Der Krieg ging vorbei, und viele Spanier kehrten aus Italien zurück. Dieser durchaus gerechte Krieg hatte viele von ihnen ihr irdisches Gut gekostet, und so, Du wirst Dich erinnern, war unser Kloster aus Barmherzigkeit gezwungen, die armen Menschen mit Almosen zu versorgen. Legionen von ihnen zogen am Kloster vorbei, klopften und verlangten unsere Hilfe.

Einige Jahre, nachdem Rafael zu uns gekommen war, klopfte eine Frau an die Pforte. Bruder Twix, der an diesem Tag den Pförtnerdienst versah, meldete mir, daß diese Frau mit Fra Melitone sprechen wolle. Selbstverständlich gehört es zu den Pflichten eines Klostervorstehers festzustellen, von wem die Mönche besucht werden, zumal wenn es sich dabei um eine Frau handelt. Ich ließ sie also in mein Arbeitszimmer kommen.

Sie war groß und mußte einmal eine sehr schöne Frau gewesen sein, nicht in der Art wie Leonora di Vargas, sondern in einer sehr irdischen, sündhaften Weise. Doch jetzt war ihr Haar stumpf, ihre Augen glitzerten fiebrig, das Gesicht was eingefallen und die ganze Gestalt abgemagert.

»Was kann ich für dich tun, meine Tochter?«

»Ich bin nicht deine Tochter,« fauchte sie mich an. »Und ich will mit Fra Melitone sprechen.«

»Nicht; bevor ich weiß, was du willst,« beharrte ich. Ihre Reaktion schockierte mich, da ich nicht damit gerechnet hatte, in dieser Weise behandelt zu werden. Man brachte normalerweise Respekt gegenüber meiner Position auf. »Wer bist du?«

»Preziosilla.«

»Und weiter?«

»Nichts weiter.«

»Was willst du von Melitone?«

»Ich will mit ihm sprechen. Wir kennen uns aus Italien.«

»Ich lasse niemanden zu einem Mitbruder, wenn ich nicht weiß, weshalb.«

»Was will ich schon von einem Priester?« Geduld gehörte anscheinend nicht gerade zu ihren Tugenden. »Ich will wissen, ob es Sinn macht, eine Beichte abzulegen, oder ob ich mir das sparen kann.«

»Meine Tochter, es macht immer Sinn zu beichten und zu bereuen, denn Er sieht alles.«

»Ich hoffe, Er ist nicht zu sehr errötet,« gab sie bitter zurück.

Ich konnte es nicht unterdrücken, ein Kreuz zu schlagen bei ihrer Blasphemie.

»Schlag nur dein Kreuz, Padrino,« spottete sie. »Ich denke, es kann nichts schaden, und ob es etwas nützt, werde ich wohl erst in einigen Monaten wissen.«

»Wirst du sterben müssen?«

»In welcher Welt lebst du, daß du das nicht siehst?« fuhr sie mich an. »Schon einmal etwas von einer Krankheit namens Syphilis gehört ?«

Syphilis, die Geißel, die Gott denjenigen auferlegt, die unaussprechlich gesündigt haben, das Wort allein ließ mich tatsächlich zusammenzucken.

»Jetzt habe ich dich schockiert, was?« Sie lachte leise. »Na, ich vermute, daß es in den Mauern dieses Klosters solcherlei Abgründe nicht gibt.«

Ich schluckte eine Bemerkung hierzu herunter.

»Und daher muß ich mit Melitone sprechen. Er war in Italien, er kann es verstehen, er kennt Carlos und den Indianer.« Ihre Stimme nahm einen drängenden Unterton an.

Ich zuckte erneut zusammen. »Sprecht Ihr von Don Carlos di Vargas und Don Alvaro de las Moras?«

»Dieses Kloster scheint ja doch nicht so abgeschieden zu sein, wie ich bisher vermutet habe, wenn diese Geschichten sogar schon an dein frommes Ohr gelangt sind.« Sie lachte wieder. »Wenn du schon die Geschichte kennst, kann ich sie natürlich auch dir erzählen. Wer mir zuletzt erzählt, ich sei verdammt, ist mittlerweile auch gleichgültig.

Ich bin eine Zigeunerin und für mein Volk ganz normal in einem Wagen geboren worden, der gerade auf dem Weg zwischen Barcelona und Tarragona war. Ich bin fast überall in Spanien gewesen, bevor ich fünfzehn Jahre alt wurde.

Dann verliebte ich mich in einen jungen Soldaten aus Navarra. Mein Stamm war natürlich gegen eine Verbindung mit einem Nichtangehörigen unseres Volkes. Also brannte ich mit dem Jungen durch. Er war damals alles für mich, heute weiß ich wenig mehr über ihn als seinen Namen José. Wir waren ein knappes Jahr zusammen, aber da ja aus ersten Lieben selten etwas wird, ebensowenig übrigens wie aus zweiten und dritten, verliebte ich mich sehr bald neu.

Sein Name war Ramon, und er spielte in der Militärkapelle das Horn, aber seine wahre Liebe gehörte dem Gitarrenspiel. Wir trafen uns, als er gerade auf der Gitarre spielte, und ich einfach so begann, dazu zu singen. Wir waren vom ersten Moment an verliebt und sogar fest entschlossen zu heiraten und ein ganz gewöhnliches Leben zu führen.

