Kapitel 6

„Alle mal herhören! Ich möchte euch Tally Bennett vorstellen. Sie ist neu auf unserer Schule und gerade erst aus Amerika hierher gezogen. Ihr Vater ist ein sehr bekannter ehemaliger Spieler der NBA und glaubt mir wenn ich euch sage, sie hat wirklich sehr viel von ihm gelernt!", stellt Satsuki ihre weißhaarige Klassenkameradin ihrer Basketballmannschaft vor, als diese in lockeren Shorts, einem Sport Top und hochgesteckten Haaren die Halle betritt in der gerade das Training stattfindet. „Ri-chan hat sich dazu bereit erklärt, ab und zu bei unserem Training vorbeizuschauen, um uns zu unterstützen. Sie wird erstmal nur zusehen, aber später steigt sie ins Training mit ein und wird mit euch spielen, um euch einige ihrer Techniken zu zeigen. Falls ihr Fragen an sie habt oder bei irgendetwas Hilfe gebrauchen könnt, zögert nicht, mich oder sie direkt anzusprechen." Das Team verbeugt sich vor den beiden Mädchen und bedankt sich synchron, dann schickt Satsuki sie wieder zurück an die Arbeit.

„Ich frag dich das ja nicht gern, aber wo ist denn euer Wunderass?", neckt Tally die junge Managerin und die Rosahaarige seufzt resigniert. Mit einem genervten Augenrollen verschränkt sie ihre Arme vor der Brust. „Dai-chan kommt meistens zu spät und manchmal lässt er das Training immer noch ausfallen, obwohl er derjenige war der gesagt hat, dass er wieder anfangen will zu trainieren nachdem er gegen Kagamin verloren hatte. Ich weiß nie, ob er überhaupt noch auftaucht oder nicht!" Die Weißhaarige kichert über die aufgeblähten Backen und den Schmollmund ihrer Freundin. „Hast du ihm gesagt, dass du mich eingeladen hast?" Aber Satsuki schüttelt streng den Kopf. „Das hätte er längst selbst rausfinden können, wäre er hier. Selber schuld!" Ein leicht schadenfrohes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus und Tally kann sich ein schelmisches Lachen einfach nicht mehr verkneifen. Egal wie liebenswert sich die Rosahaarige normalerweise auch verhält, sie scheint recht nachtragend zu sein, wenn man ihr zu lange auf die Nerven geht.

Das erste Training mit Tally als Beobachterin vergeht rasend schnell. Zusammen mit Satsuki steht sie am Rand der Halle und macht sich einige Notizen. Dabei ist sie tatsächlich sehr erstaunt darüber, auf was für einem hohen Niveau die gesamte Mannschaft selbst ohne Daiki spielt. Für eine Schulmannschaft ist dieses Team schon auf sehr fortgeschrittenem Level. Das Basketball Ass hingegen lässt sich die ganze Zeit über nicht blicken und Tally ertappt sich dabei, wie sie doch etwas enttäuscht ist. Sie hatte sich einige Bedenkzeit genommen nachdem Satsuki sie eingeladen hatte und als ihre Entscheidung schließlich positiv ausgefallen war, hatte sie sich schon darauf gefreut, auch Daiki mal in Aktion sehen zu können, aber wenn sie jetzt regelmäßig beim Training aushelfen wird, hofft sie ihre Gelegenheit doch noch zu bekommen. Bis dahin beschließt sie geduldig zu sein und einen Plan auszuarbeiten, um den übrigen Mitgliedern zu helfen.

„Wollen wir zusammen nach Hause gehen?", fragt die Rosahaarige als die beiden Mädchen sich nach dem Training vorne am Schultor treffen. „Tut mir leid, ich kann heute leider nicht. Ich fange heute meinen neuen Nebenjob an. Meine Eltern sind doch endlich hier eingetroffen und meine Mutter hat mir einen neuen Model Job besorgt."

Satsukis rosa Augen fangen an aufgeregt zu leuchten. „Wirklich? Also hast du dich dazu entschieden auch hier in Japan zu modeln? Das ist ja super, Ri-chan!" Tally reibt sich verlegen den Nacken und nickt. „Ja… Naja, ich arbeite gerne für mein Geld, weißt du. Einfach nur Taschengeld von meinen Eltern zu bekommen ist irgendwie nicht so mein Ding. Wenn du willst kann ich dir die Magazine besorgen in denen die Fotos abgedruckt werden." Noch bevor die Weißhaarige den Satz zu Ende gesprochen hat, fällt ihre Klassenkameradin ihr auch schon um den Hals und bedankt sich überschwänglich bei ihr. Irgendwie ist es Tally total peinlich, dass ihre rosahaarige Freundin so ein großer Fan von ihr ist, aber ein bisschen freut sie sich auch darüber.

