6. Versprechen unter Freundinnen
Lucy war froh, endlich wieder zu Hause zu sein. Tief atmete sie die vertrauten Gerüche der Gilde ein und sofort stellte sich ein wohliges und heimeliges Gefühl bei ihr ein. Bestimmt würden bald ihre Freunde zu ihr kommen, um sie über ihre Reise auszufragen und sie stellte sich schon darauf ein, dass sie dieselben Geschichten ein paarmal würde wiederholen müssen, bis auch die Neugier des letzten Fairy Tail Magiers gestillt wäre. Allerdings war nach der Party gestern noch gar nicht so viel los, wie sonst. Und eine Sache war ihr noch viel wichtiger, als ihre Reiseberichte loszuwerden.
Die Blondine entdeckte ihre beste blauhaarige Freundin gähnend auf einer der Holzbänke sitzend und steuerte direkt auf sie zu. Als Levy sie kommen sah, hellte sich ihre müde Miene ein wenig auf und sie rutschte etwas zur Seite, um Lucy Platz zu machen. Mit einem Seufzen ließ sie sich direkt neben ihre Freundin fallen und schenkte ihr ein Lächeln.
„Morgen, Lu-chan", murmelte Levy immer noch schläfrig.
„Guten Morgen", gab Lucy etwas munterer zurück. „Wie geht's dir? Du siehst so müde aus"
„Gajeel hat mich genötigt bis zum Ende der Party zu bleiben, wo doch alle wieder so gut drauf waren", stöhnte sie gequält. „Heute Morgen irgendwann kam ich dann mal nach Hause, aber anscheinend habe ich den Punkt überschritten, an dem ich noch gut hätte einschlafen können, deswegen bin ich einfach hierhergekommen. Ich hoffe, dass ich heute Abend besser schlafen kann"
Lucy grinste ihre Freundin wissend an. „Was ist das da eigentlich zwischen euch beiden?", fragte sie und piekte Levy mit ihrem Zeigefinger in die Seite. Die fing zwar an zu kichern, lief aber auch tomatenrot an. „Ach, nichts Halbes und nichts Ganzes", seufzte die Blauhaarige. „Aber ich finde auch einfach nicht den Mut, ihm zu sagen, dass ich ihn mag. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er sich gar nicht viel aus mir macht und dann ist er wieder ganz anders und will mich um sich haben" Levy hatte inzwischen die Stimme gesenkt und flüsterte fast.
Die Stellargeistmagierin nickte verstehend. Sie hatte Mitleid mit ihrer besten Freundin, die offensichtlich unter ihren einseitigen Gefühlen für den Eisendrachen litt. „Also ich würde mich das selbst wahrscheinlich auch nicht trauen, aber ich finde, du solltest mit Gajeel darüber sprechen. Ich weiß aus Erfahrung, dass unsere Jungs hier und besonders die Dragonslayer nicht besonders helle sind was solche Themen angeht. Von selbst wird er es nicht verstehen, wenn du es nicht klar ansprichst und dann kann auch nichts draus werden"
Die Schriftzeichenmagierin nickte betrübt. „Ich weiß" Den beiden Freundinnen entfuhr ein gemeinsamer Seufzer. „Und was ist mit Natsu und dir?"
Lucy verzog das Gesicht und versuchte das nervöse Gefühl niederzukämpfen, das wieder dafür sorgen würde, dass sie genauso knallrot wurde, wie ihre blauhaarige Freundin. „Er benimmt sich noch merkwürdiger als sonst, selbst für seine Verhältnisse. Aber bei ihm kann ich wenigstens mit Sicherheit sagen, dass er sich auf diese Art und Weise nicht für mich interessiert. Er verhält sich, wie ein kleines Kind, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er sich überhaupt für Mädchen interessiert. Er kapiert ja nicht mal, was ich ihm versuche die ganze Zeit zu erklären, nämlich dass wir nicht im selben Bett schlafen sollten und bestimmt auch nicht zusammen das Bad benutzen werden" Bei dem Gedanken an Natsus unbekümmerte Art solche Dinge großzügig zu übersehen, wurde die Stellargeistmagierin dann doch verlegen. Aber Levy lachte nur und schüttelte ihren Kopf.
„Oh man, unsere Jungsprobleme unterscheiden sich wirklich von allem, was man als Mädchen normal nennen könnte" Die Blondine nickte bloß zustimmend und wünschte sich im Stillen, dass es irgendwie einfacher wäre. Für sie beide.
„Levy-chan, ich wollte mit dir über mein Versprechen reden, dich auch zu trainieren, wenn ich zurück bin", schnitt Lucy das eigentliche Thema an, das sie besprechen wollte. „Wir haben gestern schon kurz darüber gesprochen, dass wir die anstehenden Spiele gut als Ausrede dafür benutzen können, öfter zusammen eine Trainingseinheit einzulegen. Aber ehrlichgesagt würde ich gerne mit körperlichem Training anfangen, statt gleich mit Magie"
„Ja, du hast auch von Meditation gesprochen, stimmts?" Die kleine Blauhaarige wirkte interessiert.
