Kapitel 23: Zushi

Zusammen mit Bisky, Wing-san und Zushi saßen wir in einem Eiscafé in der Stadt und tauschten Geschichten aus. Die drei waren sehr neugierig darauf, wie es Gon und Killua in der Zwischenzeit ergangen war und die Nachricht, dass sowohl Gon als auch Killua eine jüngere Schwester hatten, überraschte sie natürlich gewaltig. Immer darauf bedacht, das Zoldyck-Geheimnis nicht preiszugeben, beantworteten wir Fragen über Fragen, besonders von der Blonden in ihrem pinken Rüschenkleid, die gar nicht mehr aufhörte zu plappern. Kaum zu glauben, dass diese Frau, die wie ein kleines Mädchen aussah, schon über fünfzig war!

Zushi seinerseits hatte sich ganz schön gemacht. Er war stark und selbstbewusst geworden und hatte richtig Muskeln aufgebaut, die man besonders an den Armen gut sehen konnte, die aus dem ärmellosen Karateanzug guckten. Trotzdem wurde er leicht verlegen, als wir ihn lobten und zu seinem neuen Posten als Floormaster gratulierten. Allerdings bezweifelte ich stark, dass er Gon, Killua oder mich schlagen könnte, hielt aber natürlich den Mund. Sowas Demotivierendes musste man ja direkt vor dem großen Wettkampf nicht loslassen.

Leorio und Wing sprachen über wichtige medizinische und körperliche Fakten und der angehende Arzt bestand darauf, Zushi vor dem Battle Olympia noch einmal eingehend zu untersuchen. Glücklicherweise waren wir einen Tag vor Beginn des Spektakels angekommen, sodass noch genug Zeit dafür war. Gon hatte schon richtig vermutet, dass wir auf jeden Fall extra Zeit benötigen würden, schon alleine deshalb, weil er mich vorstellen wollte.

Bisky schien an meiner Geschichte besonders interessiert, da sie sich tatsächlich an einen Aufruhr in der Huntervereinigung zu der Zeit erinnern konnte, als die geheime Forschungseinrichtung von der Gruppe von Crime-Huntern hochgenommen wurde, in der ich erschaffen und großgezogen worden war. Genau wusste sie nicht, worum es sich gehandelt hatte, aber einige Sternzeichen waren involviert gewesen und es wurde ein großes Geheimnis um den Vorfall gemacht, damit bloß nichts nach außen dringen konnte. Selbst die jüngere Bisky in ihrer unstillbaren Neugier war nicht in der Lage gewesen, etwas herauszufinden außer, dass tatsächlich etwas passiert war, das von großer Wichtigkeit war und das die Öffentlichkeit nicht erfahren sollte. Am Ende schien sie ziemlich verstimmt über diese ganze Sache zu sein, wie Ging selbst. Da hatte die Vereinigung wohl eine Aktion gebracht, die sogar die eigenen Leute nicht alle guthießen.

Es war schon später Nachmittag, als wir das Café wieder verließen. Über unsere Unterhaltung hatten wir komplett die Zeit vergessen und ich stellte mal wieder fest, dass Gon und Killua wirklich eine gute Nase für Freunde hatten. Auch wenn Wings Hemd immer auf halb acht hing und Bisky eine Vorliebe für Klatsch und Tratsch hatte. Ich war froh, neue Leute kennenzulernen, die ich sympathisch fand und ich wunderte mich immer wieder, wie schnell sich mein Kreis aus Bekanntschaften und Freundschaften in so kurzer Zeit vergrößert hatte, seit Killua mit seiner Schwester in unsere Kirche spaziert kam. Vielleicht wusste Gon das und arrangierte deshalb diese ganzen Treffen und bestand darauf, mich allen vorzustellen. Er spürte, dass ich in meinem eigenen Leben immer noch nicht richtig angekommen war und wollte mir helfen. Ich lächelte. Einen besseren Bruder gab es nicht.