Aber wir schoben unsere Heirat dann doch immer weiter nach hinten, denn zum Teil fehlte das Geld, zum anderen ließen sich Ramons Vorgesetzte endlos lange Zeit mit der Erlaubnis für die Heirat. Dann jedoch endlich nach zwei Jahren hatten wir einen Termin gewählt, das Aufgebot bestellt und die Erlaubnis in der Tasche.

Zwei Tage vor der Hochzeit geriet Ramon auf dem Exerzierplatz zwischen die Hufe eines durchgehenden Pferdes.« Preziosillas Stimme klang sehr flach. »Er war kaum wiederzuerkennen, als sie das Pferd endlich fortzerrten. Dort wo einmal sein Kopf gewesen sein mochte, war nur noch eine unbestimmbare Masse von Blut, Knochen und Gehirn...

Später in Italien, im Krieg, habe ich eine ganze Reihe solcher Toten gesehen, aber damals... Es war das erste Mal, daß ich etwas derartig entsetzliches sah. Es dauerte Wochen, bis ich in der Lage war zu weinen, und zwei Monaten, bis ich irgendeine Entscheidung für mein Leben treffen konnte.

Ich war allein, ich hatte kein Geld, und neben der Arbeit in Tavernen bot sich höchstens noch an, Männern für Geld meinen Körper zu überlassen.

Da sprach mich Capitàn Mendoza an, Ramons Vorgesetzter, der sich offensichtlich dafür verantwortlich fühlte, daß Ramon mich nicht hatte heiraten können, da sich die Erlaubnis so lange verzögert hatte. Er bot mir an, daß ich für das Rekrutierungsbüro für den Krieg in Italien neue Soldaten werben sollte. Da ich nur wenig Alternativen sah, stimmte ich zu.

Fast ein Jahr zog ich durch die Tavernen des Landes, ich rekrutierte Männer in Barcelona, Valencia, Cordoba, Madrid und Sevilla, und immer auf die gleiche Weise.

Ich sprang mit dem Schrei „Es lebe der Krieg!" mitten unter die in der Taverne sitzenden Männer und trug ein kleines heuchlerisches Lied über das wundervolle Soldatenleben vor, und wie unpatriotisch es doch wäre, sich nicht zu melden. Es war so albern, aber es wirkte, besonders wenn ich von großen Karrieren als Offizier aus Händen las. Ich verstand mich auf diese Kunst, die ich von meiner Mutter und meiner Großmutter gelernt hatte, aber in keiner der vielen Hände sah ich eine ruhmreiche Karriere. In vielen Händen las ich Tod und in noch mehr Elend, aber nirgendwo Glück...

Und dann kam es in der Gegend von Sevilla zu der Begegnung, die dafür verantwortlich ist, daß ich jetzt hier in diesem Zustand bin.

Wie üblich sprang ich unter die Menge und begann zu singen. Dabei fiel mir sehr deutlich auf, daß sich jemand unter den Männern befand, der nicht zu den übrigen Anwesenden zu passen schien. Dazu war seine Kleidung zu elegant, und sein Gesichtsausdruck zeigte mit deutlich, daß auch er sich bewußt war, daß er nicht hierher gehörte.

Außerdem fiel mir auf, daß er mich nur mit einem sehr beiläufigen Blick bedachte, denn normalerweise verschlangen mich die Männer mit den Augen. Also konzentrierte ich meine Bemühungen auf diesen Mann, der mich mit spöttischer Distanz musterte.

Mit dem letzten Ton des Liedes ließ ich mich provokativ auf den Schoß des Fremden fallen.

„Und was bleibt übrig für den Studenten?" fragte er mich mit einer sonoren Baritonstimme und streckte mir die Hand hin.

Ich betrachtete die Handfläche und beschloß, zum ersten Mal an diesem Abend die Wahrheit zu sagen. „Du wirst Furchtbares erleben."

„Was meinst du?" fragte er leise.

„Mein Mund lügt niemals," antwortete ich geheimnisvoll. „Aber du, mein Teuerster. Ich glaube dir kein Wort, du bist kein Student."

Er zuckte sichtlich zusammen, also hatten mich meine Augen nicht getäuscht.

„Ich werde nichts sagen, mein Freund, aber so leicht bin ich nicht hinters Licht zu führen." Ich sprang von seinem Schoß und setzte zu noch einer Strophe meines Liedes an.

Doch in diesem Moment war von Ferne ein Gesang von irgendeiner Pilgergruppe zu hören. Ich brach ab und machte eine halb spöttische Geste des Bedauerns.

Aus dem Hinterzimmer der Taverne trat ein hübscher Junge mit fahrigen Bewegungen, der offenbar sehr nervös zu sein schien.

Der angebliche Student wandte den Blick von mir ab und dem hübschen Jungen zu. War sein Blick bei mir beiläufig und distanziert gewesen, so nahm er nun die Haltung an, die Männer sonst hatten, wenn sie mich mit den Augen auszogen.

