Kapitel 8: Date
Ich hatte nie im Leben was Passendes zum Anziehen! Hektisch zerrte ich alle Klamotten aus meinem Schrank, die normalerweise in dem Bereich vergammelten, den ich nie nutzte. Skeptisch musterte ich die Teile, die schließlich auf meinem Bett verstreut lagen. Ich wollte mich nicht komplett umkrempeln müssen. Ich wollte immer noch ich selbst bleiben und mich in den Sachen irgendwie wohl fühlen können. Also wie stellte ich das an, ohne in meinem normalen Schlabberoutfit bei dem Date aufzukreuzen?
Schließlich hatte ich eine Art Eingebung, als ich schwarze knielange Leggings unter den Sachen entdeckte und zwängte mich hinein dazu wählte ich ein dunkelrotes Sommerkleid mit kurzen Ärmeln, das aus ganz normalem T-Shirt Stoff gemacht war und nur leicht auf Taille gearbeitet. So fühlte es sich fast an, als würde ich ein zu langes Shirt tragen und die Leggins gaben auch genug Bewegungsfreiheit. Am Saum des Kleides und an den Ärmeln entdeckte ich sogar kleine schwarze Stickereien in verschlungenen Mustern.
Ich stellte mich vor den Spiegel, der an meiner Schranktür angebracht war. War der Ausschnitt echt okay so? Dadurch, dass ich meistens weite Oberteile trug, die keinen besonderen Schnitt hatten, kam ich mir in dem Kleid seltsam vor. Der Ausschnitt war rund, aber größer als der von normalen Shirts. Außerdem sah ich irgendwie anders aus. So… mädchenhaft. Und schlank. Nicht, dass schlank schlecht war, aber so hatte ich das noch nie wahrgenommen. Ein bisschen verstand ich jetzt, warum manche Mädchen eng anliegende Klamotten bevorzugten. Das betonte die Figur ganz anders.
Bevor ich es mir wieder anders überlegen konnte, pfefferte ich die restlichen Teile zurück in den Schrank und kramte ganz unten aus einer Ecke einen verstaubten Schuhkarton heraus. Ich hatte beschlossen, dass Boots nicht unter ein Kleid passten, auch wenn man Leggins drunter trug und Sneakers kamen irgendwie auch nicht wirklich in Frage, also zog ich die einzigen anderen Schuhe an, die ich überhaupt besaß. Ein Paar schlichte schwarze Ballerinas.
Das Outfit war also komplett, jetzt musste ich mir nur überlegen, was ich mit meinen Haaren anstellte. Normalerweise trug ich generell einen Pferdeschwanz, damit sie mir nicht ins Gesicht hingen oder mich nervten. Wäre das für ein Date zu gewöhnlich? Und einfach offen lassen? Zu einfallslos? Das Ganze war wirklich kompliziert. Oder Killua hatte doch Recht und ich machte mir zu viele Gedanken.
Schließlich kämmte und föhnte ich meine schwarzen Haare und stellte mich wieder vor den Spiegel. Ich zog etwas den Pony glatt und musterte das Ergebnis. Sie waren mittlerweile sogar etwas länger als schulterlang und fielen mir geschmeidig ums Gesicht, wenn ich sie offen ließ. So übel war das gar nicht. Bevor ich mir noch mehr Gedanken machen konnte oder noch auf die blöde Idee kam, irgendwelche Experimente damit zu machen, die nur dazu führten, dass es hinterher viel schlimmer aussah, beschloss ich, sie so zu lassen.
Durch den Mangel an Kosmetika (ich besaß einfach keine außer Shampoo, Duschgel und Deo) trug ich einen farblosen Pflegestift auf, den ich eigentlich im Winter benutzte, wenn ich zu trockene Lippen bekam. Er duftete ganz gut nach Vanille. Das musste reichen! Schließlich war es ja auch nur eine Übung, die wir uns aus Spaß und Neugier hatten einfallen lassen. Ich überlegte mir, dass es dem Weißhaarigen wohl ziemlich egal sein würde, was ich an hatte. Hauptsache das Date machte Spaß.
