7. Ein Date in Magnolia
Schon eine ganze Weile lief Lucy neben Natsu her durch Magnolia und wurde immer unruhiger. Während der Feuerdrache von einem Ohr zum anderen grinste und fröhlich auf Dinge zeigte, die er lustig oder interessant fand, wunderte sich die Stellargeistmagierin zunehmend über dessen Verhalten, denn er hatte immer noch nicht ihr Handgelenk wieder losgelassen. Happy schwebte über den beiden und enthielt sich jeglichen Kommentars, was die Blondine noch mehr verunsicherte.
Es war ein wirklich schöner und warmer Tag. Die Sonne schien, der Himmel war blau und wolkenfrei und es war größtenteils windstill. Eigentlich hätte man also einen Tag in der Innenstadt wirklich genießen können, wäre da nicht dieses nervöse Flattern in Lucys Magengegend gewesen.
Natsu zog sie über den Markt mit seinen vielen bunten offenen Ständen, die Lebensmittel, Stoffe, Kleider, Schuhe, Schmuck und viele andere Dinge ausstellten. Irgendwann, als die Neugier die Überhand gewann, fing Lucy an sich mehr und mehr für die Waren zu interessieren und blieb häufiger stehen, um sich etwas anzuschauen. Dabei entspannte sie sich immer mehr und vergaß darüber ihre trüben Gedanken. Schließlich war sie mit ihrem besten Freund unterwegs und der Feuerdrache schien sich prächtig zu amüsieren, so wie immer. Irgendwann ließ er sogar ihre Hand los und verschwand für einen Moment in der Menge. Als sie sich schon wunderte, wo er so lange abgeblieben war und Happy danach fragte, tauchte er wieder auf und drückte seinen beiden Freunden jeweils ein Eis in die Hand und behielt eines für sich selbst.
Die beiden folgten den gepflasterten Straßen und Gassen bis zum großen Platz, wo die beeindruckende Kathedrale stand und Lucy ließ sich von der guten Laune und dem Blödsinn, den der Pinkhaarige verbreitete, anstecken. Sie lachten viel und Natsu erzählte seiner Kameradin von den Aufträgen, die er im vergangenen Jahr mit den anderen Teammitgliedern ausgeführt hatte.
„Das ist wirklich immer wieder schön anzusehen", kommentierte Lucy schließlich und sah an der Kathedrale hoch. Hinter den hübsch verzierten Dekorationen konnte man schon den ein oder anderen roten Streifen am Horizont erkennen und die Blondine war erstaunt darüber, wie schnell die Zeit vergangen war.
„Hmmm…", machte Natsu gedehnt, legte den Kopf schief und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Stellargeistmagierin kicherte. Wahrscheinlich versuchte er gerade herauszufinden, was genau sie an einem Gebäude schön fand. Der Drache hatte weniger einen Sinn für solche Dinge. Klar, bei ihm gingen ja auch alle Bauwerke immer gleich zu Bruch.
Plötzlich gab Lucys Magen ein ziemlich lautes und verärgertes Grummeln von sich, das ihr furchtbar peinlich war und nachdem sie feuerrot anlief. Sie hatte den ganzen Tag recht wenig gegessen und die Eiscreme war auch schon wieder eine ganze Weile her. Aber ihr Partner fing bloß an sie auszulachen und meinte, er würde dann mal anfangen einen Platz für sie auszusuchen, an dem sie zu Abendessen könnten.
„Komm mit", sagte er, nachdem er seine Nase in den Wind gehalten hatte und nahm die junge Magierin dieses Mal direkt bei der Hand, um sie in die richtige Richtung zu ziehen. „Meine Nase hat was Tolles entdeckt!" Ihr Herz machte einen kleinen Satz, aber bevor sie protestieren konnte waren sie schon wieder unterwegs.
Keine Viertelstunde später saßen sie draußen, in einem hübsch bepflanzten Hinterhof eines Restaurants, in dem es überwiegend Grillspezialitäten gab. Kein Wunder, dass Natsu sie hierher gebracht hatte. Ganz sicher würde er eine Unmenge an Fleisch verdrücken und Happy könnte seinen über alles geliebten Fisch bekommen.
„Hast du auch genug Geld dabei? Nicht, dass wir wieder als Tellerwäscher enden", fragte Lucy misstrauisch. Diese Erfahrung hatte sie schon mal gemacht und war nicht sonderlich erpicht auf eine Wiederholung. Und da ihr Partner sie ohne Vorwarnung einfach mitgeschleift hatte, war sie ziemlich klamm, schließlich hatte sie ein Jahr mit Training und nicht mit Arbeiten verbracht.
