4. Heimkehr

Noch eine ganze Weile nachdem Sting gegangen war, ärgerte Lucy sich immer noch über dessen Verhalten. Erst hatte er sie ausgefragt und hatte es so hingestellt, als habe er bloß Interesse an Natsu und seinen Absichten und dann, als sie ihm fast ihre ganze Lebensgeschichte erzählt hatte, war er mit seiner Herausforderung herausgerückt.

Sie konnte immer noch nicht richtig begreifen, warum sie dem Drachen überhaupt die ganze Geschichte erklärt hatte. Er war weder besonders nett zu ihr gewesen, noch hatte er ein Geheimnis darum gemacht, dass er eigentlich gar nicht an ihr, sondern an dem Feuerdrachen interessiert war. Aber vielleicht war es genau das gewesen. Es war nicht um sie gegangen, also hatte sie sich gar keine Gedanken darum gemacht. Es hatte sich viel in ihr angestaut, seit sie die Reise angetreten hatte. Lucy hatte die Tränen zurückhalten wollen, aber hatte es nicht geschafft. Und genau in dem Moment hatte dieser Sting angefangen sie so lange zu provozieren, bis sie aus der Haut gefahren und sich auf die Herausforderung eingelassen hatte.

Na herzlichen Glückwunsch zum Preis für das dämlichste Schaf in ganz Fiore, Lucy Heartfilia, dachte sie angeschlagen. Wie sollte sie das bitte den anderen aus Fairy Tail erklären? Und wie sollte sie einen Dragonslayer besiegen? Sie war stärker, keine Frage, aber größenwahnsinnig war sie noch nicht geworden, mal ganz abgesehen davon, dass sie ihre wahren Kräfte gar nicht zeigen durfte. Ihr Lehrer hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass ihre Magie erstens nur für Notfälle gedacht war und zweitens durfte sie unter keinen Umständen das volle Ausmaß ausschöpfen. Levy hatte natürlich wie immer recht gehabt, als sie die Befürchtung geäußert hatte, Lucys neu erlernte Magie könnte verheerende Folgen für ihren Körper und ihre Gesundheit haben. Wie von der klugen Schriftzeichenmagierin zu erwarten… Lucy seufzte. Kaum zu Hause hatte sie sich schon nicht mehr unter Kontrolle und manövrierte sich in blöde Situationen hinein. Eigentlich hatte sie durch die Meditation ja auch gelernt, ihre Gefühle im Zaum zu halten, aber sie schlitterte offenbar viel zu schnell in alte Verhaltensweisen zurück. Natsu die ganze Zeit anbrüllen zu müssen hatte wohl wirklich auf sie abgefärbt, sie regte sich viel zu schnell auf. Und dieser Sting nutzte das auch noch aus und amüsierte sich königlich darüber. Am liebsten hätte Lucy losgeschrien und einen Wutanfall bekommen, aber sie schluckte schwer und beherrschte sich.

„Oy Lucy, hörst du mir zu?" Die Stellargeistmagierin schreckte aus ihren Gedanken hoch und blinzelte ihren pinkhaarigen Freund an, der sich mit verschränkten Armen vor ihr aufgebaut hatte. „Tut mir leid, Natsu, was hast du gesagt?"

„Was ist los, du bist dauernd so am Nachdenken. Komm lieber mit und hock hier nicht so alleine rum. Alle freuen sich doch, dass du wieder da bist" Natsu grinste breit und hielt ihr seine Hand hin. Lucy zögerte keine Sekunde und legte ihre eigene Hand darauf. Blindes Vertrauen. Sie ließ sich auf ihre Füße ziehen, hatte aber nicht mehr mit den Protesten ihrer geschundenen Körperteile gerechnet. Sie zuckte kurz zusammen und verzog das Gesicht. „Lucy?" Natsu hatte es bemerkt. Sie lächelte, was auch sonst?

„Diese Schuhe bringen mich heute noch um", erklärte sie mit einem ebenso breiten Grinsen und hakte sich bei ihrem Kumpel ein, der sie mit zurück zu ihrer Gilde nahm. Lucy gähnte. Mittlerweile war es spät und sie hatte schon eine lange Zugreise und mehrere Stunden Fußmarsch hinter sich. Tatsächlich war sie erst in Magnolia angekommen, als die Party schon angefangen hatte, deshalb war sie auch so spät dran gewesen.

