Chapter 8: Hilfe und der Weg zurück

In der Menschenmenge, die sich durch den Kansai International Airport drängte, war es schwer eine einzelne Person ausfindig zu machen und der junge Mann, der soeben aus Tôkyô gekommen war, verfluchte sich selbst dafür, nicht den Shinkansen genommen zu haben.

Doch die Dringlichkeit seines Aufenthaltes in Ôsaka hatte ihn dazu gebracht, das schnellere Verkehrsmittel zu wählen.

Erst wenige Stunden lag das Telefonat zurück und Shinichi hatte es während des Fluges mehr als einmal Revue passieren lassen.

Eigentlich wollte er nur hierher kommen, um seinem Freund, der offensichtlich mit der Situation überfordert war, zu helfen. Dass er nun aber durch diesen Fall auch die Männer in Schwarz wieder sehen würde, brachte das Adrenalin in seinem Körper zum rasen.

So vieles hatte er diesen Kerlen zu „verdanken". Sie hatten sein Leben von einer Sekunde auf die andere auf eine sehr unangenehme Weise umgekrempelt und damit nicht nur ihm, sondern auch den Menschen, die er liebte, Schmerz und Trauer beschert.

Schnell schüttelte Shinichi die Gedanken an seine Zeit als Conan Edogawa ab. Jetzt ging es nicht um ihn!

Zwar war bis jetzt noch nicht bewiesen, dass diese Kerle in Schwarz hinter der Ermordung des Kommissars und Kazuhas Verschwinden steckte, aber allein die Tatsache, dass sich offensichtlich ein Mitglied dieser mysteriösen Organisation am Treffpunkt Heijis und Kazuhas aufgehalten hatte, genügte, um Shinichi in Alarmbereitschaft zu versetzen.

Sicherlich ging es seinem Freund genauso. Nur war dieser um einiges emotionaler in den Fall verwickelt, als der junge Mann aus Tôkyô,

Für ihn war Kazuha „nur" eine Freundin, für Heiji hingegen war sie das Wichtigste. Ebenso der Kommissar, den Heiji tot in dessen Arbeitszimmer vorgefunden hatte. Shinichi hatte diesen Mann nur ein paar Mal getroffen, noch dazu als Conan. Heiji aber war mit dem Vater seiner Freundin aufgewachsen und die Beziehung zwischen den beiden schätzte Shinichi als nahezu väterlich ein.

So gesehen hatte er verglichen mit Heiji einen gewissen Abstand zu dem Fall, der nun vor ihnen lag.

Mühselig schob er sich Richtung Ausgang und war froh darüber, nur mit einer Tasche gereist zu sein, die er als Handgepäck bei sich tragen konnte. So blieb ihm zumindest das Warten an der Gepäckausgabe erspart.

Als er sich dem Ausgang näherte blickte er sich suchend um. Irgendwo hier wollte Heiji auf ihn warten, doch so sehr er sich auch den Hals verrenkte, er konnte seinen Freund nirgendwo entdecken. Also setzte Shinichi seinen Weg fort.

„Wahrscheinlich wartet Hattori draußen", überlegte er und trat durch eine der Türen auf den Vorplatz des Flughafens.

Auch hier herrschte Gedränge, jedoch von einer anderen Art. Shuttlebusse und Taxen beförderten Passagiere vom Flughafen in die Stadt und umgekehrt, etwas weiter links von ihm schrie ein kleines Mädchen und klammerte sich an eine Frau, die verzweifelt bemüht war, die Kleine, Shinichi vermutete, dass es ihre Tochter war, zu beruhigen.

Einen Moment lang beobachtete der Detektiv die beiden und fragte sich unwillkürlich, ob sie eine gemeinsame Reise antraten und das Kind weinte, weil es sein geliebtes Kuscheltier vergessen hatte, oder ob dies eine Abschiedsszene war und das Mädchen schlicht weg nicht von seiner Mutter getrennt werden wollte. Shinichi tippte auf Letzteres, denn eine ältere Frau stand neben den beiden und redete nun auf das Mädchen ein, während sie sie vorsichtig von der jungen Frau wegzog und tröstend in den Arm nahm.

„Da biste ja!", keuchte eine Stimme neben ihm und als Shinichi den Kopf von dem Geschehen zu seiner Linken abwand und vor sich sah, blickte er in ein Gesicht, das ihm zugleich vertraut und fremd war.

