Kapitel 9
Als Tally endlich wieder in ihrer Schuluniform steckt und aus der Sporthalle tritt, wundert sie sich darüber, dass Daiki draußen auf sie wartet und Satsuki nirgends zu sehen ist. „Hey, gehst du auch mit uns nach Hause?", fragt sie ihren Klassenkameraden, der ihr einen schnellen Blick zuwirft und sich dann in Bewegung setzt. „Satsuki hat mich gebeten dich zu begleiten, weil ihr was dazwischen gekommen ist. Ihre Mutter hat ihr von der Arbeit aus geschrieben und sie ist schon mal vorgegangen, um noch für sie einzukaufen."
„Sie hätte sich ja wenigstens mal von mir verabschieden können…", mault Tally, schließt sich Daiki aber ohne größer darüber nachzudenken an. Eine ganze Weile, in der er ihr immer mal wieder verstohlene Blicke zuwirft, laufen die beiden in einvernehmlichem Schweigen nebeneinander her, bis die junge Weißhaarige herzhaft gähnen muss und das Basketball Ass sich deshalb über sie lustig macht.
„Klappe, du Blödmann! Das ist das erste Mal seit…" Sie hält kurz inne und muss wirklich einen Moment darüber nachdenken. „…seit ungefähr fünf Jahren, dass ich mich bei einem Basketballspiel derartig anstrengen musste. Ich schätze das war wohl das zweitbeste Spiel das ich bis jetzt in meinem Leben jemals hatte." Daiki zieht unzufrieden seine Augenbrauen hoch. „Was soll das denn heißen, nur das Zweitbeste? Bin ich dir nicht gut genug oder was?! Immerhin hab ich dich plattgemacht." Aber Tally kichert bloß und winkt ab. „Darum geht's doch gar nicht. Nein, es ist einfach noch besser, wenn man nicht alleine spielt, verstehst du? Mein bestes Spiel bisher hatte ich mit meinen beiden Sandkastenfreunden im selben Team gegen drei andere Jungs aus unserer damaligen Nachbarschaft in Amerika. Das war in unserem vorletzten Grundschuljahr, kurz bevor ich das erste Mal mit meinen Eltern umgezogen bin und den Kontakt zu den beiden verloren habe."
Etwas versöhnlicher nickt das Ass der Wundergeneration und verschränkt die Arme hinter seinem Kopf. „Schätze das kann ich wohl gelten lassen. Gerade so…" Er grinst schief, während Tally ihn etwas verständnislos anblinzelt. Gelten lassen?! Wie jetzt? „Aber mach dich schon mal drauf gefasst, dass ich das in Zukunft ganz sicher auch noch toppen werde, auch wenn es Erinnerungen an deine Freunde sind.", fügt er etwas verspätet noch hinzu und seine gute Laune scheint damit wieder komplett hergestellt zu sein. Naja, das was man bei einem Daiki Aomine eben so als gute Laune verstehen kann. Meistens sieht er ja ziemlich teilnahmslos und gelangweilt aus.
Während Tally also noch damit beschäftigt ist zu versuchen sich einen Reim auf Daikis merkwürdige Äußerungen machen zu können, bleibt er plötzlich vor einem kleinen Imbiss stehen und kratzt sich ein bisschen unsicher am Hinterkopf. „Was hältst du von Pizza?", fragt er zu ihrer Überraschung. Die Weißhaarige hätte nicht damit gerechnet, dass er mit ihr essen wollen würde. Überhaupt erschien es ihr bisher ziemlich unwahrscheinlich, dass ihr Klassenkamerad sehr viel mehr Zeit wie unbedingt notwendig mit ihr verbringen würde. „Klingt gut. Letztes Mal hatte ich schon Burger, ich könnte eine Abwechslung vertragen."
Die beiden Oberschüler machen es sich zusammen in einer Sitzecke gemütlich und bestellen Cola und Pizza. Tally seufzt zufrieden und lässt sich gegen das Rückenpolster sinken. „Eigentlich sollte ich wirklich nicht so viel Fast Food essen.", gibt sie kleinlaut zu, zuckt aber im nächsten Moment mit den Schultern. „Naja, mache ich morgen eine extra Joggingrunde. Falls ich mich dann wieder bewegen kann, heißt das… Ich fühle mich, als hätte mich ein Bus überfahren!" Ganz unfreiwillig muss Daiki anfangen zu lachen und seine Klassenkameradin schlägt ihm leicht auf die Schulter. „Lach nicht! Ist immerhin deine Schuld!" Aber keine zwei Sekunden später muss sie auch mitlachen und schüttelt über sich selbst den Kopf.
