Kapitel 1: Ein chaotischer Start
Langsam tauchte Harry wieder aus der
schwärze auf und registrierte als erstes ein weiches Bett, auf
dem er lag. Dann hörte er eine aufgehende Tür und ein
plötzliches Gewicht auf seinen Beinen, ließ ihn auffahren
und die Augen aufreißen.
"Was zum...", flüsterte
er, als er seinen Gegenüber ansah. Vor ihm saß die
Elfjährige Version seiner Mutter, obwohl...seine Mutter hatte
grüne Augen, wie er. Ihm strahlten aber braune entgegen.
"Morgen
du Trantüte, jetzt komm schon, aufstehen! Heute geht's endlich
nach Hogwarts", grinste das Mädchen ihm entgegen.
Harry
brachte nur ein nicht sehr geistreiches "Hä", zustande.
"Sag
bloß du träumst noch. Oh man. Heute ist der erste
September und in knapp zwei Stunden fährt der Hogwarts Express
ab, und du sitzt hier seelenruhig in deinem Bett und träumst vor
dich hin", meinte das Mädchen vorwurfsvoll.
"Hey ihr
zwei, kommt endlich runter, wir wollen frühstücken", rief
eine Frauenstimme plötzlich. Harrys Kopf schnellte herum. Das
war die Stimme, die er von seiner Begegnung mit den Dementoren her
kannte. Die Stimme seiner Mutter! Es hatte geklappt. Seine Eltern
lebten noch. Aber wer war das Mädchen, dass gerade von seinen
Füßen sprang und zur Tür lief.
"Jetzt komm schon
Brüderchen. Schlafen kannst du auch noch im Zug", grinste sie
und war verschwunden.
Brüderchen! Er hatte eine
Schwester! Vollkommen verwirrt stand Harry auf und schlurfte zum
Kleiderschrank in der Ecke. Im Spiegel stutze er erneut. Da stand ein
kleiner, schmächtiger Junge mit zerzaustem, rabenschwarzen Haar
und smaragdgrünen Augen. Ohne Narbe und ohne Brille? Wie war
denn das möglich? Was ihn aber am meisten stutzen ließ
war, dass der Junge vor ihm nicht älter als Elf sein konnte.
Irgendwas musste schief gelaufen sein. Er wollte doch nur wissen, was
gewesen wäre, wenn Neville der Auserwählte geworden wäre.
Warum war er dann auf einmal wieder ein Kind?
"Wenn du hier
weiter dämlich rumstehst wirst du's nie erfahren", brummte
Harry vor sich hin, öffnete den Schrank und zog sich an.
Dann
verließ er vorsichtig sein Zimmer.
"So, was jetzt?"
fragte er leise sich selbst. Er stand in einem langen Flur mit
mehreren Türen. Und wo war jetzt bitteschön die Küche,
oder das Esszimmer. Je nach dem.
"Jetzt komm schon", hörte
er plötzlich das Mädchen sagen, dass auf einmal neben ihm
stand und ihn am Arm nach rechts zerrte. Seufzend ließ er sich
hinterher ziehen. Sie wusste wenigstens, wo es lang ging.
Sie zog
ihn bis ans Ende des Flures und eine Treppe runter. Dann auf eine
offene Tür zu. Hinter der Tür lag die Küche. Harrys
Herz machte einen Freudensprung. Da saß sein Vater am Tisch und
las Zeitung. Seine Mutter stand an der Küchenleiste und werkelte
vor sich hin.
Als Harry und das Mädchen den Raum betraten sah
James auf.
"Morgen ihr zwei. Und schon aufgeregt?"
"Und
wie, obwohl, Harry scheint noch zu schlafen, so wie er heute morgen
drauf ist", grinste das Mädchen breit.
Harry blinzelte nur
ein paar mal verwirrt.
"Wie, keine Widerworte. Entweder du
träumst wirklich noch oder du bist krank", meinte Lily mit
warmer Stimme, drehte sich um und nahm ihren Sohn mal genau unter die
Lupe.
"Obwohl, krank siehst du nicht aus. Fühlst du dich
schlecht?"
Harry schüttelte nur den Kopf. Nicht fähig
auch nur ein Wort hervor zu bringen.
"Das macht die Nervosität,
Liebes. Glaub mir, sobald er im Zug sitzt ist er wieder ganz der
Alte", grinste James.
"Na wollen wir's hoffen", brummte
Harrys Schwester und ließ sich auf einen der Stühle
fallen. "Sonst wird's in Hogwarts nur halb so lustig."
