Kapitel 24: Bisky & Wing
Gons lautes Pochen an meiner Tür und seine herrlich dezenten Rufe, die vermutlich das gesamte Hotel mitbekam, weckten Killua und mich am nächsten Morgen pünktlich bevor der große Wettkampf begann. Nachdem wir uns schnell im Bad fertig gemacht hatten, schickte ich den Weißhaarigen rüber in sein Zimmer, damit er sich was Frisches anziehen und meinen Bruder draußen auf dem Flur schon mal begrüßen konnte. Schnell schlüpfte ich in dunkelblaue Leggings und ein hellblaues Longtop und beeilte mich mit dem Schnüren meiner schwarzen Boots. Ich wollte nicht zu spät zu Zushis Kampf kommen. Der Rest des Battle Olympia interessierte mich nicht so sehr, aber der Braunhaarige war ein Freund und er hatte lange und hart trainiert um sich vorzubereiten, also wollte ich ihn auch anfeuern und ihm genau zusehen, wie er sich so schlug.
Draußen erwartete Gon mich mit einem vielsagenden Blick und einem leicht spöttischen Grinsen. „Na, lange Nacht gehabt?", fragte er bedeutungsvoll mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme und wackelte mit den Augenbrauen. Ich verdrehte die Augen. Na klar durfte ich mir sowas jetzt ständig anhören. „Eigentlich geht dich das überhaupt nichts an!", stellte ich klar und warf meinem Bruder einen bösen Blick zu, aber der amüsierte sich bloß prächtig auf meine Kosten. „So schlimm, ja?" Ich prustete, konnte aber ein helles Auflachen gerade noch verhindern. „Und wann triffst du dich eigentlich mal wieder mit Palm?", schoss ich honigsüß zurück und der Schwarzhaarige verzog das Gesicht. „Naja, eigentlich tat es mir ja irgendwie leid, dass ich sie so abweisen musste.", gestand er. Es war schon wirklich erstaunlich wie gutherzig dieser Kerl war, aber eigentlich hatte er ja Recht. Eine unerwiderte Liebe tat sicher furchtbar weh. Trotzdem… „Sie war 22 und du erst 13, Gon… Das ist in vielerlei Hinsicht falsch und ziemlich krank und gesetzeswidrig ist es obendrein. So leid es dir und mir auch tut, in dem Fall warst du zwar der Jüngere, aber auch gleichzeitig der Vernünftigere. Und das soll bei dir ja schon was heißen. Vernunft ist nicht gerade dein zweiter Vorname."
Mitten in unser Gespräch kam Killua hereingeplatzt, der endlich fertig mit Umziehen war und wir machten uns alle drei auf den Weg nach unten in die Lobby, wo Leorio, Bisky und Wing schon auf uns warteten, um uns abzuholen und uns mit in die Arena zu nehmen. Dort angekommen zeigten sie uns unsere Plätze. Zwischen Killua und Gon auf der einen und Bisky, Wing und Leorio auf der anderen Seite wartete ich aufgeregt darauf, dass das Event anfing. Bei dieser Gelegenheit hörte ich von den beiden erwachsenen Huntern und Mentoren einige spannende Geschichten über die Zeiten, in denen die beiden Gon und Killua Nen beigebracht hatten. Leorio und ich lauschten gespannt und lachten viel über die Eskapaden unserer beiden Hitzköpfe.
Während die ersten Kämpfe der Floormaster bereits ausgetragen wurden, holte ich mit meinen beiden Jungs ein paar Getränke und Snacks für alle und dachte gleichzeitig darüber nach, wie ich den beiden nach dem Battle Olympia beibringen sollte, dass ich sie verlassen wollte. Und vor allem auch darüber, was ich dann alleine anfangen sollte. Wie konnte ich mir am besten darüber klar werden, was ich in meinem Leben machen wollte? Leorio war sehr einfühlsam und verständnisvoll gewesen und was er mir gesagt hatte, machte mir neuen Mut. Den Sinn des Lebens musste jeder selbst für sich ergründen. Mein eigenes Glück hielt nur ich selbst in meinen Händen. Nun war die Zeit gekommen auch etwas dafür zu tun.
