Don't stop me now

Kapitel 2

Diffuses Licht fiel ins Innere der Scheune und es roch angenehm nach Stroh. Natasha mochte diesen geheimen Rückzugsort. Immer dann, wenn sie nicht gerade irgendwo einen Job zu erledigen hatte, kam sie hier her, um Clint und seine Familie zu besuchen, die ihr wie eine eigene war. Ein Stück heile Welt. Im Moment fühlte sie sich jedoch in dieser gewohnten Umgebung fehl am Platz. Es lag nicht an Bruce, der den Kopf so voller Probleme hatte, dass sie meinte, sie durch seine Gehirnwindungen kriechen hören zu können. Er war einfach am Boden zerstört nach allem. Die eine Hand hatte er in der Hosentasche, die andere schob er durch seine zerwühlten schwarzen Locken. Er wirkte, als würde er etwas sagen wollen, doch er tat es nicht. Ihr ging es ebenso, weshalb sie langsam glaubte, dass es ein Fehler war, mit ihm reden zu wollen. Welche Gefühle sie auch immer füreinander hatten, sie mussten warten.

Für eine ganze Weile schon sahen sie sich verhalten an, bis Natasha das Schweigen brach und den Anfang machte: „Du hast recht. Ich hätte nicht damit anfangen sollen. Wir haben schon genug Probleme."

Ihr war nicht wohl dabei zumute, als sie das sagte, aber manchmal musste auch sie einsehen, dass nur noch der Rückzug blieb. Sie drehte sich um, wandte sich der Tür zu und entriegelte sie. Ohne sich umzusehen, ging sie zum Haus zurück. Sie wusste, dass Bruce hinterher kam, wenngleich er nichts auf ihr Friedensangebot erwiderte und sie ihm ihrerseits hartnäckig keine Beachtung mehr schenkte. Es war besser so. Der Bogen war überspannt und der Punkt erreicht, wo es nichts mehr zu sagen gab.

Drinnen herrschte eine angespannte Betriebsamkeit, untermalt von leisem Stimmengewirr. Unweigerlich überkam sie das Gefühl, in irgendwas reingeplatzt zu sein. Was das war, konnte sie sich denken.

„Äh, kann einer von euch beiden kochen?" Unverkennbar das Großmaul von Tony. Nicht weniger dezent fügte er an: „Das Küchenpersonal ist unterbesetzt und dieses ganze Gekloppe macht hungrig – nichts für ungut, Banner."

Sie hörte ein leises Schnauben hinter sich. Schnell schlug sie eine Kurve zur Küche ein, wo Clint und Laura einträchtig Seite an Seite ein wohlschmeckendes Abendessen zubereiteten. Dafür brauchte sie nur dem köstlichen Duft zu folgen. Die beiden waren ein perfekt eingespieltes Team. Sie lebten mit ihren Kindern von dem, was die Farm hergab, und waren glücklich damit.

Legere lehnte sie sich gegen den Türstock und klopfte an. „Achtung, hier kommt der Stimmungskiller."

Clint schaute sie von der Seite her an und runzelte die Stirn. „Du bist zu hart zu dir selbst. Vielleicht haben wir alle einfach nur Hunger."

„Mag sein."

„Möchtest du drüber reden?"

„Nicht wirklich. Erzähl mir was, das mich aufheitert. Bitte." Hoffentlich beließ er es dabei. Im Abblocken war sie gut und normalerweise respektierte er das.

„Tony hat den Vorschlag gemacht, frischen Hummer einfliegen zu lassen. Aber ich hab ihn abgewürgt. Das ist ein sicheres Haus und so soll es auch bleiben", kam es achselzuckend zurück.

Natasha schaute ihn skeptisch an.

„Frag erst gar nicht. Ich bin sicher, es war einer seiner üblichen Scherze."

„Ich finde, er ist gar nicht so übel, wie ihr immer gesagt habt", warf Laura ein.

Oh nein. Bitte nicht. Vollkommen überzogen verdrehte Natasha die Augen, ein angeeigneter Reflex, sobald Tonys Ego ins Spiel kam.

„Woher er diese Wirkung auf Frauen hat, wüsste ich nur zu gern", kommentierte Clint zynisch. „Nat, wo du schon mal hier bist, willst du uns nicht beim Kochen helfen?"

