2. Dezember: Annie Williams (Louis)

1. Annie wusste, dass sie weder das hübscheste, noch das schlagfertigste oder intelligenteste Mädchen in Hogwarts war. Aber das störte sie nicht weiter. Sie war gerne durchschnittlich. Solche Leute brauchte es schließlich auch. Die Geschichtsbücher waren voll mit durchschnittlichen Leuten, ohne die am Ende nichts gelaufen wäre. Sicher, es brauchte auch die Albus Dumbledores und Harry Potters, aber der Welt wäre es wesentlich besser gegangen, wenn sie auf Leute wie Tom Riddle hätte verzichten können. Nein, durchschnittliche Leute waren wirklich wichtig und sie war stolz darauf, sich dazu zählen zu können.

2. Und als beste Freundin von Dominique Weasley war es wirklich nicht schlecht, ein bisschen durchschnittlich zu sein. Dominique gehörte zu den Weasleys, ihre Mutter war Teil Veela und ein trimagischer Champion, ihr Vater war ein ehemaliger Fluchbrecher und Werwolfangriffüberlebender. Die Familie Weasley war eine der legendärsten überhaupt, und Dominique hatte so viel Temperament, dass die Leute fünf Minuten brauchten, um überhaupt wahrzunehmen, dass jemand neben ihr stand. Aber Annie war das nur Recht, sie hasste zu viel Aufmerksamkeit und Drama und es war wirklich genug, Dominiques Drama zu beobachten, besonders ihre jahrelange Fehde mit Steven Davies, darauf konnte sie selbst dankend verzichten.

3. Deshalb strebte sie auch eine sehr unaufregende Karriere im Ministerium an, in der Abteilung für magisches Transportwesen, wo das spannendste der alljährliche Ansturm auf die Portschlüssel vor Weihnachten war. Sie mochte die Ordnung in dieser Abteilung, und man wurde zusätzlich noch magisch gefordert, denn die Zauber, die es für die Portschlüssel brauchte, waren gar nicht so einfach und benötigten schon viel Fingerspitzengefühl. Annie war so gut, dass sie immer die schwierigsten Schlüssel bekam, die die weitesten Distanzen überqueren und die meisten Menschen befördern mussten. Ohne sie würden jährlich tausende Menschen nicht an ihr Ziel kommen und das war doch nun wirklich nicht unwichtig.

4. Gerade weil sie das undramatische so liebte, war sie umso überraschter, wie dramatisch ihr Liebesleben schließlich wurde. Das fing damit an, dass sie in den Sommerferien vor dem sechsten Schuljahr immer mehr Zeit mit Louis verbrachte, wenn sie eigentlich Dominique besuchen wollte und die nicht da war. Annie hatte sich immer gut mit Dominiques Zwillingsbruder verstanden, aber weil der fast immer von seinen Freunden und Freundinnen umringt war, hatte sie bis zu diesen Sommerferien gebraucht, um ihn näher kennen zu lernen und festzustellen, dass er nicht so oberflächlich war, wie sie gedacht hatte, und dass es wirklich Spaß machte, mit ihm zusammen zu sein. Jedoch war er im Gegensatz zu ihr alles andere als durchschnittlich war, hätte sie nie gedacht, dass er auch an ihr Interesse zeigen würde. So lief das doch normalerweise nicht.

Nur schien das niemand Louis gesagt zu haben, der sie im neuen Schuljahr plötzlich küsste, als sie eines Abends alleine im Gemeinschaftsraum waren und ihr sagte, dass er gerne mit ihr zusammen sein würde. Annie sagte sofort ja, nur wusste sie nicht, wie sie das ihrer besten Freundin beibringen sollte. Dominique hatte absolut nichts übrig für die Liebe und sie machte sich richtiggehend lustig darüber, wie sehr ihre Familie ausgeflippt war, als herauskam, dass Victoire und Ted zusammen waren. Aber Annie war sich auch sicher, dass Dominique absolut ein Problem damit haben würde, dass ihr Bruder und ihre beste Freundin zusammen waren, und so entschloss sie sich, erstmal gar nichts zu sagen und abzuwarten, wie das mit Louis und ihr laufen würde. Vielleicht würde ja gar nichts daraus werden, das war doch sehr gut möglich.

Natürlich flogen sie doch auf, als Dominique sie bei der Weihnachtsfeier der Weasleys herumknutschen sah. Es dauerte Tage, bis sie wieder mit Louis sprach und mehrere Wochen, bis sie Annie in die Augen sehen konnte. Aber letzten Endes fand sie sich damit ab und Jahre später konnte Dominique sich kaum daran erinnern, dass sie überhaupt jemals ein Problem damit gehabt hatte, dass Annie und Louis zusammen waren.

5. Dominique war sogar richtiggehend enttäuscht darüber, als sie und Louis sich nach dem Abschluss trennten und redete tagelang auf sie ein, damit sie es sich noch einmal überlegte. Aber so schwer es ihr auch fiel, Annies Entschluss stand fest. Sie wollte ihr normales Leben in England mit ihrer normalen Stelle beim Ministerium, während Louis sich austoben wollte, nach Frankreich, die Welt entdecken, ohne richtigen Plan. So sehr sie ihn auch liebte, sie wusste, dass das nichts für sie war und sie so unmöglich glücklich werden würde.

