21. Dezember: Patricia (Dudley)
1. Patricias Familie war total durchgeknallt. Das fing schon bei ihrem Vater an. Ihre Mutter war noch relativ normal, als Lehrerin für Mathe und Physik, aber ihr Vater war ein ehemaliger Boxer, das war schon eine eher seltene Karriere. Und wenn er seine Haare sehr kurz trug, dann konnte man noch die Narbe sehen, wo er sich den Schädel gebrochen hatte. Die Eltern ihres Dads waren komplett verrückt. Ihre Großmutter sah aus wie ein Riese neben ihrem kugelrunden Großvater. Die beiden liebten Patricia abgöttisch und überhäuften sie mit Geschenken, das war eigentlich ganz nett, nur ihre Eltern konfiszierten immer einen Teil und ihre Mutter bestand darauf, mindestens fünf Geschenke pro Jahr an ein Waisenhaus zu spenden oder in das Jugendzentrum zu geben, in dem ihre Eltern sich kennen gelernt hatten. Im ersten Moment sträubte sich Patricia dagegen, denn es waren ein paar echt coole Computerspiele dabei, aber ihre Mutter nahm sie immer mit, wenn sie die Sachen weggab, und die Kinder freuten sich jedes Mal ungemein, und das war schon ein schönes Gefühl.
2. Die meisten anderen aus der Familie waren genauso merkwürdig, wenn auch auf andere Art und Weise. Fast alle anderen waren Hexen und Zauberer und lebten in einer Parallelwelt, von der die meisten normalen Menschen kaum jemals etwas mitkriegten. Ihre Eltern waren beide nichtmagisch, aber hatten Cousins und Cousinen, die zaubern konnten und sogar auf ein Zauberinternat gegangen waren. Der Cousin ihres Dads, Onkel Harry, hatte sogar einen sehr bösen Zauberer vernichtet, der seine Eltern, also den Onkel und die Tante ihres Dads, umgebracht hatte, als er noch ganz klein war. Und Tante Katie, eine Cousine von Mum, war einmal von einem so bösen Fluch belegt worden, dass sie monatelang nicht zur Schule gehen konnte. Das waren schon sehr krasse Sachen, die ihr als kleines Kind manchmal Albträume beschert hatten.
3. Sie waren viel häufiger bei der Familie ihrer Mum zu Besuch. Mum und Tante Katie verstanden sich hervorragend und wohnten nah beieinander, und Tante Katie passte häufig auf Patricia auf, wenn die beiden keine Zeit hatten oder alleine sein wollten. Mit Onkel Harry hatte Patricia weniger zu tun, aber manchmal kam er mit seinen Kindern auch zu Besuch. Das war nie so lustig, wie wenn Mum mit Tante Katie zusammentraf. Patricia hatte immer den Eindruck, dass ihr Dad und Onkel Harry nie wirklich wussten, über was sie sich unterhalten sollten, aber es war ihnen trotzdem wichtig, dass sie Zeit zusammen verbrachten. Onkel Harrys Kinder wussten nie so ganz, was sie mit Patricia anfangen sollten, dafür war sie einfach viel jünger als sie – Onkel Harrys jüngstes Kind Lily war fünf Jahre älter als Patricia, aber sie hatten cooles Spielzeug und Patricia konnte sie stundenlang über die Zauberschule ausfragen. Sie waren zwar alle noch nie dort gewesen, aber sie kannten haufenweise Geschichten und das war immer wahnsinnig interessant. Obwohl Patricia nicht alles glaubte, was sie hörte. Eine Riesenschlange, die einem nur in die Augen schauen musste, damit man tot umfiel, oder ein Lehrer, der mutwillig einen Troll ins Schloss ließ? Ganz zu schweigen von dem einen Lehrer, der ein ganzes Jahr so tat, als wäre er jemand anderes. Also bitte, sie war vielleicht jünger als die anderen, aber sie war nicht blöd.