„Alles in Ordnung?" Ich zuckte zusammen und bemerkte, dass Zushi neben mir lief und besorgt aussah. Überrascht blinzelte ich. „Äh, ja. Danke", antwortete ich verspätet, sodass der Braunhaarige mit seinem kurzen Stoppelschnitt die Augenbrauen zusammen zog. Aber er war höflich genug, nicht weiter zu bohren und hielt mir stattdessen eine Wasserflasche hin. „Möchtest du vielleicht was trinken?" Dankbar lächelte ich ihn an und nahm das Wasser. Seine Gesichtszüge entspannten sich etwas. „Und bist du schon nervös wegen morgen?", versuchte ich es mit etwas Smalltalk. „Osu", bestätigte Zushi. Diesmal sah er leicht grünlich aus. „Ich habe Vertrauen in meine Fähigkeiten, aber ich weiß auch, dass meine Gegner sehr talentiert sind. Ich darf sie nicht unterschätzen oder zu selbstbewusst sein, aber ich darf auch nicht zu nervös werden und Angst vor ihnen haben. Ich muss ruhig und ausbalanciert bleiben, dann habe ich eine Chance zu gewinnen"

Ich kicherte. „Hört sich nach Wing-san an", stellte ich belustigt fest. „O-osu…", sagte der Braunhaarige wieder, diesmal etwas verschämt und sah vor uns auf die Straße. Wir beide fingen an zu lachen, als langsam ein riesiges Gebäude in Sicht kam. „Das ist es" Zushi deutete auf das bis in den Himmel ragende Bauwerk. „Die Heavens Arena"

Wirklich beeindruckt blieb ich stehen und starrte in den blauen, wolkenlosen Himmel hinauf. Natürlich hatte ich schon von der Arena gehört, aber wenn man dann direkt davor stand, wirkte es nochmal ganz anders. Die Bewunderung konnte ich einfach nicht verbergen. Hinterher mussten Zushi und ich uns etwas beeilen, um die anderen wieder einzuholen, weil ich so lange geglotzt hatte. Zusammen legten wir einen kurzen Sprint hin und kicherten dabei wie die Kinder, aber eigentlich nur, weil ich vor dem Braunhaarigen so in Verlegenheit geraten war und mit offenem Mund gestarrt hatte wie ein Schaf.

Das Hotel in dem wir untergebracht waren, war in unmittelbarer Nähe zur Heavens Arena, sodass wir es am nächsten Tag nicht weit zum Battle Olympia haben würden. Wing, Bisky, Leorio und Zushi verabschiedeten sich in Zushis Zimmer, das natürlich innerhalb der Arena lag und ich blieb mit Gon und Killua am Hotel zurück. Hoffentlich würde die letzte Untersuchung vor dem großen Wettkampf positiv für den Floormaster ausfallen. So gewissenhaft wie Wing und Leorio mit ihrem Schützling waren, würden sie ihn sonst vielleicht nicht antreten lassen.

Als wir auf unserem Stockwerk angekommen waren, auf dem wir zwei Zimmer direkt nebeneinander gebucht hatten, trennten sich meine Wege schließlich auch von meinen beiden Jungs. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Killua einsilbig und merkwürdig reagierte, während Gon wie immer strahlte und winkte, aber ich dachte mir nichts dabei. Wir hatten Ewigkeiten im Zug gesessen und insgesamt eine lange Reise und einen harten Tag hinter uns. So lange mit den dreien in dem Café zu sitzen war gar nicht geplant gewesen.

Mein Zimmer war für ein Einzelzimmer ziemlich geräumig, das Bett etwas breiter als gewöhnlich und es war hübsch eingerichtet und sauber. Mehr brauchte ich nicht. Ehrlichgesagt freute ich mich sogar darüber, wie hübsch das Zimmer war. Und ich war allein. Keine zwei schnarchenden Jungs würden meinen Schlaf heute Nacht stören. Das erste Mal seit Wochen. Dabei war ich gar nicht so sicher, ob ich ohne die beiden überhaupt würde schlafen können. Ich hatte mich an sie gewöhnt.

Erstmal stieg ich unter die schöne, heiße Dusche und benutzte viel von dem duftenden Shampoo und Duschgel, was in Hotels immer für Gäste bereitgestellt wurde, dann suchte ich mir ein sauberes, weites Shirt und einen Slip, kämmte meine noch feuchten Haare und ließ sie einfach so. Es war warm genug und im Sommer war das mein Standard, wie ich eigentlich ins Bett ging. Ich war leicht müde und viel zu faul heute das Zimmer nochmal zu verlassen. Außerdem war es viel zu lange her, dass ich einfach einen Abend damit verbracht hatte, fernzusehen, Musik zu hören oder eins von meinen Büchern zu lesen. Nichts tun. Faulenzen. Ruhe haben. Manchmal hatte allein sein auch etwas Gutes.

