan herunter, so daß mein Körper keinen Spritzer des Blutes abbekam, das in Strömen aus der Wunde floß, in der noch immer der Dolch steckte.
In Ramphis' Augen lag weniger ein Entsetzen als vielmehr nur eine grenzenlose Überraschung. „Wie-wieso?" brachte er gurgelnd hervor.
„Mehrere Gründe, mein Lieber," antwortete ich, während sich mein Magen umdrehte. Ich hatte nicht geglaubt, daß es ein so schrecklicher Anblick werden würde. „Mein Vater, Aida, Radames."
„Oh, ihr Götter!" stöhnte er auf. So ganz langsam schien ihm bewußt zu werden, daß alles, was ich in den letzten Monaten getan hatte, dieser Rache gedient hatte. Seine Augen nahmen einen ärgerlichen Ausdruck an. Es mußte ihn auch in diesen letzten Momenten wütend machen, daß er von mir, einer jungen Frau, überrumpelt worden war.
„Du hast mir selbst beigebracht," fuhr ich fort, „daß man niemals die Politik Sentimentalitäten opfern darf."
„Du warst eine gelehrige Schülerin," röchelte er mit ersterbender Stimme. „Zu gelehrig." Er starb. Mit einem langgezogenen Seufzer ging er ins Reich der Toten ein.
Ein Zittern lief durch meinen Körper, und ich begann zu weinen. Ich stand mitten in Ramphis' Gemach vor seiner Leiche und vergoß Ströme von Tränen um ihn, den Mörder Radames', meines Vaters und Aidas, um mich selbst und das, was meine Rache aus mir gemacht hatte. Ich war kein träumerisches Mädchen mehr, sondern ein mörderisches, rachsüchtiges, machthungriges, skrupelloses Weib, das mehr Ähnlichkeit mit einem Monster als mit einer Frau hatte. So sah ich mich in diesem Moment zumindest selbst.
Es dauerte lange, bis ich diese Betäubung abschütteln konnte. Dann griff ich nach meinen Kleidern, zog mich an und warf einen bemerkenswert kaltblütigen Blick durch das Gemach. Ich hatte nichts hinterlassen, was auf meine Anwesenheit hier hindeuten konnte.
Mit festen Schritten verließ ich den Raum und ging hinüber zu Radames' Grab. Dort setzte ich mich nieder. „Das war der dritte Teil, Radames," sagte ich leise. „Damit habe ich meine Rache beendet. Wir sind jetzt beide frei."
Ich versuchte, mir Radames' Gesicht vorzustellen und erschrak. Es gelang mir nicht. Ich wußte nicht mehr, wie er aussah! Ich hatte über meiner Rache vergessen, wen ich eigentlich hatte rächen wollen.
Es hatte mich soviel gekostet, und ich hatte so wenig gewonnen: einen Thron, den ich niemals wirklich gewollt hatte, und statt der Befriedigung meiner Rachegelüste, hatte ich nur ein schales Gefühl erlangt.
Sehr langsam stand ich auf und begab mich in meine Gemächer im Palast. Dort überfiel mich eine so starke Übelkeit, daß ich mich übergeben mußte.
Hinterher fühlte ich mich etwas besser, so als sei ein Teil des mörderischen, rachsüchtigen, machthungrigen, skrupellosen Monsters aus meinem Körper gewichen.
Mühsam schleppte ich mich zu meiner Schlafstatt, ließ mich darauf fallen und schlief zu meiner eigenen Überraschung sofort ein, um eine traumlose Ruhe zu finden.
XXX
Erst um die Mittagszeit des nächsten Tages erwachte ich dadurch, daß mich eine Sklavin etwas schüchtern weckte. „Ja?" fragte ich verschlafen.
„Göttergleiche Pharaonin, Ihr habt so fest geschlafen," stammelte das Mädchen. „Aber vielleicht solltet Ihr lieber aufstehen."
„Was ist denn?" Noch immer war ich nicht so ganz munter.
„Jemand hat den Oberpriester umgebracht."
„Ramphis?" Ich setzte mich auf. Eigentlich hatte ich nicht gehofft, so lange Zeit zu haben, bis man ihn fand.
„Man hat ihm in seinen Gemächern einen Opferdolch ins Herz gestoßen."
„Oh, Ihr Götter!" murmelte ich pflichtschuldrig. „Wer könnte nur etwas so Gräßliches tun?" Ich erhob mich, wechselte mein Gewand und ging hinüber zum Tempel des Ptah.
Eine ganze Reihe von Priestern, Heilern und Sklaven stand im Raum herum. Irgendjemand hatte den Dolch aus seiner Brust herausgezogen, doch Ramphis' tote Augen starrten noch immer anklagend auf mich.
