Kapitel 13
Unter dem fadenscheinigen Vorwand sich ein paar neue Trainingsklamotten besorgen zu wollen hat Daiki sich endlich dazu durchgerungen, Tally zu fragen ob sie mit ihm zusammen in die Stadt geht und zu seiner Überraschung hat es sogar sofort funktioniert und sie hat zugestimmt, obwohl sie sich auch ein bisschen darüber gewundert hat, warum er nicht seine Sandkastenfreundin darum bittet.
Es ist Samstagmittag, sonnig, aber noch nicht allzu heiß und somit perfektes Ausgehwetter. Schon eine ganze Weile schlendern die beiden Teenager nebeneinander durch die Innenstadt, gucken sich die bunt ausstaffierten Schaufenster an, essen gemeinsam ein Eis und sehen sich in dem einen oder anderen Sportladen um.
Tally ist heute bester Laune, hat ihre silberweißen Haare zu zwei Zöpfen nach oben gebunden und trägt dazu enge Röhrenjeans, schwarz-rote Sneakers und passend zum heutigen Himmel eine hellblaue, ärmellose Sommerbluse. Sie so in ihren privaten Klamotten zu sehen ist nochmal was ganz anderes als ständig in dieser Schuluniform oder auf diesen gestellten Modelbildern und Daiki wirft ihr öfter einen verstohlenen Seitenblick zu, wenn sie gerade nicht hinguckt. Am besten sind allerdings ihr ausgelassenes Lächeln das gar nicht mehr aus ihrem Gesicht verschwindet und ihre glänzenden Augen. Je mehr er mit ihr durch die Stadt flaniert und je mehr Läden und Klamotten sie sich angucken, desto mehr Spaß scheint sie bei dem Ganzen zu haben.
Selbst ebenfalls in langen Bluejeans und einem schlichten, schwarzen Shirt unterwegs, schiebt Daiki seine Hände zufrieden in die Hosentaschen und genießt das warme Gefühl, das sich in seinem Inneren breit macht, während er mit der jungen Weißhaarigen eine fachmännische Diskussion über Basketballschuhe anfängt als sie gerade in einem Kaufhaus vor einer ganzen Wand voller farbenfroher Sneakers stehen. Immerhin hat er eine ganz beachtliche Sammlung von den Dingern zu Hause.
„Glaubst du, Orange wäre was für mich?", fragt sie ihren Klassenkameraden und dreht den grell leuchtenden Schuh in ihren Händen hin und her. Daiki legt nachdenklich den Kopf schief. „Ich sehe dich eher in dem blau-grünen.", antwortet er ernsthaft und drückt ihr noch den zweiten Turnschuh in die Hand. Als sie die Dinger dann tatsächlich anprobiert und ihm kichernd vorführt, kann er selbst auch nicht mehr verhindern, dass sich seine Mundwinkel unaufhaltsam nach oben verziehen.
Nach dem Paar nagelneuer Sportschuhe für Tally finden die beiden Teenager auch noch zwei coole Läden in denen sie Shorts, Shirts und Tops für Daiki kaufen. Mit ihrer Ausbeute mehr als glücklich machen die beiden auf einem kleinen Platz eine kurze Pause und die junge Weißhaarige setzt sich auf den dünnen Rand von einem wirklich hübschen Springbrunnen. Gerade als das Wunderass an einem Automaten etwas zu trinken besorgen will, stürmt eine ganze Gruppe Kinder an ihm vorbei und quetscht sich johlend durch die Menschenmenge. Als sie sich versuchen an Tally und dem Brunnen vorbei zu drängeln, fangen sie auch noch an sich gegenseitig zu schubsen und einer der Jungs wird heftig mit dem Rücken gegen die Weißhaarige gepresst, die noch versucht den Aufprall irgendwie abzufangen, aber vergeblich. Schon im nächsten Augenblick macht es platsch und das junge Mädchen landet im Becken des Springbrunnens.
Daiki flucht und rennt zurück zu seiner Begleiterin, die ihn nun völlig durchnässt aus dem Wasserbecken heraus anblinzelt. „Oi, alles okay?", fragt er besorgt, aber zu seiner Überraschung fängt die Weißhaarige laut an zu lachen und spritzt mit etwas Wasser nach ihm. Erleichtert stößt er den Atem aus und reicht ihr eine Hand, um ihr da rauszuhelfen. „Komm schon! Oder willst du da drin sitzenbleiben?!" Erst als sie mit seiner Unterstützung wieder aus dem Brunnen geklettert ist und anfängt ihre tropfenden Haare auszuwringen, erkennt das Basketball Ass das eigentliche Problem dieser Situation, denn Tallys Jeans kleben jetzt an ihr wie eine zweite Haut und die helle, dünne Bluse ist fast durchsichtig geworden. Und er hat keine verfluchte Jacke dabei, die er ihr geben könnte!