In der ersten Runde, die Zushi bestritt, standen Killua, Gon und ich eigentlich die ganze Zeit über nur und jubelten ihm zu, womit wir ein paar Zuschauer hinter uns verärgerten, da wir ja Sitzplätze auf den Rängen reserviert hatten und allen anderen im Weg standen. Aber die meckernden Leute kümmerten uns wenig, während wir unseren Freund lauthals unterstützten und noch weniger, als er tatsächlich gewann. Auch die aufgedrehte Sportmoderatorin, die die Kämpfe kommentierte rastete förmlich aus und plapperte darüber, wie Zushi der jüngste Floormaster einen viel erfahreneren Kämpfer ohne große Mühe besiegt hatte und versetzte die klatschende Menge damit in noch stürmigeres Erstaunen. Die Leute klatschten und jubelten, einige stampften sogar mit den Füßen, während Gon und ich uns in den Armen lagen und vor Freude hüpften.
So zog es sich hin, Runde um Runde, Kampf um Kampf und einige der Profikämpfe waren dann doch spannender als ich es am Anfang erwartet hatte, obwohl Zushi nicht in allen eine Rolle spielte. Die Floormaster der Heavens Arena packten ein paar ziemlich coole Tricks und Fähigkeiten aus und Wing und Bisky erklärten uns während wir zusahen fachmännisch die Details der Angriffsstrategien und warum ein Kampf diese oder jene Wendung genommen hatte. Man merkte deutlich den Unterschied, den die jahrelange Erfahrung der beiden Profihunter ausmachte. Ich gab es nur sehr ungerne zu, aber ich war sichtlich beeindruckt.
Das gesamte Event war ein einzigartiges Spektakel und auch dementsprechend aufgezogen. Alle Leute waren total aus dem Häuschen und bunte Dekorationen, wie Banner und Fahnen und Plakate schmückten das Stadion. Getränke und Essen wurden an jeder Ecke verkauft und sogar Fotografen und die Presse waren anwesend. So saßen wir in der aufgeregten Menschenmasse und verfolgten ebenso begeistert, wie unser braunhaariger Freund jeden seiner Fights gewann, obwohl es auch bei einigen recht knapp ausging und man ihm von Runde zu Runde anmerkte, dass er immer erschöpfter wurde. Zushi konnte nicht nur ziemlich gut austeilen, er musste auch echt viel einstecken, aber er blieb standhaft und biss sich hartnäckig durch, bis die große Pause vor dem Viertelfinale angekündigt wurde. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Er hatte es geschafft! Zushi stand im Viertelfinale des Battle Olympia! Allerdings hatte er nach seinem letzten Kampf auch ziemlich angeschlagen ausgesehen, zerkratzt und zerbeult wie ein Unfallwagen. Deshalb machten sich Leorio und Wing gleich zu Beginn der Pause auf den Weg zu ihrem Schützling, um nachzusehen, wie es ihm ging und ob er in der Lage war weiterzumachen.
Gon und Killua machten sich auf den Weg, um noch mehr Süßigkeiten zu erbeuten und sich in der Arena umzusehen, denn wir durften nicht hinter die Kulissen zu den Kämpfern. Wing als Zushis Lehrer und Leorio als medizinischer Betreuer hatten eine spezielle Erlaubnis dafür erhalten. Also blieb ich mit der blonden Bisky alleine auf unseren Plätzen zurück. „Ich hoffe, dass Zushi weitermachen kann. Er ist so weit gekommen, es wäre schade, wenn sie ihn jetzt aus dem Turnier nehmen würden bevor er die Gelegenheit hatte in den Finalrunden zu kämpfen.", sagte ich und die Blondine nickte. „Das wünsche ich dem Jungen auch, aber seine Gesundheit ist wichtiger als ein Wettkampf. Als professioneller Hunter kommt man oft genug in lebensbedrohliche Situationen, da muss man nicht alles aufs Spiel setzen, um eine Sportveranstaltung zu gewinnen. Selbst bei diesen Wettkämpfen sterben Leute." Mit einem Schaudern erinnerte ich mich daran, dass auch Hisoka seine Gegner schon umgebracht hatte, obwohl er auch anders hätte gewinnen können und ich hoffte inständig, dass Zushi nicht ebenfalls an einen so skrupellosen und grausamen Floormaster geriet. Egal wie gut der Braunhaarige geworden war, gegen Hisokas Kaliber hatte er nicht die geringste Chance, das wusste ich schließlich aus eigener Erfahrung.