„Also diese Schuld nehme ich gerne auf mich wenn das bedeutet, dass wir ein ordentliches Match hatten.", gibt Daiki zurück und mustert die Weißhaarige neben sich interessiert. Niemals hätte er gedacht, dass er mal mit einem anderen Mädchen außer Satsuki in so einer lockeren Atmosphäre irgendwo sitzen und essen würde. Er hätte es sich irgendwie verkrampfter und leicht peinlich vorgestellt, aber das ist es überhaupt nicht. Tally scheint kein bisschen verlegen zu sein und ihr helles Kichern ist aufrichtig und ausgelassen. Heißt das, sie fühlt sich bei ihm wohl? Oder sollte er sich Sorgen machen, weil sie zu wenig Hintergedanken bei dem Ganzen hat? Und warum genau denkt er schon wieder über so einen Mist nach?! Er selbst hat ja schließlich auch keine Hintergedanken! Oder? Nein, er ist ganz klar nur mit ihr hier, weil seine Sandkastenfreundin ihn darum gebeten hat, das ist alles. Ganz sicher sogar!
„Hatten wir das denn?", fragt die Weißhaarige und reißt Daiki damit aus seiner Dauerschleife von merkwürdigen Gedankengängen. Worüber hatten sie sich gleich nochmal unterhalten? „Ein ordentliches Match, meine ich?", präzisiert sie noch einmal, worüber er echt dankbar ist, sonst wäre ihm im Leben nicht mehr eingefallen, was sie überhaupt meint. „Weißt du, eigentlich hat mich Sacchan ja nur zum Training eingeladen, weil sie meine Hilfe haben wollte, aber ich hab's ja schon mal gesagt, ich glaube einfach nicht, dass ich heute eine großartige Hilfe war. Eher im Gegenteil. Ich schätze ich hab wohl noch was von dir gelernt statt andersrum."
„Umso besser.", antwortet das Basketball Ass diesmal etwas ernster und verwirrt Tally damit nur noch mehr. „Dann bist du nächstes Mal vielleicht noch eine größere Herausforderung. Heute war schon ganz gut, aber ich denke da geht auf jeden Fall noch mehr. Jetzt weißt du ja, was dich erwartet, dann kannst du mir bei unserem nächsten Spiel gerne zeigen, was du heute gelernt hast." Kagami und Tetsu hatten ihr erstes Spiel gegen ihn schließlich auch verloren, nur um ihn bei ihrer Revanche dann zu besiegen.
„N-Nächstes Spiel? Du meinst… noch eins?", fragt Tally und klingt dabei so entsetzt, dass es sich beinahe schon so anhört als würde sie nie wieder gegen Daiki spielen wollen. Ihr Klassenkamerad verschränkt die Arme vor der Brust. „Na klar, was denn sonst? Sogar mehr als eins, wenn es nach mir geht. Wieso überrascht dich das denn so? Sag bloß du hast gedacht ich gebe mich mit diesen paar Minuten heute zufrieden? Eben hab ich dir doch noch gesagt, dass ich dein bisher bestes Spiel noch toppen werde, oder? Hörst du überhaupt zu, wenn man mit dir redet oder rauscht das direkt durch?", gibt er trocken zurück.
„Aber du sollst doch trainieren und dich verbessern und nicht ich!", protestiert die junge Weißhaarige sofort und Daiki grinst frech. „Noch ein Grund mehr dich nächstes Mal etwas stärker anzustrengen. Ich verspreche auch darauf zu achten, dass wir dann die Unterbrechungen einhalten, damit du länger durchhältst. Ist ja langweilig, wenn dir mittendrin die Puste ausgeht." Und damit scheint diese Diskussion für das Wunderass mehr als zufriedenstellend erledigt zu sein. Tally startet noch einen letzten Versuch und schnappt empört nach Luft, aber sie kommt nicht mehr dazu, ihren Ärger zu kommunizieren, weil in genau diesem Moment ihr Essen an den Tisch gebracht wird.