6. Sie war sehr zufrieden mit ihrem Leben und zweifelte nie an der Entscheidung, nicht mit Louis zusammen zu bleiben. Sie liebte ihre Arbeit und nach einer Weile fand sie auch einen neuen Freund, den sie gerne hatte. Dominique hasste ihn natürlich wie die Pest, aber Annie hatte auch nichts etwas anderes erwartet.

7. Doch dann sah sie Louis wieder, als er seine Familie in England besuchte. Sie hatte sich gerade im Streit von ihrem Freund getrennt und sie kamen ins Schwärmen über die alten Zeiten und so landeten sie irgendwie im Bett. Es war genau wie früher und doch ganz anders und ihr war klar, dass sie ihn immer lieben würde. Aber er war immer noch in Frankreich und sie wollte nicht weg aus England und so blieb es bei der einen Nacht. Als ihr Freund schließlich reumütig zurückkehrte und ihr einen Heiratsantrag machte, stimmte sie zu. Ein Teil von ihr liebte zwar Louis, aber sie wollte nicht das Leben, das er wollte, und es hatte keinen Sinn, einer Beziehung nachzutrauern, die so keine Zukunft hatte.

8. Annie war entschlossen, ihren Freund zu heiraten, auch wenn Dominique immer eindringlicher auf sie einredete, dass er nicht der Richtige für sie war und die Gefühle für Louis, die sie jahrelang so erfolgreich verdrängt hatte, sich immer stärker an die Oberfläche kämpften. Aber sie hatte sich für ihr normales Leben entschieden und dabei wollte sie bleiben. Doch je näher die Hochzeit rückte, desto mehr geriet diese Entscheidung ins Wanken und als am Abend vor der Hochzeit auf ihrem Polterabend schließlich eine Arbeitskollegin ihres Verlobten vor ihr stand, die sich lautstark dafür entschuldigte, dass sie nicht gewusst hatte, dass er verlobt war und dass die eine Nacht letzte Woche nichts bedeutet hatte, da stand Annies Entschluss schließlich fest. Sie zauberte sich einen nicht genehmigten Portschlüssel und stand nur Sekunden später vor Louis' Tür in Paris und sagte ihm mit Tränen in den Augen, dass sie genug von ihrem normalen Leben hatte und nur mit ihm zusammen sein wollte, egal wo und wie. Louis wünschte sich mittlerweile auch ein normales Leben und sie konnte gar nicht fassen, dass sie am Ende doch alles bekam, was sie wollte.

9. Natürlich lief auch danach alles nicht perfekt. Als Louis und sie schließlich verheiratet waren, wünschte sie sich nichts sehnlicher als ein Baby und es dauerte Monate, bis sie endlich schwanger war. Aber auch das ging nicht lange gut, denn schon kurz darauf hatte sie eine Fehlgeburt. Die Heiler konnten sich nicht erklären, woran es lag, sie war gesund und sie hatte alles richtig gemacht. Solche Dinge passierten nun mal, das war völlig normal. Trotzdem war Annie am Boden zerstört. Auf diese Normalität hätte sie wirklich gerne verzichten können. Louis und sie versuchten alles, dass sie sobald wieder schwanger werden konnte wie möglich, und bald darauf hatten sie den perfektesten Sohn, den sie sich nur wünschen konnten. Er war wirklich wunderbar und Annie war der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt, aber etwas von der Traurigkeit blieb doch für den Rest ihres Lebens, wenn sie an das Baby dachte, dass sie verloren hatte. Immer, wenn ihr Sohn Fortschritte machte, fragte sie sich, wie ihr anderes Baby wohl gewesen wäre.

10. Als Dominique schließlich schwanger war, hätte Annie sie umbringen können. Die Schwangerschaft war nicht geplant gewesen und Dominique verbrachte die meiste Zeit damit, entweder ihren Körper oder Steven zu verfluchen. Mehr als einmal war Annie kurz davor gewesen, Dominique anzufauchen, wenn sie dieses Baby nicht wollte, dann würde Annie es ihr liebend gerne abnehmen. Nach der Geburt ihres Sohnes hatten Louis und sie es zwar weiter versucht, aber Annie war leider nie wieder schwanger geworden. Sie wollte sich nicht beschweren, schließlich hatte sie ein wunderbares gesundes Kind, aber sie hätte Dominique trotzdem den Hals umdrehen können, weil die so gar nicht zu schätzen wusste, was für ein Geschenk ihr Körper ihr machte. Aber um fair zu sein, Dominique hatte es auch nicht einfach, als die Heiler schließlich die Schnauze voll hatten, dass Dominique immer ihre Anweisungen missachteten und ihr schließlich für mehrere Monate strenge Bettruhe verordneten. Das war die größte Strafe, nicht nur für Dominique, sondern auch für den Rest der Familie, der sie in diesen Monaten ertragen mussten. (Sie fragte sich bis heute, wie sehr Steven Dominique lieben musste, dass er das ertragen hatte, ohne sich scheiden zu lassen.)

Aber es stand auch außer Frage, dass Dominique ihr Kind über alles liebte und niemals hergeben würde, auch wenn sie alles andere als eine normale Mutter war. Annie war im Gegensatz dazu eine sehr normale Mutter und damit auch mehr als zufrieden. Es konnten nur sehr wenige von sich behaupten, einer der normalsten Menschen in der Familie Weasley zu sein. Das war schon etwas ganz besonderes.

TBC…