Als ich auf die Uhr guckte, bekam ich beinahe einen Schreck. War ich wirklich so lange im Bad beschäftigt gewesen? Ich stöhnte genervt. Wie viel Zeit man doch mit seinen eigenen Klamotten verbringen konnte war schon erstaunlich, besonders weil ich sowas immer schrecklich gefunden hatte und andere Mädchen oft als Modepüppchen betitelte.
Schnell schnappte ich mir eine kleine Umhängetasche, die ich jetzt notgedrungen mitschleppen musste, weil Leggins keine Hosentaschen hatten und beeilte mich, den langen Gang hinunter zu eilen, in dem nebeneinander die ganzen Schlafzimmer lagen. Unser Wohnbereich war durch ein paar verwinkelte Gänge und Türen direkt an den Hauptraum der Kirche angeschlossen. So stand ich schnell wieder in dem imposanten Kirchenschiff mit dem Altar aus Marmor, das ich durch den Haupteingang verlassen konnte.
Als ich die drei breiten Steintreppen vor der Kirche hinunterkam, lehnte Killua schon gelassen an der Wand und wartete auf mich. Er trug hellgrüne Hosen mit dunkelgrünen Querstreifen, die er hochgekrempelt hatte, darunter blaue Flipflops und das ärmellose Top, das er trug, war ebenfalls dunkelrot, was mich zum Lächeln brachte. Als hätten wir uns abgesprochen. Um seinen Hals hing ein dünnes schwarzes Lederband, an dem zwei weiße Federn baumelten und er hatte schwarze Stulpen über seine Ellenbogen gezogen. Er sah wahnsinnig cool aus. Er sah immer cool aus. Es war merkwürdig, dass der Weißhaarige mit diesen schönen Saphiraugen immer etwas ausstrahlte, das ihn lässig und locker wirken ließ.
Als er mich entdeckte, stieß er sich von der Wand ab und starrte mich an, als wäre ich nackt. Seine wunderschönen blauen Augen weiteten sich und ihm klappte die Kinnlade herunter. Zugegeben, das wirkte dann doch nicht mehr ganz so cool.
„Gwen?" Es klang tatsächlich wie eine Frage.
Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Nein, der Weihnachtsmann"
Er pfiff durch die Zähne, was leicht anerkennend klang und auf seinen Wangen zeichnete sich langsam ein dezenter Rotton ab. „Das steht dir gar nicht schlecht"
Statt ihm ein weiteres sarkastisches Kommentar um die Ohren zu hauen, um die eigene Hitze zu überspielen, die mir ins Gesicht stieg, versuchte ich ein kleines Lächeln. „Danke, gleichfalls" Ich deutete vage auf seine Klamotten. „ Cooles Outfit hast du da an"
Er sah an sich runter und zupfte dann an seinem Oberteil. „Wir hatten wohl ähnliche Ideen", bemerkte er und sah dann auf mein Kleid, das den gleichen Farbton hatte.
Mein Lächeln wurde breiter. „Wir hätten ja im Partnerlook gehen können", witzelte ich. Killua schnaubte, grinste aber zurück.
„Also, hast du einen Tisch bestellt oder so?", fragte ich neugierig.
„Joa, was in der Art" Der Attentäter ließ seine Hände wieder in den Hosentaschen verschwinden und zuckte mit den Schultern. Er bedeutete mir mit einem Kopfnicken, ihm einfach zu folgen.
Ich überlegte kurz und hakte mich dann während wir liefen einfach bei ihm unter. Mein Gang passte sich seinem recht mühelos an, aber er warf mir trotzdem einen überraschten Seitenblick zu, bevor er ihn wieder auf die Straße vor uns richtete. Ich spürte, wie er seinen Arm etwas lockerer ließ und grinste.
„Ist Alluka immer noch mit Wellness beschäftigt?" Wir waren auf dem Weg in Richtung der großen Fußgängerzone und ich vermutete, dass er ein Restaurant in der Ecke gewählt hatte. Die meisten davon waren nicht nur bei Einheimischen, sondern auch bei Touristen beliebt und hatten gute Bewertungen im Internet.
