Die Haarspange hatte ihn dazu gebracht wieder bestimmte Stellen in Berlin abzulaufen. Orte, die für wichtige Stationen ihrer Beziehung standen. Er hatte sie in den letzten Jahren gemieden. Zu sehr schmerzte ihn die Erinnerung, zu sehr wollte er sich endlich von Lisa lösen. Es war ihm nicht gelungen. Für Rokko Kowalski hatte es ein paar flüchtige Affären gegeben, aber nie wieder etwas ernstes. Es ärgerte ihn, dass der bloße Gedanke, Lisa könnte wieder in Berlin sein, ihn so nervös werden ließ.

Erst spät kam er an diesem Abend in seine Wohnung und schimpfte darüber, dass irgendeiner der Nachbarn wieder Papier vor seiner Wohnungstür hatte fallen lassen. Er bückte sich, um es aufzuheben und sah schon in der Bewegung, dass es sich um seine eigene Handschirft handelte. Im Geiste entschuldigte er sich bei seinen Nachbarn und nahm das Papier mit in seine Wohnung. Er konnte sich nicht erinnern etwas in dieser Größe verfasst zu haben. Also faltete er den Zettel auf und erkannte einen Brief. Rokko schluckte. Das Papier war abgegriffen und viele Male gefaltet worden. Es genügte ihm ein Blick darauf, um zu wissen, was er da in den Händen hielt. Er schielte nur auf die letzten Zeilen, um sich zu vergewissern.

(...) Meine Lisa, mein Liebe, ich will für immer für dich da sein. Für dich sorgen, dich lieben, unseren Kindern ein guter Vater sein und dir ein guter Ehemann. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um dich zur glücklichsten Frau der Welt zu machen: in guten wie in schlechten Tagen dir zur Seite stehen, dich lieben und ehren.

Für immer

Dein Rokko

Rokko faltete den Brief wieder ganz zusammen und ließ ihn auf seinen Tisch fallen. Er wusste noch genau, wann er den Brief geschrieben und Lisa überreicht hatte. Nach dem er ihr den Ring seiner Großmutter angesteckt hatte, hatte er ihr auch den Brief gegeben. Er hatte all seine Gefühle zu Papier bringen wollen, damit Lisa immer etwas hatte, was sie daran erinnerte, wie sehr er sie immer lieben würde, auch wenn ihm etwas passieren sollte. Und nun lag eben dieser Brief vor seiner Wohnungstür. Rokko nahm den Brief erneut in seine Hände und roch daran. Lisa. Der Brief roch nach Lisa. Sie musste ihn lange bei sich getragen und oft gelesen haben. Der Brief hatte einige Knicke, das Papier war weich und die Schrift bereits etwas veblasst. Aber wie um alles in der Welt kam es, dass er plötzlich zu Rokko zurückkehrte - fünf Jahre nachdem er geschrieben worden war? War Lisa hier gewesen? Hatte sie ihn verloren? Oder spielte ihm jemand einen bösen Scherz? Nein, der Brief versprühte erkennbar Lisas Duft. Den würde er auch noch nach 20 Jahren erkennen.

Erst die Haarspange. Nun der Brief. Rokkos Herz begann wild zu klopfen. Lisa war zurück in Berlin und kleine Zeichen wiesen darauf hin. Egal, ob sie sie bewusst oder unbewusst gelegt hatte. Das Schicksal wollte es so. 'Das Schicksal' - Rokko musste traurig schmunzeln. Er erinnerte sich, wie er darüber gescherzt hatte, damals im Planetarium. Das Schicksal hatte Lisa schon zwei Mal zu ihm geführt und sie ihm auf grausame Weise wieder entrissen. Ein drittes Mal würde er das nicht überleben. Rokko stand von der Couch auf, nahm den Brief und legte ihn in die Schachtel, in dem bereits die Haarspange lag. Er veschloss sie und und packte sie in eine Schublade. Nur weit weg damit.