„Lucy – san geht es dir nicht gut?" Wendy sah sie besorgt an. Lucy schüttelte den Kopf. „Ich bin heute erst hier angekommen, ich bin bloß müde. Alleine die Zugfahrt hat fünf Stunden gedauert" Ihre blauhaarige Freundin nickte verständnisvoll. „Gegen Müdigkeit weiß ich allerdings keinen Zauber", kicherte sie.

„Soll ich dich nach Hause tragen?" Natsu kaute auf einem Grillspieß herum. Verwirrt starrte Lucy ihn an. „Wieso willst du mich denn tragen?" Der Dragonslayer fuchtelte mit seinem Essen in Richtung Boden. „Na du hast doch gesagt, dass Laufen in den Dingern wehtut und bis zu dir ist es weit genug. Da dachte ich, ich trage dich lieber. Immerhin hast du schon fünf Stunden Hölle hinter dir" War es das, was man kindliche Logik nannte? Lucy lachte los. „Du bist derjenige, der immer reisekrank wird, nicht ich. Mir macht eine lange Zugfahrt nichts aus" Natsu machte ein nachdenkliches Gesicht und schluckte den Rest von seiner Mahlzeit in einem Stück herunter. „Aber die Schuhe hast du trotzdem an", entschied er trotzig, was dann allgemeines Gelächter unter Lucys altem Team auslöste. Nach einem Jahr saßen sie alle endlich wieder zusammen und ausgerechnet da machte Lucy schlapp. Sie ärgerte sich über sich selbst, kippte aber schließlich ein Stück zur Seite, wo ihr Kopf auf Erzas Schulter landete. Zum Glück nahm sie Partys immer so ernst und putzte sich dementsprechend raus, sonst wäre Lucys Kopf auf ihre stahlharte Rüstung geknallt. Sie konnte die Augen kaum offen halten.

Liebevoll lächelnd sah Erza ihre Freundin an, die an ihre Schulter gelehnt beinahe einschlief. „Lucy, ich glaube du gehörst ins Bett" Die Blondine nickte gähnend. „Aber alleine lasse ich dich ungern gehen. Es ist spät und dunkel draußen und du bist immer noch ein Mädchen. Du solltest Natsu vielleicht wirklich mitnehmen" Und wenn Erza so was sagte, widersprach man besser nicht, so schlau war Lucy selbst, aber da fiel ihr gerade noch etwas ein. „Ich muss ihn sowieso mitnehmen, er hat immerhin meine Schlüssel und ich muss vorher noch in der Gilde vorbei, da habe ich vor der Party mein Reisegepäck abgeladen"

„Na dann los!", schrie Natsu und sprang von seinem Stuhl auf. Er schnappte sich Happy und Lucy und spurtete in Richtung Ausgang. Das restliche Team blieb staunend am Tisch zurück.

„Meine Güte, er hat sie wirklich ganz schön vermisst", stellte Gray belustigt fest. „Das haben wir doch alle oder nicht?", erwiderte Erza ruhig und die anderen nickten zustimmend.

„Aber dass dir die Füße wehtun, wenn du schon den ganzen Tag diese Dinger an hast, ist schon klar", meinte Natsu leichtfertig, während er mittlerweile wieder in normalem Tempo in Richtung Gildengebäude lief. Runtergelassen hatte er Lucy aber immer noch nicht, was das Ganze zu einer merkwürdigen Situation verkommen ließ.

Lucy versuchte ihr rotes Gesicht zu verbergen. „Ach sei doch nicht so doof, natürlich bin ich in ganz anderen Klamotten hier angekommen, ich hab mich in der Gilde umgezogen, immerhin hast du meine Haustürschlüssel. Könntest du mich jetzt vielleicht runterlassen?"

