2. Wiedersehensfreude

Als Lucy den riesen Raum betreten hatte, hätte sie nie im Leben mit so einer heftigen Reaktion gerechnet. Alle hatten sie angestarrt, als wäre sie von einem anderen Planeten zurückgekehrt. Sie hatte sich tatsächlich etwas unwohl gefühlt. Auch ihre Tränen hatte sie nicht zurückhalten können. Und jetzt lag sie in Natsus Armen und weinte stumm in seine Weste, während er sie verkrampft und mit zusammengeballten Fäusten weiterhin an sich drückte, als hätte er Angst, sie würde wieder verschwinden. Sie war nur ein Jahr weg gewesen, trotzdem hatte sie sich nie einsamer und verlassener gefühlt. Nie wieder würde sie auf so eine bescheuerte Idee kommen und alleine irgendwohin gehen.

Natsus Reaktion hatte alle anderen wieder aufgeweckt und mittlerweile stand die ganze Gilde um sie herum. Ein heulender Happy warf sich mit einem langgezogenen „Luuuuuuuucyyyyyyyyyy" in ihre Arme, Levy viel ihr schluchzend um den Hals und sogar Laxus tätschelte ihr kurz den Kopf und meinte bloß „Sag demnächst bescheid, wenn du so lange abhaust". Gajeel und der schwarze Exceed Lilly sahen in der Situation etwas überfordert aus. Levy und Lucy und die meisten anderen Mädchen der Gilde heulten Sturzbäche und die beiden schienen damit nicht wirklich umgehen zu können. Die Jungs waren eher damit beschäftigt, Lucy von oben nach unten und zurück zu mustern. Schließlich hielt sie es einfach nicht mehr aus und stürzte sich heulend erst auf Erza, dann auf Wendy und schließlich auf Gray. Wie hatte sie ihr Team vermisst. Ausnahmsweise löste das sogar mal keine Eifersuchtsanfälle bei Juvia aus, denn die war die Nächste, die von Lucy überfallen wurde. Gray allerdings konnte eine gewisse Verlegenheit nicht leugnen. Nachdem dann alle von Lucy minutenlang umarmt worden waren, stürmten Fragen über Fragen von allen Seiten auf sie ein, was dann dadurch unterbrochen wurde, dass Lamia Scale und Blue Pegasus auch zum Begrüßen kamen. Kurz gesagt war es ein Chaos, das mal wieder typisch für Fairy Tail war.

„Lasst uns die Einzelheiten später unter uns und in Ruhe besprechen", entschied der Meister. „Jetzt sind wir zum feiern hier und wir haben auch endlich wieder einen Grund dazu" Das genügte, um die Stimmung gleich ganz nach oben zu katapultieren. Die Gilden vermischten sich untereinander, wurden fast eine große glückliche Familie auf einer riesen Party. Und mitten drin in dem ganzen Trubel fühlte sich Lucy sofort zu Hause angekommen. Es wurde getanzt, gelacht, getrunken und Blödsinn angestellt, wie immer. Es war, als wäre sie nie weg gewesen. Sie ließ sich sogar dazu hinreißen, Loki zu rufen. Immerhin hatte er seine Freunde auch lange nicht mehr gesehen.

Trotzdem war irgendwas komisch. Natsu wirkte immer noch ziemlich angespannt, fast schon verkrampft. Nachdem die Begrüßungsrunde beendet war, hatte er sich wieder hinter sie gestellt und einen Arm um ihre Mitte gelegt, was so ziemlich das untypischste Verhalten für ihn war, was Lucy und vermutlich jeder andere auch je erlebt hatte. Besorgt warf sie einen Blick über die Schulter, begegnete aber dem wahrscheinlich breitesten Grinsen in ganz Fiore. Irgendwie passte das alles nicht zusammen, aber sie hatte nicht genug Zeit, sich darum Gedanken zu machen. Hibiki und Eve von Blue Pegasus kamen, um sie mit auf die Tanzfläche zu ziehen und ihr ein paar Komplimente zu machen. Die beiden hatten sich kaum verändert. Ren allerdings wurde von seiner eigenen Verlobten beansprucht. Sherry hing eifersüchtig an seinem Hals und warf allen Mädchen in der Nähe Todesblicke zu. Lucy musste grinsen. Eben noch hatten sie und ihre Cousine Shelia Lucy unter Tränen begrüßt und jetzt versuchte sie sie mit Blicken wieder zu verjagen.