Aber natürlich währte meine Ruhe mal wieder nicht lange. Gerade hatte ich mich aufs Bett gesetzt und mich hinten ans Kopfende gelehnt, da klopfte es energisch an der Tür. Ich stöhnte genervt. Da es nur entweder mein Bruder oder mein Freund oder beide sein konnten, machte ich mir gar nicht erst die Mühe, mir noch was anzuziehen und riss die Tür auf. Wenn die beiden mich zu irgendeinem Mist überreden wollten, hätten sie eben Pech gehabt.

Vor mir stand Killua in kurzen Hosen und Shirt ohne Ärmel, offensichtlich auch schon frisch geduscht mit noch leicht feuchten Haaren und so, wie er roch. Scheinbar wollte er gerade etwas zu mir sagen, aber stattdessen öffnete er bloß den Mund und seine Augen wurden immer größer. „SO machst du die Tür auf?!", war seine erste Reaktion und ich rollte mit den Augen. „Spinnst du?"

„Könnt doch bloß ihr sein, reg dich ab" Ich zuckte mit den Schultern. „Ist ja nicht so, als würde ich hier irgendwen kennen außer euch beiden" Damit drehte ich mich um, ließ ihn in der offenen Tür stehen und ging zurück zu meinem Bett. Er würde schon reinkommen. Was er auch tat, hochrot im Gesicht und ganz spürbar nicht sehr amüsiert. Der Attentäter sah aus, als hätte ihm jemand gewaltig in die Suppe gespuckt. Ich ließ mich wieder aufs Bett fallen und winkte ihn zu mir, aber er rührte sich nicht. „Ach komm schon, Killua", seufzte ich und sah ihn verständnislos an. „Willst du mir jetzt deshalb echt ne Szene machen oder sowas?"

Er mied meinen Blick und sah auf ein Bild an der Wand. Ein Segelschiff war darauf abgebildet und er tat so, als wäre es das interessanteste Kunstwerk überhaupt. „Ich wollte dich einladen, aber scheinbar hat sich das erledigt", motzte er. Der Weißhaarige war wirklich perfekt darin, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Also unterdrückte ich ein erneutes Seufzen und grinste ihn stattdessen an. „Dann bleib doch einfach hier und wir rufen den Zimmerservice", schlug ich vor. „Wir können uns doch einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher machen. Ist schon ganz schön lange her, dass ich das mal gemacht hab"

Killuas schöne, blaue Augen trafen meine. Er sah mich etwas länger an, bis er sich endlich bewegte und sich zu mir auf die Kante setzte. Als hätte er sich gut überlegen müssen, ob er das wirklich machen will. Wortlos rutschte ich wieder bis hinter ans Kopfende, lehnte mich an und ließ ihm etwas Platz, um sich neben mich setzen zu können. Wieder dauerte es eine Weile, dann zog er sich die Schuhe aus, kam zu mir und legte sogar einen Arm um meine Schultern. Ich schmiegte mich an ihn und wir schalteten den Fernseher ein.

„Was gab's denn vorhin eigentlich so mit Zushi zu kichern?", fragte der Assassine mich irgendwann, als ich schon gar nicht mehr an seine vorherige schlechte Stimmung dachte. „Ihr habt euch angehört, wie zwei kleine Schulmädchen" Ungläubig richtete ich mich etwas auf und warf ihm einen Blick von der Seite zu, aber der Weißhaarige war auf den Bildschirm vor uns fixiert. „Dein Ernst? Zushi? Den hab ich heute erst kennengelernt, falls du's nicht mitbekommen hast", gab ich statt einer Antwort zurück. „Ich frage ja auch nur, was so lustig war, oder?" Killua würdigte mich immer noch keines Blickes und sein Tonfall war viel zu neutral um echt zu klingen. Ich zuckte mit den Schultern. „Nichts Besonderes. Er hat mir Wasser angeboten und dann hab ich das riesige Gebäude viel zu lange angestarrt. Wir mussten rennen, um euch einzuholen" Ich bemühte mich, genauso kühl und beherrscht zu klingen. Was sollte denn der Aufstand?

