Rokko hatte noch einen Moment gezögert, bevor er hinein getreten war. Lisa hatte ihn mit den Augen angefleht, jetzt keinen Rückzieher zu machen. Etwas wichtiges musste ihr am Herzen liegen. Als sie die Tür hitner ihm geschlossen hatte, nahm sie ihm den Mantel ab und bat ihn mit in die Küche zu kommen.
"Kaffee?"
"Gern."
Mehr sprachen sie nicht, als Lisa den Kaffee bereitete. Rokko sah sich in der kleinen, hellen Küche um. Ein Ernie lag auf dem Boden und am Kühlschrank waren bunte Magnete. Er erkannte den Tigerentenmagneten, den sie einst gemeinsam gekauft hatten. Er wandte seinen Blick ab, als Lisa eine Tasse vor ihm abstellte. Langsam setzte sie sich auf den Stuhl gegenüber von ihm und blickte ihm in die Augen. Sie schien sein Gesicht abzusuchen.
"Du siehst müde aus", stellte sie fest und sah besorgt aus.
"Die Arbeit", log er und wusste, dass es nur die halbe Wahrheit war. Lisa sollte nicht wissen, dass sie ihm noch immer den Schlaf rauben konnte. "Und, wie geht's dir?"
"Gut, danke. Ich bin erst seit ein paar Wochen in Berlin zurück."
Rokko nickte nur und nahm wieder einen Schluck von seinem Kaffee. "Du heißt wieder Plenske?"
Warum sollte er nicht gleich zum Punkt kommen? Das Smalltalk-Geplänkel macht ihn wahnsinnig.
"Ja, wir haben uns vor drei Jahren scheiden lassen." Lisa stockte und sah zu Boden. Dann blickte sie ihn wieder an. "Rokko, deswegen wollt ich auch mit dir reden-"
"Mama?"
Rokko blickte zur Tür. Ein kleiner Junge stand darin und kam auf Lisa zu in die Küche getapst. Er war wohl um die vier Jahre alt: dunkle Locken, braune Augen - und hatte so gar keine Ähnlichkeit mit David. Rokko erinnerte sich an ein Foto von sich als kleiner Junge, auf dem er genau so aussah... Lisa, die den Kleinen auf den Arm genommen und mit einem Kuss begrüßt hatte, bemerkte Rokkos Blick. "Ich wollte es dir sofort sagen, als ich es wusste.. aber David... er hätte es nicht ertragen. Hat er ja auch nicht, als klar war, dass... dass Janosch dein Sohn ist."
"Mein Sohn?"
Lisa nickte.
"Aber.. wie? Ich meine... " Rokko wusste nicht, was er sagen sollte. Lisa hatte ihm so eben verkündet, dass er einen Sohn hatte. Ein Kind, von dem er vier Jahre nichts gewusst hatte! Die Gefühle in ihm überschlugen sich. Er rang nach Worten. "Warum jetzt, Lisa? Warum erzählst du mir erst jetzt, dass ich einen Sohn habe?", fragte er leise, aber bestimmt und sah sie noch immer ungläubig an. Tiefe Falten bildeten sich auf seiner Stirn. Janosch war derweil vom Schoß seiner Mama gehüpft und ins Bad getapst. "Warum hast du es bisher nicht für nötig gehalten mir von unserem Kind zu erzählen? Unser Kind, Lisa! Auch wenn du mich nicht geliebt hast - ich hatte ein Recht, es zu erfahren. Sogar David wusste, dass Janosch mein Sohn ist." Lisa blickte ihn stumm an. "Warum hast du mir das große Glück genommen, ihn aufwachsen zu sehen? Ach, warte, ich weiß schon: dir war es immer egal, wie es mir bei alledem ging. Erst hast du mich immer wieder vor den Kopf gestoßen. Dann hast du mich verlassen, weil der große David Seidel dir endlich seine Liebe gestanden hatte. An unserem Polterabend.. du hast ihn geküsst! Und trotzdem wollte ich dich heiraten, weil ich verzeihen konnte. Du hattest mir geschworen, dass das nichts zu beudeten hatte. Und als ich dir mein Ja-Wort gegeben hatte, hast du mich wie einen Vollidioten vor dem Altar stehen lassen. All das hatte ich dir verziehen. Aber das du mir mein eigenes Kind vorenthälst... Lisa, das hätte ich dir nicht zugetraut."
Rokko war trotz der aufgeregten Worte aus Rücksicht auf Janosch in der Tonlage ruhig geblieben. Mit einem letzten Blick auf Lisa, die ihn mit Tränen in den Augen ansah, nahm er seinen Mantel und verließ die Wohnung. Er hielt es nicht mehr aus. Zu viel hatte sich mit einem Schlag in seinem Leben geändert. Rokko Kowalski hatte einen vierjährigen Sohn! Mit Lisa Plenske! Ausgerechnet Lisa. Mit einem großen Knall war sie in seinem Leben zurück und erwartete... ja, was erwartete sie eigentlich? Erwartete sie überhaupt etwas von ihm?