Nachdem sie sich von Satsuki verabschiedet hat, macht sich Tally auf den Weg zur Bahn und fährt zu der Agentur, die ihr neuer Manager, bei dem sie erst seit zwei Tagen unter Vertrag steht ihr aufgeschrieben hat. Dort soll sie ihren männlichen Partner für das Fotoshooting treffen, das heute ansteht und auch den Fotografen und die restliche Crew. Soweit es die Weißhaarige noch in Erinnerung hat soll sich ihr erster Job um elegante Abendgarderobe drehen, sowohl für Männer als auch für Frauen und natürlich im besten Fall aufeinander abgestimmt, damit man als Paar auf schicke Events gehen kann, also ist es eine Kooperation mit einem anderen Management, das ein männliches Model unter Vertrag hat. Er soll schon ziemlich bekannt und beliebt sein und Tallys Gefühle hierzu sind etwas zwiespältig. Einerseits könnte es ein super Start für ihre eigene Karriere sein sich mit jemandem ablichten zu lassen der schon einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, aber andererseits sind solche Leute nun mal auch oft furchtbar arrogant und von sich selbst viel zu überzeugt. Die Weißhaarige hofft bloß, dass sie mit ihrem Partner gut auskommen wird.

Als sie in der Agentur ankommt wird sie freundlich und professionell von allen Anwesenden begrüßt und direkt in die Garderobe geführt, wo eine Stylistin sich um ihr Make-up und um ihre langen Haare kümmert. Ihr wird mitgeteilt, dass sich ihr Partner ein wenig verspäten wird, was aber kein Problem darstellt, da auch einige Soloaufnahmen geplant sind. Die junge Weißhaarige wird in ein wirklich wunderschönes, dunkelblaues Abendkleid und passende High-Heels gesteckt und sofort vor die Kamera gezerrt. Für sie fühlt es sich beinahe so an, als hätte sie nie mit dem Modeln aufgehört. Die Posen kommen wie von selbst, die Anweisungen des Fotografen sind sehr präzise und leicht umsetzbar und nach einer halben Stunde, in der auch noch ein bisschen mit den passenden Lichtverhältnissen herumexperimentiert werden musste, ist das gesamte Team gut eingespielt und mit den ersten Ergebnissen mehr als zufrieden.

Gerade als sich Tally kurz in ihre Garderobe zurückziehen will, um einen Schluck zu trinken, weiten sich ihre Augen bei dem mittlerweile nur allzu bekannten Gefühl einer übermächtigen Aura die sich ihr nähert. Kann es denn wirklich sein, dass sie, egal wo sie hier in Japan hingeht auf so einen Wunder-Kerl trifft? Ganz sicher ist es wieder einer aus dieser Generation der Wunder, denn nachdem sie den anderen bereits begegnet ist, bezweifelt Tally tatsächlich dass es irgendjemand anderen gibt, der so eine Ausstrahlung haben kann. Aber warum hier bei einem Model Job?

Nach nur wenigen Minuten steht die Antwort buchstäblich vor ihr, als ihr von der Crew ihr heutiger Partner, Ryota Kise vorgestellt wird. Ein großer, muskulöser, gutaussehender, blonder Typ mit einem perfekten Lächeln und strahlenden, goldenen Augen. Und sie in diesem Kleid… Na perfekt! Tally geht ein paar Schritte auf ihn zu und schenkt ihm ihrerseits ein leicht unsicheres Lächeln, das hoffentlich freundlich rüberkommt. „Hi, ich bin Tally. Freut mich, dich kennenzulernen. Auf gute Zusammenarbeit, ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus."

Blondies Lächeln wird sogar noch ein bisschen breiter und sonniger, als er ihre Hand nimmt und zu einem Handkuss an seine Lippen führt. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Prinzessin. Du siehst wirklich umwerfend aus. Eine bessere Partnerin könnte ich mir heute gar nicht wünschen." Um zu vermeiden, dass ihr Mund offen stehen bleibt und um den immensen Druck seiner Präsenz und seiner Berührung auf ihrer Haut abzuschütteln, legt die junge Weißhaarige den Kopf leicht schief. „Oh, vielen Dank, aber ich fürchte das… ähm das ist das Kleid, schätze ich." Ihr schiefes Grinsen wird von einem kurzen, verblüfften Blinzeln seinerseits erwidert und dann fängt er an zu lachen. Einige Leute aus dem umstehenden Team fallen mit ein und bald darauf lacht auch Tally herzlich mit, was die merkwürdige Atmosphäre ein bisschen auflöst und das Eis zwischen den beiden Models bricht, bevor Ryota in die Garderobe zur Stylistin gebracht wird.