„Ach, alles in Ordnung . Heute geht alles auf mich", versicherte der Feuermagier. „Schließlich müssen wir doch feiern, dass du wieder da bist" Er streckte ihr einen hochgestellten Daumen entgegen und grinste sein typisches Natsu-Grinsen. „Außerdem wollte ich nicht den ganzen Tag drinnen hocken, wenn so ein Wetter ist"
Die Blondine lächelte zurück. Auch wenn ihr Partner leicht neben der Spur zu sein schien, sie freute sich trotzdem über diese Geste. „Danke, Natsu", sagte sie ehrlich. „Aber sag mal, geht's dir auch wirklich gut? Du benimmst dich so komisch seit ich wieder hier angekommen bin" Ihr ging sein Verhalten einfach nicht aus dem Kopf und sie konnte ihre eigene Unsicherheit nicht richtig einordnen. Jetzt war sie also raus. Die Frage, die sie schon die ganze Zeit beschäftigte.
Und dann passierte etwas, das wirklich äußerst selten vorkam. Lucy glaubte ihren Augen und Ohren nicht trauen zu können. Während ihr Essen gebracht und aufgetischt wurde, sah Natsu als Antwort auf ihre Frage bloß zur Seite, kratzte sich mit einem Finger leicht an der Wange und begann irgendwelches zusammenhangloses Zeug zu stammeln. Er war tatsächlich in Verlegenheit geraten und stopfte sich schnell den Mund mit gegrilltem Fleisch voll, um es zu überspielen. Wenigstens wurde er nicht rot, sonst hätte die Stellargeistmagierin wahrscheinlich den Glauben an die gesamte Menschheit verloren.
Während also Natsu und Happy voll konzentriert ihr Abendessen inhalierten und die Teller und Platten sich in atemberaubender Geschwindigkeit leerten, saß die Blonde mit offen stehendem Mund da, glotzte die zwei an und musste aufpassen, dass sie darüber hinaus nicht ihr eigenes Essen vergaß. Ihre Gedanken drehten sich. Was bitte war das denn für eine Reaktion?
Um der ganzen Situation dann noch die Krone aufzusetzen, wechselte der Drache einfach das Thema und nuschelte mit vollem Mund irgendeine Geschichte vor sich her, die sich wohl um Erza drehte, aber Lucy hörte nur mit halbem Ohr wirklich hin. Sie hatte wieder angefangen, sich Sorgen um ihren besten Freund zu machen. Dass er ihr keine ordentliche Antwort gegeben hatte, verbesserte ihre Lage nun auch nicht unbedingt.
„Sagt mal ihr beiden, ihr habt aber schon vor wieder in euer eigenes Haus zu ziehen, jetzt wo ich wieder hier bin, oder?", fragte die Stellargeistmagierin vorsichtig, als sie mit ihren beiden Freunden am Kanal entlang in Richtung ihres Hauses schlenderte. Mittlerweile war es schon dunkel geworden und am Himmel waren tausende Sterne und ein strahlend heller Mond zu sehen.
„Ach genau, darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht!", gestand der Feuerdrache geradeheraus. „Eigentlich kann ich mein Zeug auch bei dir lassen, wenn ich eh dauernd bei dir penne…"
„Auf keinen Fall!", protestierte Lucy entschieden. Es war ja gar nicht so gedacht, dass Natsu ständig bei ihr übernachtete.
„Häh, wieso nicht?"
Die Blondine seufzte und rieb sich die Stirn. Wahrscheinlich würde es ja sowieso darauf hinauslaufen, dass es wieder nach seinem Kopf ging. Sie sparte sich die Erklärung, um einer stundenlangen Diskussion lieber aus dem Weg zu gehen, aber was sie drinnen in ihrer Wohnung erwartete, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Resignierend sperrte die junge Magierin die Tür zu ihrer Wohnung auf und nahm die beiden Chaoten mit rein. Sie befürchtete Natsu würde durchs Fenster hineinklettern, wenn sie es nicht tat, also hatte sie eigentlich keine große Wahl.
Sobald sie drinnen angekommen waren und Lucy ein paar Sachen wegräumte, lehnte Natsu sich in einen Türrahmen und beobachtete sie nachdenklich. Die Blonde wurde dadurch so nervös, dass sie anfing noch einen späten Tee aufzusetzen, nur um etwas zu haben, womit sie sich beschäftigen konnte. Irgendwann hielt sie es aber einfach nicht mehr aus.
„Sagst du mir jetzt endlich mal, was mit dir nicht stimmt?"
Langsam verlor sie die Geduld, nahm aber am Rande schon wahr, dass sie sich fast genauso anhörte, wie Gray, der den Feuermagier vorher durchgeschüttelt hatte. Happy zuckte bei ihren scharfen Worten zusammen und ließ sich auf ihrem Bett nieder.
