4. Dezember: Ellen Andrews (Fred)

1. Als Kind hatte Ellen nie an Zauberei geglaubt. Sie war von Natur aus skeptisch und hatte ein untrügliches Gespür, jeden Taschenspielertrick sofort zu durchschauen. Kein „Zauberer" konnte sie beeindrucken, da konnte er noch so viele Münzen und Lutscher aus ihrem Ohr oder ihrer Nase ziehen und mit noch so vielen Karten vor ihrem Gesicht herumwedeln. Das waren alles nur billige Tricks. Irgendwann bekam sie sogar ein Buch zum Geburtstag, das viele dieser Tricks erklärte und sie zitierte liebend gerne daraus, wenn sie einem „Zauberer" über den Weg lief.

2. Umso skeptischer war sie, als ein kleiner Zwerg mit langem Bart und spitzen Hut an ihrem elften Geburtstag bei ihren Eltern zu Hause auftauchte, um ihnen zu sagen, dass sie eine Hexe war und auf eine Schule für Hexen und Zauberer gehen sollte. Später würde Professor Flitwick sagen, dass sie die ungläubigste und misstrauischste Schülerin war, die ihm je begegnet war. Er brauchte mehrere Stunden, bis er sie schließlich überzeugt hatte. Sie glaubte ihm weder, als er die Teetassen auf dem Tisch tanzen ließ noch als die Kerzen zehnmal an- und ausmachte. Sie fand es beeindruckend, dass er das Sofa durchs Zimmer schweben lassen konnte, aber bezweifelte immer noch, dass es echte Magie war. Ihre Eltern hatten sich einfach einen sehr beeindruckenden Trick ausgedacht, weil sie wussten, wie skeptisch Ellen war. Sie glaubte Flitwick erst, als er Professor McGonagall zu Hilfe holte, die wie aus dem Nichts erschien, sich zehnmal vor ihren Augen in eine Katze und wieder zurück verwandelte und am Schluss ein kleines Zelt im Garten aufbaute, das im Inneren größer war als ihr ganzes Haus.

3. Obwohl sie letzten Endes akzeptierte, dass sie eine Hexe war, zweifelte sie an ihrer Entscheidung, nach Hogwarts zu gehen sogar dann noch, als sie im Zug auf dem Weg zur Schule war. Sie vermisste ihre Freunde und ihre Eltern und ihr Zimmer und ihre gewohnte Umgebung. Sie wollte nicht in eine völlig fremde Welt eintauchen, von der sie niemandem aus ihrer alten Welt wirklich erzählen konnte, deren Regeln sie nicht kannte und wo sie bezweifelte, jemals wirklich dazu zu gehören. Sie könnte genauso gut in China zur Schule gehen, und wer wollte das schon?

4. Ihre Zweifel zerstreuten sich jedoch, sobald sie auf der Suche nach der Toilette Roxanne Weasley begegnete, die ihr gerne jede Frage beantwortete, die sie hatte. Roxanne kam aus einer großen Zaubererfamilie und wusste so ziemlich alles über Hogwarts und Zauberer und ihre Geschichte, was man nur wissen konnte. Sie beantwortete bereitwillig alle von Ellens Fragen. Roxanne war die jüngste ihrer Cousins und Geschwister, die nach Hogwarts kam und sie genoss es ungemein, zum ersten Mal in ihrem Leben in der Position zu sein, mehr zu wissen als ihr Gegenüber und Ellen nutzte das schamlos aus. Sie hoffte inständig, in das gleiche Haus zu kommen wie ihre neue Freundin und sie hatte Glück. Bis an ihr Lebensende war Ellen Roxanne dankbar dafür, dass sie ihr den Anfang in dieser fremden Welt so leicht gemacht hatte. Sie bezweifelte, dass sie sich ohne Roxanne dort jemals so wohl gefühlt hätte.

5. Obwohl Ellen wusste, dass Roxanne aus einer großen Familie stammte, bekam sie das in den ersten Jahren kaum mit. Sie begegnete in der Schule zwar vielen Weasleys, aber die waren alle älter und Roxanne hatte so viele Onkeln und Tanten, dass Ellen immer durcheinander kam und nie wusste, zu wem die Kinder jetzt eigentlich gehörten. Sie wusste auch, dass die Weasleys eine ziemlich wichtige Familie waren und es einige gab, die sich mit Roxanne nur aufgrund ihres Namens anfreunden wollten. Aber weil Roxanne selbst nie ein großes Ding daraus machte, war Ellen sich sicher, dass alle einfach nur maßlos übertrieben. Ihrer Meinung nach klang Professor Longbottom sowieso viel beeindruckender als die meisten Weasleys. Einer Riesenschlange vor der ganzen Schule den Kopf abzuschlagen, während ein böser Zauberer versuchte, ihn zu unterwerfen? Das war nun wirklich ein beeindruckender Trick, den musste ihm erstmal jemand nachmachen.

6. Eine Ausnahme war jedoch Roxannes großer Bruder Fred. Ellen war ein Einzelkind und sie hatte sich immer einen großen Bruder wie Fred gewünscht. Er war nur ein Jahr älter als Roxanne und behandelte sie nie von oben herab oder versuchte, sich in Roxannes Leben einzumischen, wenn sie ihn nicht darum bat. Wenn sie aber seine Hilfe brauchte, war er sofort zur Stelle. Und Ellen behandelte er nicht anders. Wenn sie eine Frage hatte, die Roxanne oder jemand aus ihrem Jahrgang nicht beantworten konnte, dann stand er ihr immer mit Rat und Tat zur Seite.