Für einen Moment drang ein Knurren aus meiner Kehle. So war es also. Dieser Student mochte also Jungen. Ich habe damit sonst keine Probleme, aber in diesem Fall... Mir wurde bewußt, daß ich selbst an diesem Mann interessiert war und nun Enttäuschung verspürte.

Also verzog ich mich in eine Ecke und beobachtete, wie der Student sich erhob und zu dem Jungen hinüber gehen wollte. Mir erschien es, als würde der Junge zusammenzucken. Auf jeden Fall zog er sich nach hinten in das Hinterzimmer wieder zurück. Der Student wollte ihm folgen, aber ihm trat Trabucco in den Weg, ein Maultiertreiber, den ich schon früher in anderen Gegenden Spaniens getroffen hatte.

„Und dieses Persönchen, das Euch begleitet," begann der Student, als er sah, daß Trabucco ihn nicht vorbeilassen würde, „ist es zum Fest gekommen?"

Trabucco zuckte die Schultern, und ich wurde aufmerksam. Ich kannte ihn als einen sehr redseligen Kerl, und sein Schweigen zeigte mir sehr deutlich, daß er etwas zu verbergen hatte.

„Ist es ein Hahn oder eine Henne?" forschte der Student weiter.

„Mich interessiert nur, ob mich einer bezahlt," murrte Trabucco.

„Sehr klug." Der Student wandte sich an den Alcalden des Ortes. „Ihr habt ihn doch kommen sehen. Warum will er wohl nicht mit uns essen?"

„Keine Ahnung," erwiderte der Alcalde.

„Er ist doch zierlich und ohne Bart, nicht wahr?" bohrte der Student nach. „Und er soll Wasser und Essig verlangt haben zur Erfrischung."

„Na, und?" Der Alcalde wandte sich ab.

Erneut versuchte der Student, Trabucco auszuhorchen, doch dieser erhob sich einfach und verkündete, er würde im Stall bei den Maultieren schlafen, da bräuchte er keine dummen Fragen mehr zu beantworten.

Daraufhin schlug der Student vor, man solle doch dem Jungen einen Bart anmalen, damit man genau sehen könnte, ob es sich um ein Männlein handelte. Ich habe so den Verdacht, daß er durch diesen Vorschlag nur einen Vorwand suchte, um sich dem Jungen nähern zu können.

Diesmal trat ihm der Alcalde in den Weg. „Ich schütze die Reisenden und lasse es nicht zu. Sagt mir lieber, wer Ihr seid."

„Oh, das ist kein Geheimnis." Der Student lachte leise. „Mein Name ist Pereda, ich bin Student der Rechte in Salamanca. Mein Freund Don Carlos di Vargas holte mich aus der Universität und brachte mich nach Sevilla, wo der Geliebte seiner Schwester, ein Fremder, den Vater meines Freundes, den Marquès di Calatrava getötet hatte. Don Carlos als ein Mann von Ehre hatte Rache geschworen. Wir verfolgen den Mörder und die Schwester bis nach Cadiz, aber dort verlor sich die Spur. Man erzählte sich, die Schwester sei umgekommen und der Mörder weiter auf der Flucht. Don Carlos schwor, den Mörder weiter zu verfolgen und reiste nach Amerika in dessen Heimat, während ich zu meinen Studien zurückkehrte."

Ich wußte vom ersten Wort an, daß er log. Es war überdeutlich, daß ich nicht irgendeinen Pereda vor mir hatte, sondern niemanden anderen als Don Carlos di Vargas persönlich. Das gab ich ihm auch sehr deutlich durch ein paar kurze Fragen zu verstehen.

Er starrte mich mit einer Mischung aus Erschrecken und Ärger an. Offenbar gefiel es ihm gar nicht, daß ich seine Verkleidung durchschaut hatte. Da in diesem Moment gerade der allgemeine Aufbruch begann, machte ich einen ironischen Knicks vor dem Studenten, um ihm eine „Gute Nacht" zu wünschen.

Statt jedoch darauf zu reagieren, bot er mir schlicht und ergreifend den Arm. „Möchtet Ihr mich in mein Zimmer begleiten?"

Mein Geist fragte sich sofort, was er damit bezweckte, während mein Körper hoffte, daß ich mich getäuscht hatte, und sein Interesse an dem Jungen anderer Natur war. „Warum nicht?" Ich schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und nahm den Arm.

Er führte mich nach oben in sein Zimmer; daß es das beste im Haus war, bewies mir, daß er ganz sicher kein Student war, wo diese doch immer knapp bei Kasse sind. Dort schloß er die Tür und blickte mich an. „Du hast mir kein Wort geglaubt, nicht wahr?"

„Nein, aber du mußt auch zugeben, daß deine Geschichte etwas dünn ist, Don Carlos di Vargas," erwi­derte ich.

„Ich darf doch hoffen, daß mein kleines Geheimnis bei dir sicher ist," meinte er mit einer anerkennenden Verbeugung. „Unter meinem wirklichen Namen könnte ich Tavernen wie diese nicht aufsuchen."

„Warum sollte ich etwas verraten, mein hochwohlgeborener Herr?" Ich ließ mich rückwärts auf sein Bett fallen.