Killua atmete langsam und geräuschvoll aus und seine gesamte Körperspannung lockerte sich. „Na dann…", kommentierte er bloß und warf mir eins seiner bezaubernden Lächeln zu. Er war versöhnt. Trotzdem konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen. „Was dachtest du denn, hm?", fragte ich spitz und ließ durchklingen, dass ich sein Verhalten nicht in Ordnung fand. Bei Leorio hatte er schon so blöd reagiert und ich wollte nicht, dass das jetzt jedes Mal so lief, wenn ich mich mit jemandem gut verstand. Ertappt wurde er wieder rot und hob die Hände. „Ich hab nichts gedacht. Ich wollte bloß…" Aber ich fuhr ihm dazwischen und sah ihn böse an. „Genau. Du hast gar nicht gedacht, das trifft es ganz gut"

„Hör mal, vertraust du mir nicht?", fragte ich ganz normal, bevor es zu einem Streit eskalieren konnte. „Und deinen Freunden? Leorio und Zushi sind doch deine Freunde, oder? Darf ich mich mit deinen Freunden nicht gut verstehen? Soll ich lieber unhöflich sein?"

Killua senkte den Blick und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich vertraue dir", antwortete er. „Es ist nur… Ich mag's nicht, wenn dir jemand zu nah kommt. Selbst Gon. Ich will der einzige sein, der… Ach keine Ahnung, ist ja auch egal! Das ist alles zu kompliziert, um es zu erklären, aber so lange du so ehrlich zu mir bist, wie gerade eben, gibt es kein Problem" Ich schnaubte. „Du meinst außer der Reaktion Leorio oder mir gegenüber? Ich bin ja froh, dass du Zushi nicht blöd angemacht hast" Und ich erinnerte mich sehr gut an das Theater, als Gon bei mir im Bett übernachtet hatte, weil er mich beim Weinen erwischt hatte und Killua hatte es am nächsten Morgen bemerkt.

„Hab mich beherrscht", grummelte mein Freund bloß. „Und zwar bei euch allen, falls es nicht aufgefallen ist" Ich zog eine Augenbraue hoch. „Nein, ist es nicht" Beleidigt verschränkte der Attentäter seine Arme vor der Brust und schmollte. Ja, die Wahrheit war eben manchmal schwer zu verkraften, aber eigentlich wollte ich mich nicht so richtig mit ihm anlegen. Ich wollte ihm bloß klarmachen, dass weder ich noch seine beiden Freunde etwas falsch gemacht hatten, sondern dass er derjenige war, der sich merkwürdig benahm. Normalerweise achtete er sonst ja auch nicht auf solche banalen Kleinigkeiten. Er sollte einfach wieder etwas lockerer werden. „Hör mal, Killua. Ich möchte mich ja gar nicht streiten, aber ich will auch nicht, dass du gemein zu mir oder zu deinen Freunden bist. Zumindest dann, wenn es keinen guten Grund gibt. Keiner von uns hat sich irgendwas Tiefgründiges bei unseren Aufeinandertreffen gedacht, weißt du. Du überreagierst und es wäre schön, wenn du das wenigstens bemerken würdest. Entspann dich einfach ein bisschen", versuchte ich es noch einmal mit ein wenig Vernunft und nahm außerdem seine Hand in meine, damit er diese verkrampfte Körperhaltung endlich aufgab.

Der Weißhaarige drückte meine Hand fest und stieß langgezogen die angehaltene Luft aus. Erst dann sah er mir wieder in die Augen und darin lag eine Intensität, die ich nicht erwartet hätte. Meine Haut begann leicht zu kribbeln und ich schluckte. Die gesamte Atmosphäre hatte sich in bloß einer Sekunde komplett verändert. „Tut mir leid, Gwen.", sagte er, aber seine Stimme war viel zu tief. Mit dem Daumen strich er langsam über meinen Handrücken und schickte kleine Schauer meinen Arm hinauf. „Aber in deiner Nähe fällt es mir eben echt schwer mich zu entspannen." Ein breites Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus und seine wunderschönen blauen Augen funkelten. „Vielleicht könntest du ja so nett sein und versuchen mir dabei zu helfen…"

An meiner Hand zog er mich mit sich und ließ sich nach hinten in die weichen Kissen fallen, sodass ich halb auf seinem Brustkorb landete. Sofort schlang sich einer seiner starken Arme um meine Mitte und drückte mich fest an ihn. Mein Herzschlag beschleunigte sich im selben Augenblick. Verlegen starrte ich in sein zufriedenes Gesicht. „Ich bezweifele, dass dich das entspannt.", murmelte ich leise, ließ mich aber trotzdem in die Umarmung sinken. Sein katzenhaftes Grinsen wurde sogar noch etwas schelmischer, als er anfing mit meinen schwarzen Strähnen zu spielen und mit einer Hand durch meine Haare zu fahren. „Deine offenen Haare gefallen mir.", sagte er genauso sanft statt direkt zu antworten.

