Kapitel 17

„Oh mein Gott, Ri-chan! Was ist denn das?! Was ist dir denn passiert, dass du so aussiehst?", ruft Satsuki entsetzt, als sich Tally mit ihr zusammen in der Mädchenumkleide umzieht und die Rosahaarige ihre ganzen Blutergüsse sieht. Ihre gesamte rechte Seite ist blitzeblau angelaufen und verfärbt sich teilweise sogar schon dunkellila. Verflucht seist du, Shogo! Die blauen Flecken an Armen und Beinen sind nicht so schlimm, aber dieser große, der sich über ihre komplette Hüft- und Taillengegend erstreckt tut schon noch etwas weh. Besonders bei einigen falschen Bewegungen.

Tally reibt sich die Nase und meidet Satsukis Blick. „Hab mich geprügelt.", gibt sie zu und die pinkhaarige Managerin zieht scharf die Luft ein. „Ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Tut auch kaum weh, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Sacchan." Aber Satsuki verengt die Augen zu wütenden Schlitzen und stemmt nachdrücklich ihre Hände in die Hüften. „Ich mache mir keine Sorgen, ich bin sauer auf dich!", stellt sie klar und Tally schnappt überrascht nach Luft.

„Wir haben doch ausgemacht, dass du dich nicht so leichtfertig in gefährliche Situationen begibst und jetzt erfahre ich, dass du dich wieder prügelst. Außerdem gehst du tagelang nicht dran wenn ich dich anrufe und ignorierst meine Textnachrichten. Ich dachte, wir wären Freundinnen!" Tränen treten der niedlichen Managerin in die Augen und sie wischt sie verärgert mit dem Handrücken weg. „Ich weiß ja selbst, dass ich manchmal nervig sein kann. Dai-chan sagt mir das ständig, obwohl ich es trotzdem immer noch gemein finde, aber ich sage nichts dazu, weil ich weiß, dass er recht hat und ich mich einfach ab und zu nicht bremsen kann und mich zu sehr in gewisse Dinge einmische. Trotzdem hättest du doch wenigstens ein Lebenszeichen von dir geben können, statt dich von irgendeinem Rüpel so zurichten zu lassen. Wäre es so furchtbar gewesen, mit mir einfach über deine Sorgen und Probleme zu sprechen oder sind dir diese Schmerzen, die du ganz sicher gehabt haben musst lieber gewesen? Bin ich schon so unerträglich für dich, dass du gar nicht mit mir reden willst und lieber Schläge erduldest, um dich hinterher besser zu fühlen?!"

„Satsuki! Hör auf damit! Das ist doch gar nicht wahr. Ich hab dich noch nie nervig gefunden, im Gegenteil, ich finde deine fürsorgliche Art eigentlich sehr liebenswert, aber ich hab mich einfach mal ein paar Tage zurückziehen wollen. Als Freundin solltest du sowas dann auch mal verstehen. Es tut mir ehrlich leid, dass ich dir nicht Bescheid gesagt hab, aber gerade übertreibst du maßlos. Solche schrecklichen Sachen, die du mir hier unterstellst hab ich dir noch nie gesagt und gedacht hab ich sie auch nicht, also bist du diejenige, die im Moment ziemlich gemein ist!", schießt Tally verärgert zurück, beruhigt sich aber sofort wieder, als sie sieht, dass jetzt die Tränen unaufhaltsam über die Wangen der Rosahaarigen laufen. „Komm, jetzt wein doch nicht! So eine Prügelei ist doch gar nicht so schlimm. Jungs prügeln sich ständig und da heult auch keiner rum. Der andere Typ sieht viel schlimmer aus als ich, weißt du. Außerdem ist es ja nicht das erste Mal gewesen. Ich hatte doch auch das Kickboxtraining, davon hab ich dir doch erzählt. Glaubst du das ging ohne sich ernsthaft zu prügeln? Dieses Training ist ganz schön hart, da hatte ich auch blaue Flecken."

