3. Herausforderung eines Dragonslayers
Eine ganze Weile hatte sich Sting das Spektakel um die kleine Blonde ganz ruhig angesehen. Allerdings war dabei sein Wutpegel regelrecht in die Höhe geschossen. Eine gesamte Gilde hatte sich auf eine einzelne Person gestürzt, als wäre sie der Heilsbringer. Und die Stimmung hatte sich so schlagartig geändert, dass von der miesen Laune um Fairy Tail herum rein gar nichts mehr zu spüren war. Bevor diese Göre in ihrem süßen weißen Fetzen hier hereinstolziert war, hatte es so ausgesehen, als wäre ein Mitglied von Fairy Tail gestorben und alle anderen wären in Trauer. Kaum stand sie nach einem Jahr wieder auf der Matte, zauberte sie jedem um sich herum ein breites Lächeln aufs Gesicht, das perfekt in einen Zahnpaste Werbespot gepasst hätte. Und alle anderen Gilden drum herum nahmen sich daran auch noch ein Beispiel. Für einen Augenblick hatte tatsächlich die ganze Aufmerksamkeit nur auf der Stellargeistmagierin gelegen.
Und ganz selbstverständlich war Natsu Dragoneel derjenige gewesen, der das Ganze ausgelöst hatte. Vor allen anderen hatte er sich zutiefst blamiert. Wie bei einem kleinen Kind waren ihm die Tränen gekommen und er hatte das Mädchen vor sich beinahe schon angefallen. Noch nie hatte Sting so schlecht beherrschte Dracheninstinkte gesehen. Wahrscheinlich hatte der naive Feuerspucker nicht mal gemerkt, wie sehr er sich zum Affen gemacht hatte. Emotionen… Sting dachte darüber nach. Konnte ein einzelnes Mädchen seinen stärksten Rivalen so aus der Fassung bringen? Ganz genau beobachtete er jeden Schritt von dieser Lucy, konnte aber rein gar nichts Besonderes an ihr finden. Sie sah gut aus. Und Punkt. Okay sie war freundlich und gutherzig, opferte sich für ihre Freunde auf, wenn es sein musste. Aber sie war auch unsicher und naiv. Man könnte ja fast schon weltfremd sagen. Sie wirkte zwar stärker als letztes Jahr, aber das sollte ja wohl auch Sinn und Zweck der Reise gewesen sein, die sie unternommen hatte. Es war also nicht verwunderlich und schon gar nicht überraschend oder speziell.
Mit einem genervten Prusten erhob sich Sting schließlich. Er hatte den Entschluss gefasst, die Fairy Tail Magierin direkt darauf anzusprechen. Also schlenderte er langsam auf den Tisch zu, an dem sie saß und baute sich dann vor ihr auf.
„Hey kann ich dich mal was fragen? Was an dir ist so verdammt besonders?" Stings Blick bohrte sich regelrecht in den von Lucy, als er endlich vor ihr stand. Arrogant musterte er sie. „Ich sehe gar nichts"
„Eh?", erwiderte die Blondine sehr geistreich. Mit ihren großen braunen Rehaugen blinzelte sie ihn unschuldig an. „Wer sagt denn, dass ich besonders bin?" Sie schien über seine Frage mehr als überrascht zu sein. Für einen kurzen Augenblick fragte sich Sting, wie blind eine Frau wirklich sein konnte.
„Das frage ich dich. Immerhin verdrehst du allen hier ganz schön den Kopf und ein gewisser Drache hier im Raum lässt dich kaum aus den Augen"
Genervt verdrehte Lucy die Augen. „Ach so es geht um Natsu, hätte mich ja auch gewundert. Wenn du wissen willst, warum er ausgerechnet mich als Partnerin haben wollte, musst du ihn schon selbst fragen, ich verstehe es nämlich auch nicht. Und wenn du eine ernsthafte Antwort bekommst, wäre es nett, wenn du sie mich wissen lässt. Ich habe ihn ja selbst schon gefragt, aber ich glaube ein ernstes Gespräch mit diesem Kleinkind zu führen ist genauso unmöglich, wie ihn in ein Tutu zu stecken und ihn zum Balletttanzen zu bringen" Sie hob die Schultern, als wolle sie sich entschuldigen.
