9. Dezember: Henry Mitchell (Lily)
1. Henry war noch nie ein großer Fan der Potters und Weasleys gewesen. Diese Heldenverehrung, die er von klein auf mitbekam, war völlig übertrieben. Sicher, Harry Potter und die Weasleys hatten einen entscheidenden Beitrag geleistet, um das Böse zu besiegen, aber mehr als die halbe Zauberwelt war auch daran beteiligt gewesen. Ohne die vielen anderen Menschen, die ebenfalls todesmutig im Krieg gekämpft hatten und mindestens genauso große Verluste erlitten hatten, hätte Potter es nie geschafft. Sowohl sein Onkel als auch der Cousin seiner Mutter verloren in der letzten Schlacht ihr Leben und was die Todesser mit seinem muggelstämmigen Cousin gemacht hatten, davon wollte er gar nicht erst anfangen. Und es war nicht besser, dass seine Großmutter einer der glühendsten Verehrer dieser Weasley-Sippe war. Sie hätte es doch wirklich besser wissen müssen.
2. Henrys Vorurteile wurden in Hogwarts nur bestätigt. Er war im gleichen Jahrgang wie James Potter, obzwar in Ravenclaw, und das ganze Schloss sprach nur über James, den erstgeborenen Sohn des berühmten Harry Potter. Und James nutzte das schamlos aus. Er machte keine Hausaufgaben und brach ständig die Regeln und die Lehrer brauchten eine ganze Weile, bis sie endlich wussten, wie sie damit umgehen sollten. Lily erzählte ihm Jahre später, dass es Neville gewesen war, der ihn zur Raison gebracht hatte. Wenn es einen gab, bei dem das Argument nicht zog, dass James' Vater Voldemort umgebracht hatte, dann war es derjenige, der Voldemorts Riesenschlange mit Godric Gryffindors Schwert geköpft hatte. Henrys Abneigung wurde noch größer, als seine Freundin ihn in der sechsten Klasse mit James betrog und noch nicht einmal verstand, warum ihn das störte. Als er sie mit ihrer Untreue konfrontierte, schaute sie ihn nur verständnislos an. „Da hättest doch auch mit ihm geschlafen, wenn du die Gelegenheit gehabt hättest", warf sie ihm vor. Er trennte sich noch an Ort und Stelle von ihr, denn wenn sie keine Ahnung, davon hatte, dass er Potter nicht mochte, dann kannte sie ihn überhaupt nicht.
3. Um fair zu sein, die beiden anderen Potters kannte er kaum. Er fand es amüsant, dass sich die beiden Brüder bei den Quidditchspielen einen Kleinkrieg lieferten, weil sie einander übertrumpfen und ihr eigenes Haus zum Sieg führen wollten, aber das war auch sehr nervig, weil sie Ravenclaw so jede Chance darauf nahmen, selbst zu gewinnen. Die Mannschaft war sehr viel schlechter geworden, nachdem Steven Davies seinen Abschluss gemacht hatte und schaffte es nicht, sich während Henrys restlicher Schulzeit davon zu erholen. Leider war er selbst ein miserabler Flieger, was alle seine Träume, einmal professionell Quidditch zu spielen, sehr schnell begraben hatte. Und Molly Weasley, die in seinem Haus war, war eigentlich sogar ganz nett. Sie half sogar den jüngeren Schülern bei den Hausaufgaben, wenn diese Probleme hatten, und das machten die wenigsten. Lucy, die sowohl in seinem Jahrgang als auch in seinem Haus war, war da schon viel vorlauter, aber sie war nie so arrogant wie James und sie verschenkte immer die besten Scherzartikel, die ihr Onkel George ihr heimlich schickte.
4. Nach der Schule arbeitete er eine Weile in der Zaubertränkeabteilung des St Mungos. Er war sehr talentiert, was Zaubertränke betraf, und die Abteilung leistete bahnbrechende Arbeit im Bereich der Forschung. Die Mitarbeiter waren auch alle sehr nett, besonders Ted Lupin bemühte sich sehr, dass er sich wohl fühlte und versuchte sogar, ihn in seine Forschung über den Zusammenhang zwischen Metamorphmagi und Lycantropie einzubeziehen, aber Henry merkte bald, dass er dafür kein Talent hatte. Er braute gerne Tränke, aber er war miserabel darin, irgendwelche komplexe Zusammenhänge zu erkennen und effektive Gegenmittel zu entwickeln. Das war einfach nicht sein Ding. Außerdem waren die Arbeitszeiten in der Abteilung absolut verrückt, weil sie so wenig Personal hatten und immer mindestens zwei Leute vor Ort sein mussten, um kurzfristig benötigte Tränke brauen zu können. Henry hatte ein schlechtes Gewissen, dass er seine Kollegen im Stich ließ, aber es war einfach nicht das Richtige für ihn. Glücklicherweise war Ted sehr verständnisvoll. Die wenigsten hielten das erste Jahr durch und es war besser, dass er aufhörte, bevor er den Spaß an den Tränken völlig verlor.