Ihr schief gerichteter Blick entlockte ihm ein herausforderndes Grinsen.

„Lass sie, Schatz. Sie ist unser Gast." Laura zwinkerte in ihre Richtung.

„Deine Frau ist klüger als du, Clint. Wenn wir das Essen auch essen wollen, geh ich lieber nicht an den Herd. Du weißt ja, was ich beim letzten Mal angerichtet habe. Außerdem kann ich nicht riskieren, die anderen da draußen noch mehr gegen mich aufzubringen."

„Wie wahr. Besser, du erinnerst mich nicht daran", lachte Clint spöttisch. „Aber was die anderen anbelangt, glaube ich, liegst du falsch. Keiner hat was dagegen, wenn du was mit Bruce anfängst. Ihr ergänzt euch auf wundersame Weise und das meine ich nur positiv."

Natasha sank entmutigt auf einen der Küchenstühle nieder. Das klang verdächtig nach tiefgründigen Gesprächen oder zumindest hitzigen Diskussionen, wobei ihr Bruce fast mehr leidtat als sie sich selbst. Ihn hatte das Ausmaß der Verwüstung am schlimmsten mitgenommen, er war schließlich außer Kontrolle gewesen.

Vor ihr auf dem Tisch lag ein Schneidebrett und ein Messer. Sie nahm das Messer und bohrte die Spitze gedankenverloren in das Brett. Ein wenig verstand sie Tonys Reaktionen nach dem Desaster sogar. Was die anderen für unpassende Witze hielten, war für ihn ein klassischer Weg, mit den Dingen umzugehen, die das Heldendasein unschön nach sich zog. Irgendwie damit zurechtzukommen, um dann weiter zu machen. Mal sehen, wie lange er das noch durchhielt, schoss es ihr in den Kopf. Denn wer diese Hürde nicht packte, war irgendwann nur noch ein von Selbstzweifeln zerfressener Idiot und hatte in dem Gewerbe eindeutig nichts verloren.

„Ich glaube, ihr seid meine einzigen Freunde hier. Wie schlimm ist es gelaufen da draußen?", tastete sie sich vorsichtig an das Thema Bruce heran.

„Keine Ahnung, was du meinst. Alle sind sehr friedlich", sagte Clint und richtete seine Aufmerksamkeit stoisch auf einen Berg geputztes Gemüse, während Laura taktvoll in der Vorratskammer verschwand und so tat, als würde sie nach etwas suchen.

„Du lügst. Du weißt genau, was ich meine." Natasha machte vor ihm keinen Hehl aus ihrem Interesse an Bruce. Wenn jemand es wissen durfte, dann die Bartons. Die anderen reimten sich sowieso zusammen, was sie wollten.

„Dann ist da doch etwas?" Interessiert drehte er sich zu ihr um, lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen das Spülbecken und sah sie aufmerksam an.

„Ich weiß es nicht, ehrlich. Aber dieses heimliche Getuschel hinter meinem Rücken nervt."

„Wen nervt es? Dich oder ihn? Und warum? Etwa, weil was dran ist an der Sache?"

„Du lehnst dich ziemlich weit aus dem Fenster, Clint."

Clint blieb ganz locker. „Antworte einfach."

„Schön", seufzte sie in gemäßigtem Ton. „Es geht mir nur um ihn. Er braucht Zeit, um das zu verarbeiten. Er macht sich schon genug Vorwürfe. Verdammt! Wenn ich ihn doch nur in Ruhe gelassen hätte!" Der letzte Satz war lauter als beabsichtigt aus ihr herausgeplatzt und Clint hob abwehrend die Arme.

„Hey, ganz ruhig bleiben. Wenn du nicht aufpasst, kannst du es gleich in den Nachrichten verbreiten lassen, okay?" Sie nickte und er fuhr fort: „Hör zu, Nat, niemand kann euch verbieten, dass ihr euch aufeinander zubewegt. Das ist eine Sache, die nur euch beide was angeht."

„Verstehst du nicht? Es ist nicht schwer, zu erkennen, dass sie über Bruce und mich geredet haben. So offensichtlich ist es schon."