Carlos schien sich unbehaglich zu fühlen, denn er öffnete die Tür wieder. „Nachdem dies also geklärt ist, kann ich dir getrost eine 'Gute Nacht' wünschen."

„War das alles?" Ich setzte mich auf.

„Bitte?"

„Du hast mich nur hier herauf gebracht, weil du dich meines Schweigens versichern wolltest?" Ich konnte es nicht fassen.

„Selbstverständlich." Er hatte auf einmal eine Arroganz an sich, die zuvor nicht da gewesen war.

„Dann hatte ich also vorhin doch recht, als du diesen Jungen so angestiert hast," fauchte ich ihm entgegen. „Du bist anscheinend nicht in der Lage, mit einer Frau fertigzuwerden, weil zu kein richtiger Mann bist."

Mit einer abrupten Bewegung schloß er die Tür wieder, legte die Schritte zum Bett zurück, packte mich bei den Schultern und stieß mich zurück in die Kissen. Sofort hatte er meinen Rock in die Höhe geschoben und fiel über mich her.

Es ging zu schnell, und er war zu roh, als daß es gut sein konnte. Er kam zum Ende und wollte von mir ablassen, doch ich war nicht bereit, ihm das zu erlauben.

Ich umklammerte ihn mit meinen Beinen und zwang ihn liegenzubleiben. „So, nun hast du dir also bewiesen, daß du ein Mann bist," sagte ich. „Nun beweise es mir."

Für einen Augenblick dachte ich, er würde sich losreißen oder mich schlagen, aber nach einem unendlich langen Moment begann er, sich erneut zu bewegen, und diesmal war es fast perfekt.

„Biest," murmelte er, als er von mir abließ.

„Weshalb?" fragte ich. „Man muß als Frau in dieser Welt darauf achten, daß man nicht zu kurz kommt, mein Freund."

„Wenn alle Frauen so denken würden, wäre diese Welt längst ein Tollhaus." Er machte eine abwehrende Handbewegung. „Ach, was, Frauen sollten überhaupt nicht denken."

Ich warf ihm statt einer Antwort nur einen sehr spöttischen Blick zu.

„Wenn meine Schwester nicht der Ansicht gewesen wäre, sich über die Gesetze unserer Klasse hinwegzusetzen und sich in diesen Indianer zu verlieben, wäre nicht diese Schande über meine Familie hereingebrochen," erklärte er heftig. „Ein Indianer, mein Gott!"

„Es ist natürlich ein himmelweiter Unterschied, ob deine Schwester einen Indianer liebt, oder du eine Zigeunerin in deinem Bett hast," entgegnete ich sarkastisch.

„Selbstverständlich ist das ein Unterschied." Die ganze Arroganz seiner Herkunft lag in seiner Stimme. „Erstens bin ich ein Mann, und zweitens habe ich ganz sicher nicht vor, dich zu heiraten."

„Eher würde ich mich auch erschießen," bemerkte ich. „Im übrigen halte ich dich für einen ziemlichen Heuchler, Carlos di Vargas."

„Tradition kann niemals Heuchelei sein," knurrte er. „Ich denke, es ist besser, wenn du jetzt gehst."

„Ja, das finde ich auch," meinte ich, stand auf und brachte meine halb ausgezogene Kleidung wieder in die richtige Position. „Leb wohl, Racheengel." Ich drehte mich um und verließ das Zimmer.

Jetzt wünsche ich mir, daß ich damit auch Don Carlos di Vargas für immer verlassen hätte, doch dem war nicht so.

Nur ein paar Wochen später befand ich mich in einer Taverne irgendwo auf dem Weg nach Katalonien. Ich gab meine übliche Vorstellung, und als ich fertig war, nahm ich ein Abendessen ein. Statt des üblichen normalen Weines erhielt ich jedoch einen tiefschwarzroten Wein, der sicherlich zu dem teuersten gehörte, was es in dieser Taverne zu kaufen gab; und damit meine ich einschließlich der Frau des Wirtes.

Irritiert blickte ich den Wirt an. Ich hatte nicht vor, mir einen Wein zu leisten, für dessen Preis ich mindestens fünf Soldaten anwerben mußte.

„Der Wein ist von jenem Señor dort drüben," erklärte mir der Wirt und deutete auf einen Tisch, der sich im Schatten eines Alkovens befand.

Angestrengt blickte ich hinüber, konnte jedoch niemanden erkennen. Dann stand die Person auf, trat aus dem Dunkel, und ich erkannte Don Carlos di Vargas.

„Oh, welche Überraschung!" rief ich aus. „Der Señor Pereda."

„Ich hoffe, du weißt, daß ich für gewöhnlich einer Frau passendere Dinge schenke als ausgerechnet einen Krug Wein." Er verneigte sich vor mir. „Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?"

„Welch eine erstaunliche Wandlung," spottete ich. „Ein Grande von Spanien fragt eine Zigeunerin, ob er sich zu ihr setzen darf. Was machst du hier?"

„Ich bin auf dem Weg nach Italien," antwortete er meinen Spott ignorierend. „Der Mörder meines Vaters ist augenscheinlich auf dem Weg dorthin."

„Das freut mich für dich," erwiderte ich gleichgültig. Ich hielt es für ziemlich unsinnig, einen Mann wegen einer albernen Rache quer durch Europa zu verfolgen. „Was tut ein Indianer in Italien?"