Lucy nickte wieder. „Ich hab selbst auch erst mit Sport, Yoga und Meditieren angefangen. Damit Körper und Geist in Einklang kommen und damit der Körper stark genug wird, um die gesteigerte Magie auch aushalten zu können. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich bin in dem einen Jahr ziemlich sportlich geworden und hab sogar Kampfsport gelernt"
Levy bekam große Augen. „Du hast Kämpfen gelernt?"
„Mein Sensei war der Meinung, dass man sich als Mädchen nicht immer nur auf seine Magie verlassen sollte. Außerdem rechnet keiner damit von einem Magier ganz normal angegriffen zu werden. Ich bin noch lange keine Expertin, aber ein paar einfache Grundlagen hab ich ziemlich gut gelernt und ich kann mich verteidigen, wenn es nötig wird", erklärte die Blondine geduldig.
Levy nickte verstehend und die beiden Mädchen tauschten sich noch eine ganze Weile darüber aus, wie ihr gemeinsames Training ablaufen sollte und wie Lucys eigenes Training verlaufen war. Und natürlich wurden sie sofort unterbrochen, als es ein wenig lebendiger um sie herum wurde und die anderen Gildenmitglieder nach und nach eintrudelten.
Lucy sollte Recht behalten, denn natürlich musste sie vor versammelter Mannschaft eine Erklärung abliefern und sehr detailgetreu das gesamte vergangene Jahr schildern, in dem sie alleine unterwegs gewesen war. Viele ihrer Freunde waren bestürzt, als sie die wahren Motive und Gefühle hinter der Reise der jungen Stellargeistmagierin erkannten. Einige ihrer Teamkameraden versuchten ihr zu erklären, dass sie ihr nie Vorhaltungen gemacht hätten und dass sie sie immer als festen Bestandteil des Teams gesehen hätten, aber die Blondine beruhigte die anderen, denn das wusste sie schon längst.
Natsu allerdings wirkte die ganze Zeit leicht abwesend. Er regte sich zwar auf, aber noch lange nicht so übertrieben, wie Lucy es erwartet hatte. Für seine Verhältnisse war er schon beinahe zahm und selbst Gray machte mehr Aufstand, als der Dragonslayer. Außerdem warf er seiner Kameradin ständig merkwürdige und irgendwie nachdenklich verträumte Blicke zu, die sie nicht einzuordnen wusste. Was waren das bloß für neue Seiten an ihm, die er ständig auspackte, seit sie zurückgekehrt war? Der Pinkhaarige wirkte, als wäre er schon die ganze Zeit mit seinen Gedanken ganz woanders und Lucy fragte sich, was wohl so interessant oder wichtig sein konnte, dass selbst Natsu sich die Mühe machte, längere Zeit recht intensiv darüber nachzudenken. Sie hoffte inständig, dass ihm während ihrer Abwesenheit nichts Schlimmes zugestoßen war, das er nun verarbeiten musste.
Nach dieser anstrengenden Märchenstunde war die Blondine froh, als sich ihre Gildenkollegen wieder etwas beruhigten und im Raum verteilten. Gerade atmete sie tief durch, um sich wieder zu sammeln, da gesellte sich Yukino zu ihr, die blauhaarige Stellargeistmagierin, die ursprünglich mal zu Sabertooth gehört hatte, dort aber in Ungnade gefallen und rausgeschmissen worden war. Seitdem hatte sie bei Fairy Tail Unterschlupf gefunden, hatte sich der Gilde aber nicht angeschlossen und trug auch das Tattoo nicht.
„Lucy-sama, es freut mich, dass du wohlbehalten wieder zurückgekehrt bist"
„Und mich freut es, dass es dir auch wieder besser geht", gab Lucy zurück und lächelte ihre neugewonnene Freundin an. „Hast du dich gut eingelebt?"
Yukino nickte. „Ja, es waren alle wirklich sehr freundlich zu mir. Trotzdem konnte ich das Angebot einfach nicht annehmen, mich euch anzuschließen, es tut mir leid"
Schnell machte die Blondine eine beruhigende Handbewegung. „Das muss dir doch nicht leidtun. Hast du dir denn schon überlegt, was du weiterhin machen willst?"
Die andere Stellargeistmagierin erzählte Lucy, dass sie davon gehört hatte, wie der Gildenmeister von Sabertooth abgesetzt worden war und dass scheinbar die Nachfolge noch nicht ganz klar war, da sowohl Sting als auch Minerva dieses Jahr wieder an den Spielen teilnehmen würden. Der Gildenmeister einer Magiergilde durfte das nicht, also war offiziell noch niemand benannt worden. Wahrscheinlich genau aus diesem Grund.
