6. Dezember: Clara Hearts (Hugo)

1. Clara liebte Märchen. Und schnulzige Liebesgeschichten. Und manchmal auch tragische Liebesgeschichten, so wie der amerikanische Autor Nicholas Sparks sie schrieb. Anfangs war sie noch tottraurig gewesen, wenn ein Hauptcharakter in einem Buch gestorben war, aber nachdem sie ein paar seiner Bücher gelesen hatte, machte sie sich einen Spaß daraus, darüber zu spekulieren, welcher von den Hauptcharakteren wohl ins Gras beißen würde. Die größte Überraschung bei diesen Büchern war es, wenn am Ende niemand tot war. Aber im Grunde genommen war sie ein Fan von Happy Ends. Sie liebte es, wenn ein Paar nach Höhen und Tiefen endlich zusammenfand und dann für den Rest des Lebens zusammen glücklich war. Sie wusste, dass es im wirklichen Leben nicht so einfach war, aber es war auch nicht unmöglich.

2. Als Kind hatte sie gedacht, dass ihre Eltern ein Beispiel für diese Ausnahme waren. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie stolz sie im Kindergarten gewesen war, weil ihre Eltern noch zusammen waren und sich liebten, während so viele andere Kinder nur geschiedene Eltern hatten. Und ihre Eltern liebten sich wirklich. Sie lachten viel zusammen und küssten sich häufig, einfach so. Manchmal tanzten sie auch zusammen in der Küche, obwohl es gar keine Musik gab. Das war immer der Beweis für sie, dass es die wahre Liebe wirklich gab.

3. Sie hatte immer gewusst, dass ihr Vater ein Muggel war, aber sie hatte das nie gestört. Es war vielleicht ein bisschen umständlicher mit ihrem Vater, der Sachen nicht einfach herbeirufen konnte, sondern sie holen musste, der ein Telefon benutzte anstatt den Kamin und der sehr viel langweiligere Zeitungen las als ihre Mutter, ohne Bilder, die sich bewegten, aber er war ihr Vater und sie vergötterte ihn. Deshalb war es auch wie ein Schlag ins Gesicht, als er ihr eines Tages sagte, dass er nicht mehr mit ihnen leben konnte und sich von seiner Mutter scheiden lassen würde. Sie war so überzeugt davon gewesen, dass ihre Eltern sich nie scheiden lassen würden, dass sie Wochen brauchte, bis sie wirklich akzeptiert hatte, dass ihr Vater nicht mehr zu ihnen zurückkommen würde.

4. Es wurde schlimmer, als ihr Vater dann eine andere heiratete. Wenn sie wenigstens nett gewesen wäre. Aber sie war eine hochnäsige Kuh, die absolut kein Bedürfnis hatte, nett zu Clara zu sein. Immer, wenn sie ihren Vater besuchte, kam Clara sich schrecklich unerwünscht vor. Und es wurde noch schlimmer, als ihr Vater noch weitere Kinder bekam, zwei kleine Mädchen, die ihre Stiefmutter verwöhnte wie eh und je, während Clara nur links liegen gelassen wurde. Sie kam sich vor wie Cinderella, bevor der Prinz auf der Bildfläche erschien, und das war ein wirklich beschissenes Gefühl. Und dabei war ihr Vater noch nicht einmal tot! Aber er tat nichts, damit sie sich bei ihm wohl fühlte und Clara fragte sich immer häufiger, ob er sie überhaupt noch sehen wollte, jetzt, wo er seine neue Familie hatte. Irgendwann war sie es leid, um seine Zuneigung zu kämpfen, und meldete sich schließlich gar nicht mehr bei ihm. Was noch viel mehr wehtat, war, dass er sich auch nicht bei ihr meldete.

Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass er nicht damit fertig wurde, dass Clara und ihre Mutter Hexen waren und er nie dazu gehören würde. Was ihrer Meinung nach ein ziemlich dummer Grund war. Das wahre Leben war wohl doch nicht wie ein Märchen.

5. Abgesehen von ihrem Faible für Happy Ends waren Märchen auch verantwortlich für ihre große Liebe für Mode. Seit sie denken konnte, hatte sie Disneyfilme geliebt, und ganz besonders die Kleider, die die Prinzessinnen trugen. Sie drapierte Decken und Kissenbezüge an ihrem Körper und ihren Puppen und dachte sich immer neue Designs aus. Sie stellte sich immer vor, dass sie die tollsten Kleider entwerfen würde, wenn sie einmal groß war, noch schöner und aufregender und spektakulärer als die Kleider in den Disneyfilmen.