4. Sie wusste schon lange bevor der Hogwartsbrief kam, dass sie eine Hexe war. Sie wusste nicht, wie sie es machte, aber sie konnte das Licht in ihrem Zimmer immer wieder anknipsen, wenn sie in der Dunkelheit zu viel Angst bekam. Die Erbsen, die ihre Mum immer verkochte, verschwanden einfach so von ihrem Teller, wenn sie sie nicht essen wollte. Sie wusste, dass ihre Eltern ein bisschen traurig waren, weil sie selbst nicht zaubern konnten, sich aber trotzdem sehr für sie freuten, weil sie so auch Teil dieser aufregenden anderen Welt werden konnte. Tante Katie nahm sie und ihre Eltern mit in die Winkelgasse, um alles für die Schule zu besorgen, und sie kamen alle drei nicht aus dem Staunen heraus. Zauberei war einfach Wahnsinn, und auch wenn sie wusste, dass es eine ganze Welt voll davon gab, wurde es erst so richtig real, als sie die Winkelgasse mit eigenen Augen sah.
5. Ihre Eltern mussten es ihr nicht sagen, aber Patricia wusste instinktiv, dass sie Zauberei vor den Eltern ihres Dads nicht erwähnen sollte. Als kleines Kind hatte sie es ein paar Mal gemacht, wenn sie von ihren Besuchen bei Tante Katie erzählte, aber ihre Großmutter machte dann immer ein Gesicht, als ob sie auf eine Zitrone gebissen hätte, und ihr Großvater schnaubte so verächtlich, dass sein ganzer Schnurrbart vibrierte. Wenn die beiden schon so reagierten, wenn sie nur von Magie erzählte, dann wollte sie gar nicht erst wissen, wie es sein würde, wenn sie wussten, dass Patricia selbst zaubern konnte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie sie Onkel Harry behandelt hatten. Dabei war der immer so nett und hatte immer ganz tolle Schokolade für Patricia.
6. Ihre Großeltern erfuhren erst, dass Patricia nach Hogwarts ging, als sie in der vierten Klasse war. Ihre Eltern hatten ihnen erzählt, dass Patricia auf ein sehr renommiertes Internat in Schottland ging, das nur ganz besonders talentierte Kinder aufnahm, was genau genommen auch stimmte. Und Mum war Lehrerin und liebte ihren Beruf über alles, deshalb war es auch nicht ungewöhnlich, dass sie so viel Wert auf Bildung legte. Aber in den Weihnachtsferien während der vierten Klasse erzählte Patricia ihren Großeltern, wie langweilig der Geschichtslehrer Professor Binns war, der immer eher tot als lebendig aussah und den Namen von keinem einzigen Schüler kannte, und ihre Großmutter riss entsetzt die Augen auf und fing an zu hyperventilieren. Wer hätte auch ahnen können, dass ihre Großmutter den Namen kannte, weil Großtante Lily ihr von ihm erzählt hatte? (Wobei es kein Wunder war, dass der Geist seinen Unterrichtsstil nicht verändert hatte, er kam seit Jahrhunderten damit davon.)
7. Ihre Großeltern bemühten sich, sie danach nicht anders zu behandeln, schließlich war Patricia ihr einziges Enkelkind und sie hatten sie immer mit ihrer (sehr materiellen) Liebe überschüttet, aber es war ganz eindeutig anders, nachdem sie die Wahrheit kannten. Sie stellten absolut keine Frage mehr zu ihrer Schule und ihren Freunden (und hatten somit kaum was, worüber sie noch reden konnten). Sie sprachen viel über Filme und Serien und technische Entwicklungen, aber dadurch, dass Patricia den größten Teil des Jahres von der Muggelwelt abgeschnitten war, hatte sie große Wissenslücken. Es gab zwar einen Muggelclub in Hogwarts, wo sich jeder, der Interesse hatte, im Raum der Wünsche versammelte und zusammen Filme und Serien sah, aber auch wenn sie es schafften, einen Laptop und Projektor zum Laufen zu kriegen, hatten sie leider kein Internet, deshalb gab es auch kein Netflix.