Stattdessen kam er bei dem Apotheker in der Winkelgasse unter, der keine Zeit damit verbrachte, sich neue Tränke auszudenken, und stattdessen den ganzen Tag welche braute. Es war der Himmel auf Erden und Henry war froh, den richtigen Ort für sich gefunden zu haben.
5. Als er Lily Potter zum ersten Mal nach Hogwarts begegnete, erkannte er sie erst kaum. Nicht, dass er nicht wusste, wie sie als Erwachsene aussah, schließlich waren die Klatschzeitschriften voll von ihr, aber er hatte niemals gerechnet, sie bei seiner Großmutter zu treffen. Die hatte eigentlich einen jungen Mann vom Tagespropheten für ein Interview über die Goldene Feder, einen renommierten Preis für Journalisten, den sie sponsorte, erwartet. Doch als Henry die Tür öffnete, stand eine völlig durchnässe wunderschöne junge Frau vor ihm, die als Ersatz geschickt worden war, weil der eigentliche Reporter verhindert war. Henry hatte sich gefühlt, als ob er vom Blitz getroffen worden wäre und hatte fieberhaft überlegt, wie er die Frau am besten um eine Verabredung bitten konnte. Doch dann trocknete sie ihre nassen Haare, die plötzlich nicht mehr braun, sondern rot waren und stellte sich als Lily Potter vor. Sofort war seine altbekannte Abneigung gegen die Potters wieder da und Henry war enttäuscht von sich selbst, dass er sich so hatte blenden lassen. Lily schien zwar verwirrt, dass er von der einen auf die andere Sekunde so unfreundlich geworden war, aber wahrscheinlich war sie es wie alle Potters gewohnt, dass man ihr die Füße küsste, und das hatte er nun wirklich nicht nötig. Ob sie jetzt die schönste und anziehendste Frau war, die er je gesehen hatte, oder nicht.
6. Seine Großmutter zwang ihn, sie zu der Preisverleihung für die Goldene Feder zu begleiten. Er war den ganzen Abend damit beschäftigt, nicht die Augen zu verdrehen, weil der ganze Saal den Potters die Füße küsste. Lilys Mutter hatte im Laufe ihrer Karriere bereits zwei Goldene Federn für ihre Sportberichterstattung erhalten, was ihn keiner vergessen ließ. Dann platzte Lilys Bruder James auch noch verspätet in die Veranstaltung und alle ließen es ihm durchgehen. Lily bekam eine Goldene Feder für irgendeinen Artikel verliehen, den Henry nie gelesen hatte, während seine Großmutter vor Begeisterung beinahe vom Stuhl fiel, und zum krönenden Abschluss machte Lilys Freund ihr vor allen Leuten auch noch einen Heiratsantrag. Typisch Potter, immer musste alle Aufmerksamkeit nur ihnen gelten, die anderen Leute, die da waren, waren ihnen völlig egal. Besonders, als Lily dann auch noch vor allen Augen ablehnte und der arme Kerl mühsam seine Tränen zurückhalten musste, als sie ihn einfach stehen ließ und aus dem Saal rannte.
Angewidert verließ er ebenfalls den Saal, denn darauf, dass in den nächsten Stunden wieder alle nur über die Potters und deren Kinder redeten, denen die Gefühle anderer anscheinend völlig egal waren, konnte er wirklich verzichten. Er hatte gewusst, warum er nicht mitgehen wollte. Seine Großmutter hätte auch irgendjemand anderen aus der Familie mitnehmen können, es gab genug, denen so ein Abend gefallen hätte, aber sie wusste genau, dass er so etwas nicht mochte und sie hatte ihn dafür bestrafen wollen, dass er zu Lily so unhöflich gewesen war. Wie zu Fleiß lief er keine zwanzig Minuten später Lily über den Weg, die ihn aus verheulten Augen anschaute und dann lautstark anbrüllte, als er ihr sagte, was er eigentlich schon immer ihrem Bruder James hatte sagen wollen, nämlich dass ihr die Gefühle anderer völlig egal zu sein schienen.