Natsu blinzelte und kratzte sich am Hinterkopf. „Mir gings nie besser, glaub ich wenigstens" Sein breites Grinsen kehrte zurück. „Aber weißt du, ich will dich schon den ganzen Tag was fragen, aber weiß nicht so richtig wie ichs anstellen soll"
Ungläubig stieß die Blondine die Luft aus. „Und das ist alles?" Sie musste sich wirklich beherrschen. „Ich mach mir schon die ganze Zeit Sorgen, du Idiot! Frag halt einfach!"
„Wieso machst du dir denn Sorgen?"
Der Drache klang so vollkommen ratlos, dass Lucy nur genervt stöhnen konnte. Eine intelligentere Antwort war momentan einfach nicht drin. Also konzentrierte sie sich lieber auf ihren Tee. „Was willst du mich denn nun fragen?"
„Erst musst du mir versprechen, dass du mir keine verpasst!"
Ungläubig stellte die Blondine ihre Teetassen wieder hin. „Wie bitte?" Ihr Ton war mehr als bloß entrüstet. Wie schlimm konnte so eine Frage schon sein? Sie schlug doch nicht ihren Teampartner, weil er sie was fragen wollte.
Natsu zuckte mit den Schultern. „Ich will eben keine auf die Mütze kriegen. Lisanna hat gesagt, ich soll dich erst fragen, aber irgendwie glaub ich, dass du das nicht so klasse finden wirst"
Lisanna? Erst fragen? Erst fragen und dann… was? Lucy war so verwirrt, dass sie die Fragezeichen beinahe schon in der Luft vor sich schweben sehen konnte. Und Lisanna hatte doch in der Gilde auch versucht mit ihr zu reden. Handelte es sich vielleicht wirklich um was Ernstes?
Die junge Magierin drückte Natsu und Happy ihren Tee in die Hand und setzte sich zu dem blauen Kater auf ihr Bett. „Also hör mal, ich werde dich nur wegen einer Frage bestimmt nicht schlagen. In Ordnung?"
Misstrauisch runzelte der Feuerdrache die Stirn und kniff die Augen zusammen. „Versprochen?"
Lucy seufzte und nickte, bereute es aber sofort, als sie sah was für ein schelmisches Funkeln sich in die Augen ihres Teampartners schlich. „Klasse", grinste er und ließ sich vor ihr im Schneidersitz auf dem Boden nieder. „Also… Ich würd dich gern mal küssen. Darf ich?"
Die junge Magierin hatte sich noch nie so sehr gewünscht ein Versprechen nicht gegeben zu haben. Zusammen mit Happy, der sich gewaltig am Tee verschluckte und lautstark husten musste, erstarrte sie förmlich auf ihrem Bett und musste aufpassen, ihre Tasse nicht fallen zu lassen. Schock beschrieb ihren Geisteszustand nicht annähernd. Sie beschloss, dass ihr Teampartner sie wahrscheinlich veralbern wollte und fing unsicher an zu kichern, obwohl es sich furchtbar falsch und künstlich anhörte. „Ach komm schon, Natsu…", setzte sie an und winkte mit einer Hand ab. „Das kann doch nicht wirklich dein Ernst sein! Über sowas macht man doch keine Witze…"
Aber anders als Lucy gehofft hatte, brach der Pinkhaarige nicht in schallendes Gelächter aus und kugelte sich auch nicht auf dem Boden herum, sondern setzte bloß den Teebecher ab und sah ihr unbeirrt in die Augen. „Das ist aber mein Ernst!", beharrte er und die braunen Augen der Blondine wurden immer größer.
„Natsu, so geht das doch nicht", schaltete sich nun auch Happy ein und protestierte, worüber die Stellargeistmagierin wirklich dankbar war, da sie selbst keinen einzigen Ton hervorbrachte.
„Wieso? Lisanna hat gesagt ich soll fragen, also frag ich"
Der blaue Exceed schüttelte resigniert den Kopf. „So war das bestimmt nicht gemeint…"
„Halt, stopp, wartet mal kurz" Die Blonde hielt ihre beiden Hände in die Luft und bremste die streitenden Jungs. „Wie zum Teufel kommst du überhaupt auf diese Idee? Lisanna hat dir bestimmt nicht gesagt, dass du mir exakt diese Frage stellen sollst oder?" Lucys Herz klopfte viel zu schnell und sie hasste die Verlegenheit, die sie zwangsläufig in so einer Situation überkam.
