Als sie Lisas Wohnung betreten und ihre Schuhe ausgezogen hatten, ergriff Janosch sofort Rokkos Hand und zog ihn hinter sich her in sein Kinderzimmer. Janosch holte prompt all sein Lieblingsspielzeug hervor. Er wollte seinem Papa seine Bausteine zeigen, den LKW, den er von Opa Bernd bekommen hatte, seine Dinosaurierbücher, und seine Kindergitarre. Rokko hockte leicht überfordert vor seinem Sohn und sah sich alles lächelnd an.
"Kannst du denn Gitarre spielen?" wollte Rokko wissen und Janosch grinste. Er nahm die Gitarre verkehrt herum in den Arm und begann zu spielen. Rokko grinste von einem Ohr zum anderen. Es war schief, klar, aber er war in diesem Moment so unendlich stolz auf seinen kleinen Sohn, der so wild die Saiten bearbeitete. Dann hörte er plötzlich auf und sah Rokko an, als ob ihm gerade etwas eingefallen war.
"Mama sagt, Papa spielt 'tarre."
"Ich?"
Janosch nickte wild und seine Locken flogen durch die Luft.
"Okay", grinste Rokko und nahm die Gitarre von seinem Sohn. Er versuchte sie zu stimmen und überlegte derweil, ob er ein Kinderlied kannte. Dann fiel ihm eins ein. Er begann die Melodie zu zupfen und Janosch, der es erkannte, begann laut dazu zu singen. Rokkos Herz hüpfte und er lachte und sang mit seinem Sohn.
"Hey, was ist denn hier los?"
Lisa stand lachend in der Tür. Ihre Augen strahlten. Janosch lief auf sie zu und erzählte ihr aufgeregt davon, dass sein Papa wirklich Gitarre spielen konnte. Rokko beobachtete, wie Lisa Janosch liebevoll durch die Locken wuschelte und ihn schon mal in die Küche schickte. Sie sah Rokko unsicher an und biss sich verlegen auf die Lippe.
"I-ich hab Kaffee gekocht und Kuchen ist auch da, wenn du magst... "
Rokko stand vom Boden auf und strich seine Hosen glatt. "Kaffee und Kuchen konnte ich ja noch nie ausschlagen." Er lächelte und folgte ihr in die Küche. Janosch war gerade dabei die Milch aus dem Kühlschrank zu holen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Tüte auf den Tisch zu stellen und hüpfte dann zu Rokko, nahm seine Hand und zog ihn mit sich zum Tisch. Janosch wies ihm den Platz direkt neben seinem zu. Lisa setzte sich gegenüber von ihnen auf einen Stuhl. Rokko guckte sich auf dem liebevoll gedeckten Tisch um. Auf Janoschs Teller waren ein großer Bär und sein kleiner Bärensohn zu sehen.
"Das bist du, Papa!" sagte Janosch und zeigte grinsend auf den großen Bären.
Rokko wuschelte ihm durch die Locken. "Und der Papabär hat dich sehr lieb, mein Kleiner."
"Hast du Mama denn auch lieb?" wollte Janosch nun wissen. "Tom sagt, dass sein Papa seine Mama ganz doll lieb hat und Tom einen Bruder bekommt. Ich will auch einen Bruder. Und Mama kann ganz tollen Kuchen backen! Du musst Mama lieb haben!"
Lisa hielt die Luft an und starrte Rokko mit großen Augen an. Der schluckte, blickte Janosch an und sah dann zu Lisa.
"Dein Papa kann selbst die leckersten Kuchen backen", warf Lisa schnell ein und versuchte ein Lächeln.
"Dann muss Papa einen Kuchen für uns backen!" rief Janosch und hüpfte aufgeregt auf seinem Stuhl auf und ab.
Rokko räusperte sich. "Klar, irgendwann mal", sagte er leise und versuchte, nicht Lisa anzusehen.
Lisa dachte an den Abend zurück, an dem Rokko ihr einen Kuchen gebacken hatte - weil David sie mal wieder tief verletzt hatte. Und Rokko? Der war ihr nicht von der Seite gewichen, obwohl sie ihm mehrmals gesagt hatte, er solle sie in Ruhe lassen. Statt dessen hatte er den matschigsten und zugleich leckersten, weil am liebevollsten gebackenen Kuchen für sie gezaubert. Lisa musste schmunzeln, als sie daran dachte, wie sie den Kuchen "glasiert" hatten. Als sie aufsah, bemerkte sie, dass Rokko ebenfalls schmunzelte. Sie hoffte, dass er noch wusste, wie sie David weggeschickt hatte, um mit Rokko allein zu sein. Nachdenken konnte sie darüber nicht lang, denn schnell zog Janosch wieder alle Aufmerksamkeit auf sich.