Doch sie sah das völlig anders und ließ ihn das auch wissen. Ihrer Meinung nach drehte es sich nie um sie, sondern immer nur um ihre Eltern oder ihren Bruder und das eine Mal, als ihre Arbeit gewürdigt werden sollte, nahm ihr Freund ihr auch das weg, indem er mit seinem Heiratsantrag alle Aufmerksamkeit auf sich zog und praktisch garantierte, dass einer ihrer größten beruflichen Erfolge völlig untergehen würde. Aus dieser Perspektive hatte er das noch nie gesehen. Aber er war in keiner versöhnlichen Stimmung und sie pikste ihn mit sehr scharfen Fingernägeln, während sie schimpfte, deshalb nahm er ihr die Champagnerflasche weg, die sie in der Hand hielt, was ihr gar nicht gefiel und in eine richtige Rangelei zwischen ihnen ausartete. Was plötzlich dazu führte, dass sie wild miteinander herumknutschten und ehe er sich's versah, hatte er mit Lily Potter im Garten des reichsten Freundes seiner Großmutter Sex gehabt, nicht mal eine Stunde, nachdem sie den Heiratsantrag eines Anderen abgelehnt hatte. Das hätte er ehrlich gesagt nie kommen sehen.
7. Henry hätte nicht gedacht, dass er Lily je wiedersehen würde. Nach seinem Schulabschluss war er ihr schließlich auch nie über den Weg gelaufen. Seiner Großmutter zuliebe las er Lilys Interview mit ihr und war überrascht, wie sehr es ihm gefiel. Aus purer Neugier besorgte er sich ein paar ihrer alten Artikel und konnte gar nicht aufhören damit, sie zu lesen. Er hatte nie Interesse an Außenpolitik gehabt und absolut keine Ahnung, was sich in den letzten Jahren in dem Bereich so getan hatte, aber er hatte keine Schwierigkeiten, Lilys Berichten zu folgen. Sie schrieb interessant, unkompliziert und sie konnte wunderbar Zusammenhänge herausarbeiten, die ihm völlig entgangen waren. Ehrlich gesagt war er anhand dessen überrascht, dass sie nicht schon viel früher eine Goldene Feder bekommen hatte. Was an seiner Meinung über Lily selbst aber nichts änderte. James konnte schließlich auch fantastisch Quidditch spielen und war trotzdem ein arrogantes Arschloch. Das eine schloss das andere nicht aus.
8. Das nächste Mal begegnete er Lily völlig unerwartet in der Muggelwelt. Er hatte gerade eine miserable Verabredung hinter sich gebracht. Sie hatte unbedingt in den Zoo gehen wollen, also waren sie in den Zoo gegangen. Aber dann hatte sie an allem etwas auszusetzen gehabt und Henry hatte ihr schließlich genervt gesagt, wenn es ihr nicht gefiel, dann könnte sie auch einfach gehen, was sie dann auch prompt getan hatte. Und so saß er im Reptilienhaus und starrte deprimiert und wütend die Riesenschlangen an, als er plötzlich Lilys Stimme hörte. Er drehte sich um, und da war sie. In Jeans und T-Shirt und hielt die Hände von einem kleinen Mädchen mit giftgrünem Haar und einem noch kleineren Jungen mit dunkelblauen Haaren. Die anderen Besucher warfen ihnen entsetzte Blicke zu, aber Lily und die Kinder schien das überhaupt nicht zu kümmern, als sie von einem Terrarium zum nächsten schlenderten.
Henrys Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Er versuchte noch, unauffällig zu verschwinden, aber das Mädchen bemerkte ihn leider und wies Lily darauf hin, dass er sie anstarrte. Lily sagte etwas zu ihr, dass sie als Aufforderung zu verstehen schien und sie und der Junge zerrten Lily zu Henry, um ihm alles über das Chamäleon zu erzählen, was sie wussten. Die Kinder waren so begeistert von allem und hatten so gute Laune, dass es ansteckend war, dass er einfach bei ihnen blieb. Er hatte es nicht vorgehabt, aber schließlich verbrachte er den ganzen Nachmittag mit ihnen. Er half Lily sogar dabei, die Kinder nach Hause zu bringen, und erfuhr überrascht, dass die beiden die Kinder von Ted Lupin waren, seinem alten Mentor in der Zaubertränkeabteilung. Noch überraschter war er, als sich herausstellte, dass Ted der Patensohn von Harry Potter war und Lily ihn kannte, seit sie ein Baby war und sie regelmäßig auf seine Kinder aufpasste. In der ganzen Zeit, die er mit Ted gearbeitet hatte, hatte er nicht einmal gewusst, dass Ted Harry Potter überhaupt jemals begegnet war und Ted hatte sich nie so verhalten, wie Henry es von jemandem, der in Potters Dunstkreis aufgewachsen war, erwartet hatte. Und dabei war er praktisch so etwas wie Lilys großer Bruder.
Ted freute sich sehr, ihn zu sehen und lud ihn und Lily zum Abendessen ein. Danach landeten Lily und er wie selbstverständlich im Bett und es war sogar noch viel besser als das erste Mal und Henry konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen Tag so genossen hatte, der so blöd angefangen hatte.