Es fiel mir schwer, meine Nerven zu behalten, aber es gelang mir. „Diese verfluchten Äthiopier!" sagte ich leise.
„Ihr werdet ihnen doch wohl den Krieg erklären," sagte einer der Priester mit Namen L'theok.
„Nein," widersprach ich und traf meine erste wirklich eigene Entscheidung als künftige Pharaonin. „Wir haben in den letzten Jahren schon zuviel Blut vergossen und Gewalt verübt. Wir müssen damit aufhören, sonst bringt dieser Haß uns alle noch um."
„Aber...," begann L'theok.
„Jemand muß den ersten Schritt machen," unterbrach ich ihn und erkannte an seiner Miene, wer mein zukünftiger Gegner sein würde.
Ich verbrachte den Tag damit, das Nötige für Ramphis' Einbalsamierung zu veranlassen, eine erste Nachricht an den äthiopischen König, einen Bruder Aidas, zu formulieren und all die Dokumente zu lesen und die Berater anzuhören, die Ramphis mir vorenthalten hatte. Daß es ausgesprochen viele waren, machte mich sicherer denn je zuvor, daß Ramphis vorgehabt hatte, mich zu töten.
Das Sichten dieser vorenthaltenen Informationen nahm mich lange in Anspruch, so daß ich einer Sklavin befahl, Abendessen für zwei in meine Gemächer zu bringen und A-himes zu bitten, dort auf mich zu warten.
Drei Stunden nach Sonnenuntergang legte ich meine Arbeit endlich beiseite. Ich war ein wenig nervös wegen der Begegnung mit A-himes. Wie würde er reagieren? Würde er die Gelegenheit nutzen, um sich für all die Demütigungen, die ich ihm beigebracht hatte, zu rächen?
Ich betrat mein Gemach und fand dort A-himes vor, der auf einem Kissen sitzend in die Betrachtung der Wandmalereien versunken zu sein schien. „Ich hatte nicht erwartet, daß Ihr tatsächlich selber kommt," sagte er, nachdem er mir einen kurzen Blick zugeworfen hatte.
„Ich halte meine Versprechungen für gewöhnlich," erwiderte ich. Wieso war er so kalt und abweisend? Ich war doch gekommen, um einen seiner größten Wünsche zu erfüllen.
„Ich hatte die Palastwache erwartet." Seine Stimme ließ mich frösteln.
„Die Palastwache?" fragte ich verständnislos. „Warum ausgerechnet die?"
„Nun, war es nicht Euer Wunsch, Prinzessin, mir den Mord an Ramphis in die Schuhe zu schieben?" Noch immer sah er mich nicht an. „Vielleicht wollt Ihr mich ja auch erst nach Einlösung Eures Versprechens verhaften lassen?"
„Du hast den Verstand verloren," fuhr ich ihn an. „Ich habe ganz zu Anfang darüber nachgedacht, aber es sehr schnell wieder verworfen. Ramphis ist von einem äthiopischen Attentäter getötet worden."
„Oh, habt Ihr die Seiten gewechselt?" spottete er, und so langsam klärte sich seine umwölkte Stirn wieder auf.
„Die Alternative, nur als Ägypterin zu denken, hätte einen erneuten Krieg mit Äthiopien bedeuten können," antwortete ich.
„Ja, Ihr seid eine sehr klug Frau." Er nickte nachdenklich. „Ihr werdet eine große Pharaonin, aber für heute nacht hat das keine Bedeutung."
„Nein." Mein Mund fühlte sich sehr trocken an. „Sag mir, was ich tun soll."
Diese demütige Haltung schien ihm nicht zu gefallen. Er war sich durchaus bewußt, daß ich mein Versprechen halten würde, und das beinhaltete auch, daß ich bereit war, alles zu tun, was er verlangte. Ganz offensichtlich war das jedoch nicht, wie er mich haben wollte. „Wir sollten erst einmal essen, Prinzessin," sagte er, nachdem er mich eine Weile schweigend angesehen hatte. „Ihr hattet einen langen Tag und dürftet Hunger haben."
Ich lächelte ihn unsicher an. Irgendwo hatte ich einen Teil meiner geistigen Kraft verloren. Ich griff nach einigen der Speisen, doch A-himes hielt meine Hand fest, drückte einen Kuß hinauf und brachte ich dazu, mich zu setzen.
Dann nahm er eine der Schüsseln, kniete sich neben mich und fütterte mich sehr langsam. Es war eine so unglaublich liebevolle und zärtliche Geste, daß ich förmlich spürte, wie in mir etwas aufzublühen schien. Ich hatte das Gefühl, als käme ein Teil des verträumten Mädchen, das ich noch vor einem Jahr gewesen war, wieder aus irgendeinem Winkel meines Selbst hervor.