Während die beiden Teenager gemeinsam ihre Pizzen essen, herrscht größtenteils Stille zwischen ihnen, aber es ist nicht unangenehm. Im Gegenteil, es ist eine nette Abwechslung für Daiki wenigstens beim Essen mal seine Ruhe zu haben. Sonst plappert Satsuki ihn immer mit lauter unbedeutendem Klatsch und Tratsch voll, der ihn überhaupt nicht interessiert und meistens hört er ihr schon gar nicht mehr richtig zu, wenn er merkt, dass sie wieder anfängt ohne Punkt und Komma sinnloses Zeug von sich zu geben. Wieder einmal fällt ihm auf, was für eine angenehme Gesellschaft das weißhaarige Mädchen eigentlich ist, auch außerhalb eines Spiels und dass er wirklich nichts dagegen hat, wie sie sich neben ihm so gemütlich ausstreckt als würden sie zu Hause auf einer Couch hocken und sich einen guten Film reinziehen. Ob sie sich dazu auch bereiterklären würde, wenn er sie mal einlädt? Oder vielleicht lieber ins Kino? Warte… Plant er etwa gerade ein Date?! Shit…
Nach dem Essen sitzen die beiden noch kurz in ihrer Ecke zusammen und reden über die Schule, das Training und die Basketballmannschaft, Satsuki, die anstehenden Abschlussklausuren und die damit immer näher rückenden Sommerferien, bis Daiki schließlich die Rechnung bezahlt und Tallys Einwände dabei sehr gekonnt ignoriert indem er den Imbiss einfach verlässt. Ehrlich, was ist ihr Problem? Jedes andere Mädchen würde sich einfach bedanken und es hinnehmen, wenn man sie zum Essen einladen würde, aber die Weißhaarige muss sich natürlich bei ihm darüber beschweren.
„Daiki…", bricht die Weißhaarige nach ein paar Minuten, die sie wieder schweigend nebeneinander hergelaufen sind schließlich die Stille zwischen ihnen und es ist das erste Mal, dass er ganz bewusst seinen Vornamen aus ihrem Mund hört. Er unterdrückt erfolgreich den Impuls den Atem anzuhalten und wirft ihr stattdessen einen neugierigen Blick zu, was auch nicht viel besser ist, denn Tallys Wangen sind leicht gerötet und sie weigert sich stoisch seinen Blick zu erwidern während sie spricht. Ihre hübschen zweifarbigen Augen sind starr geradeaus auf die Straße gerichtet auf der sie laufen. Die bereits fortgeschrittene Dämmerung mit ihrem glutrot gefärbten Himmel und dem so entstehenden rötlich goldenen Licht, bevor die Dunkelheit einsetzt leistet den übrigen Beitrag dazu das junge Mädchen neben ihm aussehen zu lassen, als würde sie von innen heraus leuchten. „Danke.", murmelt sie leise und sein Herz bleibt beinahe stehen bei diesem einen kleinen Wort. Nicht zuletzt, weil sie verlegen den Kopf sogar etwas von ihm wegdreht, aber er hat schon längst bemerkt, dass sie rot geworden ist. „Das wäre nicht nötig gewesen. Ich hoffe du weißt, dass ich das nicht von dir erwartet hätte oder so…"
Ob sie sich stark dagegen wehren würde, wenn er jetzt einfach versuchen würde sie unter den Arm zu klemmen und mit nach Hause zu nehmen? Würde das überhaupt als Entführung gelten? In dieser speziellen Situation doch bestimmt nicht, oder? Wer würde hier auch schon großartig wiederstehen können?! Verdammt, ist das süß! Wirklich, wirklich süß!
Jetzt selbst etwas in Verlegenheit geraten räuspert Daiki sich, bevor er zu einer Antwort ansetzen kann, weil er gerade seiner Stimme nicht traut. „Ich weiß.", antwortet er ehrlich und endlich sieht sie ihn an. Das Rot ihres einen Auges bekommt durch das schwindende Licht einen goldenen Schimmer, während das Blau des anderen Auges dadurch beinahe schon grünlich wirkt. „Wenn du es erwartet hättest, hätte ich es auch nicht gemacht." Da fängt seine Klassenkameradin an zu kichern, ihre Schamesröte verfliegt so schnell, wie sie aufgetaucht ist. „Aha, ich verstehe…", zieht sie ihn weiterhin lachend auf. „So einer bist du also, gut zu wissen." Und schon macht sie sich wieder über ihn lustig, dieses Mädchen ist einfach unglaublich! Daiki steckt die Hände in seine Hosentaschen und beobachtet sie weiter von der Seite. „Ach, sei still!" Aber wenigstens kehrt die Unbeschwertheit etwas zurück während die beiden weiteraufen.