„Nö", antwortete der Pinkhaarige fröhlich und schleppte sie weiter durch die Gegend. Nö? Das wars? Lucy seufzte, warum hatte sie auch was anderes erwartet? Also versuchte sie sich nicht allzu viel dabei zu denken, dass sie gerade von ihrem besten Freund getragen wurde. Immerhin machte er das ja nur, weil sie erwähnt hatte, dass ihr die Füße wehtaten! …oder? Ach zum Teufel, er benahm sich einfach nicht wie Natsu, irgendwie schon und dann wieder nicht, Lucy war etwas überfordert mit der Situation. Und bevor sie weiter ihren verwirrenden Gedanken nachgehen konnte, polterte es laut. Natsu hatte die Tür der Gilde aufgetreten, weil er keine Hand frei hatte und das hatte Lucy wieder in die Wirklichkeit transportiert. Er setzte sie auf einer der Bänke ab.

„Man selbst hier drin ist es öde, wenn keiner da ist, lass uns dein Zeug schnappen und schnell wieder verschwinden", motzte der Feuerdrache laut.

„Happy, was hast du bloß mit ihm angestellt?", seufzte Lucy leise an die kleine blaue Exceed gewandt. „Wieso denn ich? Er benimmt sich schon die ganze Zeit komisch, seit du weg gegangen bist. Aber die paar Stunden die du wieder da bist benimmt er sich noch merkwürdiger, du solltest aufpassen" Happy machte eines seiner gruseligen Gesichter. „Happy, weißt du eigentlich wie das rüberkommt?", fragte die Blondine vorsichtig, aber der kleine Kater sah sie bloß verständnislos an. Bevor er allerdings eine seiner dämlichen Antworten ohne jeden Sinn loswerden konnte, platzte Natsu wieder dazwischen.

„Ich hab deinen Koffer gefunden" Stolz, als hielte er einen Schatz in den Händen baute er sich vor Lucy auf. Die Stellargeistmagierin kicherte. „Klasse Natsu. Aber jetzt wirst du mich wohl selbst laufen lassen müssen. Ich überlasse dir aber gerne meinen Koffer, wenn du so nett wärst" Sie machte Anstalten aufzustehen, aber da lag sie auch schon wieder in Natsus Armen. „Ach das passt schon, du bist leichter als vorher, da pack ich dich und den kleinen Koffer locker. Ich hab viel Hanteltraining gemacht" Er grinste. Mal wieder. „Oh man, an deinen Komplimenten musst du echt arbeiten", konnte Lucy sich nicht verkneifen zu murmeln. Aber sie ergab sich in ihr Schicksal und ließ sich weiter nach Hause tragen. Wahrscheinlich glich ihre Wohnung einem Trümmerfeld, aber bevor sie gegangen war, hatte sie es einfach nicht übers Herz gebracht, jemand anderen außer Natsu zu fragen, nach ihrer Wohnung zu sehen, während sie weg war. Sie traute sich kaum nachzusehen, als Natsu Happy die Tür aufsperren ließ, weil er sie ja immer noch festhielt. Sie hatte ihm den Schlüssel einfach mit einem Zettel in den Briefkasten geworfen und hatte dann so viele Kilometer wie möglich zwischen Natsu und sich selbst gebracht. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte Natsu sie gefunden.

Auf den ersten Blick schien aber alles in Ordnung. Es war aufgeräumt und sauber. Selbst ihr Bett, auf dem sie sanft abgesetzt wurde, war gemacht. Alles, was sich verändert hatte war, dass Natsu anscheinend eine Ecke mit verschiedenen Gewichten und Hanteln eingerichtet hatte und ein zweiter Kleiderschrank neben dem von Lucy stand. Der war allerdings wesentlich schmäler und hatte eine ganz andere Farbe. Lucy wunderte sich. Wieso hatte Natsu ihr einen zweiten Schrank gekauft?