Killua seufzte. „Kaum zu glauben, was für ein Programm man da durchziehen kann. Keine Ahnung, wie viele Massagen, Peelings, Gurkenmasken und Dampfbäder sie schon gehabt hat. Als ich sie nach dem Duschen kurz besucht habe, meinte sie, sie wollte die Sauna und den Pool noch ausprobieren. Die haben tatsächlich ein beheiztes Innenschwimmbad da drin"
„Ist doch im Sommer gar nicht nötig", protestierte ich ungläubig.
Der Weißhaarige wollte wohl mit den Schultern zucken, aber ihm fiel rechtzeitig wieder ein, dass ich mich an einen seiner Arme geklammert hatte. „Ich mag eh lieber das Meer"
„Dann lass uns doch mal zum Strand gehen. Wir haben keinen kilometerlangen weißen Sandstrand, aber es ist ein Strand", schlug ich vor. Mittlerweile führte mich Killua zielstrebig über die Einkaufsmeile und zog mich dann quer über den Platz in eine andere Straße, die von den Mode – und Schmuckgeschäften wegführte. Der Himmel nahm schon wunderschöne Rot, Orange und Goldtöne an und es war beinahe windstill.
„Klingt gut", stimmte er zu. „Wir sind da. Ich hoffe, du magst Sushi"
Zwischen einer Bar, die von außen noch geschlossen aussah und einem hippen Bistro, aus dem funkige Musik zu hören war, lag ein großes modernes Sushi Restaurant mit dunkelblauer Fassade. Durch die gläserne Front konnte ich mehrere Aquarien erkennen, die mit verschiedenen Farben angeleuchtet wurden, was den Raum in eine gemütliche Atmosphäre tauchte. Ich konnte eine Salatbar und eine lange Theke mit Getränken und Kasse ausmachen, aber das Prunkstück war wohl das riesige ovale Laufband, das in der Mitte des Raumes stand und auf dem die Speisen ihre Runden drehten. Daran saßen auf gemütlich aussehenden Stühlen schon einige Gäste und bedienten sich eifrig.
„Wow, sieht schick aus", murmelte ich, während Killua mir die Tür aufhielt und wir eintraten. Er ließ den freundlichen Kellner wissen, dass er reserviert hatte und wir wurden an das Laufband zu unseren Plätzen geführt. Wir mussten nicht lange warten, bis auch unsere Getränke kamen.
„Kann ich mich jetzt einfach bedienen oder wie läuft das?", flüsterte ich dem Weißhaarigen zu.
Er nickte. „All you can eat. Wir bezahlen beide eine Pauschale und können so viele Teller nehmen, wie wir wollen. Salat, Suppe oder Nachtisch kostet extra", erklärte er mir und nahm sich den ersten Teller mit Sushi von dem Band.
„Super, dann kann ich ja von allem mal probieren", freute ich mich und machte es ihm nach.
„Wetten, ich schaffe mehr Teller als du?", forderte mich Killua mit seinem schelmischen Grinsen heraus.
„Wette gilt!", nahm ich an, tauchte mein Sushi in Sojasauce und steckte es in den Mund. „Lecker!"
In Windeseile stapelten sich vor uns beiden die Teller in die Höhe. Sowohl von den Angestellten des Restaurants, als auch von den Gästen ernteten wir merkwürdige Blicke. Ein Mann in Jeans und rotem Hemd starrte uns ganz ungeniert mit offenem Mund an und vergaß dabei sein eigenes Essen völlig. Zwischendurch musste ich kichern und machte Killua darauf aufmerksam, der dem Kerl winkte und weiter aß.
„Wie bist du auf Sushi gekommen?", fragte ich, nachdem der Weißhaarige die Rechnung für uns beide bezahlt hatte. Er hatte doch tatsächlich zwei Teller mehr gegessen, als ich! Er hielt mir wieder die Tür auf und als wir raus auf die Straß traten, nahm er scheinbar ganz beiläufig meine Hand. Trotzdem musste er sich räuspern, bevor er antwortete. Und er sah mich nicht an.