„Und was habt ihr Jungspunde nach dem Battle Olympia noch so geplant? Geht es wieder auf große Reisen?", fragte Bisky neugierig und ihre Augen fingen an zu funkeln. „Ach, noch einmal jung sein…", schwärmte sie gedankenverloren und ich kicherte. Schon merkwürdig, wie es überhaupt nicht zusammenpasste, dass sie wie ein junges Mädchen sprach und aussah, aber in Wirklichkeit sehr viel älter war. Dennoch ließ ihre Frage mich schwermütig seufzen. „Ehrlichgesagt wissen wir das nicht so genau. Wir überlegen schon seit einer Weile, was wir anstellen sollen, jetzt da wir alle wieder zusammen sind, aber außer mal wieder ein paar alte Freunde und die Familie zu besuchen haben wir noch nicht viel auf die Reihe gekriegt. Alluka hat unsere Gruppe für ihr Training schon wieder verlassen und ich habe mich gefragt, ob ich nicht dasselbe tun sollte."
Die erfahrene Hunterin nickte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Seinen eigenen Weg zu finden und ihn konsequent bis zum Ende zu gehen ist wichtig im Leben eines jungen Menschen. Natürlich können sich Prioritäten und Ziele im Laufe der Zeit weiterentwickeln oder komplett verändern, aber dabei darfst du nie vergessen, wer du wirklich bist. Wo du herkommst, deine Wurzeln und was für eine Person du in deinem tiefsten Inneren bist und sein möchtest findest du nicht in ein paar Tagen heraus. Das braucht Zeit und Lebenserfahrung. Deine Vergangenheit ist ein fester Bestandteil von dir selbst, genau wie deine Zukunft es sein wird. Also musst du dir überlegen, was in deinem Leben das Wichtigste für dich ist."
„Meine Familie.", antwortete ich sofort. „Und meine Freunde. Die Menschen, die für mich da waren und mich immer so akzeptiert haben, wie ich bin. Aber das hilft mir nicht weiter. Das würde ja bedeuten, dass ich doch lieber bei der Gruppe bleiben sollte." Aber zu meiner Überraschung schüttelte Bisky ihren Kopf. „Sie zu lieben bedeutet nicht gleichzeitig ununterbrochen bei ihnen zu sein, sonst könnte kein einziger Hunter auf der Welt eine Familie gründen. Unser Job ist gefährlich und erfordert weite Reisen. Manchmal mit Gefährten, aber die meiste Zeit ist ein professioneller Hunter für gewöhnlich allein unterwegs. Es gibt viel mehr Einzelgänger als Gruppen musst du wissen. Aber vielleicht könntest du dir überlegen, wie du als Hunter den Menschen helfen könntest, die dir so viel bedeuten."
„Wie ich ihnen helfen kann?" Ihnen helfen ohne bei ihnen zu sein? Wie beschützt man jemanden, der weit weg von einem ist? Verständnislos starrte ich die blonde Hunterin an, aber bevor wir unsere Unterhaltung fortführen konnten, kamen Wing und Leorio zu uns zurück und informierten uns darüber, dass es Zushi den Umständen entsprechend gut ging und sie ihm erlaubt hatten weiterzukämpfen. Erleichtert stieß ich die Luft aus. „Meint ihr er wird durchhalten?"
Leorio kratzte sich ein wenig ratlos am Kopf. „Er ist ziemlich zäh und die Pause wird ihm guttun, aber er hat ganz schön was abgekriegt. Die Verletzungen und die Erschöpfung werden ihren Tribut fordern. Zushi hat einen genauso starken Willen wie Gon und Killua, aber er ist vernünftiger und erwachsener als die beiden, nicht so kopflos und rücksichtslos. Allerdings kann es ihn leicht den Sieg kosten, wenn er im Kampf nicht bereit ist wirklich alles zu riskieren." Auch Wing nickte, schien aber zufrieden mit dieser Entwicklung zu sein. „Besser so als seinen eigenen Körper und seine Gesundheit zu gefährden. Schließlich geht es hier nicht um sein Überleben. Bei einem echten Kampf auf Leben und Tod wäre es nur natürlich einfach alles auf eine Karte zu setzen, aber glücklicherweise ist es das hier nicht. Selbst wenn Zushi an einen brutalen Gegner gerät, kann er immer noch aufgeben wenn es zu gefährlich wird. Der Kampf wird dann von den Ringrichtern unterbrochen. Draußen in der Realität hätte er diese Möglichkeit nicht, aber in seinem Alter muss er diese Lektion noch nicht am eigenen Leib erfahren. Das möchte ich ihm einfach ersparen so lange es geht."