Etwa nach der Hälfte des Weges will Tally sich an ihrer üblichen Gabelung von ihrem Klassenkameraden verabschieden, aber das Basketball Ass besteht darauf, sie bis nach Hause zu begleiten. Natürlich schiebt er es auf Satsuki und dass er ganz sicher Ärger mit ihr bekommen würde, wenn er sie nicht bis vor die Tür bringt, aber die junge Weißhaarige hat so den leisen Verdacht, dass das nicht alles ist. Trotzdem lässt sie ihn gewähren und zeigt ihm den Weg bis zu dem Gebäude in dem das Penthouse Apartment liegt das sie zusammen mit ihren Eltern bewohnt, die kürzlich auch endlich aus Amerika hier angekommen sind. Dabei kommen sie auch an dem verlassenen Basketballplatz vorbei, den man oben von ihrer Fensterfront aus einsehen kann und Tally macht ein paar Witze darüber, wie sehr die Basketball Kultur in Japan sich von der in Amerika unterscheidet, weil sie dort noch nie hat irgendjemanden spielen sehen, so lange sie jetzt schon hier wohnt.
Vor ihrer Haustür angekommen herrscht dann doch ein kurzes, betretenes Schweigen während dem keiner von beiden so richtig weiß, was er sagen soll und Tally hat auch ein leicht schlechtes Gewissen, dass ihr Klassenkamerad jetzt den halben Weg umsonst wieder zurück laufen muss, also wippt sie unsicher auf ihren Fußzehen auf und ab. „Also… vielen Dank, dass du mich bis nach Hause begleitet hast.", bringt sie schließlich etwas mühsam hervor. „Wir sehen uns dann morgen." Sie macht ein paar Schritte rückwärts auf den Hauseingang zu und hebt eine Hand zum Abschied.
Daiki nickt bloß. „Ja, bis morgen.", murmelt er kurz angebunden und wartet, bis die Weißhaarige durch die Tür ins Treppenhaus verschwunden ist, bevor er sich dazu durchringt sich langsam umzudrehen und den Heimweg anzutreten. Die ganze Zeit bis er zu Hause angekommen ist, fühlt er sich als würde er auf Wolken laufen, obwohl er das ziemlich schräg findet. Noch nie in seinem Leben ist ihm sein Heimweg so furchtbar kurz vorgekommen und bevor er sich versieht, steht er auch schon vor seiner eigenen Haustür. Echt merkwürdig…
Kaum hat er es sich an diesem Abend dann in seinem Zimmer gemütlich gemacht, klingelt sein Handy und seine übereifrige, rosahaarige Sandkastenfreundin will ihm schon wieder auf den Keks gehen. Seufzend geht er dran, weil er genau weiß, dass sie sonst nicht aufhört zu nerven bis er es tut oder noch schlimmer, dass er sich am nächsten Tag auf eine stundenlange Diskussion mit ihr einstellen darf, wenn er sie komplett ignoriert.
„Und, wie ist es gelaufen?", quietscht sie ihm statt einer Begrüßung ins Ohr und Daiki verzieht leicht schmerzhaft das Gesicht, was Satsuki in diesem Fall ja leider nicht sehen kann. „Huh?!", macht er nur verwirrt. „Na mit Ri-chan! Wie ist es gelaufen?", wiederholt sie mit noch ungeduldigerer Stimme. „Wir haben was gegessen und ich hab sie nach Hause gebracht, so wie du's wolltest. Krieg dich wieder ein!", brummt er genervt und verdreht seine Augen während er auf seinem Bett auf dem Rücken liegt und die Zimmerdecke anstarrt.
„Ja und? Mehr Details, bitte!", drängelt die Rosahaarige. „Hast du dich endlich getraut sie nochmal einzuladen? Wann ist euer erstes richtiges Date?!" Das Basketball Ass spürt, wie seine Wangen knallheiß werden und er erspart es sich sein Handy wütend anzustarren, weil es ja kein Videoanruf ist. „Geh mir nicht auf den Sack, Satsuki!", befiehlt er seiner Sandkastenfreundin statt ihr die Fragen zu beantworten und erntet dafür ein ungläubiges Stöhnen von ihr. „Oh Dai-chan, seit wann bist du bloß so ein Feigling?! Das war die perfekte Gelegenheit! Du hättest sie nur zu fragen brauchen…"
„Sag mal, hast du sie noch alle?! Wie hast du mich gerade genannt?", faucht Daiki zurück. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass dich das nichts angeht, also halt dich verdammt nochmal aus meinen Angelegenheiten raus! Ich hatte überhaupt nie vor mit ihr auszugehen, das war deine dämliche Spinnerei!" Und trotzdem war es vermutlich der schönste Abend, den er seit sehr langer Zeit verbracht hat, aber das würde er gerade ihr zu diesem Zeitpunkt bestimmt nicht auf die Nase malen.
„Feige Memme!" Und damit legt Satsuki einfach beleidigt auf und lässt einen schockgefrosteten Daiki zurück, der mit offenem Mund total ungläubig das Telefon in seiner Hand anstarrt und einfach nicht glauben kann, was er da gerade gehört hat.