Kein Zweifel. Der junge Mann, der vor ihm stand und nach Luft schnappte war sein Freund und Detektiv-Kollege Heiji Hattori. Aber so hatte er den jungen Mann noch nie gesehen. Heijis Augen waren glasig und ohne Glanz, es war keine Spur mehr von dem Schalck, der normalerweise dort blitzte und auch die Entschlossenheit, die Shinichi so oft bei der gemeinsamen Aufklärung von Fällen in ihnen gesehen hatte war verschunden. Stattdessen kündeten dunkle Ringe unter den Augen von Sorge und zu wenig Schlaf in den vergangenen Stunden.

Mitleid überkam Shinichi, als er seinen Freund so sah und es schien ihm, als sei mit Kazuha auch ein Teil Heijis verschunden. Eben jener Teil, den er so an ihm schätzte und manchmal auch bewunderte. Shinichi konnte nicht anders. Bevor er sich bewusst dazu entschieden hatte, hatte er seinen Freund schon in die Arme geschlossen. Zuerst schien Heiji von der plötzlichen Umarmung überrumpelt und blieb einfach nur steif stehen, doch dann brach alles über ihn herein. Er sah wieder den toten Kommissar. Das Blut, das aus dessen Brust floss und die starren Augen, die auf ihn gerichtet waren. Die Angst um Kazuha drängte sich erneut in sein Bewusstsein, vermischte sich mit den Bildern, die ihn wohl sein Leben lang verfolgen würden. Mit einem Mal war alles zu viel für den jungen Mann und er ließ sich in die Arme seines Freundes fallen, schluchzend und hilfesuchend.

Vorsichtig und auf jedes Geräusch achtend schlich sich Kazuha durch die labyrinthartigen Straßen. Immer wieder blieb sie stehen und blickte sich ängstlich um, doch von ihren Verfolgern hatte sie seit der Flucht aus der Lagerhalle nichts mehr gesehen oder gehört, dennoch traute sie dem Frieden nicht. Wer konnte ihr schon garantieren, dass sich diese Männer nicht hier herum trieben und nach ihr suchten?

Es war schon mehr als ein Tag seit ihrer Flucht vergangen und vermutlich suchten die Männer in Schwarz nun in einer anderen Gegend der Stadt nach ihr. Vielleicht lauerten sie an Plätzen, die Kazuha für gewöhnlich aufsuchte, wie ihre Schule oder ihr Zuhause.

Dies war auch der Grund, warum das Mädchen noch nicht die grauen Straßen am Rande Ôsakas hinter sich gelassen hatte. Ihre derzeitige Umgebung war zwar kühl und trist, aber sie vermittelte ihr eine gewisse Geborgenheit. So seltsam es auch klingen mochte, sie fühlte sich hier sicher, auch wenn sie sich nach ihrem Zuhause und vor allem nach etwas warmem zu essen und einem Bett sehnte. Die vergangene Nacht hatte sie in dem alten Fabrikgebäude verbracht, doch an Schlaf war aus Angst vor Entdeckung nicht zu denken und so hatte sie, in einer Ecke des Büros, an die Wand gelehnt gewartet, bis die Sonne ihre ersten schwachen Strahlen durch die staubigen Fenster warf und hatte sich dann aus ihrem Unterschlupf geschlichen.

Fröstelnd lief sie nun durch die Straßen, unschlüssig, ob sie es wagen sollte, in die Stadt zurück zu kehren. Ihr Bauch sprach in diesem Punkt eine klare Sprache und sie wusste, dass sie bald etwas essen und trinken musste, wenn sie nicht einen Schwächeanfall erleiden wollte. Doch konnte sie in ihrem derzeitigen Zustand und um diese Zeit einfach durch die Stadt laufen? Konnte sie sich mit dem verbluteten T-Shirt in einen Bus setzten, ohne die Blicke und unangenehme Fragen auf sich zu ziehen?

Und wo sollte sie überhaupt hin? Es war nicht klug nach Hause zu fahren, wenn dort die Männer in Schwarz auf sie warten könnten. Also blieb ihr nur den Weg direkt zur Polizei. Dort wäre sie sicher und vermutlich suchten eh schon Polizisten nach ihr. Außerdem würde sie dort ihren Vater wieder sehen und endlich die quälende Stimme in ihrem Kopf loswerden, die ihr immer wieder zuflüsterte: „Dein Vater wird sterben." Sie würde ihren Vater umarmen und all die schrecklichen Dinge wären vergessen.

Beflügelt von diesem Gedanken erreichte sie die Zubringerstraße, die, einer Ader gleich, das abgelegene Industriegebiet mit dem Herzen der Stadt verband und sie zurück in die Wirklichkeit und weit fort von diesem Albtraum bringen würde.