Ein kleines Kichern entweicht Satsuki und sie streicht sich ein paar verirrte rosa Strähnen aus dem Gesicht. „Ich will doch nur eine Freundin für dich sein mit der du über alles reden kannst, auch wenn dich was bedrückt. Aber anscheinend weiß ich nicht wie das geht. Ich hatte noch nie eine beste Freundin, immer nur Dai-chan und zwischendurch nicht mal mehr wirklich ihn." Traurig seufzt Tally und nickt. „Ja, ich weiß, wie du dich fühlst. Ich hatte auch noch nie eine beste Freundin. Nur zwei dämliche Brüder, die ich jahrelang nicht gesehen hab. Mit Mädchen bin ich nie besonders gut ausgekommen, da bist du die erste. Also weiß ich auch nicht, wie man eine gute Freundin ist. Ich schätze das müssen wir beide zusammen erst lernen." Die beiden Teenagerinnen lassen sich schwer auf eine der Bänke fallen und tauschen dann ein Lächeln. Mit Umziehen sind sie längst fertig.

„Erzählst du mir, was mit dir los ist?", fragt die Basketball-Managerin nach einer kurzen Pause des Schweigens. Zögerlich nickt die junge Weißhaarige und beginnt ihrer Freundin die Geschichte mit Shogo zu erklären und warum sie sich kurzzeitig so schlecht gefühlt hat. Die Rosahaarige ist sichtlich geschockt, dass es einer ihrer alten Mitspieler war, der Tally angegriffen hat, aber als sie ihre Story beendet blickt Satsuki beschämt auf ihre Füße. „Ich hätte niemals gedacht, dass Haizaki-kun sich so viel daraus gemacht hat, dass Akashi-kun ihn rausgeworfen hat. Vielleicht ist er doch ein ganz anderer Mensch als wir immer dachten. Wenn er sich so verraten und hintergangen gefühlt hat und das von Leuten, die er selbst als seine Kameraden betrachtet hat, könnte das ein weiterer Auslöser dafür gewesen sein, dass er sogar noch weiter abgerutscht ist. Wir hätten damals für ihn da sein und ihn unterstützen müssen. Oder wir hätten zumindest versuchen können ihn etwas besser zu verstehen."

Aber Tally verdreht nur die Augen und stöhnt. „Oh bitte, jetzt hab doch nicht auch noch Mitleid. Er war selbst schuld! Er hat sich komplett daneben benommen und er hat sich auch nicht so verhalten als hätte er die anderen irgendwie als Kameraden betrachtet, da braucht es niemanden zu wundern, wenn er auch die Konsequenzen für sein eigenes Handeln ausbaden muss. So ist das im Leben, er hätte einfach nur ein paar andere Entscheidungen treffen müssen. Da kannst du überhaupt nichts dafür und die anderen Jungs auch nicht. Sei hat richtig gehandelt, auch wenn er damals selbst so seine charakterlichen Probleme gehabt hat, in diesem Fall war seine Reaktion absolut berechtigt. Es bringt jetzt im Nachhinein überhaupt nichts mehr, sich darüber verrückt zu machen was hätte sein können. Es ist wie es ist, aber zumindest hat er mit mir darüber geredet, also hat es ja vielleicht was gebracht."

Satsuki nickt nachdenklich. „Das hoffe ich für ihn. Tetsu-kun ist eigentlich immer ganz gut mit ihm ausgekommen." Die Weißhaarige brummt zustimmend, auch wenn sie glaubt, dass Tetsuya eigentlich prinzipiell mit jedem gut auskommt. So ein Typ ist er einfach, zu jedem höflich und nett. „Und du kannst dir wirklich nicht vorstellen, in einer Damenmannschaft zu spielen? Es gibt doch auch die WNBA, da war doch sogar deine Mentorin. Nur weil du ein Mädchen bist heißt das doch nicht, dass du nicht Profi sein oder Turniere spielen oder sogar die Beste sein kannst. Das kannst du trotzdem, sogar auf internationalem Level, wenn du das willst. Du musst dich nicht auf Oberschulmannschaften und Streetballplätze reduzieren, wenn du das nicht möchtest."

Als es aus heiterem Himmel kräftig an der Tür klopft, schrecken beide Mädchen abrupt auf. „Zur Hölle, was treibt ihr denn so lange da drin? Der alte Mann wird langsam lästig, also beeilt euch mal!", ruft Daiki von draußen und Satsuki funkelt wütend die Tür an. „Nicht jetzt, Dai-chan!", faucht sie. „Ihr werdet das Warmmachen und die ersten paar Minuten ohne uns aushalten, also sag ihm, wir kommen gleich!" Tally zieht nur fragend die Augenbrauen nach oben bei dem Ton, den die Rosahaarige da anschlägt, hält ansonsten aber lieber die Klappe, weil sie ihren Kopf gerne behalten würde.