Die Situation wurde langsam mehr als gefährlich. Wir waren alleine in einem Hotelzimmer nachdem wir längere Zeit keine Gelegenheit dazu gehabt hatten nur zu zweit ein wenig Zeit miteinander zu verbringen und wir waren quasi erst vor Kurzem fest zusammengekommen. Und mein Freund gehörte offensichtlich zur temperamentvollen und eifersüchtigen Sorte, sodass wir gerade knapp einen ersten Streit vermieden hatten, aber dank welcher Alternative? Himmel, wir hatten gerade einmal zwei Dates gehabt… Trotzdem musste ich mir selber eingestehen, dass mein Puls raste und meine Atmung viel zu flach ging.

Killuas Hand bewegte sich träge von meinen Haaren weg zu meiner Wange. Fasziniert strich er erst über mein Gesicht, dann meinen Hals hinunter und über meine Schulter, die zum Glück noch vom Stoff meines Shirts bedeckt wurde und beobachtete mich dabei die ganze Zeit. Sein Blick hing starr an meinem, die saphirblauen Augen weit und sein Mund leicht geöffnet. Ich wagte nicht, mich zu bewegen oder auch nur zu blinzeln während er seine Hand weiter meinen Arm hinunter wandern ließ. „Verdammt, ich bin total verrückt nach dir!", stieß der Weißhaarige plötzlich hervor und klang dabei heiser als hätte er sich eine Erkältung eingefangen. Er schloss die Lücke zwischen uns und küsste mich, einen Arm immer noch um meine Taille geschlungen und die andere Hand in meinem Nacken. Mir wurde augenblicklich heiß, aber ich erwiderte den Kuss genauso leidenschaftlich.

Nachdem er sich kurz und widerwillig von mir gelöst hatte, war mir angenehm schwummerig zumute und der Attentäter sog scharf die Luft ein, als ich meine Hände vorsichtig unter sein Top gleiten ließ, um mit meinen Fingern die Umrisse und Linien seines muskulösen Oberkörpers nachzuziehen. Sofort landeten seine Lippen wieder auf meinen, noch hungriger und fordernder als vorher. Zusammen mit mir in seinen Armen setzte er sich auf und zog ungeduldig an seinem Shirt. Ich staunte nicht schlecht, als er es sich tatsächlich einfach über den Kopf zog und einfach achtlos zur Seite warf. Ungläubig riss ich die Augen auf. Zog er sich jetzt echt hier vor mir aus? Natürlich bemerkte er mein Starren sofort und quittierte es mit einem viel zu selbstbewussten Grinsen. „Na, gefällt dir, was du siehst?" Mit feuerrot angelaufenem Gesicht nickte ich wie betäubt und Killua zog meine Hände wieder zurück auf seine Brust. „Gut, dann hör nicht damit auf, was auch immer du da tust.", verlangte er und ich konnte einfach nicht anders als nachzugeben. Normalerweise war ich für so einen bestimmten Befehlston gar nicht zu haben, aber wenn er unbedingt von mir berührt werden wollte, konnte ich einfach nicht nein dazu sagen.

So hielt er mich fest und küsste mich immer wieder, während ich seinen nackten Oberkörper mit meinen Fingern erkundete. Bis er Anstalten machte, mir ebenfalls an die Wäsche zu wollen. Vielleicht ein wenig zu panisch hielt ich schnell sein Handgelenk fest. „Killua…!" Verständnislos blinzelte er mich an und legte den Kopf mit den fluffig weißen Haaren schief. Seine schon eingetrübten Augen wurden langsam wieder klarer. „I-Ich… ähm… Ich meine, ich war gerade unter der Dusche und wollte eigentlich ins Bett, um es mir gemütlich zu machen, weißt du…", stammelte ich völlig zusammenhangslos. Meine Wangen brannten und ich konnte ihm einfach nicht in die Augen sehen. Mein Kopf fühlte sich an als würde er jeden Moment explodieren.