Sie tanzte eine ganze Weile erst mit den beiden Jungs und dann einfach in der großen Menge, da sich eh alle kannten. Es wurde zu einer großen lustigen Runde, aber ihr taten allmählich ganz schön die Füße weh. Diese Highheels waren wirklich zu viel des Guten. Noch so eine intelligente Idee ihrerseits. Lucy seufzte. Das passierte wohl öfter in letzter Zeit. Natsu fing derweil eine Prügelei mit Gray an, die durch den gesamten Saal tobte und schließlich relativ unsanft von Erza beendet wurde, indem sie einfach die Köpfe der beiden heftig aneinander schlug. Die Stellargeistmagierin war erleichtert. Ihr Partner schien sich wieder gefangen zu haben, er war ganz der Alte.

„Lu – chan" Lucy wurde von Levys Stimme dicht neben sich aus ihren Gedanken geschreckt. Die kleine Blauhaarige lächelte sie traurig an. „Schön dich wiederzuhaben"

Lucys Herz krampfte sich zusammen. Levy war die Einzige gewesen, die neben dem Meister bescheid gewusst hatte. Lucy hatte ihr erzählt, dass sie eine Weile weggehen würde und hatte sich von ihr verabschiedet. Und so, wie die Reaktion ausgefallen war, hatte ihre beste Freundin dicht gehalten.

„Tut mir leid, dass du dir Sorgen machen musstest" Lucy ergriff Levys Hand und lächelte zurück. Sie hatte lange überlegt, ob sie Levy wirklich ins Vertrauen ziehen sollte. „Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen dich alleine damit zu belasten", gestand die Blondine kleinlaut. „Aber irgendjemandem musste ich es erzählen. Natsu, Erza, Gray… alle anderen wären nicht in Frage gekommen, denn sie hätten mich bestimmt nicht gehen lassen"

Levy nickte. Sie verstand sehr gut, was ihre Freundin bedrückte. Die beiden Mädchen suchten sich einen ruhigeren Platz und setzten sich zusammen. „Mein Versprechen gilt noch, wir fangen mit dem Training zusammen an, wann du möchtest", brach Lucy die entstandene Stille zuerst. Wieder nickte ihre Freundin dankbar. „Die magischen Spiele stehen in ein paar Monaten wieder an. Ich will nicht dabei sein, aber wir können es gut als Ausrede für unser gemeinsames Training benutzen", antwortete Levy verspätet. Lucy bemerkte erst jetzt, dass auch ihre Haare etwas länger geworden waren. Sie lächelte. Das stand ihr sehr gut.

„Lu – chan…" Levy brach ab. Sie druckste herum, als wollte sie etwas fragen, aber hätte den Mut nicht dazu. Lucy legte den Kopf schief. Ein paar blonde Haarsträhnen fielen über ihre Schulter nach vorne. „Lu – chan, ist diese Magie für dich nicht gefährlich, die du da gelernt hast? Ich meine nach meinen Rechercheergebnissen benötigt man dafür eine gewaltig hohe Menge an magischer Kraft. Wir haben zwar unser Second Origin aktiviert, aber es ist doch bestimmt gefährlich für deinen Körper und deine Gesundheit. Ich mache mir Sorgen, dass du dir selbst schadest" Levy sah auf ihre nervösen Finger, die sie in ihrem Schoß zusammen geknetet hatte. Bedrückt sah Lucy auf den Boden, legte aber gleich darauf ihrer Freundin die Hand beruhigend auf die Schulter. „Deshalb hat mein Sensei mir die Meditation richtig beigebracht. Capricorn hat es schon öfter versucht, aber richtig gelernt habe ich es erst auf meiner Reise. Durch starke Konzentration lässt sich der Magiespiegel von Stellargeistmagiern enorm anheben und wenn man das regelmäßig macht, kann man es sogar dauerhaft schaffen. Meine Mutter hat auf diese Weise gelernt zwei Geister ganz ohne Second Origin zu rufen. Sie war wirklich stärker als ich" Kurz legte sich Trauer über Lucys Züge, verschwand aber schnell wieder. Levy war erleichtert, dass ihre Freundin eine so gute Möglichkeit gefunden hatte, eine so alte und gefährliche Magieform zu erlernen und auch anzuwenden. Zu hundert Prozent überzeugt war sie aber trotzdem noch nicht.