Nur wenige Augenblicke später kommt er in einem perfekt abgestimmten, dunkelblauen Anzug wieder zurück, der zu Tallys Kleid passt und die beiden werden gebeten, zusammen vor die Kamera zu treten. Die Weißhaarige pfeift anerkennend durch die Zähne. „Also du sahst vorher schon echt gut aus, aber jetzt bist du zu Prinz Charming mutiert. Wo hast du dein Pferd gelassen?", murmelt sie scherzhaft, während der Blonde einen Arm um ihre Hüften schlingt und sie an sich zieht, während er weiter in die Kamera lächelt und schließlich Augenkontakt mit ihr aufnimmt, damit sie sich gegenseitig wie ein verliebtes Pärchen anschmachten können. „Oh, ich bevorzuge modernere Fortbewegungsmittel. Wie wäre es stattdessen mit einer Limousine, um meine Prinzessin in die Freiheit zu entführen?", flüstert er leise zurück, was Tally zum Kichern bringt. „Was, kein waghalsiges Motorrad oder so?" Ihr Partner wirbelt sie herum wie bei einem Tanz und fängt sie dann problemlos wieder auf. „Das passt nicht zum Outfit." Die beiden fangen wieder an zu lachen, als der Fotograf die Aufnahmen beendet und die Assistenten hektisch anfangen, Equipment für die Beleuchtung durch die Gegend zu schleppen.

Nach drei weiteren Outfits und gelegentlichen Neckereien während des Shootings, bekommen die beiden Models endlich eine Pause und setzen sich in ihrer Garderobe zusammen, um etwas zu trinken und sich ein bisschen besser kennenzulernen. Dabei stellt Tally zu ihrer Erleichterung fest, dass Ryota zwar gerne flirtet, aber dass er ansonsten ein echt netter und bodenständiger Kerl ist. Keinerlei Arroganz oder Überheblichkeit spricht aus ihm. Er ist einfach nur ein junger Mann, der auf eine andere Oberschule geht und als Nebenjob modelt, genau wie Tally auch. Wäre da nicht diese besondere Ausstrahlung einer Naturkatastrophe, könnte man ihn glatt für stinknormal halten.

Natürlich ist der Blonde ganz begeistert davon, als Tally ihn ein wenig in ihre kleinen Geheimnisse einweiht, wen von seinen Freunden sie schon alles getroffen hat und auch wie ihr bisheriges Leben und der Umzug nach Japan so verlaufen sind. Besonders die Nachricht, wer ihr Vater ist, schlägt mal wieder ein, wie eine Bombe, aber auch Tallys Mutter ist Ryota überraschenderweise ein Begriff. Er scheint sich wirklich mit seinem Beruf als Model sehr ernsthaft auseinanderzusetzen, wenn er sich selbst für Leute interessiert, die weit vor seiner Zeit in diesem Business tätig waren.

„Ich würde unheimlich gerne mal gegen dich spielen. Ich bin super neugierig was die Tochter von einem NBA Spieler so alles drauf hat.", sagt der Blonde fröhlich, aber Tally winkt ab. „Ich bin nicht sicher, ob es für dich wirklich eine Herausforderung wäre. Ich bin gut, besser als der normale Durchschnitt, das kann ich mit Stolz behaupten ohne damit angeben zu wollen, aber ich bin bei weitem kein Genie und schon gar nicht so ein Überflieger, wie ihr es in eurer Wundergeneration alle seid. Ich hab ein paar gute Tricks auf Lager, aber ich bin tatsächlich nur so gut, wie es ein normaler Spieler eben sein kann. Sicher kann ich mich auch noch verbessern, aber nicht so explosiv, wie Tai oder einer von euch Jungs. Das ist ein bisschen frustrierend, aber eben realistisch."

„Und gerade weil du das sagst, interessiert es mich noch sehr viel mehr gegen dich anzutreten.", antwortet Ryota ernst und die junge Weißhaarige wirft ihm einen überraschten Blick zu. „Spieler, die gut sind, aber trotzdem bescheiden und nicht mit ihrem Können prahlen sind meistens die gefährlichsten Gegner, denn sie streben stetig nach Verbesserung und sehen nur ihr eigenes Potential nach weiterer Entwicklung. Was du vielleicht denkst an natürlichem Talent zu vermissen, versuchst du durch hartes Training und ausgefeilte Techniken wettzumachen, das ist sehr beeindruckend. Spieler wie du weigern sich aufzugeben, selbst wenn sie mit übermächtigen Gegnern konfrontiert werden und selbst wenn sie selbst nicht daran glauben einen Genie im Spiel schlagen zu können, so versuchen sie doch trotzdem alles dafür und machen es ihm so schwer wie nur irgendwie möglich, außerdem ist dadurch meistens der Teamzusammenhalt besser. Überflieger, wie du sie nennst verlassen sich meistens nur auf sich selbst und ihre Kraft, aber Spieler wie du verlassen sich auf ihre Mannschaft. Ich glaube das ist wohl die wahre Stärke im Basketball, aber das hab ich auch erst viel zu spät begriffen."