Leider war das in Hogwarts kein allzu sinnvoller Berufswunsch und ihre Lehrer ermunterten sie, etwas anderes zu finden. Sie war sehr gut in Zauberkunst, und Wahrsagen übte eine merkwürdige Faszination auf sie aus, obwohl sie nie so ganz wusste, was sie von Professor Trelawney halten sollte. Die meiste Zeit wirkte sie wie eine Hochstaplerin, aber manchmal riet sie unheimlich akkurat, wenn sie versuchte, die Zukunft ihrer Schüler vorauszusagen. (Hugos Onkel Harry erzählte ihr irgendwann von den Prophezeiungen, die Trelawney über sein Leben gemacht hatte und das war nun wirklich unheimlich. Aber sie war froh, dass sie ihrem Gefühl hatte trauen können, dass mehr in Trelawney steckte, als man anfangs vielleicht dachte. Wobei, am besten war es immer noch, wenn man sie in Gegenwart ihrer Schwiegermutter erwähnte. Hermine konnte sich mehrere Stunden über sie aufregen, wenn man sie nicht bremste.)

Und obwohl sie an ein paar Fächern in der Schule Gefallen fand, blieb es dennoch ihr großer Wunsch, Designerin zu werden. Sie arbeitete nach der Schule eine Weile bei Madam Malkins als Näherin, aber selbst verwirklichen konnte sie sich nicht so recht. Deshalb griff sie mit beiden Händen nach der Möglichkeit, in Parin für einen der größten Designer der Zauberwelt zu arbeiten, Gustave Crayone. Und obwohl sie ihre Freunde und England verlassen musste und in ein Land ging, dessen Sprache sie nur sehr schlecht sprach, hatte sie das nie bereut.

6. Sie brauchte eine Weile, bis sie sich in Frankreich zurecht fand. Glücklicherweise lernte sie Französisch recht schnell und Crayon entdeckte bald, dass sie wirklich Talent hatte und förderte sie so gut er konnte, auch wenn er ein bisschen durchgeknallt war und mehr Temperament hatte, als er brauchte. Und auch ihr Liebesleben lief in Frankreich ziemlich gut. Sie hatte in Hogwarts den einen oder anderen Freund gehabt, aber diese große Liebe, von der sie in ihren Büchern immer las, war nicht dabei gewesen. Was nicht schlimm war, denn sie war überzeugt, dass sie sie irgendwann finden würde, trotz der Pleite ihrer Eltern. Dann hatte es bei denen eben nicht geklappt, das hieß noch lange nicht, dass es bei ihr auch so mies sein würde. In Paris lief es dann sogar richtig gut, als sie Pierre kennen lernte, einen umwerfend gut aussehenden, charmanten Mann. Als sie ihn das erste Mal sah, war sie richtig sprachlos und konnte ihr Glück kaum fassen, als er sie um eine Verabredung bat. Und es ging auch sehr lange sehr gut. Sie stritten kaum, sie verstanden sich wunderbar, der Sex war klasse, und als er sie schließlich darum bat, seine Frau zu werden, sagte sie ohne zu zögern ja und stürzte sich in die Vorbereitungen für ihre Traumhochzeit.

Sie war so überzeugt, dass sie endlich ihr Märchen hatte, dass sie sich nicht einmal von den Warnungen ihrer Mutter abschrecken ließ, die Pierre nicht mochte und die Clara riet, nichts zu überstürzen. Aber ihre Mutter hatte nach ihrer Scheidung nie wieder einen Mann in ihr Leben gelassen und Clara vermutete, dass sie einfach jeglichen Glauben an die Liebe verloren hatte. Aber nicht so Clara, deshalb würde sie auch alles durchziehen. Sie würde ihr Märchen bekommen!

7. Später, nachdem sie Pierre ein paar Tage vor der Hochzeit mit seiner Sekretärin erwischt hatte, wünschte sie sich, sie hätte doch auf ihre Mutter gehört. Märchen waren Schwachsinn und so etwas wie die große Liebe gab es nicht. Ihr Herz war so gebrochen, dass sie ohne zu zögern alle Zelte in Paris abbrach und wieder zurück nach England ging. Crayone, wie immer mit einem Flair fürs Dramatische, stellte ihr ein hervorragendes Zeugnis aus, das Madam Malkins davon überzeugte, ein paar gewagtere Aufträge für Umhänge und Kleider anzunehmen, und so konnte Clara in London wenigstens immer noch ihrem Beruf nachgehen, auch wenn ihr Liebesleben ein Scherbenhaufen war.

In diesem Zustand lief sie schließlich Hugo über den Weg. Seine Freundin hatte ihn ebenfalls gerade für einen anderen sitzen gelassen, und so betranken sie sich zusammen in einer zwielichtigen Kneipe und verfluchten die Welt und alle Arschlöcher, die sie bevölkerten. Clara hatte eigentlich nicht vorgehabt, mit Hugo ins Bett zu gehen, aber nachdem er sie zum fünften Mal in zehn Minuten zum Lachen gebracht hatte, schlug sie ihre Bedenken in den Wind. Lange bedauerte sie diese Entscheidung, aber am Ende war es das Beste, was sie je gemacht hatte.