„Ich mag's eigentlich ganz gern. Ich hab im Internet geschaut, ob es hier ein gutes Sushi Restaurant gibt und dieses hatte die besten Bewertungen. Eigentlich gebe ich auf sowas nicht viel, aber da ich mich ja in der Stadt nicht auskenne, hab ich mich daran orientiert"
„Ein wirklich cooler Laden, das muss ich mir mal merken. Hast du die Aquarien gesehen?" Ich verschränkte meine Finger mit seinen und zog ihn zurück auf die große von Schaufenstern hell erleuchtete Hauptmeile, die wir noch eine Weile entlanggehen mussten, um mein nächstes Ziel zu erreichen.
„Ja, waren das Kois?"
„Teilweise, glaub ich. Wusste gar nicht, dass man die auch in Aquarien hält. Ich dachte dabei immer eher an super teure Gartenteiche und sowas" Ich musste ein Lachen unterdrücken, als ich an die Kellner dachte. „Aber die Gesichter von den Angestellten waren die besten!"
Killua gluckste. „Die haben an uns ein dickes Minusgeschäft gemacht" Daraufhin mussten wir beide anfangen zu lachen und ich verpasste beinahe die Abzweigung, die wir nehmen mussten.
Das Gebäude, vor das ich ihn schließlich zerrte war ziemlich riesig und war grell mit großen Buchstaben beleuchtet. GAME CENTER flackerte uns in verschiedenen Farben entgegen. Er hatte gesagt, er mochte Videospiele. Und leider gab es keinen Vergnügungspark in unserer Nähe, sonst hätte ich definitiv den ausgesucht.
„Und was meinst du? Wollen wir rein?" Ich war etwas nervös. Ich hatte ja keine Ahnung, ob sowas für ein Date passend war.
Killua bekam große Augen und ein Leuchten stahl sich hinein. „Dein Ernst?" Er schien es nicht glauben zu können, dass Mädchen auch Spaß an solchen Sachen haben konnten.
Ich nickte. „Klar" Und dann kam ich auf eine ganz super tolle Idee und grinste ihn hinterlistig an. „Du musst gewinnen und ich bekomme die Preise"
„Aha, du willst also bloß Plüschtiere abstauben!", warf er mir gespielt beleidigt vor.
„Natürlich", spielte ich das Spiel unschuldig blinzelnd weiter. „Und weil du so ein Gentleman bist trägst du sie bestimmt auch für mich nach Hause"
„Und was bekomme ich dafür?" Irgendwie mochte ich nicht, wohin sich diese Kabbelei entwickelte, aber ich musste trotzdem kichern.
„Den Spaß am Spielen und mein wunderschönes Lächeln?", zog ich ihn weiter auf. Ich konnte genau sehen, wie er sich das breite Grinsen verkniff. Seine Mundwinkel zuckten schon die ganze Zeit verräterisch.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er mich. „Hmm… na mal sehen, ob ich dir das durchgehen lasse", sagte er nur und zog mich dann zum Eingang. Wieder hielt er mir die Tür auf.
„Was soll das denn heißen?", empörte ich mich, während ich durch die Tür schlüpfte.
„Wirst du dann schon sehen" Und während er das sagte bekam er eine wirklich gruselige Ähnlichkeit mit einer Katze. Ihm schienen beinahe wörtlich Katzenohren und ein Schwanz zu wachsen, während er grinste und sich umsah.
Drinnen war es bunt, es war voll und es war laut, aber ich liebte es. Die gesamte Halle war mit rotem Teppichboden ausgelegt, überall standen ganz verschiedene Spieleautomaten herum, die von alten Flipperautomaten über Packman bis hin zu neuesten Demoversionen reichten, die teilweise noch nicht einmal im freien Verkauf erhältlich waren. Ob Autorennen, Ballerspiele oder Super Mario, man fand hier wirklich alles. Es gab sogar Stationen für Sportspiele. Dosenwerfen, Basketballkörbe werfen, Darts, Billard, ein Kickertisch, es war alles da. Wie ein Miniaturvergnügungspark in einer Halle. Und ganz neu in einer Ecke hatten sie riesige rechteckige Trampoline mit einem festen Netz drumherum aufgebaut.