„Ich vermute, er wird versuchen, dort irgendwo im Heer unterzukommen, wahrscheinlich als Reitknecht oder etwas in der Art."

„Meinst du wirklich, daß deine Schwester sich in einen Reitknecht verliebt hätte, Eure Hochmütigkeit? Sie scheint nicht gerade überragend klug zu sein, aber auch sie ist eine di Vargas." Ich grinste ihn an. „Ich denke nämlich, daß dein Standesdünkel in der Familie liegt."

Er warf mir einen kühlen Blick zu. „Das ist etwas, wovon Menschen deines Standes nichts verstehen."

„Wie gut, daß Ihr hochwohlgeborene Studenten da seid, damit ich Euch die ganzen schwierigen Dinge fragen kann." Ich funkelte ihn an, obwohl ich am liebsten mich selbst angefunkelt hätte. Verdammt, ich saß einem Mann gegenüber, der mich, meine Herkunft, meinen Stand und meine Lebensweise verachtete, und konnte doch nichts weiter tun, als ihn anzusehen. Etwas in mir zwang mich, in seiner Nähe zu bleiben.

„Wohin wirst du morgen gehen?" wollte er nach einer längeren Pause wissen.

„Valencia und dann Barcelona," antwortete ich.

„Dann werden wir uns wohl nicht wiedersehen."

„Du scheinst das zu bedauern." Mein dummes kleines Herz - damals hatte ich noch eines - klopfte laut.

„Nun, ich bin ein Mann, und du bist eine schöne Frau. Wie sollte ich es nicht bedauern?"

„Dein höfisches Getue kannst du dir bei mir sparen," erklärte ich. „Worauf willst du hinaus?"

„Ich frage mich, ob du daran interessiert wärest, unsere letzte Begegnung zu wiederholen."

Ich spürte in mir ein angenehmes Kribbeln. „Warum nicht? Schließlich bist du, wenn du willst, ein ganz passabler Liebhaber."

„Ich werde dir beweisen, daß ich mehr als passabel bin." Er griff nach meiner Hand und zog mich auf die Füße.

„Ich bin schon sehr gespannt." Ich verneigte mich ironisch vor ihm und ließ mich von ihm nach oben geleiten.

Ich habe niemals wieder eine solche Nacht erlebt. Carlos war unersättlich, er ließ mich kaum einen Moment zur Ruhe kommen, bevor er mich wieder an sich zog, als wenn er entfesselt gewesen wäre.

„Ich danke dir," sagte er, was mich irritierte, da ich nicht wußte, wofür er sich bedankte, und es auch das einzige Mal war, daß er es tat. „Würdest du mich begleiten?"

„Dich begleiten ? Wohin?"

„Nach Italien, auf der Verfolgung dieses Indianers."

„Warum sollte ich das tun?"

„Du könntest in Italien Geld verdienen als Anwerberin, ich hätte Gesellschaft, und es würde nicht auffallen, wer ich bin. Ich meine, dieser de las Moras erwartet, von mir verfolgt zu werden. Wenn ich zusammen mit einer Frau reise, wird niemand vermuten, wer ich bin."

„Das kommt ziemlich überraschend," begann ich.

„Ich würde mich freuen," murmelte er. „Diese ganze Verfolgung allein durchzustehen, zehrt an meinen Kräften."

Ich richtete mich halb auf und betrachtete ihn, bevor ich bestürzt zurück in die Kissen fiel. Es war geschehen, was niemals hätte geschehen dürfen; ich hatte mich in Don Carlos di Vargas, den Marquès di Calatrava, verliebt. Ich wußte, daß es albern war, daß er diese Liebe niemals erwidern würde, daß es keine gemeinsame Zukunft für uns gab, und doch ging ich mit ihm wie jedes gewöhnliche schwache Weib.

Wir reisten zusammen nach Italien, nächtigten in Tavernen, wo wir das Bett teilten, aber es war niemals eine so wilde Nacht wie die zweite darunter, die wir miteinander verbracht hatten.

In Venedig machten wir länger Station, denn irgendwo in dieser Stadt sollte sich Don Alvaro aufhalten. Carlos fand ihn nicht, dafür entdeckte ich an Carlos eine Seite, die ich erfolgreich verdrängt hatte. Die Zeit über, die wir in Venedig verbrachten, trank Carlos am Abend regelmäßig zuviel. Und immer, wenn er betrunken war, zog er los, um sich einen jungen Mann zu kaufen und mit ihm die Nacht zu verbringen.

Das erste Mal war ich wie vor den Kopf geschlagen; ich vergrub mich in meinem Bett und weinte, doch als es häufiger geschah, begann ich selbst, mich mit anderen Männern zu amüsieren, obwohl... Amüsieren ist nicht das richtige Wort. Ich konnte kein wirkliches Vergnügen daran finden, denn ich war an keinem dieser Männer tatsächlich interessiert. Ich tat es mehr aus einem dummen Rachegefühl heraus, was natürlich albern war. Ich hätte Carlos schon etwas bedeuten müssen, damit ihn meine Eskapaden hätten treffen können.