„Oh man, ich bin klitschnass!", kichert die junge Weißhaarige immer noch, während sich Daiki wirklich ganz ehrlich bemüht seine Fassung zu bewahren und sie nicht mit offenem Mund von oben bis unten anzustarren. Geistesgegenwärtig schnappt er sich eins seiner neu gekauften Shirts aus der Einkaufstüte und hält es ihr vors Gesicht. „Zieh das drüber!", befiehlt er mit leicht rauer Stimme, bekommt aber erstmal nur einen verständnislosen Blick als Antwort. „Wieso? Ist doch nur Wasser und es ist warm genug. Das trocknet wieder!"
„Tu einfach ein einziges Mal was ich dir sage!", blafft er, als er die neugierigen Blicke der umstehenden Leute bemerkt und drückt ihr schroff das T-Shirt in die Hand. Danach sammelt er die Einkaufstüten vom Boden auf, wartet bis Tally endlich das verdammte Ding übergezogen hat und zieht sie dann einfach an ihrem Handgelenk hinter sich her, weg von den glotzenden Schaulustigen. „Ah, hey Daiki! Warte doch mal! Wo gehen wir überhaupt hin?", protestiert sie als sie versucht mit ihm schrittzuhalten.
„Zu mir.", antwortet er knapp, weil er einfach keine andere Option hat und weil es näher liegt als ihr eigenes Apartment. „W-Was, etwa zu dir nach Hause?", stammelt die Weißhaarige und er wünschte sich ja wirklich selber es wäre nicht so. Ausgerechnet heute sind nämlich seine Eltern nicht da, also wird er gleich mit einer völlig durchnässten Tally alleine daheim hocken und es bitter bereuen, das ist ihm jetzt schon klar. „Wohin denn sonst? So klitschnass wie du bist kann ich dich doch nicht weiter mitten in der Innenstadt rumrennen lassen, Idiotin!"
Bei Daiki angekommen bleibt Tally erstmal unsicher im Eingangsbereich stehen und zieht ihre Schuhe aus, damit sie nichts nass macht. „Ich geb' dir ein paar Sachen, dann kannst du unter die Dusche und dich umziehen. Deine Klamotten hängen wir draußen in die Sonne bis sie wieder trocken sind.", erklärt er ohne sie dabei direkt anzusehen und sie nickt als Antwort einfach nur zustimmend. Geduldig wartet die junge Weißhaarige, bis ihr Klassenkamerad mit ein paar Sachen im Arm wiederkommt und ihr zeigt wo das Badezimmer ist, dann schlüpft sie so schnell wie möglich durch die Tür und unter die Dusche.
Während er das Wasser im Bad rauschen hört, tigert Daiki im Wohnzimmer nervös auf und ab und fragt sich wann er jemals eine noch dämlichere Idee hatte, kommt aber zu keinem Ergebnis. Was zum Henker soll er denn jetzt mit Tally hier anfangen, wenn sie aus der Dusche kommt?! Hektisch kramt er sein Handy hervor und ruft Satsuki an, aber die Rosahaarige geht nicht dran und er will ihr auch nicht auf die Mailbox sprechen, also schreibt er ihr eine Nachricht und hofft, dass sie sie noch rechtzeitig liest, um ihm zu helfen.
Als er sich wieder umdreht, schnellt sein Puls sofort rasant in die Höhe als er das weißhaarige Mädchen mit noch handtuchfeuchten, offenen Haaren und in einem übergroßen T-Shirt und Boxershorts von ihm dort stehen sieht. Heilige… Das wird ihn umbringen! Ganz sicher, wenn er das heute den ganzen Tag ertragen muss, quittiert entweder sein Herz oder sein Hirn vorzeitig den Dienst. Warum zur Hölle ist sie auch so verdammt sexy?! Und der Gedanke, dass sie gerade überhaupt keine Unterwäsche unter seinen Sachen trägt macht es irgendwie auch nicht viel besser! Er hätte sich wirklich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können endlich zuzugeben, dass er sie furchtbar attraktiv findet, oder?
Um sich schnell von ihrem Anblick abzulenken hilft er der Weißhaarigen dabei ihre nassen Klamotten draußen in die Sonne zu hängen und holt auch ihre Schuhe aus dem Eingangsbereich, damit sie ordentlich trocknen können. Danach stehen die beiden Teenager etwas ratlos im Wohnzimmer und sehen sich gegenseitig an, weil sie immer noch nicht wissen, was sie aus dieser irgendwie leicht peinlichen Situation machen sollen. Allerdings wird es Tally schnell zu blöd nur betreten herumzustehen und verlegen zu schweigen, also lässt sie sich was einfallen, das hoffentlich die Atmosphäre ein bisschen auflockert.