„Geht's euch gut?", kommt es etwas besorgter von hinter der Tür. Diesmal rollt Satsuki mit den Augen. „Das wäre wohl die erste Frage gewesen die du hättest stellen sollen, oder?!" Empört schüttelt die rosahaarige Managerin ihren Kopf. Schließlich hätte ja auch was passiert sein können und dieser Holzkopf hat keinen Moment auch nur darüber nachgedacht. Aber Hauptsache erstmal meckern, typisch!

„Satsuki…" Daikis Stimmlage nimmt einen warnenden Unterton an und Tally kann ihr Lachen kaum zurückhalten. „Es ist alles in bester Ordnung, Dai-chan. Wir werden sofort da sein, also bitte sei so gut und richte es dem Coach aus. Und achte darauf, dass alle ihre Dehnübungen ordentlich machen, das schließt dich selbst mit ein. Wir wollen schließlich nicht, dass sich jemand verletzt.", erwidert die Pinkhaarige honigsüß, ohne mit der Wimper zu zucken. Vom Flur aus hört man nur noch unterdrücktes Fluchen. „Oh, dieses Weib…!" Danach entfernen sich Daikis Schritte wieder von der Umkleidekabine und Tally prustet los. „Wie ein altes Ehepaar!", kommentiert sie lachend und sogar Satsuki fällt mit ein.

„In meiner Grund- und Mittelschulzeit hab ich tatsächlich das ein oder andere Mal versucht in einem Mädchenteam zu spielen.", setzt die Weißhaarige schließlich doch noch zu einer Erklärung an und seufzt.

„Aber es ging nie gut aus. Ein bisschen ging es mir wie der Wundergeneration, nur hatte ich niemanden, der sich mit mir zusammen weiterentwickelt hat, also war ich der Sonderling, der Freak und bald wollte keiner mehr was mit mir zu tun haben. Für ein Mädchenteam und dann auch noch in dem Alter war ich zu wild, zu aggressiv in meinem Spiel und überhaupt hätte ich von meinem ganzen Stil her besser ins Jungenteam gepasst, aber natürlich wollten die kein Mädchen in ihrer Mannschaft aufnehmen, auch nachdem ich ein paar von ihnen besiegt hatte nicht. Mit meinem Basketball stand ich früher auf verlorenem Posten, wenn es um die Schulmannschaften ging, deshalb hab ich nur privat gespielt und so dann Tai, Tatsu und Alex kennengelernt. Oder ich hab mit meinem Dad und seinen Kumpels und ehemaligen Kameraden gespielt, das war immer besonders cool, weil ich mich dann wie was Besonderes gefühlt hab. Wer kann schon behaupten die Tricks von ehemaligen NBA Profispielern gelernt zu haben und persönlich mit ihnen zu spielen? Allerdings hat das auch dafür gesorgt, dass ich von anderen eher gemieden wurde. Den Mädchen war ich zu robust und den Jungs war ich unheimlich und sie fanden es peinlich gegen mich zu verlieren, also haben sie sich auch ferngehalten. Und dann kam der erste Umzug und bald hatte ich überhaupt niemanden mehr. Danach war ich sogar mal kurzzeitig auf einer Schule, die hatten nicht mal ein Mädchenteam für Basketball. Es spielen ja auch generell viel weniger Mädchen als Jungs und in der Mittelschule fand ich die Mannschaft wirklich schrecklich. Die hatten alles andere im Kopf, nur nicht Trainieren. Denen waren ihre Haare wichtig und ihre Fingernägel und wie sie in ihren Trikots aussehen, aber vor allem wer mit wem geht und wie man an den heißesten Kerl der Schule rankommt, der natürlich ganz überraschend der Captain des Jungenteams war. Echt scheußlich! Außerdem hatte ich tatsächlich irgendwann Angst mal einer ausversehen wehzutun. Du glaubst nicht wie unheimlich empfindlich die waren. Eine von denen hat nach einem Foul mal angefangen zu heulen, da war ich dann komplett raus. Das hat mich nur genervt und gelangweilt. Selbst Alex hat schon mal zu mir gesagt, dass Frauenbasketball eigentlich nichts für mich ist und dass sie mich da absolut nicht sieht und nach diesen Erlebnissen stimme ich ihr da komplett zu. Ich will nicht sagen, dass ich zu gut bin, das wäre eine Beleidigung für alle Nationalspielerinnen und für Alex, aber ich würde sagen, dass mein Stil und meine Fähigkeiten einfach nicht dafür gemacht sind. Ich passe da nicht rein und ich will es auch nicht. Anpassung ist nicht meine Stärke, ich bin lieber weiter wild und frei und ziehe mein Ding durch."