„Das ist es nur deshalb, weil wir uns nicht immer vor der Wahrheit verstecken können. Wir gehen alle große Risiken ein. Wenn wir nichts haben, das uns mit beiden Beinen am Boden hält, verlieren wir den Verstand. Und wenn du dich zu ihm hingezogen fühlst, schäme dich nicht dafür", beruhigte sie Clint.

„Ich weiß. Ich frage mich nur … ach, vergiss es", sagte Natasha abwesend.

„Du willst wissen, ob Bruce darauf eingehen würde, wenn es den Hulk nicht gäbe, richtig?"

„Wenn du es so formulierst, ja. Aber diese Frage erübrigt sich."

Entnervt seufzte sie. Das hatte ihr gerade noch gefehlt: Ungewissheit. Dieselbe, die sie in Bruce' Augen gesehen hatte.

Dieses beunruhigende Gefühl bestärkte sich noch, da das gesamte Team planlos im Wohnzimmer herumlungerte und aufs Abendessen wartete. Eine Truppe am Boden zerstörter Kreaturen, die nur versucht hatten, das ganz große Chaos zu verhindern. Der Schuss war jedoch gehörig nach hinten losgegangen, wenn Natasha so darüber resümierte. Und jetzt tat ihr Bruce wirklich leid. Es schmerzte sie, zu sehen, wie er sich im Jet abgekapselt und in seine Decke verkrochen und nach der Landung abgeschlagen als letzter das Haus betreten hatte. Was hatte die Scarlet Witch in seinem Kopf ausgelöst, um diese Wut in Hulk zu entfesseln? Woran erinnerte sich Bruce? Ein Häuserblock komplett dem Erdboden gleichgemacht. Ein paar andere vom Einsturz bedroht. Nicht auszudenken, wie viele Menschen dabei verletzt worden oder gestorben waren.

Clint musterte sie eindringlich. „Du magst ihn. Sehr sogar. Und jetzt machst du dir Vorwürfe, weil du ihm nicht helfen kannst", sagte er ohne Umschweife.

„Ja. Nein. Ich weiß es nicht. Seit der Gründung der Avengers war zwischen uns immer irgendwas. Aber jetzt … ich kann es mir nicht erklären."

„Vertrauen. Was du meinst, ist Vertrauen. Deshalb habt ihr euch aufeinander zubewegt."

Dass er sofort die Antwort kannte, brachte sie aus der Fassung. Im Augenblick war das ohnehin schwer zu verstehen. Sie hatte eher das Gefühl, als hätten sie sich vorhin weit voneinander entfernt. Hoffentlich hatte sie Bruce dabei nicht verloren.

„Wieso ist es so offensichtlich für dich?", wollte sie wissen.

„Weil ich dich kenne. Du hättest nicht so viel Zeit in ihn investiert, wenn er dir gleichgültig wäre. Die Menschen, die du an dich heranlässt, müssen schon was Besonderes sein."

„So wie du?", zog sie ihn auf, bereute es aber sofort und biss sich auf die Unterlippe.

„Ja, so ähnlich." Clint war nicht anzumerken, dass sie ihn getroffen hatte.

„Das war fies von mir, entschuldige. Ich bin heute irgendwie geladen."

„Zu mir kannst du alles sagen, das weißt du. Aber bei den anderen solltest du dich zurückhalten. Es war hart für uns alle. Wenn du willst, kannst du schon mal den Tisch decken. Vielleicht geht es uns nach dem Essen besser."

Das war die Kehrseite der Medaille, die immer dann zum Vorschein kam, wenn das Adrenalin aus den Adern verschwunden war. Psychokram, mit dem jeder von ihnen klarkommen musste. Nicht einer von ihnen hatte nicht mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Aus dem Wunsch heraus, das Richtige zu tun. Davon konnte Natasha ein Liedchen singen; eine ganze Arie, um genau zu sein. Sie fühlten sich nutzlos, wenn nicht sogar hilflos. Der einzige Weg, der aus diesem Teufelskreis hinausführte, war der, dem Strudel aus Selbstvorwürfen, Zweifeln und Schmerz ein Ende zu bereiten. Aber bevor sie einen Plan ins Leben riefen, was sie tun sollten, mussten sie erst zu sich selbst finden.