„Naja…" Natsu kratzte sich am Hinterkopf und Lucy seufzte. Ihr war ja schon klar gewesen, dass er bestimmt wieder was missverstanden hatte. Für einen ganz kurzen Augenblick war sie fast ein bisschen erleichtert. „Vielleicht nicht so direkt, aber es kommt doch eh dasselbe dabei raus, also was solls…"
Lucy schnappte beleidigt nach Luft. „Was soll das denn bitte heißen? Was solls?"
Der Feuerdrache zuckte mit den Schultern und schenkte ihr ein sorgloses Grinsen. „Also so wie ich das verstanden hab, brauchst du auch nicht mehr auf dem Boden zu pennen, wenn ich dich küssen darf und so. Deswegen wollte ich das halt mal ausprobieren"
„Ich bin kein Versuchskaninchen!" Die Blondine wurde langsam sauer. Was dachte dieser Idiot sich, nur weil er diese ganze Sache mit Gefühlen nicht kapierte?
„Aber wenn wirs nicht versuchen, kann ich ja auch nicht wissen, obs mir überhaupt gefällt", argumentierte der Feuermagier ganz logisch.
„Das brauchst du auch nicht zu wissen!", entschied Lucy wütend. Sie war wieder rot angelaufen und diese ganze Diskussion kam ihr so schrecklich absurd vor. Da saß sie mit ihrem eigentlich besten Freund in ihrer Wohnung und stritt sich darüber, sich mal versuchsweise zu küssen. Irgendwas war ganz entschieden schief gelaufen. „Man küsst sich nicht einfach mal so und auch nicht, um es mal auszuprobieren"
„Aber genau das ist es ja", versuchte nun Happy wieder zu erklären. „Lisanna denkt, dass Natsu dich maaaaaag, Lucy" Sie zog ein Gesicht über das in die Länge gezogene Wort und gleichzeitig hämmerte ihr Herz gegen ihren Brustkorb. Es kam Lucy so vor, als wäre es noch gar nicht so lange her gewesen, dass sie Levy-chan erklärt hatte, Natsu würde sie auf diese Art und Weise nicht betrachten.
„Was?! Wieso das denn?"
Wieder zuckte der Drache nur mit den Schultern als wäre überhaupt nichts dabei. „Weil ich hier eingezogen bin und mit dir baden und im selben Bett schlafen will und noch ein paar andere Sachen, bei denen du immer sauer auf mich wirst"
Lucy blieb bei so viel unbekümmerter Ehrlichkeit der Mund ganz weit offen stehen. „Dann lass das doch einfach mal! Besonders wenn du doch schon vorher weißt, dass ich sauer werde. Ich dachte ja immer, du kapierst das nicht mal"
„Ich wills aber nicht lassen, sondern einfach machen und da hat Lisanna gesagt das geht nur, wenn ich dich auch küssen darf"
„Nein, Natsu, so hat sie das nicht gesagt", verbesserte Happy sofort, aber der fuchtelte bloß mit dem Arm herum. „Aber so gemeint!"
So langsam wusste die Stellargeistmagierin einfach nicht mehr, wie sie reagieren sollte. Schon alleine die Tatsache, dass Natsu überhaupt angefangen hatte über diese ganzen Dinge nachzudenken und sogar mit seiner Sandkastenfreundin Lisanna darüber gesprochen hatte, überforderte die junge Blondine maßlos. Sie hatte hinter der kindlichen Art ihres Kumpels nie irgendwelche merkwürdigen Hintergedanken vermutet und jetzt kam er mit einem Kuss um die Ecke und wollte die gesamte Grundlage ihrer Beziehung einfach ändern. Andererseits vielleicht ließ er sie damit wieder in Ruhe, wenn sie einmal zustimmte und er merkte, dass gar nicht so viel dabei herauskam, wenn man sich küsste. Er schien sich ja irgendwas dabei zu denken und auch etwas zu erhoffen und Lucy glaubte, dass ein Kuss keine so große Sache werden würde, wie Natsu es augenscheinlich erwartete. Wenn der Feuerdrache merkte, dass sich durch einen Kuss auch nicht so viel änderte, dann würde er vielleicht wieder normal werden. Trotzdem löste dieser Gedanke Übelkeit und Bauchkribbeln bei ihr aus. Wenn sie daneben lag, würde ihr Leben so viel komplizierter werden. Sie atmete tief durch.
„Also schön, von mir aus", seufzte Lucy möglichst teilnahmslos und versuchte neutral, fast schon gelangweilt zu wirken. „Wenn es dir so furchtbar wichtig ist, mache ich das blöde Spielchen eben mit. Ich hoffe du weißt, wie peinlich das Ganze hier ist! Happy, lass uns mal bitte kurz alleine. Zuschauer brauch ich dabei nicht auch noch"