7. Sie wusste zwar in Grundzügen, was im Krieg passiert war und welche Rolle die zahlreichen Weasleys gespielt hatten, aber in Zaubereigeschichte lernten sie kaum etwas darüber und alle Bücher, die es zu dem Thema gab, lehnte Roxanne entschlossen ab. „Dad sagt immer, dass das alles Quatsch ist. Keiner von denen weiß wirklich, was alles passiert ist." Es gab ein paar Geschichten, die sich das ganze Schloss ehrfurchtsvoll erzählte. Der Kopflose Nick hörte nicht auf, davon zu berichten, wie er todesmutig in der letzten Schlacht gegen Todesser gekämpft hatte, nur wurde die Geschichte mit jedem Mal abenteuerlicher, sodass Ellen am Ende bezweifelte, dass er überhaupt dabei gewesen war. Dann gab es noch Neville und die Schlange, einen fliegenden bösen Schulleiter, Roxannes Onkel, der sich totgestellt hatte und die Geschichte, die das ganze Schloss am meisten liebte: Roxannes Großmutter, die Voldemorts Lieblingstodesserin vor allen Leuten als Schlampe beschimpft hatte und nach einem spektakulären Kampf schließlich töten konnte. Ellen hatte Roxannes Großmutter kennen gelernt und sie konnte sich schwer vorstellen, dass die gleiche Frau, die Roxannes Vater auf die Finger schlug, wenn er sich zu früh von ihrem Hackbraten nehmen wollte, die gleiche Frau sein sollte. Aber sie glaubte auch die Sache von Professor Longbottom und der Schlange, und sie hatte niemanden gesehen, der so feinfühlig kleine Alraunen umtopfte wie er.

8. Es dauerte Jahre, bis sie mitkriegte, dass Roxannes Vater einen Zwillingsbruder hatte, der im Krieg gestorben war. Die Geschichten der Weasley-Zwillinge waren in Hogwarts legendär, angefangen bei den Nasch-und Schwänzleckereien, über den Schulkorridor, den sie in einen Sumpf verwandelt hatten, bis hin zu ihrem spektakulären Abgang von der Schule, den sie einer Lehrerin reinwürgen wollten. Aber weil Ellen bei Weasley-Familienfeiern nie irgendwelche Zwillinge gesehen hatte, abgesehen von Dominique und Louis, dachte sie jahrelang, dass sie sich um eine Generation vertan haben musste und alle Roxannes Großonkel meinen mussten. Aber eines Abends traf sie Fred alleine im Gemeinschaftsraum an, der ihr traurig erzählte, dass heute der Geburtstag seines Vaters war und dass sein Vater an dem Tag nie glücklich war, weil er immer an seinen toten Zwilling denken musste. Und was für ein schlechtes Gewissen er hatte, dass er nie so gut sein würde wie sein Namensgeber und seine Familie immer ein bisschen enttäuschen würde. Ellen tat ihr bestes, ihm das auszureden, aber sie war sich nie sicher, ob sie das wirklich geschafft hatte.

9. Eigentlich war keiner wirklich überrascht, als Fred und sie zusammen kamen. Sie wusste, dass es Roxanne nicht wirklich recht war, weil sie Angst hatte, dass Fred ihr das Herz brechen würde, wie schon seinen Freundinnen vor ihr, und dass ihre Freundschaft dann darunter leiden würde. Aber Ellen hatte nie daran gezweifelt, dass es gut gehen würde. Sie kannte Fred schließlich schon lange und wusste, woran sie bei ihm war. Und sie behielt Recht.

10. Sie hatte keine Ahnung, warum sie nicht das Bedürfnis hatte, Fred zu heiraten. Als sie ein paar Jahre zusammen waren und auch zusammen gezogen waren, ließ sie niemand mehr in Ruhe mit diesem Thema. Alle Welt wollte wissen, wann sie endlich heiraten und Kinder kriegen würden und Ellen starrte die Leute immer entsetzt an und fragte sich, warum das so wichtig war. Fred und sie liebten sich und waren glücklich mit ihrer Beziehung ganz genauso, wie sie war. Hochzeit war so ein endgültiger und erwachsener Schritt und sie konnte ehrlich nicht nachvollziehen, warum so viele Leute so früh heiraten mussten. Es stand außer Frage, dass es eines Tages bei ihnen darauf hinaus laufen würde, aber sie hatten Zeit.

Als sie schließlich halb bewusstlos im St Mungos lagund versuchte, die Heiler zu verstehen, die ihr mitteilten, dass sie sich mit irgendeinem Tropenvirus infiziert hatte, für das es kein Heilmittel gab und sie sich darauf einstellen musste, die nächsten Tage nicht zu überleben, da wünschte sie sich, Fred doch geheiratet zu haben. Nur, um sein strahlendes Lächeln gesehen zu haben, wenn sie ja sagte und er ihr einen Ring an den Finger steckte. Sie hatte keinen Zweifel, dass er die Liebe ihres Lebens war, und sie seine, aber sie hätte sich gewünscht, dass er diese Erinnerung für den Rest seines Lebens mit sich tragen konnte, anstatt ihre verpasste Chance zu bedauern. Sie hoffte nur, dass er glücklich werden würde. Wenn jemand das verdient hatte, dann Fred. atten Zeit.

TBC…