9. Und dann war Henry plötzlich mit Lily zusammen. Es ging gegen alle seine Prinzipien, aber Lily war toll und viel unkomplizierter, als er je gedacht hätte. Sie war intelligent und ehrgeizig, lustig und chaotisch und nach einer Weile konnte er sich nicht mehr daran erinnern, warum er sie jemals nicht gemocht hatte. Auch ihre Familie war längst nicht so schlimm, wie er sie in Erinnerung hatte. Ihr Bruder Al und seine Frau Tia waren klasse, ihr Vater überraschend bescheiden. Als Henry das erste Mal bei ihnen zum Abendessen eingeladen war, hatte er erwartet, nur von seinen Kriegsgeschichten zu hören, weil das das einzige war, was er als Kind im Zusammenhang mit seinem Namen gehört hatte, aber nicht ein einziges Mal wurde das zur Sprache gebracht. Stattdessen sprachen sie über seine Familie, Quidditch, und witzigerweise Muggelpolitik. Nur mit James verstand er sich anfangs nicht wirklich gut, egal wie sehr er sich Lily zuliebe auch bemühte. Für Henry war und blieb James einfach der rücksichtslose und arrogante Frauenaufreißer, der er schon in Hogwarts gewesen war.
Das änderte sich erst im Laufe der Zeit, als er James etwas besser kennen lernte. Henry brauchte eine Weile, bis er bemerkte, dass James nicht mehr (nur) andauernd neue Frauen ins Bett lockte. Anscheinend hatte Arthur Weasley vor einer Weile einen Herzinfarkt gehabt und James hatte es bis ins Mark erschüttert, dass er alleine war, während fast alle anderen aus der Familie einen Partner an ihrer Seite hatten, der ihnen in dieser schweren Zeit Halt gab. James hatte zwar sehr lange gebraucht, bis er sich wirklich eingestanden hatte, dass er sich auch so eine Partnerin wünschte und noch um einiges länger, bis er endlich seine Frau Julia gefunden hatte, aber Henry war er so viel sympathischer geworden. Es war schön, zu wissen, dass James Potter tatsächlich Gefühle hatte und auch in der Lage war, Rücksicht auf die von anderen zu nehmen. Das hätte er gar nicht erwartet.
10. Seit er mit Lily zusammen war, begann Henry, die Regenbogenpresse zu verabscheuen. Vor Lily hatte er geglaubt, dass die Potters sich nach dieser Aufmerksamkeit sehnten, so oft, wie in der Hexenwoche und ähnlichem von ihnen berichtet wurde, aber wie so vieles andere, von dem er überzeugt gewesen war, stimmte das auch nicht. Lily tat ihr Bestes, um der Klatschpresse aus dem Weg zu gehen und unbehelligt ihre Arbeit zu tun, aber als einzige Tochter von Harry Potter war sie ein ungemein beliebtes Opfer, das durch ihre Beziehungen nur interessanter wurde. Ihre Hochzeit war das Ereignis des Jahres, besonders, weil sie schon einmal einen Antrag abgelehnt hatte, und als sie schließlich schwanger war, steigerte sich das Interesse unglaublicher weise noch mehr. Henry bekam ehrlich Angst um die Sicherheit von Lily und ihrem Baby. Aber Lily wäre nicht Lily, wenn ihr nicht etwas einfallen würde. Sie veröffentlichte ein Buch voller Geschichten ihrer Familie, in denen die einzelnen Mitglieder von den unangenehmsten Begegnungen mit Fans und Klatschreportern berichtete und beschämte die Presse so sehr, dass die sich am Ende gar nicht mehr trauten, irgendwas über die Potters zu schreiben. Seine Lily war wirklich unglaublich und das letzte, was man unterschätzen sollte, war die Macht ihrer Worte.
TBC…
A/N: Fun fact, ich habe vor Jahren angefangen, die Geschichte von Lily und Henry zu schreiben, aber irgendwann wusste ich nicht weiter, deshalb habt ihr sie bisher nie zu Gesicht bekommen. Ich war mir nie ganz sicher, was Henrys Motivation sein sollte und das war mein Versuch, seine Beweggründe und ihre Dynamik endlich festzunageln. Deshalb hatte Henry bisher auch nur sehr kurze Auftritte in den anderen FFs, er war bisher immer ein kleines Mysterium für mich.
Entschuldigt, dass das Kapitel heute so spät kommt, am Vormittag war ich auf einem Weihnachtsmarkt und am Nachmittag war mir kotzübel. Aber da ich schon länger keine Kommentare zu den letzten Kapiteln bekommen habe, bin ich mir nicht sicher, ob hier überhaupt noch gelesen wird (schamlose Manipulation, mal wieder einen Kommentar zu bekommen, ich weiß, aber macht mir doch die Freude, das ist immer das schönste am Kalender für mich).