Ich lächelte leicht. Wing war ein guter Kerl und ein sehr verantwortungsbewusster Lehrer und mit Leorios fachmännischer Unterstützung hätte Zushi sich niemals in noch besseren Händen befinden können. Auch ohne die übernatürliche Begabung von Killua oder Gon würde aus dem Braunhaarigen mit der Führung dieser beiden ganz sicher mal ein großartiger Kämpfer werden.
Kurz darauf gesellten sich auch mein Bruder und mein Freund wieder zu uns, beladen mit Getränken, kleinen Tüten mit Süßigkeiten, noch heißen Oktopusbällchen und irgendwelchen völlig überflüssigen Fanartikeln vom Battle Olympia. Dass die zwei überhaupt noch gerade laufen konnten, war ein echtes Wunder. Ich rollte mit den Augen und seufzte, stand aber trotzdem auf, um den beiden entgegen zu gehen und ihnen etwas von ihrer Last abzunehmen. Gon strahlte mich an. „Danke, Gwen. Hier das hab ich dir mitgebracht." Er drückte mir einen riesigen Becher heiße Schokolade in die Hand. „Leorio hatte ja keinen im Haus." Überrascht blinzelte ich und erinnerte mich daran, wie ich mit dem schwarzhaarigen Schlacks den ekligen Kaffee getrunken hatte. Für solche Kleinigkeiten liebte ich Gon einfach noch viel mehr. Ihm fielen Dinge auf, ohne dass man sie ansprach.
Mit genügend Proviant gerüstet für die Finalrunden konzentrierten wir uns wieder auf die Arena weiter unter uns. Leider währte unsere Euphorie nicht sehr lange, denn letzten Endes sollten Wing und Leorio Recht behalten. Für Zushi reichte es dann doch nur für den sechsten Platz, aber wir feierten ihn trotzdem als hätte er das Turnier als unbestreitbarer Champion gewonnen. Zumindest für uns war er das nämlich. Ein echter Sieger. Und einen echten Sieger musste man gebührend feiern!
Zushis Siegesfeier hielten wir alle gemeinsam in einem richtig guten Restaurant ab. Wing und Bisky erklärten sich dazu bereit die gesamte Rechnung für uns zu übernehmen und wir anderen durften bestellen was und so viel wir wollten. Natürlich ließen sich das die Jungs nicht zweimal sagen und normalerweise hätte ich mich für das unmögliche Benehmen von Gon und Killua geschämt, wenn nicht unser Champ selbst genauso reingehauen hätte. Bei dem Braunhaarigen hatte ich dafür ja wenigsten noch Verständnis, immerhin war er völlig ausgelaugt, aber die anderen beiden hatten sich schon während der Kämpfe die Mägen mit allem möglichen Zeug vollgeschlagen, obwohl sie dafür nicht einmal etwas geleistet hatten.
Ich seufzte und schüttelte unauffällig den Kopf, aber Leorio bemerkte es und tauschte mit mir einen amüsierten Blick, bevor er in seinen eigenen Teller grinste, sich aber ein Kommentar verkniff. Bis in den späten Abend hinein aßen und lachten wir, erzählten uns Geschichten und stießen mit Cocktails auf Zushis großartige Leistungen an. Für uns Minderjährige natürlich Cocktails ohne Alkohol. Der Braunhaarige machte einen ausgelassenen und stolzen Eindruck und er schien froh darüber zu sein, dass Gon und Killua extra für seine Kämpfe hier angereist waren. Er hatte sie schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen und die drei schwelgten in Erinnerungen an Zeiten in denen sie sich kennengelernt und noch zusammen mit Wing Nen trainiert hatten. Einmal mehr bekam ich ein überwältigendes Gefühl von Nähe, Glück und Familie, als wir alle zusammen saßen und einfach bloß Spaß hatten, genau wie auf der Walinsel, als Alluka noch bei uns gewesen war und ich überredete die anderen, ein paar Fotos gemeinsam zu machen, die wir im nächsten Brief an Killuas jüngere Schwester mitschicken konnten, weil sie ja kein Handy mehr haben durfte.