An einem Abend war ich wieder unterwegs. Auf einer verlassenen Piazza ganz dicht am Kanal stieß ich auf einen jungen Mann. Er war groß, beinahe hager, hatte langes schwarzes Haar und war zum Anbeißen attraktiv. Er hatte dieses ganz gewisse Etwas, das einen Mann unwiderstehlich macht für eine Frau - oder auch für andere Männer - und ich hatte mich gerade entschieden, in dieser Nacht ihm meine Gunst zu schenken, da stellte ich fest, daß dieser Mann wahrscheinlich nicht daran interessiert war.

Im Augenblick war er offenbar gerade damit beschäftigt, in den Kanal zu springen, um seinem Leben ein Ende zu bereiten.

Ich weiß nicht, ich war eigentlich immer der Meinung gewesen, daß ein Mensch sterben soll, wenn er es unbedingt will, aber aus irgendeinem Grund wollte ich es in diesem Fall verhindern.

Hätte ich damals gewußt, wer er war, ich hätte ihn auf jeden Fall springen lassen. So aber überredete ich ihn dazu, nicht zu springen. Oh, verdammt, was mich dieser Anfall von Mitgefühl letztendlich kostete!

An jenem Abend kehrte ich also allein in die Unterkunft, die Carlos und ich bewohnten, zurück. Ich dachte ernsthaft darüber nach, ihn zu verlassen, doch zu meinem Entsetzen mußte ich feststellen, daß es dazu bereits zu spät war. Mein Schicksal war bereits unwiderruflich mit seinem verbunden.

Somit hatte ich wohl keine andere Wahl, als Carlos so in den frühen Morgenstunden zu erwarten, als sei ich sein angetrautes Eheweib. Die ersten Male hatte ich noch wild getobt und ihm Vorwürfe gemacht, aber mittlerweile hatte ich resigniert. Was für einen Zweck hätte es gehabt? Wir waren zusammen, weil wir es wollten. Es gab kein Ehegelöbnis zwischen uns, und die Hoffnung, daß Carlos, daß Don Carlos di Vargas, der rechtmäßige Marquès di Calatrava, auf die Idee käme, eine Zigeunerin ohne einen Nachnamen zu seiner Frau machen würde, hatte ich niemals gehegt. Für soetwas bin ich schon immer zu realistisch gewesen.

Wir blieben noch eine ganze Weile in Venedig, so daß ich eigentlich schon die Hoffnung hatte, Carlos hätte seinen Racheplan endgültig aufgegeben, aber eines Tages kam er von einem Spaziergang zurück und blickte mich triumphierend an. „Preziosilla, ich weiß, wo sich dieser Indianer aufhält."

„Tatsächlich?" tat ich sehr gleichgültig.

„Ja, man sagt, er habe sich für die Armee anwerben lassen. Unter einem falschen Namen natürlich."

„Natürlich." Ich sah ihn scharf an. „Und wie lautet dieser Name?"

„Das habe ich noch nicht in Erfahrung bringen können, aber ich bekomme es bestimmt noch heraus."

„Carlos, ich hoffe doch, du wirst nicht diese Dummheit machen und dich freiwillig für diesen Krieg melden, oder?"

„Das, was du eine Dummheit nennst, meine Liebe, werde ich nicht begehen, da ich es bereits getan habe."

„Du mußt das bißchen Verstand verloren haben, was in deinem von Ehre und Tradition vernebelten Hirn verblieben ist," fuhr ich ihn an. „Wie willst du ihn unter all diesen Soldaten finden? Eher treibst du in einem Bordell eine Jungfrau auf."

„Ich habe mich dem Stab des Feldmarschalles zuordnen lassen."

„Und was passiert, wenn Alvaro dich erkennt?"

„Selbstverständlich werde ich nicht meinen wirklichen Namen benutzen. Ich habe mich als Don Felice de Bornos eingeschrieben."

„Was für ein gräßlicher Name!" murmelte ich entgeistert.

„Kommst du mit?" fragte er mich unvermittelt.

„Du willst mich mitnehmen? In ein Soldatenlager?" Eigentlich war ich der festen Überzeugung, daß Carlos den Verstand verloren hatte, aber die Tatsache, daß er mich tatsächlich bei sich behalten wollte, vernebelte mein Gehirn und verhinderte ein klares Denken. „Was sollte ich dort tun?"

„Mit mir zusammenleben," sagte er schlicht, und am liebsten wäre ich ihm gleichzeitig in die Arme gefallen und hätte ihn dafür erschlagen, daß er Hoffnungen in mir weckte, die er ganz sicher nicht erfüllen würde. „Außerdem könntest du doch Handel treiben als Marketenderin."

Ich konnte und wollte es immer noch nicht glauben, doch Carlos meinte es ernst. Er wollte den Mörder seines Vaters verfolgen, und dafür war ihm jedes Mittel recht. Ich glaube, er wäre über so ziemlich jede Leiche gegangen, wenn es dazu geführt hätte, Alvaro de las Moras in die Hände zu bekommen.