„Whooo", machte Killua begeistert und seine blauen Augen leuchteten immer mehr. Ich piekte ihn mit dem Zeigefinger in die Seite, um kurz seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Schon was entdeckt, das du machen willst?"
Der Weißhaarige zeigte auf eine brandneue Demo von einem Konsolenspiel, das bald in den Verkauf kommen sollte. „Das will ich mir auf jeden Fall mal ansehen. Und du?"
„Bin dabei", antwortete ich schlicht. „Und ich will mal da rüber" Ich deutete auf die Greifarmautomaten, in denen kleine Kuscheltiere lagen. „Ich will Alluka was mitbringen und bei denen hab ich immer Glück"
„Okay"
Das neue Spiel war wirklich ziemlich interessant. Wir wählten den zwei-Spieler-Modus und probierten es gemeinsam aus. Die Story war nicht wirklich neu, man schlüpfte in die Rolle des Helden (bzw. zu zweit in die Rolle des Helden und seines besten Freundes) und musste in einer Welt voller Magie, Monster und Mysterien verschiedene Aufgaben und Level erfüllen. Das Ziel war es, das Nest eines bösartigen Drachen zu finden, diesen als Endgegner zu besiegen und die Welt vor dessen tyrannischer Herrschaft zu befreien. Dafür waren die Charaktere ziemlich gut angelegt, die Grafik war erstaunlich modern und cool und selbst die Musik überzeugte irgendwie.
Leider konnte man als Demo nur die ersten drei Levels durchspielen, um das Spiel mal zu testen. Es war ja noch nicht zum Verkauf freigegeben. Enttäuscht ließen wir unsere Joysticks sinken, als wir am Ende angekommen waren. Es hatte Spaß gemacht. Killua kramte sein Handy raus und machte ein Foto.
„Das schicke ich Milluki. Der wird bestimmt grün vor Neid, wenn er sieht, dass ich das Spiel vor ihm probiert hab. Selber schuld, wenn er das Haus nie verlässt", spottete er und ließ das Handy wieder in der Hosentasche verschwinden. Ich kicherte bloß und stellte mir vor, wie Killuas älterer Bruder zu Hause in seinem Zimmer saß und einen Tobsuchtsanfall bekam.
Als nächstes wollte ich Alluka ein Kuscheltier angeln und der Weißhaarige schnippte mir mit dem Daumen eine Münze zu. Durch die Glasscheibe suchten wir einen kleinen Teddy aus, der rosa und hellgrün gefärbt war und damit aussah, wie das Kleid seiner kleinen Schwester.
Ich bekam den Teddy ohne große Mühe, obwohl Killua die ganze Zeit sehr dicht hinter mir stand und mir neugierig über die Schulter spähte. Er roch wahnsinnig gut und ich musste mich arg darauf konzentrieren den Greifarm richtig zu bewegen, statt feuerrot zu werden. Aber ich schaffte es.
Danach probierten wir noch viele andere Sachen aus. Ich glaube am Ende gab es kaum etwas, das wir nicht gespielt hatten. Natürlich machten wir aus fast allem einen Wettbewerb, aber wir hatten trotz unseres Konkurrenzkampfes richtig viel Spaß. Killuas Lachen war wirklich süß. Und ansteckend. Ich genoss es sehr, in seiner Nähe und so unbeschwert zu sein. Immer wieder spürte ich, wie mein Herz kleine Sätze machte und immer wieder kamen wir in irgendwelche Situationen, wo einer von uns rot anlief. Zum Beispiel, als er mich darauf aufmerksam machte, dass ich ihn schon eine Weile anstarren würde.
„Es ist schön, dich so lachen zu sehen", antwortete ich total kopflos und schenkte ihm ein ehrliches Lächeln, woraufhin seine Wangen anfingen beinahe zu glühen.
Als wir uns schließlich schweren Herzens dazu entschlossen, die Spielhalle zu verlassen, war es draußen schon stockdunkel. Killua trug eine große Plastiktüte, in die wir unsere Preise eingepackt hatten. Mit der anderen Hand griff er wieder nach meiner und ich ließ sie ihm.