Einen Moment lang wusste Sting tatsächlich nicht, was er dazu sagen sollte. Da saß dieses Mädchen vor ihm, zuckte mit den Schultern und gab ja quasi sogar zu, dass an ihr nichts Besonderes dran war. Welches Mädchen, das was auf sich hielt saß so leichtfertig vor einem fremden Gildenmitglied und stempelte sich selbst als Durchschnitt ab? Und was sollte das heißen, sie hatte Natsu sogar selbst gefragt?
„Du hast Natsu gefragt wieso er dich als Teampartner gewählt hat?", platzte es schließlich ungläubig aus ihm heraus, ohne dass er darüber nachgedacht hätte.
Die Blondine legte die Beine übereinander und rutschte auf ihrem Platz ein Stück zur Seite. „Ja, wieso auch nicht? Er hat mich sofort nach unserer ersten Begegnung mit in die Gilde geschleift und dann hat er einfach so entschieden, dass ich seine neue Teampartnerin werde, ohne mich überhaupt zu fragen. Da werde ich mich wohl noch wundern dürfen oder? Aber willst du dich nicht erstmal setzen? Du machst mich ganz nervös wenn du die ganze Zeit so vor mir rumstehst" Mit einem freundlichen Lächeln klopfte Lucy mit einer Hand auf die Sitzfläche neben sich.
Schon wieder hatte es dieses Mädchen geschafft ihn aus der Fassung zu bringen. Da kam er auf sie zu, griff sie ganz offensichtlich an und sie bat ihn mit einem süßen Lächeln sich doch zu ihr zu setzen. So viel zu naiv und weltfremd. Trotzdem musste er grinsen und setzte sich wirklich hin. Vielleicht würde er eine Chance bekommen noch mehr Informationen aus der Stellargeistmagierin herauszukitzeln.
„Und verrätst du mir dann wenigstens wieso du abgehauen bist? Doch bestimmt nicht nur, weil du die Visage vom Feuermelder da drüben nicht mehr sehen wolltest oder?"
Lucy kicherte, was Sting mittlerweile nicht mehr arg so sehr überraschte. „Nein, ich war auf Trainingsreise. Ich wollte stärker werden und hab mich dazu entschlossen, das lieber alleine anzugehen. Natsu und die anderen hätten mich ganz sicher nicht weggelassen oder sie hätten darauf bestanden mitzukommen. Und verrätst du mir mal, warum dich das alles so interessiert?"
Sting legte beide Ellenbogen auf die Rückenlehne der Sitzbank. „Du bist eine Schwachstelle für diesen Schwachkopf und ich will wissen wieso. Auf den ersten Blick sieht es für mich einfach nicht wie eine normale Freundschaft aus"
Dieses Mal schien sie es zu sein, die überrascht war. „Auch das hab ich nie behauptet. Bei uns ist überhaupt nichts normal, so viel kann ich dir verraten. Kann es sein, dass du dir deine Urteile ziemlich voreilig bildest?"
Sting verschluckte sich an seinem Drink, den er gerade angesetzt hatte. Er musste doch tatsächlich lachen. Er hatte zwar schon gehört, dass Lucy als eine Tochter der Heartfilias eigentlich als reiche Lady geboren worden war, allerdings war das Mädchen, das neben ihm saß genauso wenig eine Lady, wie er selbst. Was würde wohl passieren, wenn man sie reizte? Es kribbelte ihn plötzlich in den Fingern das herauszufinden, ohne zu wissen warum.
„Sting – kun da bist du ja, ich suche dich schon überall. Was machst du hier hinten in der Ecke?" Lector kam mit weißen Flügeln angeflattert und guckte ihn vorwurfsvoll an.
„Ich dachte ich schaue mal nach deinem Engel", kam die simple Antwort. Der braune Kater machte sofort riesige Augen und landete unsicher auf dem Tisch direkt vor Lucy, um sie weiterhin anzustarren. Die machte sich da gar nichts daraus und tätschelte dem Neuankömmling liebevoll den Kopf. Lector vergaß beinahe zu atmen.