Wir verließen Venedig, und Carlos wurde tatsächlich Soldat. Lustlos folgte ich ihm. Ich teilte sein Quartier, aber ich führte kein eigenes Leben mehr. Ich war Carlos' Maîtresse, die nette Unterhaltung eines adeligen Offiziers. Ich begann, mich für meine eigene Schwäche zu verachten. Zuvor war immer ich die Starke, die Überlegene gewesen, aber seit ich mit Carlos zusammenlebte, war dies vorbei. Ich war so schwach wie nur irgendeine der Frauen, die ich bisher für ihre Schwäche verachtet hatte.

Carlos versuchte, Alvaro in jeder vorstellbaren Weise ausfindig zu machen, doch er hatte keinen Erfolg. Wenn sich Alvaro bei dieser Armee befand, dann irgendwo, wo er unseren Blicken verborgen blieb.

Eines Tages ließ Carlos sich zu den Truppen direkt an der Front versetzen. Er war frustriert über seine Mißerfolge und trank zuviel. Außerdem spielte er, und es gab Tage, an denen ich nicht wußte, wovon ich unser Essen bezahlen sollte. Natürlich, Carlos war der rechtmäßige Marquès di Calatrava, aber unter einem falschen Namen und im Feld würde er keinen Mann finden, der ihm Geld lieh.

Es war fast schon folgerichtig, daß es dazu kommen mußte.

Eines Tages kehrte Carlos in unser Quartier zurück, und in seinen Augen lag ein ganz eigenartiger Glanz, den ich nicht deuten konnte, der mir jedoch Angst machte. Gleichzeitig ging von ihm eine bestimmte Unbehaglichkeit aus, die in mir noch viel mehr Furcht auslöste.

„Preziosilla," sagte er zu mir, „pack deine Sachen."

Ich starrte ihn an. „Heißt das, du wirfst mich hinaus?" Mein Herz klopfte furchterregend laut.

„Ja," antwortete er kalt.

„Weshalb?" Meine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern.

„Du gehörst nicht mehr mir."

Ich wollte ihn anbrüllen, daß ich ihm niemals gehört hatte, brachte jedoch keinen Ton heraus. Außerdem wäre es eine Lüge gewesen, und was hatte es für einen Zweck, ihn und mich in dieser Situation anzulügen?

„Ich habe dich an einen anderen Offizier verspielt," sagte er schneidend.

Ich tastete nach dem nächsten Gegenstand, um mich daran festzuhalten. „Du... hast... mich... verspielt?" fragte ich sehr gedehnt.

„Ja."

„Du elender Bastard!" schrie ich ihn an und warf den ersten Gegenstand, den ich greifen konnte, es war ein Krug, in seine Richtung. Ich verfehlte ihn um eine Handbreit, aber das hinderte mich ganz und gar nicht daran, mit den Fäusten auf ihn loszugehen. Ich schlug ihn, trat nach ihm und warf ihm sämtliche schmutzigen Schimpfnamen an den Kopf, die ich in den Schenken gehört hatte.

Er wehrte sich nicht, versuchte nicht einmal, mich von sich zu stoßen, sondern blickte mich nur gefühllos an.

Es war dieser Blick, der mich dazu brachte, von ihm abzulassen. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu und griff nach meinen wenigen Habseligkeiten.

„Es ist im Zeltlager," sagte er flach.

„Was?" Ich fuhr herum und starrte ihn an.

„Das Zelt deines neuen Herrn."

„Oh, Carlos, was denkst du eigentlich, wer du bist? Du machst mich zum Einsatz eines Spiels und denkst, ich würde mich dem fügen? Nur weil du zufällig ein di Vargas bist, soll ich dir gestatten, mich zu verschachern? Du hättest mich in den letzten Monaten besser kennenlernen müssen." Ich raffte meine Sachen zusammen und stürzte aus dem Zimmer.

Doch schon nach ein paar Schritten wurde ich langsamer. Wohin sollte ich gehen? Ich hatte keinen eigenen Ort, an den ich hätte gehen können. Ich hatte immer nur bei Carlos gelebt, niemals woanders, seit ich Spanien verlassen hatte. Und was sollte ich nun tun? Ich hatte kein Geld. Carlos hatte alles verspielt.« Das Gesicht Preziosillas zeigte für einen Moment die Verzweiflung, die sie damals empfunden haben mußte, doch dann wurde ihre Miene wieder hart.

»Nun, ich befand mich in einem Lager voller Männer, meine Selbstachtung befand sich dank Carlos auf dem Tiefpunkt, und ich konnte Männer dazu bringen, mich zu begehren. Was lag also näher, als das zu werden, wofür Carlos mich sowieso zu halten schien... Eine Hure. Warum sollte ich mir dann nicht auf diese Weise mein Geld verdienen?

Die ersten Male waren schrecklich, doch danach ging es. Eine Frau kann sich an fast alles gewöhnen.

Immerhin konnte ich es fast zu einer Berühmtheit im Armeelager bringen. Ich hatte genügend Kunden, um davon leben zu können, und ich unterhielt mich des öfteren mit Melitone, dem Lagergeistlichen. Er war anders als andere Priester, verurteilte mich nicht, und hin und wieder konnte ich mich revanchieren, wenn er sich einen ungünstigen Moment aussuchte, um eine Predigt zu halten. Dann mußte ich die Soldaten davon abhalten, ihn zu verprügeln, indem ich sie mit einem wilden Kampflied ablenkte.