„Ah, das hat echt Spaß gemacht!", seufzte ich glücklich und streckte mich. Der Attentäter machte ein zustimmendes Geräusch. Als ich den Kopf leicht anhob, konnte ich einen kurzen Blick auf einen sternenklaren Himmel erhaschen und stockte leicht. Killua sah mich fragend an und ich löste meine Hand aus seiner.
Mit zwei kräftigen Sprüngen war ich auf dem Dach des nächst gelegenen Gebäudes gelandet und legte den Kopf in den Nacken. Wir hatten einen wunderschönen Vollmond. Keine Sekunde später landete der Weißhaarige neben mir und stellte die Tüte ab.
„Sieh dir mal diesen Vollmond an!", schwärmte ich und drehte mich zu ihm um. Das Licht der Sterne schien sich in seinen saphirblauen Augen zu spiegeln und außerdem stand er näher bei mir, als ich erwartete hatte, sodass ich schnell wieder wegsah. Der Mond und die Sterne waren eine glaubwürdige Ablenkung.
Da spürte ich plötzlich, wie Killua sich mir von hinten näherte und mir seine Arme um die Taille schlang. Er hatte den Kopf selbst nach oben gewandt, aber er zog mich dennoch an sich. Mein Herz begann so schnell zu pochen, dass ich sicher war, er könne es hören. Meine Wangen brannten wie Feuer. Gehörte das etwa auch zur Übung? Nicht, dass es mir unangenehm war, wie ich überrascht feststellte. Beinahe automatisch ließ ich mich leicht nach hinten gegen seinen Brustkorb sinken und sein Griff wurde noch etwas fester. Ich konnte seine Muskeln spüren, wie stark und durchtrainiert er war. Und er strahlte Wärme aus. Hier oben auf dem Dach wehte ein kühler Wind und es war angenehm, seine Körpertemperatur zu spüren.
„Du riechst gut", murmelte er irgendwann neben meinem Ohr und jagte mir einen wahnsinnigen Schauer über meinen Rücken. Trotzdem musste ich kichern, weil ich in der Spielhalle dasselbe über ihn gedacht hatte. „Orange?"
„M-Mandarine", stotterte ich. Meine Stimme war ungefähr zwei Oktaven nach oben gerutscht. „Das ist mein Shampoo"
„Mhh", machte er zufrieden und ich spürte, wie er eine Hand hob, um damit durch meine rabenschwarzen Haare zu fahren. „Du solltest sie öfter offen tragen" Im Gegensatz zu meiner war seine Stimme furchtbar tief, oder bildete ich mir das nur ein?
„Gwen"
„Hm?"
Gott, mein Herz würde ganz sicher einfach aus meiner Brust springen, wenn das so weiterging. Und wie sollte ich ihn jetzt ansehen? Er würde definitiv merken, dass ich kirschrot geworden war. Genug Mondlicht hatten wir schließlich.
„Ich hab mehr Wettkämpfe und Preise gewonnen als du", stellte Killua nüchtern fest. Aber ich konnte das fiese Lächeln beinahe hören.
Oh wirklich? Das rieb er mir in dieser Situation jetzt unter die Nase? Ich stöhnte.
„Und?"
Er ließ mich los und ich atmete kurz erleichtert auf. „Und ich hab mir überlegt, dass ich dich so nicht davonkommen lasse. Mit den Plüschtieren kann ich schließlich nichts anfangen"
Ich drehte mich zu ihm um und schenkte ihm mein eintausend Watt Lächeln. „Die bekomme ja auch ich, weißt du noch?" Oh je, das lief gar nicht gut!
Er kam noch einen Schritt auf mich zu und sein eigenes Katzengrinsen wurde noch etwas breiter. „Klar, wie du möchtest", antwortete er gedehnt und sein Blick wurde intensiver. „Ich hab mir auch schon überlegt, was ich als Gegenleistung haben will"
„Eh?"