"Na
komm schon, setzt dich und iss endlich. Wir müssen bald los,
wenn wir den Zug noch erreichen wollen", meinte Lily und schob ihn
auf einen der Stühle zu. Langsam setzte Harry sich hin und
beobachtet seine Familie. Es schien alles so normal. Er kannte es so
nicht und wusste plötzlich nicht, wie er sich verhalten sollte.
Sein Blick wanderte unsicher von Lily zu James. Seine Eltern. Sie
lebten. Und sie schienen glücklich zu sein. Aber wie sollte er
sich jetzt ihnen gegenüber verhalten? Oder wie sollte er mit
seiner Schwester umgehen?
/Idiot, daran hättest du auch
vorher denken können, schallte er sich innerlich selbst.
"Was
ist denn? Magst du nichts?" fragte ihn Lily besorgt. Harry hatte
nicht einen Bissen gegessen.
"Keinen Hunger", nuschelte
er.
"Aber Harry, du musst was essen. Wenigstens ein bisschen",
meinte Lily seufzend.
Harry schüttelte nur vehement den
Kopf.
"Lass ihn doch, Lily. Er kann ja im Zug was essen", warf
James beschwichtigend ein. "Ich habe früher auch nichts runter
gebracht, wenn ich nervös war."
Lily seufzte schwer. "Na
wenn du meinst."
Harry blieb während des gesamten
Frühstücks stumm. Seine Blicke wanderten unsicher zwischen
den Mitgliedern seiner Familie hin und her.
Vielleicht würde
er sich in Hogwarts später sicherer fühlen. Wie die anderen
jetzt wohl auf ihn reagierten. Jetzt wo er kein Held war. Jetzt wo er
normal war. Snapes Verhalten würde sich ihm gegenüber
sicher nicht ändern. Er hasste Harry, weil James sein Vater war,
und wenigstens dieser Gedanke, gab ihm etwas von seiner Sicherheit
zurück.
Würden Ron und Hermine ihn trotzdem mögen?
Würde er mit Malfoy trotzdem Feindschaft schließen? Wie
würde sich Hagrid ihm gegenüber verhalten? Oder Dumbledore
und die anderen Lehrer?
Bei dem Gedanken an seine Lehrer stutzte
er. Erstes Schuljahr. Verteidigung gegen die dunklen Künste.
Quirrell. Der Stein der Weisen. Voldemort. Na toll.
Ob Neville es
wohl mit Voldemort aufnehmen könnte? Im stillen beschloss Harry
ihm zu helfen. Dazu müsste er Freundschaft mit ihm schließen.
Na ja. Neville war nett und eine ehrliche Haut. Zumindest in seiner
Zeit. Hoffentlich hatte sich das nicht geändert.
"Komm
schon, Harry. Wir müssen los", hörte er seinen Vater
neben sich sagen. Er war so in seinen Gedanken versunken gewesen,
dass er gar nicht bemerkt hatte, wie seine Mutter und seine Schwester
aufgestanden waren.
"Komme", meinte Harry nur, stand auf und
folgte seinem Vater in den Flur, wo er sich ein paar Schuhe und eine
Jacke anzog. James holte währenddessen aus einem angrenzenden
Zimmer ein kleines Stück Metall, auf dem Kings Cross, Gleis 9 ¾'
stand.
"Nehmt Eure Koffer, dann können wir los", lächelte
Lily. Harry griff nach dem Koffer, den seine Schwester liegengelassen
hatte. Dann meinte James.
"Und jetzt alle die Plakette
berühren."
Harry seufzte innerlich tief. Portschlüssel.
Wie er sie hasste.
Gezwungenermaßen berührte er den
Portschlüssel vor sich. Ebenso wie seine Mutter und seine
Schwester.
"Na dann. Kings Cross, Gleis 9 ¾.", sagte
James, nachdem er kontrolliert hatte, ob auch alle den Portschlüssel
berührten.
Das Harry allzu bekannte ziehen am Bauchnabel
setzte ein und bevor er sich versah stand er mit seiner Familie auf
dem Gleis 9 ¾. Vor sich die rote Lok des Hogwarts
Expresses.
"Na also. Wir haben jetzt noch eine viertel Stunde,
bevor der Zug abfährt. Sucht euch schon mal ein Abteil",
lächelte James Harry und seine Schwester an.
Diese nickte nur
und zog den Schwarzhaarigen hinter sich her in den Zug.