„Also denkst du darüber nach unter einem neuen Master wieder zurück zu gehen?", fragte die Blondine ihre Freundin verständnisvoll. Wieder nickte Yukino. „Falls sie mich wieder aufnehmen würden vielleicht" Lucy lächelte traurig, versuchte der Blauhaarigen aber trotzdem Mut zuzusprechen. Sie bewunderte, wie sehr Yukino an ihrer alten Gilde hing, obwohl ihre ehemaligen Kameraden ihr so etwas Schreckliches angetan hatten. Ihre Loyalität war wirklich bemerkenswert.
„Bevor ichs vergesse, warum genau treffen sich eigentlich jetzt schon alle Gilden hier in Magnolia, wo doch die Spiele noch gut zwei Monate hin sind und wie immer in der Hauptstadt Krokus stattfinden?", fragte Lucy neugierig. Sie hatte sich am Vortag schon darüber gewundert, dass eine so große Party ausgerichtet worden war.
„Ah, das…" Die blauhaarige Magierin grinste leicht schief. „Das war Master Makarovs Idee. Er hat die Feier ausgerichtet und die Gilden eingeladen. Der offizielle Grund war, dass wir untereinander Kontakte knüpfen und böses Blut vermeiden sollen. So nach dem Motto, wenn wir auf einer Party zusammen feiern, benehmen wir uns in der Arena wie anständige Rivalen statt wie eine wildgewordene, rachsüchtige Meute. Aber eigentlich glauben wir alle, dass er Natsu-sama ablenken wollte. Hat nur leider nicht sehr gut funktioniert"
Lucy seufzte. „Tja, wann hat es das auch schonmal?" Yukino kicherte bloß als Antwort. Also stand die eigentliche Party einen Abend vor Beginn der Spiele in Krokus auch noch aus. Die Blondine wand sich innerlich. Vielleicht würde sie dort Sting wiedersehen, der sie dann wieder provozieren konnte. Das konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Schon gar nicht so kurz vor den Spielen.
„Ähm, Lu-Lucy-sama…?", stammelte Yukino plötzlich unsicher und starrte an der Blonden vorbei. Nur wenige Meter neben Lucy hatte Gray Natsu an seiner Weste gepackt und schüttelte den Feuerdrachen ordentlich.
„Jetzt reiß dich gefälligst mal zusammen, was ist denn los mit dir?", schrie der Eismagier seinen Gildenkollgen an. „Du gehst einem ja nur noch auf den Sack in letzter Zeit!"
„Ohje", stöhnte Lucy. „Geht das wieder los. Keine Sorge, das ist normal. Hast du dich noch nicht dran gewöhnt?"
„Doch, schon", gab Yukino zögerlich zu und legte den Kopf leicht schief. „Aber irgendwas stimmt doch nicht…"
Die Blondine sah wieder hin und legte die Stirn in Falten. Ihre Freundin hatte Recht. Die beiden prügelten sich gar nicht richtig. Gray brüllte Natsu an und verpasste ihm dabei ein Schleudertrauma, aber der Feuermagier machte gar keine Anstalten, seinem Kumpel eine reinzuhauen, so wie sonst. Im Gegenteil er grinste seinem Gegenüber noch ziemlich dämlich ins Gesicht. Und als Erza schließlich dazwischen ging, war eindeutig klar, dass etwas faul war, denn sie legte Gray bloß eine Hand auf die Schulter, sodass der Eismagier Natsu losließ und tauschte einige Worte mit den beiden aus, wobei der Feuerdrache anfing laut zu lachen und Gray ein total genervtes Gesicht zog. Erza war mal feinfühlig in so einer Situation? Lucy schüttelte den Kopf. Vielleicht war sie doch ein bisschen zu lange weg gewesen.
Und dann stand plötzlich Lisanna neben ihr und nestelte unruhig am Saum ihres Shirts herum. „Äh, Lucy… entschuldige bitte, aber können wir mal kurz miteinander sprechen, bitte?"
Überrascht nickte Lucy, entschuldigte sich kurz bei Yukino und folgte der Weißhaarigen dann in eine etwas ruhigere Ecke, um sich mit ihr ungestört zu unterhalten.
„Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll", gestand die Take-Over-Magierin kleinlaut und wurde rot. „Das ist alles so mega kompliziert…"
Aber noch bevor Lisanna die Chance hatte, Lucy irgendetwas zu erklären, wurde die Stellargeistmagierin fest am Handgelenk gepackt, herumgewirbelt und mitgerissen. Die Blondine konnte nur noch überrumpelt quietschen, dann entfernte sie sich auch schon unfreiwillig von ihrer Gesprächspartnerin.
„Lucy, komm wir gehen!", rief Natsu fröhlich und winkte im Laufen seiner Sandkastenfreundin übermütig zu. „Hey, danke nochmal Lisanna! Du hast mir echt geholfen!"
„Oh nein! Warte mal, Natsu!", schrie die Weißhaarige den beiden noch hinterher, aber da hatte der Pinkhaarige schon die Tür aufgerissen und Lucy mit sich nach draußen gezerrt. „Ich glaube, er hat mich schon wieder ganz falsch verstanden…", murmelte Lisanna leise und resigniert.