Nach dem Kaffee musste Rokko mit Janosch einen Turm bauen, einen ganz großen, Pirat spielen und ihm etwas vorlesen. Später war Janosch in Rokkos Armen eingeschlafen, als sie sich "Findet Nemo" angesehen hatten. Lisa hatte sich den ganzen Nachmittag über in ihr Zimmer verzogen, um Rokko den nötigen Freiraum zu geben, Janosch wirklich kennenzulernen. Aber als sie zufällig am Wohnzimmer vorbeikam und Janosch und Rokko auf der Couch sah, da musste sie ihre Kamera holen. Rokko bemerkte sie lange nicht. Als er sah, dass sie Fotos machte, lächelte er direkt in die Kamera. Dann legte Lisa die Kamera weg und setzte sich neben Rokko - sie hatte gezögert, aber sie konnte sich auch nicht ewig verstecken. Lisa streichelte sanft über Janoschs Gesicht. Der Kleine wurde langsam wach und lächelte schon wieder, kaum dass er die Augen aufgeschlagen hatte. Er krabbelte in Lisas Arme, die ihn in die Küche trug. Rokko folgte ihnen. Gemeinsam aßen sie Abendbrot und als sie fertig waren, brachte Rokko seinen kleinen Janosch ins Bett. Natürlich musste er ihm noch eine Geschichte vorlesen und ihm versprechen, dass er morgen wieder da sein würde. Rokko liebte seinen Sohn sehr und hätte ihm alles versprochen. Ein letztes Mal wuschelte er zärtlich durch Janoschs Haar und schloss dann vorsichtig die Tür hinter sich.
Als Rokko aus Janoschs Zimmer kam, war Lisa damit beschäftigt die Teller abzuwaschen. Rokko nahm sich ein Geschirrtuch und trocknete sie ab.
"Du musst nicht-"
"Ich helfe aber gern", lächelte er.
Sie standen eine Weile stumm nebeneinander in der Küche - Lisa mit dem Abwasch beschäftigt, Rokko mit dem Abtrocknen. Es gab so viel, was sie zu besprechen hatten und beide spürten den ungemeinen Druck dessen, was ungesagt war zwischen ihnen. Rokko entschied sich für eine unverfängliche Aussage.
"Janosch ist ein toller Junge."
Lisa sah ihn an und lächelte. "Er hat ja auch einen tollen Vater." Dann blickte sie schnell wieder zu Boden. "Er ist dir sehr ähnlich", fuhr sie fort. "Er malt gern. Die Gitarre hab ich ihm schon vor zwei Jahren gekauft, weil ich gehofft hab, dass er dein musikalisches Talent geerbt hat."
"Hat er", lachte Rokko und strahlte Lisa an.
"Janosch wusste immer, dass du sein Vater bist. Ich hab ihm vom ersten Tag an Bilder von dir gezeigt und ihm alles erzählt, was ich von dir wusste. Er hat auch Lieblingsgeschichten."
"Welche denn?"
"Das erzähle ich dir irgendwann mal."
Lisa grinste ihn verschmitzt an und Rokko grinste zurück. Fasst war es wie früher, als sie sich necken konnten, ohne dass etwas tragisches zwischen ihnen stand. Sie wussten, dass sie noch einen langen Weg zu gehen hatten.
Nachdem alle Teller verstaut waren, verabschiedete sich Rokko. Lisa brachte ihn zur Tür.
"Danke, dass du hier warst. Das war wichtig für Janosch. Und... und auch für mich."
"Danke, dass du mich teilhaben lässt."
Sie lächelten und Rokko winkte zum Abschied, dann war er weg und Lisa schloss langsam die Tür hinter sich. Sie holte die Digitalkamera hervor und schloss sie an den PC an, um die Bilder zu laden, die sie an diesem Tag von Rokko und Janosch gemacht hatte.
"Ach, Rokko... wenn du wüsstest..." seufzte Lisa und ließ sich in ihrem Stuhl zurückfallen.