Tally gönnt sich eine kurze Atempause und Satsuki hat mittlerweile ganz große Augen bekommen. Ihre weißhaarige Freundin ist Daiki in so vielen Dingen so furchtbar ähnlich und sie scheint es noch nicht einmal zu bemerken. Spätestens ab diesem Moment ist für die Rosahaarige ganz klar, dass die beiden auf jeden Fall zusammengehören. Eigentlich war ihr das ja schon von Anfang an klar, aber jetzt, nachdem sie all diese Dinge erfahren hat noch viel mehr als vorher. Hoffentlich vermasselt es dieser Trottel nicht vollkommen!

„Außerdem geht es mir eigentlich gar nicht so sehr darum, unbedingt Profi werden zu wollen oder in die WNBA zu kommen.", fügt Tally nach kurzer Zeit noch hinzu und die pinkhaarige Managerin legt verblüfft den Kopf schief. Das kommt schon etwas überraschend. „Ich liebe Basketball einfach! Und ich liebe die Leute, mit denen ich spiele. Tai, Tatsu, Alex, mein Dad und jetzt auch das Touou Team und deine Wunderjungs… Sie alle sind Personen, die mich so akzeptiert haben, wie ich bin und die mit mir spielen wollen, einfach weil sie mich dabei haben wollen oder weil sie gegen mich antreten wollen oder sogar weil sie was von mir lernen wollen. Diese Leute spielen nicht nur Basketball mit mir, sie vermitteln mir das Gefühl zu etwas zugehörig zu sein, respektiert und gemocht zu werden und das ist das absolut schönste Geschenk, das sie mir geben können. Dieses Gefühl dazuzugehören, ein Team zu sein, gemeinsam etwas zu erreichen und für andere und mit anderen zu gewinnen oder auch zu verlieren ist das beste Gefühl, das es auf der Welt gibt. Und ich war frustriert, dass ich dieses Gefühl niemals wirklich mit den Jungs teilen werde, die mir persönlich am meisten am Herzen liegen. Ich kann mit ihnen nicht auf demselben Platz stehen, nicht offiziell, weil ich ein Mädchen bin und so war es für mich von Anfang an und so wird es auch bleiben und ich werde es akzeptieren müssen, auch wenn es noch so schwer fällt. Und natürlich ist es auch ein bisschen bitter ständig zu verlieren, obwohl man weiß, dass man gut und sogar überdurchschnittlich gut ist, aber darüber komme ich noch etwas besser hinweg als über die Tatsache, dass ich noch nie ein echtes Team hatte. Ich war noch nie Mitglied in einer richtigen Mannschaft. Ich glaube deshalb ist es mir auch so wichtig mit den Leuten spielen zu können, mit denen ich es gerne am meisten möchte."

Plötzlich kommt Satsuki Tetsuyas Geburtstag wieder in den Sinn, für den sie eigenhändig ein Treffen nur mit den ehemaligen Teiko Mitgliedern organisiert hatte. Sie hatten Basketball miteinander gespielt und die Rosahaarige hatte auf der Bank gesessen und sich so sehr gefreut, dass alle wieder gut miteinander auskommen, aber noch sehr viel mehr hatte sie sich gefreut, als sie sie eingeladen hatten mitzuspielen, obwohl sie gar nicht so gut im Basketball ist. Als Managerin und auch als Mädchen kann sie eben immer nur an der Seitenlinie stehen. Sie kann Informationen sammeln, beim Training helfen, Tipps geben und versuchen alle zu motivieren, aber es ist nie wirklich dasselbe als aktiv im Team zu sein.

Früher hatte Daiki manchmal mit ihr gespielt und sie erinnerte sich noch an das Gefühl, das Tally gerade beschrieben hatte, einfach gemeinsam zu spielen und zusammen Spaß zu haben, als Freunde, die sich nahe stehen. Damals hatte ihr es nie etwas ausgemacht gegen ihn zu verlieren und er hatte es nicht als langweilig empfunden mit ihr zu spielen, obwohl er jedes Mal gewann. Irgendwie bekommt die Rosahaarige das Gefühl, dass sie selbst auch sehr viel mehr mit Tally gemeinsam hat als sie zunächst dachte.