Epilog

Ein sanfter Wind ließ die Blätter der Bäume ringsum rascheln und strich über das Gesicht der jungen Frau. Friedliche Stille umhüllte diesen Ort und gab Kazuha ein Gefühl der Geborgenheit. Nicht einmal die Erinnerungen an jene schrecklichen Ereignisse konnten ihr hier etwas anhaben. Kein Zorn, kein Hass, nichts Negatives störte die Harmonie.

Kazuhas Augen wanderten gen Himmel und sie lächelte angesichts des strahlend hellen Blautons, der nur von einigen wenigen, wie Watte aussehenden, Wolken unterbrochen wurde. Die Sonne, die nach dem kalten und regnerischen Winter wieder genug Kraft gesammelt hatte, schickte ihre Strahlen zur Erde und hinterließ auf Kazuhas Haut eine wohlige Wärme. Mit geschlossenen Augen saß sie auf der alten Holzbank, hörte den Vögeln zu, die um sie herum zwitscherten, und dem Rauschen in den Baumkronen. Ein fremdes Geräusch mischte sich in die Symphonie der Natur. Zuerst leise, dann kam es näher. Kazuha erkannte es als das Knirschen der Kieselsteine, mit denen der Weg ausgelegt war, und öffnete blinzelnd ihre Augen, gerade rechtzeitig, um die Gestalt des Mannes zu erblicken, der nun direkt vor ihr stand. Sein großer schlanker Körper schirmte die Sonne ab und im ersten Moment konnte sie sein Gesicht im Gegenlicht nicht sehen. Trotzdem lächelte sie, wissend, dass er es erwiderte und schloss wieder ihre Augen. Sie spürte sein Gewicht, als er sich neben sie auf die Bank setzte, fühlte seinen Arm, den er zärtlich um ihre Schulter legte und ließ es zu, dass er sie zu sich zog.

„Ich hab' dich gesucht", unterbrach er schließlich die Stille, während er eine ihrer Haarsträhnen durch seine Finger gleiten ließ.

„Und du hast mich gefunden", erwiderte sie mit einem Lächeln. „Ist auch kein Wunder", fügte sie hinzu, „wenn man ein so guter Kommissar ist." Ihr Lächeln wurde zu einem Grinsen, als sie seine Reaktion sah. Er wusste, dass er gut war, das hörte er jeden Tag, aber wenn sie es sagte…Es machte ihn stolz. Unglaublich stolz.

Zärtlich strich er ihr die Haare, die der Wind ihr ins Gesicht wehte, zurück, beugte sich vor und küsste ihre Stirn.

„Wir sollten langsam gehen. Meine Eltern warten", sagte Heiji und stand auf. Kazuha tat es ihm nach und ihre Hände fanden einander automatisch, ihre Finger verhakten sich.

Kazuha lächelte, lächelte den ganzen Weg aus dem Park hinaus bis zu seinem Auto. Heiji bemerkte es und fragte sich, was der Grund war, doch er wollte sie nicht danach fragen. Es war schön, dass sie wieder so glücklich sein konnte.

Nicht, dass sie sonst traurig wäre, nein. Aber heute war wieder dieser besondere Tag und in den vergangenen zwei Jahren hatte sie an diesem Tag nie gelächelt. Sie hatte sich in ihrem Zimmer verkrochen und mit niemandem sprechen wollen.

Im ersten Jahr hatte ihn seine Mutter darauf vorbereitet, ihn gewarnt, er solle Kazuha an diesem Tag in Ruhe lassen, für sie da sein, aber sie nicht ärgern. Und so hatten sie gemeinsam am Grab ihrer Eltern gesessen, ohne ein Wort zu wechseln. Immer wieder hatte sie angefangen zu weinen und er hatte sie in den Arm genommen, sie an sich gezogen, aber kein Wort war über seine Lippen gekommen. Selbst wenn er etwas hätte sagen wollen, er hatte einfach nicht gewusst, was. Was konnte schon Trost spenden?

Kurz danach war Kazuha wieder wie immer. Sie hatte gelacht, sich mit ihm gestritten. Bis zum zweiten Jahrestag. Am Abend zuvor waren sie noch zusammen ins Kino gegangen, hatten viel gelacht, aber als Heiji am nächsten Morgen zu ihr ging, fand er sie mit glänzenden Augen vor. Dieser Anblick hatte ihn erschreckt. Stand er doch in einem so krassen Kontrast zu dem Mädchen, von dem er sich nur wenige Stunden vorher verabschiedet hatte.

Sie waren wieder zum Grab gegangen, Kazuha hatte geweint, er hatte sie getröstet, sie umarmt und ihr beruhigende Worte ins Ohr geflüstert. Mit einem Mal hatte er gewusst, was er sagen musste.

Und nun war schon wieder ein Jahr vergangen. Als Heiji am Morgen aufgewacht war und die schlafende Gestalt Kazuhas neben sich sah, befürchtete er, dass sie auch heute wieder weinen würde. Er hatte sich beeilt, heute früher fertig zu werden, aus Sorge um sie. Umso überraschter war er, als er sie auf der Bank fand und keine Spur von Tränen in ihrem Gesicht war.

Während der Autofahrt zum Haus seiner Eltern warf er Kazuha immer wieder Seitenblicke zu, aber an ihrem Lächeln änderte sich nichts. Sie musste wirklich glücklich sein, und die Frage, wie es kam, dass sie am Jahrestag nicht in Tränen ausbrach, drängte sich immer mehr auf. Aber er beherrschte sich. Vielleicht würde sie ihm von selbst erklären, was los war, und wenn nicht….nun, er würde es überleben, einmal nicht die Lösung eines Rätsels zu finden.