„Und?", fragte der Assassine während er spielerisch am Stoff meines T-Shirts zupfte. „Was hat das damit zu tun?" Verschämt hielt ich den Blick auf sein Schlüsselbein gerichtet. „Naja… Also… Eigentlich schlafe ich nicht im…" Ich stockte. Das Wort BH wollte mir in dieser Situation einfach nicht über die Lippen kommen. Wie furchtbar absurd! Ich machte mit meinem Freund auf meinem Hotelzimmer rum, aber traute mich nicht ihm zu sagen, dass ich nichts drunter trug. Da er ja allerdings nicht gerade auf den Kopf gefallen war, schien es trotzdem zu ihm durchzudringen, was ich meinte, denn der Weißhaarige keuchte plötzlich verstehend und ließ seine Hände langsam sinken, sehr zu meiner Erleichterung. „Soll das heißen du hast…", setzte er aufgeregt an und ich beendete den Satz für ihn. „…nichts drunter…", bestätigte ich und sorgte diesmal recht erfolgreich dafür, dass nun Killua derjenige war, der verlegen wurde und sich mit roten Wangen den Hinterkopf rieb. „Wow!", seufzte er und malte mit seinem Zeigefinger verschlungene Muster auf meinen unbekleideten Oberschenkel, was kleine Schauer bei mir auslöste. „Tut mir leid, ich hätte vorher was sagen sollen.", entschuldigte ich mich kleinlaut, aber mein Freund schüttelte nur lachend den Kopf. „Du hast mich ja gewarnt, dass es nicht entspannend wird."

Wir sahen uns eine Weile stumm an und brachen dann gemeinsam in Gelächter aus. Als dann auch noch mein Magen lautstark zu knurren anfing, kriegten wir uns endgültig nicht mehr ein. Da saßen wir beide halb nackt und in einer irgendwie peinlichen, aber auch wundervoll aufregenden Situation zusammen auf dem Bett und lachten, bis uns die Bäuche wehtaten. Eine noch merkwürdigere erste Erfahrung in diese Richtung gab es wohl nicht, oder? „Lass uns den Zimmerservice rufen, bevor du mir noch verhungerst.", schlug der Auftragskiller vor und ich zog spielerisch die Augenbrauen nach oben. „Du bist auch ganz schön hungrig, weißt du.", neckte ich ihn und ging um das breite Bett herum zum Telefon. Dabei verfolgte er mit seinen stechend blauen Augen jede meiner Bewegungen und grinste mich verführerisch an, während er sich auf dem Bett ausstreckte. Ich kickte sein Top aus dem Weg und suchte die Speisekarte aus dem Nachtschrank, die wir kurz zusammen studierten, bevor ich unten anrief und unsere Bestellung durchgab.

Während wir auf die Lieferung frei Haus warteten, nahm mein Freund mich in den Arm und wir machten es uns dieses Mal tatsächlich vor dem Fernseher gemütlich. Wir fanden sogar einen guten Film, der uns beide interessierte und ich legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Als dann der Zimmerservice klopfte, sprang Killua auf, zog sich sein ärmelloses Shirt wieder über und ging unsere Bestellung entgegennehmen und den Pagen bezahlen. Wir aßen gemeinsam vor dem Fernseher und ich genoss seine Anwesenheit und die entspannte Atmosphäre zwischen uns. Es war schön zu sehen, dass wir auch in so einer fast schon alltäglichen Situation gut miteinander auskamen und obwohl wir uns ein bisschen blamiert hatten herzhaft darüber lachen und danach wieder normal miteinander umgehen konnten, ohne uns dabei unwohl zu fühlen. Jeder andere wäre vielleicht gegangen und hätte mich einfach hier sitzen lassen, aber Killua schien es wirklich nicht viel auszumachen und das machte es auch für mich einfacher.

Wir aßen, sahen fern und vertrieben uns so die Zeit, bis es langsam dunkel und spät wurde. Der Weißhaarige drückte mir von hinten einen Kuss seitlich auf meinen Hals und ich schmiegte mich an ihn. „Du lässt mich aber heute Nacht bleiben, oder?" Ich kicherte kleinmädchenhaft und hasste mich selbst dafür. Es klang so schrecklich albern und außerdem war es doch so offensichtlich, dass ich damit nur versuchte meine Verlegenheit zu überspielen, was natürlich nicht gelang. Trotzdem nickte ich als Antwort auf seine Frage. „Wenn du dich benimmst.", fügte ich vorsichtshalber noch hinzu. „Versprochen.", sagte er, als wir gemeinsam unter die Decke schlüpften und er mich wieder eng an sich zog. „Obwohl ich vielleicht nicht schlafen kann, wenn ich jetzt die ganze Zeit darüber nachdenken muss, dass du nichts unten drunter trägst…", zog er mich auf und ich knuffte ihn dafür, was ihn wieder zum Lachen brachte. Schließlich schliefen wir gemeinsam aneinander gekuschelt doch sehr schnell ein.