Ich traf sogar einen alten Bekannten wieder. Trabucco, der Maultiertreiber, hatte sich aufgemacht, um im Krieg sein Glück zu machen. Er war Marketender geworden. Nachdem man wegen des Krieges seine Maultiere requiriert hatte, und ihm der Krieg daher seine Lebensgrundlage entzogen hatte, war er zu der Überzeugung gekommen, daß er dann auch am Krieg verdienen konnte.

Nun ja, ich bekam durch meine Geldeinnahmequelle fast alles mit, was im Lager vor sich ging, und so blieb mir auch nicht lange verborgen, daß Carlos sich mit einem sehr attraktiven Mann angefreundet hatte, genau jenem Mann, den ich in Venedig davon abgehalten hatte, sich in einen der Kanäle zu stürzen.

Aber bald mußte ich feststellen, daß es weit mehr war als Kameradschaft zwischen Soldaten, was die beiden verband. Wenn ich jemals ein Liebespaar gesehen habe, was mehr füreinander empfunden hätte, will ich auf der Stelle eine Nonne werden. Mir war klar, daß Carlos mich für diesen Mann fortgeschickt hatte, und ich wünschte, ich hätte ihn höchstpersönlich in Venedig ertränkt. Es war Carlos' Liebhaber übrigens sichtlich peinlich, mich zu sehen, denn offenbar wußte er, daß er mich verdrängt hatte. Da es ihm unangenehm war, mit mir zusammenzutreffen, ging er mir aus dem Weg.

Und dann passierte etwas völlig Verrücktes. Carlos mußte feststellen, daß sein angebeteter Capitàn Herreros niemand anderer war als Don Alvaro de las Moras, den er schon seit Jahren suchte. Als ich davon hörte, war es mir nicht möglich, eine Stunde lang das hysterische Lachen, welches aus meiner Kehle drang, wieder zu beenden.

Es kam zu einem Duell, Carlos wurde von der Militärpolizei verhaftet, und Alvaro verschwand spurlos.

Ich machte weiter mit meiner bisherigen Beschäftigung, bis ich genügend Geld für die Heimreise zusammen hatte, und nicht nur das. Zusätzlich hatte ich auch noch diese Krankheit, die mich demnächst irgendwann umbringen wird.« Preziosilla blickte mich herausfordernd an.

»Bereust du all deine Sünden?« fragte ich sie. So ganz hatte ich mich noch nicht von dem erholt, was sie mir erzählt hatte; ich hatte viele Sünder kennengelernt, aber diese Zigeunerin schlug alles.

»Sollte ich?« fragte sie zurück. »Abgesehen davon, daß ich bereue, so sehr Carlos di Vargas verfallen zu sein, gibt es nichts, was ich bereuen müßte.«

»Dann wirst du der Hölle anheimfallen.« Ich schlug ein Kreuz.

»Genau das ist der Grund, weshalb ich Melitone sprechen wollte.« Sie nickte kurz. »Solche Sprüche hätte er mir nämlich erspart.« Sie machte ein paar Schritte in Richtung Tür. »Möge Gott die Kirche vor Leuten wie dir schützen.«

Sie öffnete die Tür und wäre fast mit Padre Rafael zusammengestoßen, der eintreten wollte. Eine unendlich lange Zeit starrten sie einander an, dann fiel Rafael, ein Priester, ein Mann, der sich selbst als den rechtmäßigen Erben der Inkas bezeichnet hatte, vor der Zigeunerin auf die Knie. »Verzeiht mir, bitte, verzeiht mir,« flüsterte er mit belegter Stimme.

Preziosilla blickte auf ihn herunter. »Was sollte ich verzeihen?«

»Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich habe nichts damit angefangen. Stattdessen habe ich mich in eine Liebe gestürzt, die doch Euch gehörte « In Alvaros Augen waren Tränen zu sehen.

Ich wollte dieser ekelerregenden Szene ein Ende machen, doch Preziosilla kam mir zuvor.

»Seine Liebe hat mir niemals gehört.« Ihre Hand fuhr kurz durch sein Haar. »Und einfach Sterben, das wissen wir doch beide, wäre viel zu leicht, Alvaro.« Mit diesen Worten verließ sie das Kloster endgültig.

Alvaro blieb an der Stelle kniend zurück und rührte sich nicht. Nur in seinen Augen war ein Funken Leben zu entdecken.

»Kehr zurück in deine Zelle, mein Sohn,« sagte ich. »Und suche Stärke im Gebet.«

Ganz langsam erhob sich Alvaro und blickte mich an, als hätte der Teufel Besitz von mir ergriffen. »Wie es Euer Wunsch ist, ehrwürdiger Vater,« erwiderte er, aber seine ganze Erscheinung strahlte auf einmal eine Leidenschaftlichkeit aus, die er eigentlich nach so vielen Jahren des Klosterlebens längst hätte verloren haben müssen.

Ich war beunruhigt, sah mich jedoch außerstande, irgendetwas zu unternehmen, da ich bereits alles getan hatte, was ich konnte: Ich hatte ihm das Gebet empfohlen.