„Oi Lector…", mahnte Sting seinen Freund, der sich total dämlich benahm. Der trat daraufhin einen Schritt zurück und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Lucy lächelte bloß. Immerhin hatte Fairy Tail auch drei Exceeds im Team, da kannte sie sich mittlerweile ganz gut aus.
„Bist du wegen den letzten Spielen gegangen? Ich meine wegen den beiden Niederlagen" Natürlich sprach er sie absichtlich nochmal auf letztes Jahr an, aber wieder zeigte sie nicht die Reaktion, die er erwartet hätte. Statt wütend zu werden, sah sie plötzlich traurig aus. Sting begann sich irgendwie unwohl in seiner Haut zu fühlen. Er rutschte etwas unruhig auf seinem Platz herum. Dann dachte er darüber nach, dass er sich genauso dämlich benahm, wie Lector oder Natsu vor ihm. Wieso sollte es ihm etwas ausmachen, wenn die Kleine nicht mit ihren Niederlagen klarkam?
„Nein nicht deshalb", antwortete Lucy schließlich ernst. „Ich meine nicht nur deshalb. Es war vielleicht der allerletzte Auslöser, weswegen ich mich durchringen konnte. Eigentlich hatte ich diesen Gedanken schon viel länger und ich bin letztendlich froh, dass ich mich getraut hab"
„Sting – kun, du hast sie traurig gemacht. Das ist nicht sehr nett" Lector verschränkte die kleinen Pfoten vor der Brust.
„Halt die Klappe! Wer hat dich überhaupt nach deiner Meinung gefragt?", erwiderte sein Freund schroff. Aber das mulmige Gefühl hielt an.
„Ich war schon immer schwach. Vom ersten Augenblick an musste Natsu mir helfen. Selbst unsere erste Begegnung endete damit, dass er mich retten musste. Durch ihn kam ich zu Fairy Tail und wurde seine Partnerin, aber ich war ihm nie wirklich eine große Hilfe. Ich bin Stellargeistmagierin, das heißt, dass ich selbst nicht viel machen kann. Meine Magie beschränkt sich alleine auf die Beschwörung. Man sagt auch ein Stellargeist ist immer nur so stark, wie sein Vertragspartner. Kurz gesagt war ich für Kämpfe und diese heftigen Auseinandersetzungen schon immer ungeeignet. Später kamen Erza und Gray dazu, danach gelegentlich Juvia oder Gajeel und dann schließlich Wendy. Wir sind zwar als das stärkste Team von Fairy Tail bekannt, aber ich habe mich da nie wirklich mit eingeschlossen. Mit den anderen konnte ich nie mithalten und ich habe schon damit aufgehört zu zählen, wie oft Natsu mir schon das Leben gerettet hat. Ich musste mich immer hinter ihm oder hinter einem meiner anderen Freunde verstecken. Oder ich habe meine Geister gerufen und habe mich hinter ihnen versteckt. Immer mussten andere für mich kämpfen und verletzt werden, ich selbst hatte immer furchtbare Angst und habe schnell die Hoffnung verloren, wenn es ausweglos aussah. Ich bin eine ziemliche Heulsuse muss ich zugeben. Ein Mal musste sich sogar die gesamte Gilde vor mich stellen, als mein Vater Phantom Lord auf mich angesetzt hatte. Allein meinetwegen wurde unsere Gilde zerstört und alle meine Freunde wurden verletzt, aber sie wären lieber allesamt gestorben, als mich im Stich zu lassen oder mich einfach auszuliefern. Das alles hat mir zu denken gegeben. Es war frustrierend, selbst nachdem ich mein Second Origin hatte, zwei Stellargeister auf einmal rufen konnte und den Zauberspruch für die ultimative Sternenmagie gemeistert hatte, konnte ich einfach nicht gewinnen. Ich war wieder das schwächste Glied im Team. Die anderen hätten mir das nie vorgeworfen, aber ich habe es mir selbst vorgeworfen. Ich hatte es ganz einfach satt mich verstecken zu müssen. Wenn es damals hart auf hart gekommen wäre, hätte ich meine Freunde nicht beschützen können, sondern sie hätten wieder mich beschützt. Ich war es leid! Alles was ich mit meiner Magie je wollte war, das