8. Sie fiel aus allen Wolken, als sie ein paar Wochen nach der Nacht mit Hugo feststellte, dass sie schwanger war. Wenn sie sich ihre Zukunft in rosigen Farben ausgemalt hatte, dann war sie darin nie alleine, mittellos und schwanger gewesen. So waren die Märchen nie gelaufen. Aber sie brachte es nicht über sich, ihr Baby abzutreiben, und so warf sie erneut ihre Zukunftspläne über den Haufen und freundete sich mit dem Gedanken an, eine alleinerziehende Mutter zu werden.

Nach ihrer Erfahrung mit ihrem Vater und Pierre erwartete sie nicht viel von Hugo, aber sie wollte ihm auch nicht vorenthalten, dass er ein Kind kriegen würde. Und nach dem ersten Schock war Hugo wirklich toll. Er begleitete sie zu Terminen mit ihrem Heiler und nahm sie mit zu seiner großen chaotischen Familie, zu der sie seiner Meinung nach selbstverständlich dazugehören würde, auch wenn sie kein Paar waren. Und das war ihr wichtig. Sie wollte ihn nicht dazu zwingen, mit ihr zusammen zu sein, nur weil sie einen Abend lang zu dumm gewesen waren, richtig zu verhüten. Das war keine große Liebe und so würde keine Beziehung funktionieren und dieser Entschluss wurde nur bekräftigt, als sie sah, wie erleichtert er war, als sie ihm sagte, dass sie nicht von ihm erwartete, dass sie heirateten, nur weil sie schwanger war.

Dennoch war Hugo einfach toll und sie wurde mehr und mehr daran erinnert, warum sie nur ein paar Stunden, nachdem sie ihn kennen gelernt hatte, mit ihm ins Bett gegangen war, obwohl das überhaupt nicht ihre Art war. Er ließ sie sogar bei sich wohnen, als sie aus ihrer eigenen Wohnung rausmusste und so schnell keine Bleibe finden konnte. Und obwohl sie es sich überhaupt nicht hatte vorstellen können, als sie den positiven Schwangerschaftstest in der Hand gehalten hatte, verliebte sie sich natürlich doch in ihn. Und sie hatte so ein verdammtes Glück, dass er sich auch in sie verliebte.

9. Clara begegnete sogar ihrem Vater wieder, als sie wieder in England war. Hugo hatte sie zu ihrem Geburtstag in ein Restaurant ausgeführt, in dem auch ihr Vater mit seiner neuen Familie war. Sie hätte ihn gar nicht gesehen, wenn der Freund ihrer Halbschwester ihr nicht einen Antrag gemacht und sie lautstarkes Theater gemacht hätte, weil der Ring nicht groß genug war. Clara hätte ihn am liebsten ignoriert, aber Hugo hatte so hoffnungsvoll ausgesehen, dass sie sich vielleicht doch wieder verstehen würden, dass sie ihn nicht enttäuschen wollte. Und dafür, dass ihr Vater sich nie bei ihr gemeldet hatte, nachdem sie den Kontakt abgebrochen hatte, schien er wirklich erfreut, sie zu sehen, und begierig, den Kontakt wieder aufzunehmen, sodass sie sich am Ende doch breitschlagen ließ, sich mit ihm zu treffen.

Ihr Verhältnis würde nie wieder so gut wie damals, bevor ihre Eltern sich hatten scheiden lassen, aber immerhin telefonierten sie regelmäßig und er war vernarrt in seine Enkelkinder. Außerdem schien er auch nicht so begeistert davon zu sein, dass seine anderen Töchter schrecklich verzogene und hochnäsige Gören geworden waren. Und Clara bereitete es eine besondere Freude, dass er sehr viel mehr Spaß auf ihrer Hochzeit zu haben schien, umgeben von lauter Hexen und Zauberern und Hugos Onkel George, als auf der Hochzeit seiner anderen Tochter. Aber das war auch die besondere Magie der Weasleys. Sie schafften es, dass sich irgendwann jeder bei ihnen wohl fühlte.

10. Obwohl Clara sich ziemlich sicher, war, dass Hugo der Richtige war, und sie das jeden Tag, den er mit ihrer Tochter verbrachte, bestätigt sah, war sie doch sehr vorsichtig geworden. Sie war schließlich auch davon überzeugt gewesen, dass ihre Eltern für immer glücklich sein würden und dass Pierre ihr Traumprinz war. Hugo verstand ihr Zögern glücklicherweise nur zu gut und drängte sie nie zu irgendwas, zu dem sie nicht bereit war. Letzten Endes war es sogar sie, die ihm einen Heiratsantrag machte, mitten beim Abendessen, als er davon sprach, was sie machen sollten, wenn ihre Tochter in Hogwarts war. Ihr waren Tränen in die Augen gestiegen, weil es für ihn so selbstverständlich war, dass sie in zehn Jahren auch noch zusammen sein würden, dass sie ihn mitten im Satz unterbrochen hatte: „Lass uns heiraten." Er hatte sie nur überrascht angestarrt, schließlich strahlend gelächelt und „Okay" gesagt. Es war der romantischste Moment ihres ganzen Lebens.

Und so bekam sie am Ende doch noch ihr Märchen.

TBC…