Kein Wort fiel zwischen uns, bis ich satt war, doch die ganze Zeit über hielt sein Blick den meinen fest.
Als ich fertiggegessen hatte, stellte ich fest, daß an meinem linken Mundwinkel ein Rest hängengeblieben war. Ich wollte ihn abwischen, doch A-himes hinderte mich daran, indem er ihn fortküßte. Dieser eine Kuß schien ihm jedoch nicht zu genügen. Er küßte mich immer wieder, und von Mal zu Mal wurden seine Küsse leidenschaftlicher, bis ich gar nicht mehr anders konnte, als zu reagieren. Meine Arme legten sich wie von selbst um seinen Nacken.
Darauf schien er nur gewartet zu haben, denn mit einer einzigen Bewegung hob er mich hoch und trug mich zu meiner Schlafstatt. Dort stellte er mich auf die Füße und blickte mich an, während seine Hände dabei waren, mein an den Schultern zusammengehaltenes Gewand zu lösen. Es fiel zu Boden. Seine Blicke wanderten von meinem Gesicht tiefer, während seine Hände noch immer auf meinen Schultern lagen.
Für einen Moment befürchtete ich, daß er diese Gelegenheit nutzen würde, indem er mich einfach mit Gewalt nahm, aber nichts dergleichen.
„Ihr seid ja vollkommen verspannt, Prinzessin," sagte er leise, mit seinen Fingern meine Schultern erforschend. „Legt Euch auf den Bauch."
Ich leistete seiner Anweisung Folge. Kaum lag ich, da spürte ich, wie seine Hände vorsichtig meine Schultern zu massieren begannen. Es tat mir sehr gut, und so nach und nach entspannte ich mich und überließ mich seinen Händen, die bald darauf immer kühner wurden. Seine Lippen gesellte sich nach einer Weile zu ihnen. Nach einer halben Ewigkeit drehte er mich sanft auf den Rücken.
Seine Augen leuchteten im Halbdunkel des Raumes. Er wendete keinen Moment die Augen von mir, als er sich seiner Kleider entledigte. Dann war er wieder neben mir, und seine Hände und Lippen ließen mich alles vergessen.
Irgendwann rollte er sich dann über mich. „Ihr seid wunderbar, Prinzessin," murmelte er.
„Ich will hören, wie du meinen Namen sagst," verlangte ich.
„Prinzessin, ich...," versuchte er abzuwehren. „Das wäre vermessen." Sein Widerspruch hatte etwas Lächerliches, da seine Hände meinen Körper gerade ein Stückchen angehoben hatten, damit meine Hüften den seinen entgegenkommen konnten.
"Bitte, sag meinen Namen," stöhnte ich.
Er flüsterte ihn mir kaum hörbar ins Ohr und wiederholte ihn immer lauter, bis er ihn an unserem Höhepunkt schrie...
XXX
Ich betrachtete den neben mir schlafenden Mann. A-himes wirkte sehr jungenhaft, wie er so dalag, die eine Hand leicht auf meiner Taille liegend, die andere neben sich ruhend.
Seit wenigen Minuten wußte ich, daß ich etwas erlebt hatte, was mir fremdartig und bedrohlich, aber gleichzeitig wundervoll erschien. Gegenüber Radames hatte ich soetwas wie träumerische Verliebtheit empfunden, mit Ramphis hatte mich eine leidenschaftliche Haßliebe verbunden, aber dies jetzt, das war neu.
Ich vertraute A-himes mehr, als ich je zuvor einem anderen Menschen vertraut hatte, er fehlte mir, wenn er nicht in meiner Nähe war, ja, ich konnte es nicht mehr leugnen: Ich liebte ihn mindestens so sehr, wie er mir in der letzten Nacht immer wieder gesagt hatte, er es tat.
Es war keine angenehme Erkenntnis, feststellen zu müssen, daß ich mich in einen einfachen Soldaten verliebt hatte, der mir durch seine Respektlosigkeit gegenüber meinem Rang, durch seine stille Mitwisserschaft an meiner Rache so teuer geworden war, daß ich nicht wußte, was ich täte, wenn ich ihn verlieren würde. Ich war die Tochter der Pharaonen, ich würde den Thron von Ägypten besteigen - und ich liebte einen einfachen Soldaten meiner Palastwache. Die Götter hatten wirklich Sinn für Humor.
Mein Zeigefinger zeichnete liebevoll die Linie seiner Lippen nach, und da er lächelte, mußte er ebenfalls wach sein. Kurz darauf schlug er die Augen auf und blickte mich unergründlich an. Gleichzeitig konnte ich ein wenig Sorge in diesem Blick erkennen.
„Ich habe niemals geglaubt, daß es so genußvoll sein könnte, ein Versprechen einzulösen," sagte ich leise und strich mit der anderen Hand über seine vernarbte Pfeilwunde am Oberschenkel.