„Ich brings dir auch bei, vielleicht kannst du deine Magie auch steigern. Konzentration kann nie schaden. Obwohl, wahrscheinlich hast du davon jetzt schon mehr als ich. Immerhin kannst du lesen und antike Schriften entschlüsseln während die gesamte Gilde inklusive Jet und Droy um dich herum toben" Lucy musste bei dieser Erinnerung kichern und auch Levy stimmte mit ein.

„Was gibt's denn da zu lachen?" Die beiden wurden von einer rüden männlichen Stimme unterbrochen. Gajeel stand mit verschränkten Armen vor den beiden Freundinnen und musterte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Gajeel" Levy blinzelte erstaunt. Was suchte denn der Eisendrache bei ihr und Lucy? Irgendwie sah er verärgert aus. Levy zog unbewusst den Kopf ein. Hatte sie etwas falsch gemacht? Lucy neben ihr beobachtete sie interessiert und grinste in sich hinein. Jaja was war das denn für eine Reaktion Levy – chan?

„Kannst du mir mal sagen was du hier hinten ganz alleine treibst?" Der Schwarzhaarige klang wirklich nicht sehr amüsiert. Nicht, dass das sonst großartig anders war… Lucy musste sich immer mehr ein breites Grinsen verkneifen. So „ganz allein" war Levy ja eigentlich nicht, aber neben ihr war Lucy für den Dragonslayer offensichtlich unsichtbar.

„Was hast du für ein Problem? Ich wollte mich mit Lu – chan unterhalten, sie war immerhin ein Jahr weg" Levy hatte die Stimme erhoben. Sie ärgerte sich wie immer, wenn Gajeel versuchte sie zu bevormunden. Sie zog einen Levy – typischen Schmollmund und wurde rot im Gesicht.

„Stell dich nicht immer so an" Gajeel rümpfte die Nase und ging um die beiden Mädchen herum, um Levy hinten an ihrem Kragen zu packen und mitzuschleifen. Unter heftigem Protest zappelte sie in dem festen Griff ihres Gildenkameraden. „Unterhalten könnt ihr euch auch vorne bei den anderen. Wenn Lucy was zu erzählen hat, sind bestimmt alle neugierig" Und damit zerrte er sie in Richtung der anderen Gildenmitglieder davon. Lucy konnte Levy noch eine Weile zetern hören. Sie blieb aber lieber da, wo sie gerade saß. Eine Auseinandersetzung zwischen den Beiden wollte sie nun wirklich nicht schlichten müssen.

Sie sah sich lieber nach Natsu um, der gerade drei leere Fässer zusammen sammelte, ein Brett obendrauf platzierte und sich dann selbst nach oben schwang. Dann befahl er Happy, ihn mit seinem „Max Speed" anzuschieben und landete natürlich sofort an der gegenüberliegenden Wand, weil er vergessen hatte, dass man nicht bremsen konnte. Ein Blick an die Bar verriet Lucy auch, woher die drei Fässer stammten. Cana und der betrunkene Falke Baccus lieferten sich mal wieder einen Saufwettbewerb. Cana konnte ihre Niederlage von letztem Jahr wohl einfach nicht vergessen. Dieses Mal trug sie aber vorsichtshalber ein Shirt über ihrem BH. So viele schöne Erinnerungen wurden wach nur vom Zusehen. Sie wurde langsam etwas zu nostalgisch und schüttelte über sich selbst den Kopf. Es war doch ihre eigene Entscheidung gewesen diese Reise anzutreten, um zu trainieren und stärker zu werden. Und sie hatte es ja auch geschafft. Sie hatte eine der ältesten und mächtigsten Magien ausgebuddelt und ein Jahr lang hart trainiert. Lucy bereute es nicht, aber sie war die ganze Zeit in Gedanken zu Hause bei ihren Freunden gewesen. Sie hatte sehr gelitten. Mittlerweile hasste sie es, alleine sein zu müssen. Früher war sie es mal gewohnt gewesen. Um nichts in dieser Welt würde sie zu dieser Empfindung zurückkehren wollen.

Gerade wollte sie sich wieder aufraffen und hatte sich schon auf protestierende Körperteile eingestellt, da sah Lucy jemanden auf sich zukommen. Ein großer und muskulöser blonder Dragonslayer näherte sich ihr. Es dauerte eine Weile, bis Lucy in ihm den weißen Drachen von Sabertooth wiedererkannte.

„Hey kann ich dich mal was fragen? Was an dir ist so verdammt besonders?" Stings Blick bohrte sich regelrecht in den von Lucy, als er endlich vor ihr stand. Arrogant musterte er sie. „Ich sehe gar nichts"