„Du, hör mal, wir haben es schon nach Mittag und wir sind vorhin in der Stadt ja nicht mehr dazu gekommen was essen zu gehen, also könnte ich vielleicht eure Küche benutzen?", fragt sie vorsichtig und er scheint kurz darüber nachzudenken, bevor er eine Handbewegung Richtung Tür macht. „Klar, von mir aus. Tob dich ruhig aus. Ich meine, wir könnten auch den Lieferservice rufen, aber wenn du selbst was machen willst, bedien' dich einfach."
Gespielt lässig an den Türrahmen gelehnt beobachtet Daiki Tally dabei, wie sie erst den Kühlschrank und dann nach und nach die Küchenschränke öffnet und in ihrem Kopf ein Puzzle von einem möglichen Mittagessen zusammenzusetzen scheint. Irgendwann fängt sie damit an, alle möglichen Utensilien und Zutaten herauszustellen, den Reis zu waschen und in den Reiskocher zu geben und Gemüse zu putzen und kleinzuschneiden. Echt jetzt? Sie kocht auch noch für ihn? Also eigentlich für sie beide und nicht nur für ihn, aber… Ein selbstgemachtes Mittagessen von ihr… Aus seiner eigenen Küche… Das Wunderass betet, dass man es gefahrlos essen kann und es nicht so ausgeht wie wenn Satsuki kochen würde, aber eigentlich ist ihm längst völlig egal, wie das Zeug am Ende schmeckt. Alleine die Tatsache, dass sie hier bei ihm zu Hause in seiner Küche in seinen Klamotten steht und für ihn, also für sie beide, ein Mittagessen zubereitet als würde sie das ständig tun sorgt dafür, dass er beinahe verrückt wird vor lauter Freude. Dieser erste Versuch von ihm sich mit Tally zu treffen ist so vollkommen aus dem Ruder gelaufen… Er liebt es! Wie wahnsinnig!
Während die junge Weißhaarige also mit den Lebensmitteln beschäftigt ist, erzählt sie Daiki von Amerika, ihrem Vater und der NBA, was natürlich direkt sein Interesse weckt und ehe er sich versieht bittet sie ihn schon seinen prall gefüllten Teller mit nach draußen an den Esstisch zu nehmen. Das Curry riecht nicht nur super lecker und sieht echt gut aus, es schmeckt auch wirklich himmlisch und das Basketball Ass muss sich nach der zweiten Portion selbst bremsen damit er sich nicht noch mehr holt.
Nach dem Mittagessen drückt er seiner Klassenkameradin die Fernbedienung für den Fernseher in die Hand und ruft einen Streaming Dienst auf, damit sie sich aussuchen kann, was sie gucken will, während er schnell den Abwasch erledigt. Er kann sie ja schließlich nicht alles machen lassen. Irgendwie ist seine Klassenkameradin ja auch ein Gast. Also kocht Daiki noch schnell einen Tee und nimmt einen Teller mit Keksen mit nach draußen, wo er sich neben Tally auf die Couch fallen lässt.
„Was gefunden?", fragt er und überfliegt neugierig den Bildschirm, aber sie hat scheinbar noch nichts ausgewählt und schüttelt den Kopf. „Keine Ahnung, die meisten Titel sagen mir nichts. Wollen wir einfach zufällig was aussuchen?" Daiki zuckt mit den Schultern und brummt zustimmend. Er bezweifelt sowieso, dass er viel von dem Film mitbekommen wird, so nah wie sie beieinander sitzen. Vor allem riecht sie nach der Dusche echt ziemlich gut. Mehr oder weniger gemeinsam entscheiden sie sich schließlich für irgendwas, das ein cooles Cover hat und landen bei einem teils actionlastigen und teils auch ziemlich horrorlastigen Thriller, der sogar ganz spannend und gut gemacht ist. Dabei trinken die beiden Teenager ihren Tee und essen Kekse, bis es zu einer Szene kommt, die zwar nicht besonders gruselig, dafür aber recht eklig ist.
„Oh mein Gott!", ruft Tally entsetzt und klammert sich an Daikis Arm fest, sodass dem armen Kerl fast das Herz aus dem Brustkorb springt. „Tut mir echt leid, aber da kann ich einfach nicht hingucken!", jammert sie und presst ihr Gesicht mit fest zusammengekniffenen Augen an seine Schulter. Instinktiv legt er den Arm um sie und zieht sie noch etwas fester an sich und gerade als er sich darüber zu Tode erschreckt, was er da zur Hölle eigentlich macht, rückt die Weißhaarige von selbst noch näher heran und krallt sich mit einer Hand im Stoff von seinem Shirt fest. „Sag mir, wenn's vorbei ist, ja?", nuschelt sie in sein Oberteil hinein und er muss kräftig schlucken, als das Wunderass ihren warmen, weichen Körper so fest an seinen gedrückt wahrnimmt und ihr Duft ihm in die Nase steigt. Ob sich so wohl das Paradies anfühlt? Oder ob es immer so sein könnte, wenn Tally seine Freundin wäre? Schnell schüttelt er diese Gedanken wieder ab. Denen sollte er nun wirklich nicht nachgehen, während er sie auch noch im Arm hält.