Die
meisten Abteile waren schon belegt. Dann kamen sie in ein noch fast
leeres Abteil. Nur ein Junge saß dort und blickte unsicher aus
dem Fenster. Harry erkannte ihn sofort. Es war Neville. Er riss sich
von seiner Schwester los und ging auf den verängstigt wirkenden
Neville zu.
"Hallo. Dürfen wir uns setzen? Der restliche
Zug ist schon fast voll", lächelte er.
Neville blickte
verunsichert auf. Sah erst ihn, dann seine Schwester an. Dann nickte
er zaghaft.
"Ich hole schnell Mum und Dad mit unserm Gepäck",
meinte seine Schwester. Dann drehte sie sich um und rannte zu Lily
und James zurück um ihnen mitzuteilen, das sie einen Platz
gefunden hatten.
"Wie heißt du?", fragte Harry Neville.
Immer noch lächelnd. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie
Neville sich in diesem Moment fühlen musste.
"Neville
Longbottem", antwortete der Junge leise.
"Ich bin Harry
Potter. Freut mich", lächelte Harry ihn aufmunternd
an.
"Harry, hilf mir mal. Die Koffer sind verdammt schwer",
rief seine Schwester von der Tür her. "Und Mum und Dad wollen
sich noch verabschieden."
"Bin gleich wieder da", meinte
Harry und ging zu seiner Schwester. Der Zug würde in ein paar
Minuten abfahren.
Lily ermahnte ihre Kinder noch, brav zu sein und
zu schreiben, wenn irgendwas wäre. Dann nahm sie beide in den
Arm.
James wünschte ihnen nur viel Spaß in Hogwarts und
fügte zwinkernd hinzu, dass sie das mit dem brav sein vergessen
können, worauf hin er sich einen bösen Blick seiner Frau
einfing. Dann schlossen sich die Zugtüren.
Harry zog seinen
Koffer Richtung Abteil. Seine Schwester folgte ihm.
"Hi. Da sind
wir wieder. Ich bin Ginger, aber alle nennen mich Gin und meinen
Bruder hast du ja schon kennen gelernt. Wer bist du?" fragte das
Mädchen fröhlich nach, nachdem sie ihre Koffer endlich ins
Abteil gezerrt hatten.
"Das ist Neville. Wir haben uns schon
bekannt gemacht", meinte Harry und setzte sich Gegenüber von
Neville auf den Sitz. Seine Schwester, Ginger, setzte sich neben
ihn.
"Ich freue mich schon richtig auf Hogwarts. Du auch?"
fragte Gin, ohne weiter auf das einzugehen, was Harry gesagt hatte.
Neville nickte nur leicht.
"Ich hoffe ich komm nach Gryffindor.
Mum und Dad waren auch in Gryffindor. Das wird sicher lustig.",
grinste Gin weiter. Harry machte sich mental eine Notiz, dass seine
Schwester wohl gerne viel redete.
"Gryffindor?" fragte Neville
leicht verwirrt. Er wirkte irgendwie von Gingers Worten
erschlagen.
"Ja, das ist eines der vier Häuser. Weißt
du das nicht?" fragte Gin interessiert weiter.
"Nein."
"Bist
du ein Muggelgeborener?"
"Weiß nicht, ich bin im
Waisenhaus aufgewachsen", nuschelte Neville.
"Oh, das tut mir
leid. Und deine Familie? Ich meine...", begann Gin wieder zu
plappern. Harry, der bemerkte wie unangenehm Neville das ganze war,
schnitt ihr das Wort ab.
"Jetzt lass ihn doch erst mal Luft
holen. Soll ich dir das mit den Häusern erklären?"
Gin
sah Harry beleidigt an und verschränkte demonstrativ die Arme
vor der Brust.
"Ja, bitte", meinte Neville nur.
"Also. Es
gibt vier Häuser, wie die Plaudertasche neben mir schon erzählt
hat. Zum einen Gryffindor. Man sagt Gryffindors wären besonders
mutig. Dann Ravenclaw. Wer dort hinkommt ist vor allem anderen sehr
wissbegierig. Dann gibt's noch Hufflepuff. Soll angeblich ein
ziemlich bunt zusammengewürfelter Haufen sein. Und dann noch
Slytherin. Da waren die meisten, die sich Voldemort angeschlossen
haben", erklärte Harry.
Neville bekam große
Augen.
"Du nennst ihn beim Namen?"