Sprachlos starrt Tally den Blonden nach seinem kleinen Vortrag an und er wird leicht rot um die Nase. „Entschuldige, klang das zu schwulstig?" Aber die Weißhaarige schüttelt schnell den Kopf. „Nein, das war… echt schön. Ich danke dir dafür. Das war schon fast poetisch, wirklich cool. Ich hoffe wir kommen irgendwann mal dazu ein Match auszutragen." Ryotas Wangen färben sich knallig dunkelrot bei ihrem Lob, aber er lächelt strahlend und stimmt ihr zu, kurz bevor eine Assistentin vom Team hereingestürmt kommt und die beiden Models bittet sich für die nächsten Aufnahmen bereit zu machen. Seufzend erhebt sich Tally von ihrem Sitz und klopft ihrem Partner freundschaftlich auf die Schulter. „Na komm, mein Hübscher, lass uns weitermachen, damit wir fertig werden." Der Blonde bietet ihr lachend seinen Arm an, damit sie sich einhaken kann. „Wie ihr wünscht, Prinzessin."

Nachdem sie ihr Shooting endlich hinter sich gebracht haben, verlassen Tally und Ryota gemeinsam die Agentur und der Blonde bietet ihr an, sie noch zum Bahnhof zu begleiten, was sie dankend annimmt. Während sie gemeinsam die Straße herunter schlendern, unterhalten sich die beiden und lachen viel. Ryota ist freundlich, gut gelaunt und witzig und es fällt der Weißhaarigen furchtbar leicht sich mit ihm anzufreunden, obwohl er auch immer wieder versucht sie in kleine Flirts zu verwickeln. Bei ihren gemeinsamen Aufnahmen ist es ähnlich abgelaufen. Er war ein fürsorglicher und sanfter Partner, der immer gut darauf geachtet hat, wie sie die Posen darstellen konnten und der vorsichtig damit war, wo er seine Hände platziert hat, aber trotzdem hat er ihr unverwandt und ohne Zögern tief in die Augen gesehen und sich teilweise auf nur einige wenige Zentimeter zwischen ihnen genähert. Es war professionell, keine Frage, aber auch ein wenig verspielt und beinahe herausfordernd sich seinem kleinen Spiel anzuschließen. Was Tally natürlich getan hatte, ohne größer darüber nachzudenken. Jetzt im Nachhinein wird ihr bewusst, dass es manchmal vielleicht ein bisschen übertrieben war, aber immerhin hat sie mit dem Job als Model eine super Ausrede und Ryota schien es auch nicht viel auszumachen. Eher im Gegenteil.

Am Bahngleis angekommen dreht sich die junge Weißhaarige nochmal zu ihrem Partner um und schenkt ihm ein ehrliches Lächeln. „Hat mich wirklich gefreut, dich kennenzulernen, Ryo. Ich hoffe, wir sehen uns demnächst bei weiteren Jobs und natürlich irgendwann auch mal auf dem Basketballplatz." Der Blonde erwidert ihr Lächeln und hebt die Hand zum Gruß als sich die Türen der Bahn öffnen und Tally eintritt. „Mich hat es auch gefreut, Tallycchi. Bis zum nächsten Mal und komm gut nach Hause. Schreib mir doch bitte kurz, wenn du sicher angekommen bist, ja?" Kurz wundert Tally sich über den merkwürdig klingenden Spitznamen, nickt dann aber trotzdem. „Versprochen."

Die Türen der Bahn schließen sich vor ihrer Nase und die junge Weißhaarige winkt ihrem neuen Freund zum Abschied während sie sich ruckelnd in Bewegung setzt und schließlich immer schneller wird. Auch der Blonde bleibt wie angewurzelt am Bahnsteig stehen und winkt dem mysteriösen weißhaarigen Mädchen hinterher, bis er sie irgendwann nicht mehr sehen kann. Ein seltsames Gefühl von Einsamkeit überkommt ihn, als sie endgültig aus seinem Blickfeld verschwunden ist, obwohl er sie doch heute erst kennengelernt hat. Fasziniert und leicht verwirrt zugleich macht Ryota sich alleine auf seinen eigenen Heimweg und muss feststellen, dass diese Begegnung heute wohl etwas ganz Besonderes war, denn sein Herz hüpft vor Freude, als Tally wenig später ihr Versprechen einlöst und ihm eine kurze Nachricht schickt, dass sie ohne Probleme zu Hause angekommen ist und sich auf ihr nächstes Wiedersehen freut.