„Ich muß gestehen, daß ich fast erwartet habe, mit einem Messer in der Brust aufzuwachen," erwiderte er. „Schließlich habt Ihr Ramphis auf diese Weise getötet, vermute ich."
„Dann bist du wirklich ein sehr mutiger Mann," meinte ich mit einem Lächeln. „Ich sollte dich deswegen zum Kommandanten meiner Palastwache machen."
„Tut das nicht," bat er und setzte sich abrupt auf. „Man würde mich nur den ‚Kommandanten des Schlafgemachs' nennen, und das würde ich nicht ertragen."
„Du solltest dich hüten, mir je wieder übergroßen Stolz vorzuwerfen," spöttelte ich.
„Prinzessin, ich...," begann er, doch ich unterbrach ihn.
„Mein Name klang aus deinem Mund viel besser als dieses ewige ‚Prinzessin'."
Er errötete vor Verlegenheit. „Ich fürchte, ich bin sehr laut gewesen."
„Mir hat es gefallen. Ich mag keine Stille dabei," fügte ich noch hinzu und hätte mir im nächsten Moment fast die Zunge abgebissen. Mußte ich ihn denn unbedingt daran erinnern, daß ich inzwischen das war, was man eine recht erfahrene Frau nannte?
Prompt verzog er sein Gesicht auch wieder. „War Ramphis still?" wollte er mit einem aggressiven Unterton wissen.
„Nachdem ich ihn umgebracht hatte, schon," zog ich das Ganze ins Lächerliche.
„Vielleicht solltet Ihr mich doch auch zum Schweigen bringen," murmelte er, offenbar ein wenig peinlich berührt von seinem Eifersuchtsanfall. „Ich weiß zuviel und könnte Eure Position gefährden."
„Wahrscheinlich wäre es wirklich das Klügste," stimmte ich ihm zu. „Aber ich brächte es nicht übers Herz, dir in irgendeiner Weise weh zu tun."
Sein Blick war ungläubig, doch er wandelte sich schnell zu freudiger Erregung.
„Außerdem," fuhr ich fort, „würde mich eine solche Tat des großen Vergnügens berauben, mit dir zusammenzusein."
„Prinzessin! Amneris!" verbesserte er sich und riß mich in seine Arme. „Dann ist es also wahr, was ich mir immer erträumt habe? Daß Ihr mich... liebt?" fragte er das letzte Wort nur flüsternd, seinen Mund dicht vor meinen Lippen.
Ich zögerte einen Moment. Gab es ihm nicht vielleicht zuviel Macht über mich, wenn er es wußte? Jetzt war es gleichgültig, entschloß ich mich im selben Moment. Sollte es mir doch schaden, aber ich mußte es ihm einfach sagen, sonst würde ich platzen.
Ich sah ihm tief in die braunen Augen und nickte langsam.
XXX
Das war die Geschichte meiner Rache. Morgen werde ich offiziell den Thron von Ägypten besteigen, der mir bei all diesen Ereignissen beinahe zufällig in die Hände fiel, ohne daß ich es je geplant hätte.
Man scheint ganz zufrieden damit zu sein, wie ich das Land regiere. Meine Verhandlungen mit Äthiopien gehen voran, so daß wir wohl bald einen formellen Frieden schließen können.
A-himes habe ich zu meinem persönlichen Leibwächter ernannt, obwohl ich gestehen muß, daß er meinen Leib nicht nur bewacht, sondern auch ganz andere phantastische Dinge damit anstellt. Er ist in dieser Beziehung wirklich begabt.
Er ist immer in meiner Nähe, wenn ich ihn brauche, doch er mischt sich niemals in meine Staatsangelegenheiten ein. Es interessiert ihn zwar, was ich tue, aber er versucht nicht, Einfluß darauf zu nehmen, was ich ihm hoch anrechne. Jeder andere Mann hätte versucht, Vorteile aus seiner Position zu schlagen, doch er nicht.
Er hat es mir nicht einmal gestattet, ihm einen höheren Rang zu verleihen, denn er möchte, daß ich ihn als das nehme, als das ich ihn lieben gelernt habe. Als einfachen Soldaten.
Morgen ist es also soweit, daß ich vor den Augen der ganzen Welt meinen Thron besteigen werde. Auch wenn ich dies niemals geplant hatte, werde ich es natürlich nach den offiziellen Feierlichkeiten mit meinem einfachen Soldaten feiern.
Ich muß gestehen, daß ich, da ich mir ja nun auch schon über die Thronnachfolge Gedanken machen muß, mir bereits überlegt habe, ob ich zur Feier des Tages nicht das Mittel, das ich von der Frau in dem Bordell erhielt, absetzen sollte...