"Natürlich. Warum
sollte man sich vor einem Namen fürchten. Das furchterregende
ist das, was hinter dem Namen steht. Vor allem hat mich bis jetzt
noch kein Blitz als grausame Strafe getroffen, weil ich Voldemort
gesagt habe. Oder", grinste Harry.
Seine Schwester schielte ihn
nur leicht verwirrt an. Irgend etwas schien ihr gar nicht zu passen.
Sie sagte aber nichts.
"Stimmt. Ich habe nur gehört, dass
die meisten zu viel Angst haben, seinen Namen auszusprechen."
"Und
du? Nennst du ihn beim Namen?" klinkte Gin sich ins Gespräch
ein.
"Ja", meinte Neville und sah sie an.
"Hey, was ist
denn das?" fragte sie verwirrt und zeigte auf Nevilles Stirn. Sein
Pony verdeckte den Großteil der Narbe, allerdings war die
untere Spitze zu erkennen.
"Meine Narbe", nuschelte Neville
und zeigte Gin und Harry leicht unsicher die Blitzförmige Narbe.
In Harry keimte Mitleid auf. Er selbst wusste nur zu gut, wie Neville
sich jetzt fühlen musste.
"Cool. Du bist Neville
Longbottem", meinte Gin.
"Ja", antwortete Neville
unsicher.
"Mum und Dad haben wahnsinnig viel von den Longbottems
erzählt. Mum meinte, das es schade ist, das deine Eltern
gestorben sind. Sie sollen wahnsinnig nette Menschen gewesen
sein."
"Ihr kanntet meine Eltern?"
"Unsere Eltern waren
befreundet. Wir kennen sie von Bilden und Erzählungen", meinte
Gin. "Dad hat sogar mal erzählt, dass wir drei am gleichen Tag
geboren wurden. Ist doch lustig, oder?"
"Ihr seid Zwillinge?
So seht ihr aber nicht aus."
"Sind ja auch keine Eineiigen
Zwillinge", grinste Gin.
Noch bevor Neville etwas sagen konnte,
ging die Abteiltür auf und Harry erkannte Draco Malfoy, der
selbstsicher eintrat.
"Sieh an. Es stimmt also. Neville
Longbottem kommt nach Hogwarts", meinte er mit überheblicher
Stimme. "Ich heiße Draco Malfoy."
Harry rollte nur
genervt mit den Augen. Wenigstens Malfoy war noch das gleiche
Arschloch wie früher.
"Schon mal was von Höflichkeit
gehört", giftete Gin ihn an. Malfoy hatte weder ihr noch Harry
auch nur eine Blick zugeworfen.
"Ich kann mich nicht erinnern,
mit dir geredet zu haben", meinte Draco nur.
"Und ich kann
mich nicht erinnern, dir erlaubt zu haben rein zu kommen", giftete
Gin weiter.
Harry ließ sich nur aufstöhnend in den Sitz
zurück fallen. Mit so einer Schwester konnte das Schuljahr ja
heiter werden. Neville lächelte Harry nur aufmunternd an.
"Is
die immer so?", fragte er leise.
"Meistens", brummte Harry
zurück und kassierte für die Bemerkung einen Stoß in
die Rippen.
"Du sollst mir helfen und mir nicht in den Rücken
fallen", rief Gin empört.
"Kommst doch auch prima alleine
klar", meinte Harry nur, während er sich die Schmerzende Seite
rieb.
"Verräter."
"Wenn du meinst", meinte Harry.
Seine Schwester ging ihm definitiv auf die Nerven, auch wenn sie
sonst ganz nett war. Dann wandte er sich an Malfoy. Vielleicht sollte
er versuchen, hier einen Neuanfang mit dem Blonden zu machen.
"Ich
bin Harry Potter und das brutale Mädchen neben mir ist meine
Zwillingsschwester Ginger", stellte Harry sich und seine Schwester
vor.
Der Blonde grinste, auf Grund der ihm gebotenen Vorstellung
von eben, leicht und meinte dann an Harry gewandt.
"Draco
Malfoy. Mein Beileid zu so einer Schwester."
"Danke",
grinste Harry schief zurück.
Von Gin war nur ein empörtes
"Hey", zu hören.
Malfoy setze sich zu Harry und Neville.
Den Rest der Zugfahrt redeten die drei Jungen ruhig miteinander, ohne
auf gelegentliche Einwürfe von Gin zu achten.
/Das war der
verrückteste Start in ein Schuljahr, den ich je hatte./ dachte
Harry sich im Stillen, als der Zug sein Ziel erreicht hatte, und alle
vier ausstiegen.