„Du kannst jetzt wieder gucken.", informiert er die Weißhaarige nach einer kleinen Weile als die Szene vorbei ist und sie hebt blinzelnd den Kopf, rückt aber nicht wieder von ihm ab. Im Gegenteil, sie macht es sich bei Daiki schön gemütlich und schaut weiter als wäre überhaupt nichts passiert und als hätte er nicht gerade eine halbe Nahtoderfahrung durch Herzversagen!
Noch zwei oder dreimal versteckt Tally sich bei dem Basketball Ass, als es ihr zwischendurch ein wenig zu krass wird und ihr Klassenkamerad beginnt damit, ihr beruhigend über den Rücken zu streicheln und ihr jedes Mal ein Zeichen zu geben, wenn sie wieder gefahrlos hingucken kann. Langsam aber sicher gewöhnt er sich zwar daran, sie so nah bei sich zu haben, aber das heißt nicht, dass sein rasender Herzschlag sich dadurch wieder beruhigt. Trotzdem ist Daiki schrecklich enttäuscht als der Film irgendwann zu Ende ist und die Weißhaarige sich von ihm löst. Beinahe will er sie schon festhalten, als sie sich von seinem Brustkorb abdrückt, kann sich aber rechtzeitig zurückhalten.
Als seine Klassenkameradin schließlich vorschlägt mal nach ihren Sachen zu sehen, ob sie schon getrocknet sind, hofft Daiki fast, dass die Klamotten immer noch nass sind, wird aber natürlich bitter enttäuscht. Klar, bei so schönem Wetter draußen geht sowas leider richtig schnell, also verschwindet Tally wieder im Bad, um sich umzuziehen und kommt kurz darauf in ihren eigenen Sachen und einem zusammengeflochtenen Zopf über der Schulter wieder heraus. „Die Schuhe sind innen noch leicht feucht, aber für den Heimweg sollte es gehen. Zu Hause stelle ich sie nochmal auf den Balkon.", erklärt sie fröhlich und lächelt ihn auf diese Art und Weise an, die seine Haut zum Kribbeln bringt, wenn er zu lange hinsieht.
Selbstverständlich begleitet Daiki die junge Weißhaarige nach so einem gemeinsamen Tag auch noch bis nach Hause, obwohl sie ihm gefühlte hundertmal versichert hat, dass das nicht nötig ist und dass er auch ihre Einkaufstüte nicht zu tragen braucht, aber er tut es trotzdem, nur damit dieser schöne Moment mit ihr noch eine Weile länger dauert. Vor ihrer Haustür angekommen gibt es dann allerdings nichts mehr hinauszuzögern, also bedankt er sich nochmal bei ihr, dass sie ihn in die Stadt begleitet hat und Tally bedankt sich ebenfalls bei ihm dafür, dass sie bei ihm zu Hause bleiben durfte, bevor sie sich umdreht und durch die Eingangstür ins Treppenhaus verschwindet. Es fühlt sich so an, als würde er etwas sehr Kostbares in diesem Augenblick verlieren und er seufzt laut, von sich selbst ziemlich genervt. Ist ja nicht so, als würde er sie nie wiedersehen. Aber irgendwie ist ihm auch klar, dass er so einen Tag wie heute vielleicht nicht mehr so schnell mit Tally erleben wird, es sei denn er sorgt selbst dafür.
In der Nacht liegt das Basketball Ass hellwach in seinem Bett und lässt immer wieder die Geschehnisse des Tages vor seinem inneren Auge ablaufen. Er trägt das T-Shirt, das Tally an hatte und zieht den Kragen hoch bis über die Nase, um ihren Geruch tief einzuatmen und sich nochmal so zu fühlen als würden sie zusammen auf der Couch sitzen und den Film gucken. Eins ist ihm ganz deutlich bewusst geworden, er will die Weißhaarige unbedingt wieder so im Arm halten und er will ebenfalls nochmal ihre Kochkünste für sich beanspruchen. Außerdem brennt Daiki immer noch auf ein nächstes Basketballspiel mit ihr. Es gibt so viele Dinge, die er noch von ihr haben will und dieses Mal ist er sich auch ganz sicher, dass er etwas dafür tun wird, um sich diese Dinge zu holen.