8. Patricia war fassungslos, als sie in Hogwarts erfuhr, was Onkel Harry im Krieg alles gemacht hatte. Sie wusste, dass er wichtig gewesen war, aber so wichtig … wow. Und dabei sah er gar nicht danach aus, dass er so hardcore war. Obwohl, er war ein Auror, was die Polizei der Zauberwelt war, und das war schon ein sehr aufregender Beruf. Aber Professor Longbottom hatte auch eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Voldemort gehabt, und der Mann sah aus, als könnte er keiner Fliege war zu Leide tun. Als sie in den Ferien nach Hause kam, fragte sie ihren Dad, ob er wusste, wie cool Onkel Harry war. Sein Dad wurde rot und fing an zu stottern, aber schließlich nickte er. „Harry war schon immer der mutigste Mensch, den ich kannte." Es wusste nicht alles, weil Harry zuhause wohl nie viel darüber gesprochen hatte, was er in der Schule machte, aber als Dad mit ihren Großeltern im letzten Kriegsjahr untergetaucht waren (und wie cool war das denn, warum hatte er davon nie erzählt!?), hatte er einiges von seinen Freunden Hestia und Dädalus erfahren, die manchmal zum Tee vorbei kamen und auch Patricia die tollsten Geschichten erzählen konnten.
9. Sie wusste, dass ihre Berufswahl nach der Schule ihrer Familie nicht recht war, aber Patricia wusste, dass es der beste Beruf war, den sie nur haben konnte. Sie war seit der ersten Klasse sehr gut in Verteidigung gegen die dunklen Künste gewesen, und auch in keinem anderen Fach richtig schlecht, und ihr Hauslehrer Neville stimmte ihr zu, dass es keinen besseren Beruf für sie gab als Auror. Und sie war wirklich klasse, das mussten alle zugeben. Sie gehörte zu den besten und sie war sehr stolz darauf, dass sie in die Fußstapfen ihres Onkels treten konnte. Harry war einer ihrer Ausbilder gewesen und hatte immer nur ungläubig und fasziniert gesagt, dass er nie gedacht hätte, dass das in der Familie lag. Aber ihr Dad war Boxer gewesen und gab immer noch Selbstverteidigungskurse, also war es auch nicht so unwahrscheinlich, dass sie gut mit Verbrechern umgehen konnte. Wenn ihr Dad wütend war, dann sah er immer ein bisschen gruselig aus, und sie wusste, dass sie ihm da ziemlich ähnlich war.
10. Sie heiratete schon ziemlich früh, auch wenn sie das anfangs gar nicht erwartet hätte. Aber in der fünften Klasse verliebte sie sich in den Sohn von Professor Longbottom, Frank, der zwei Jahre älter war, und sie galten als eines der Traumpaare in Hogwarts. Es war ein bisschen merkwürdig, mit dem Sohn ihres Hauslehrers zusammen zu sein, aber Neville konnte das sehr gut trennen und war immer nett zu ihr, egal ob als Schülerin oder die Freundin seines Sohnes. Nach dem Schuljahr trennten Frank und sie sich leider, weil sie beide wussten, dass sie eine zweijährige Fernbeziehung nicht durchhalten würden, und Patricia fand einen anderen Freund, den sie auch sehr mochte.
Aber nach einer Weile verlief diese Beziehung um Sand und nach ihrem Abschluss lief sie Frank im Restaurant seiner Mutter über den Weg, als sie mit ein paar anderen Auszubildenden was trinken war, und es war, als hätten sie sich nie getrennt. Irgendwann war es einfach selbstverständlich, zu heiraten. Ihre Großeltern verziehen ihr nie, dass sie einen Zauberer heiratete und ihre Kinder auch nach Hogwarts gehen würden, aber das nahm Patricia gerne in Kauf. Was wussten ihre Großeltern denn schon?
TBC…