beschützen zu können, was mir am Herzen liegt und das kann ich jetzt. Und darauf bin ich stolz und ich bin unglaublich erleichtert" Während diesem kleinen Monolog waren Lucy die Tränen gekommen, die sich nun unaufhörlich ihren Weg über ihr Gesicht nach unten bahnten. Verlegen wischte sie sie weg. „Naja aber emotional instabil und eine Heulsuse bin ich wohl immer noch, wie es aussieht" Unter Tränen lachte die Blondine über sich selbst. „Eigentlich weiß ich auch gar nicht, wieso ich ausgerechnet dir das erzähle. Es geht dich doch am Wenigsten etwas an. Nicht mal meinen eigenen Freunden habe ich es erklärt. Die wussten ja gar nicht, dass ich gehe. Deswegen waren auch alle so aus dem Häuschen. Nur der Master wusste bescheid. Wahrscheinlich darf ich mir auch eine ganz schöne Predigt anhören. Entweder von allen auf einmal oder von jedem einzeln. Ich weiß ehrlichgesagt nicht, was ich schlimmer finden soll"
Sie war gegangen, um zu lernen, wie man Beschützte? Nicht um wirklich stark zu werden, Macht zu haben, kämpfen zu können und somit ihrer Gilde zu mehr Ruhm zu verhelfen, so wie es bei Sabertooth üblich war. Um das zu beschützen, was ihr am meisten am Herzen lag… Stings Blick glitt unbewusst zu Lector und dann durch den Raum, bis er schließlich Rogue und Frosch entdeckte. Nichts Besonderes also? Er lachte innerlich über seine eigene Blindheit, die er vor ein paar Minuten noch ihr vorgeworfen hatte. Sting hatte seine Antwort, aber es überraschte ihn, dass Natsu schon von Anfang an erkannt hatte, was für ein Mädchen diese Stellargeistmagierin eigentlich war.
„Na wenn das so ist, dann zeig mir doch bei den nächsten Spielen, was du kannst" Herausfordernd grinste er sie an. Ob sie das endlich aus der Reserve locken würde?
„Bei den Spielen?", fragte sie verunsichert. Er hatte sie getroffen.
„Naja es sei denn, du hast noch nicht genug Selbstvertrauen, um gleich einen der Twin Dragons von Sabertooth zu besiegen", provozierte er sie weiter und lehnte sich ein Stück nach vorne.
Beleidigt wendete die hübsche Blondine sich von dem weißen Drachen ab. „Du bildest deine Urteile wirklich zu schnell. Anscheinend unterschätzt du mich immer noch, sonst hättest du keine so große Klappe!"
Stings Grinsen wurde breiter. Na endlich, dieses blöde Geheule passte so gar nicht zu ihr. Ihr Lächeln war ganz süß, aber jetzt wollte er sie unbedingt ärgern. „Ist das so? Dann beweis es mir doch" Er ließ nicht locker jetzt erst recht nicht. Und wurde prompt mit einem mörderischen Blick belohnt, den er so schnell nicht vergessen würde.
„Du willst dich also mit mir anlegen Dragonslayer?", fragte sie und ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. „Na dann stell dich schon mal auf eine schnelle Niederlage ein, ich nehme deine Herausforderung nämlich an. Aber pass auf, dass du nicht rumjammerst, wenn ich gewinne" Sie bedachte ihn mit einem gespielt arroganten herausfordernden Blick.
Sting hatte sie, wo er sie haben wollte. Endlich würde er sich mal wieder amüsieren können. Gott sei Dank gab es noch ein paar Mädchen, die sich ihm nicht sofort an den Hals warfen. Mit Lucy würde er ein bisschen spielen können, er hielt sie für eine würdige Gegnerin, auch wenn sie ihn noch nicht durchschaut hatte. Außerdem hatte er schon seit einer Weile nicht mehr aufhören können zu grinsen. Er stand auf und streckte sich bewusst langsam, dann schob er lässig die Hände in die Taschen und schaute von oben auf sein neues Spielzeug herunter.
„Keine Sorge, meine Schöne, ich werde mich auch dir zuliebe zurückhalten. Wir sehen uns bei den Spielen!" Und damit schlenderte er in Richtung Ausgang und ließ die verärgerte Lucy einfach sitzen.
