Szene I
Personen: Rochefort, Jussac
Szene: Rocheforts Wohnung
In Rocheforts Wohnung. Es ist düster, ein kleines Feuer flackert unruhig, weil Tür und Fenster nicht dicht sind. Der ehemalige Stallmeister des Kardinal Mazarin ist um die sechzig, fünfundsechzig Jahre alt, bleich, mit weißen Haaren. Er ist dunkel gekleidet.
Rochefort öffnet einem vermummten Mann die Tür, Jussac nimmt den breitkrempigen Hut ab und den Schal vom Gesicht. Jussac ist etwa zehn Jahre jünger als Rochefort, kräftig, und trägt einen langen Degen unter seinem Mantel.
Jussac: Seid Ihr alleine?
Rochefort: Es ist niemand weiter hier. Jussac! Das ist unerwartet. Was verschafft mir die Ehre?
Jussac: Kein Grund, so besorgt auszusehen. Hoffe ich zumindest. Darf ich mich setzen?
Rochefort: Aber bitte, nehmt doch Platz. Ein Glas Wein? Er schenkt ein und setzt sich auf einen Stuhl, da der einzige Sessel durch Jussac besetzt ist.
Jussac: Danke. Ich wollte nicht allzu lange bleiben. Es gibt nur einige Fragen, die ich Euch gern stellen möchte.
Rochefort: Bitte, ich bin ganz Ohr.
Jussac: Monsieur, Ihr wart lange von der Bildfläche verschwunden, wenn mir dieser Ausdruck gestattet ist. Vieles hat sich gewandelt, und für uns alle ist es in diesen unruhigen Zeiten notwendig geworden, sich wieder einen Platz im Leben zu suchen.
Rochefort: Manchen von uns ist das wohl leichter gefallen als anderen.
Jussac: Nachdem es Mazarin gefiel, die Garde aufzulösen, hatte er die große Gnade, mich in seiner persönlichen Leibgarde unterzubringen, da ich ihm dafür aufgrund meiner Erfahrungen, meiner Taten und Loyalität sehr geeignet für diese verantwortungsvolle Aufgabe erschien.
Rochefort: Er hätte niemanden Geeigneteres finden können.
Jussac: Ihr seid sehr freundlich. Wisst Ihr, welcher Art genau meine Position in der Garde ist?
Rochefort: Wenn Ihr schon so fragt, muss sie um einiges höher sein, als es einem ehemaligen Leutnant in Richelieus Garde zukommt. Da Jussac seine Hände unter seinen Mantel schiebt, entzündet Rochefort einen Holzspan am dürftigen Kaminfeuer und zündet mit diesem mehrere Kerzen an, deren Flammen in der Zugluft blaken. Es wird heller im Zimmer und Rochefort kann Jussac nun besser betrachten. Geht es Euch gut, Jussac? Offen gestanden seht Ihr furchtbar aus.
Jussac: Mir fehlt nichts. Der Dienst bei Monseigneur ist in diesen Zeiten fordernd.
Rochefort: Das kann ich mir vorstellen.
Jussac: Ihr braucht dabei nicht so hämisch zu grinsen. Tatsächlich hat mir Monseigneur überaus viele Beweise Seines Vertrauens gegeben, und Ihr könnt sicherlich verstehen, dass ich mir dieses auch weiterhin verdienen möchte.
Rochefort: Dann wundere ich mich, wieso Ihr mich heute besucht. Ihre Eminenz wird wenig begeistert sein, wenn Sie davon erfährt.
Jussac: Es liegt nicht in meiner Absicht, Mazarin davon Mitteilung zu machen.
Rochefort: Das kann ich mir denken. Ihr wollt das hart erarbeitete Vertrauen nicht verlieren. Nun gut, was wollt Ihr dann von mir, Jussac? Ihr seid sicherlich nicht hier, um mit mir über die Güte des Herrn Mazarin zu disputieren.
Jussac: Durchaus nicht, Monsieur. Es geht um eine Angelegenheit, von der ich Wind bekommen habe und die meinen Herrn und seine Sicherheit durchaus betreffen.
Rochefort: Ich bezweifle, dass Ihr damit bei mir an der richtigen Stelle seid, Jussac.
Jussac: Das ist mir durchaus bewusst. Mein Besuch dient nicht dazu, Euch von gewissen Vorhaben abzubringen, von denen ich Kunde erhalten habe. Es geht mir vielmehr um eine ganz bestimmte Person, die seit einiger Zeit in den Kreisen verkehrt, in denen Ihr sehr viel Einfluss habt.
Rochefort: Von wem sprecht Ihr?
Jussac: Von einem gewissen Claude Cassue, wie er hier genannt wird. Sagt Euch dieser Name etwas?
Rochefort: Vielleicht …
Jussac: Monsieur, war Euch jemals bekannt, dass ich einen Sohn habe?
Rochefort: Nein, davon habe ich noch nie gehört.
Jussac: Dieser Monsieur Cassue, er ist ja noch sehr jung… Stellt Euch diesen Namen bitte einmal bildlich vor.
Rochefort: Wollt Ihr mir tatsächlich erzählen, dass Cassue Euer Sohn ist?
Jussac: Leider ist dies der Fall. Claude de Jussac fils. Der Himmel mag wissen, was ihn der Fronde in die Arme getrieben hat.
Rochefort: Cassue hat sich von selbst an gewisse Menschen gewandt. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, aber soweit ich weiß, ist er besorgt über die derzeitigen politischen Entwicklungen unter Maza-
Jussac: Ich will es nicht wissen! Monsieur, ich kann und will mir nicht anhören, was Ihr über Mazarin oder die aktuelle politische Situation zu sagen habt. Dafür sind andere Menschen da, die dafür die richtigen Gesprächspartner sind. Mir geht es um meinen Sohn. Ich weiß, dass er in der Fronde aktiv ist.
Rochefort: Nun, Monsieur, ich würde Euch gerne helfen, aber ich fürchte, in diesem Punkt überschätzt Ihr meinen Einfluss. Als Vater seid doch, wenn, dann Ihr in der Position …
Jussac: Ich merke, dass Ihr keine Kinder habt.
Rochefort steht auf: Das ist der Fall. Aber wenn es so wäre, Jussac, dann würde ich mich fragen, warum mein Sohn so ganz andere Ansichten vertritt als ich – Oh, bitte, das soll keine Beleidigung sein. Ihr könnt den Degen stecken lassen.
Jussacsteht auf, nimmt Hut und Schal und vermummt sich wieder. Monsieur, wenn Claude auch nur eine Schramme davon trägt … vor mir steht der Mann, der dafür bezahlen wird. Ab.