„Äh Natsu, Happy… Was ist das?" Sie deutet mit dem Finger auf das dunkle Ding. Natsu drehte sich um. „Hmm? Na das ist mein Kleiderschrank Lucy, das sieht man doch! Er steht ja sogar direkt neben deinem", erklärte dieser ganz logisch. Der Blonden klappte die Kinnlade herunter. Sein Kleiderschrank? „Mo… Moment…" Lucy atmete tief durch. „Wieso steht dein Kleiderschrank hier drin?" Natsu schien diese Frage überhaupt nicht zu verstehen. „Na weil ich meine Klamotten doch nicht in deinen Schrank packen kann, da hättest du mir doch den Hals umgedreht. Also hab ich meinen eigenen Schrank da hingestellt. Oder meinst du, es wäre nicht schlimm gewesen, wenn ich deinen mitbenutzt hätte?" Der Dragonslayer kratzte sich nachdenklich am Kopf. Lucy war kurz davor, einfach das Atmen einzustellen und ohnmächtig umzufallen. „Nein, ich meine, wieso zum Henker sind überhaupt Klamotten von dir in meiner Wohnung? Du solltest doch bloß danach sehen. Außerdem hast du ein eigenes Haus mit eigenem Kleiderschrank oder nicht?" Langsam grenzte es an Hysterie. Die junge Magierin rief sich ihre Meditationsfähigkeiten in Erinnerung und zwang sich zur Ruhe.

„Ich bin hier eingezogen. Du warst nicht da, dein Geruch war auch überall verschwunden. Nicht mal in der Gilde war ein Hauch von dir zu finden. Da dachte ich mir, ich kann viel besser auf deine Wohnung aufpassen, wenn ich selbst drin wohne. Und dein Bett gefällt mir wirklich so viel besser als mein eigenes. Es ist gemütlicher und es riecht nach dir. Da dachte ich immer, du schläfst direkt nebendran, wie sonst auch"

Plötzlich fühlte Lucy sich schuldig. Erst ließ sie ihn alleine und trug ihm auf, nach ihrer Wohnung zu sehen und dann war sie kurz davor ihn anzuschreien, weil er im Prinzip genau das gemacht hatte. Auch wenn er ganz nebenbei einfach noch mit eingezogen war… Sie selbst war ja eh nicht zu Hause gewesen. Angespannt stieß sie die Luft aus. „Entschuldige. Und danke euch beiden, dass ihr aufgepasst habt", murmelte sie kleinlaut.

Natsus breites Grinsen wurde noch breiter. „Kein Problem" Er warf ein Kissen nach ihr, das direkt in ihrem Gesicht landete. Verwirrt hustend starrte sie ihren Freund an, dann warf sie zurück, verfehlte den Drachen aber knapp. Der hob das Kissen wieder auf und stürzte sich laut lachend damit auf die Stellargeistmagierin. Lucy warf schnell ihre Highheels beiseite, sprang auf und bewaffnete sich selbst mit Kissen.

„Na warte, das kriegst du zurück!", rief sie laut und klatschte ihrem Partner das größte Kissen ins Gesicht, das sie hatte finden können.

„Na los, ich brenne schon voll drauf" Natsu schien seinen Spaß zu haben. Happy dagegen ging bei den ganzen fliegenden Kissen, die größer waren, als er selbst lieber in Deckung.

„Natsu man verhaut seine Partnerin nicht mit Kissen, wenn man sich freut sie wiederzusehen, weißt du", traute er sich irgendwann zu rufen. „Wieso nicht, wenns so viel Spaß macht? Schnapp du dir lieber auch eine Waffe und sei nicht so feige" Der Feuerdrache warf ein Kissen nach der Kommode, hinter der sich sein Kumpel versteckte.

Natürlich nahm die Kissenschlacht die üblichen Ausmaße an, da Natsu es mal wieder total übertrieb. Aber Lucy machte es genauso Spaß und sie konnte sogar ganz gut mithalten, trotz ihrer Müdigkeit. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen gleich ins Bett zu gehen, sie hatte sich ja auf der Feier kaum noch aufrecht halten können. Aber wie üblich hatte sie die Rechnung ohne Natsu gemacht. Sie hätte ja auch nicht ahnen können, dass ihr Kumpel gleich bei ihr eingezogen war, nur weil sie länger nicht da gewesen war.

Sie wusste nicht genau, wie lange das Massaker gedauert hatte oder wie viele von ihren Kissen dabei kaputt gegangen waren. Sie wusste ja nicht mal mehr, wer am Ende nun gewonnen hatte, wenn es überhaupt einen Gewinner gab. Das Ende vom Lied war, dass sie selbst dafür zu erschöpft war, sich noch ein Nachthemd anzuziehen. Irgendwann, so schien es ihr, war sie mittendrin einfach eingeschlafen und ihre Welt war schwarz geworden.