Mit einer fließenden Bewegung überbrückte Killua den Abstand zwischen uns, zog mich kräftig an sich und presste seine Lippen auf meine. Ich war so perplex, dass ich erst erstarrte und dann nur noch instinktiv handelte. Ich legte meine Arme um ihn, entspannte meinen Körper und erwiderte den leichten Druck, den er auf meine Lippen ausübte. Er seufzte tief und zufrieden auf und presste mich noch enger an sich, wobei ich feststellte, dass unsere Körper ziemlich gut zueinander passten. Fast wie Puzzleteile. Ich fuhr mit meinen Fingern durch seine fluffigen weißen Haare, die im Mondlicht fast silbern schimmerten und konnte spüren, wie ihn ein Schauer durchlief.
Als wir uns voneinander lösten, atmeten wir beide zu schnell und ich hatte das Gefühl, gerade eine Herzattacke zu erleiden. Er hatte mich einfach geküsst! Idiot! Mit sowas spielte man doch nicht. Automatisch berührte ich meine Lippen und starrte den Attentäter an, der mich nicht aus den Augen ließ. Seine Hände hatte er wieder in die Hosentaschen geschoben und sein Gesicht war mindestens genauso rot, wie meins. Trotzdem wirkte er natürlich wie die Ruhe selbst, während ich mich bemühte nicht zu hyperventilieren.
„Du riechst nicht nur gut, du schmeckst auch ziemlich gut", stellte er fest und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Darauf war ich wirklich tierisch neugierig. Es wird immer so ein riesen Tamtam drum gemacht"
„Hä?", konnte ich nur stammeln. Mein Gehirn hatte sich gerade in Brei verwandelt.
„Der erste Kuss und so" Er zuckte die Schultern. „Jetzt weiß ich wenigstens, warum da so ein Theater drum gemacht wird. Könnte man sich schon dran gewöhnen"
„Dran gewöhnen?", wiederholte ich ungläubig. Hatte sein Verstand etwa auch gerade auf Sparflamme geschaltet?
„Wenn ich's doch sage" Er drehte sich um und hob die Tüte mit den Kuscheltieren wieder auf. „Na komm, ich bring dich noch nach Hause"
Wie betäubt lief ich mit dem Weißhaarigen Hand in Hand zurück zur Kirche vor deren Eingang er mir die Tüte überreichte und sich mit einem Lächeln auf den Lippen und einem unbestimmten Funkeln in den blauen Augen von mir verabschiedete. Sofort fühlte ich mich irgendwie kalt und traurig und einsam. Ich wollte gar nicht, dass es schon endete. Ich stellte die Tüte ab.
„Killua!", rief ich und sprang die Steintreppen wieder runter. Er drehte sich wieder zu mir um und ich warf mich ihm quasi an den Hals, obwohl ich das total peinlich fand. Ich drückte ihn fest. „Danke für heute", murmelte ich, weil ich das Gefühl hatte, etwas dazu sagen zu müssen. „Hat Spaß gemacht"
Er erwiderte die Umarmung und ließ seine warmen Hände über meinen Rücken gleiten. „Idiot", nuschelte er zurück, während er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergrub und ich eine prickelnde Gänsehaut bekam. „Ich hab doch was von dir bekommen, also bedank dich gefälligst nicht!"
Ich versteckte mein Gesicht im dunkelroten Stoff seines Tops, weil mein Herz so pochte und weil es mir so unangenehm war. Killua löste sich sanft und beinahe widerstrebend von mir, aber ich starrte nach unten auf seine Füße, weil ich das Gefühl hatte, ihm nicht in die Augen gucken zu können. War das hier noch „Training" oder könnte er es am Ende ernst meinen? Ich wusste nicht, was mir lieber wäre.
Der Weißhaarige hob mein Gesicht mit seinem Zeigefinger an. „Gute Nacht, Gwen"
Ich lächelte ihn an „Gute Nacht"
Er drehte sich um und schlenderte die Straße entlang. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, wie immer. Ich starrte ihm hinterher, wie ein Schaf. Als er schon fast außer Hörweite war, warf er nochmal einen Blick zurück zu mir.
„Bis morgen!"