Kurz bevor das Restaurant schloss, verließen wir den Laden, um dem Personal keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. Auf dem Weg zurück zur Arena und unserem Hotel, landete ich wieder neben Zushi und schenkte ihm ein Lächeln. „Bei dir wollte ich mich auch nochmal bedanken, dass du gekommen bist, Gwen. Es freut mich wirklich dich kennenzulernen. Und ich bin froh, dass du Gon hast… Und naja, auch dass er dich hat.", sagte der Braunhaarige zu mir und ich nickte zustimmend. „Das bin ich auch. Er ist ein klasse Bruder, ich könnte mir keinen besseren vorstellen. Und natürlich freue ich mich auch dich kennenzulernen. Wer kann schon behaupten mit dem zukünftigen Champion der Heavens Arena befreundet zu sein."
Zushi lief feuerrot an und sah beschämt auf den Boden. „Ich habe noch einen langen Weg vor mir…", murmelte er und ich tätschelte seine Schulter. „Mach dir nicht so einen Kopf, deine Leistung heute war wirklich gut, immerhin bist du der jüngste Floormaster von allen und hast es trotzdem im Battle Olympia bis ins Viertelfinale und auf den sechsten Platz geschafft. Das soll dir erstmal einer in unserem Alter nachmachen!" Nun stahl sich doch endlich ein kleines Grinsen auf sein Gesicht, aber er traute sich immer noch nicht mir in die Augen zu sehen. So ein bescheidener, lieber Typ, da könnte sich Killua mal ein Beispiel nehmen! Arroganter kleiner Attentäter! Aber dafür liebte ich ihn schließlich.
Besagter Weißhaariger tauchte ganz plötzlich neben uns auf und verschränkte seine Finger mit meinen. „Yo!", begrüßte er auch Zushi und ich unterdrückte ein Grinsen. Schon wieder eifersüchtig? „Ach ja richtig, ich hab euch beiden ja noch gar nicht gratuliert. Herzlichen Glückwunsch! Wie lange seid ihr beiden denn schon ein Paar?", fragte der Braunhaarige ein wenig verlegen und schien damit dem Assassinen gehörig den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Huh?!", machte der verwirrt und konnte sich vermutlich gar keinen Reim darauf machen, warum sein Freund ihm gratulierte. Ich kicherte vergnügt. „Offiziell seit wir auf der Walinsel waren, aber unser erstes Date hatten wir noch in meiner Heimatstadt.", antwortete ich ehrlich und der Floormaster gab ein interessiertes Geräusch von sich. „I-ich würde auch gerne mal eine süße Freundin kennenlernen. Ihr beiden habt wirklich Glück!" Awww, ist das niedlich! „Da brauchst du dir glaube ich gar keine Sorgen zu machen.", versuchte ich ihn aufzumuntern. „Du wirst sehen, jetzt nach dem Wettkampf kannst du dich vor lauter weiblichen kreischenden Fans bestimmt nicht mehr retten, da brauchst du dir nur eine auszusuchen!" Und wenn es überhaupt möglich war, wurde Zushis Gesicht noch sehr viel röter.
Killua grinste neben mir katzenhaft und drückte meine Hand. „Wir können ja versuchen dich zu vermitteln.", neckte er seinen Freund, der daraufhin kurzfristig in Panik verfiel, bis er den Witz begriff. „Übrigens hab ich mit Gon gesprochen und wir wollen noch eine späte Trainingseinheit einlegen. Seid ihr dabei?" Ich stöhnte und gab ihm einen kleinen Knuff. „Mensch, Killua! Zushi hat heute doch schon genug gekämpft, sei doch mal ein bisschen rücksichtsvoll! Außerdem hast du mal auf die Uhr gesehen? Ich werde jetzt nur noch unter die Dusche und dann in mein Bett gehen.", tadelte ich ihn ungehalten. Der Weißhaarige und mein Bruder hatten auch immer nur Schwachsinn im Kopf. Spät abends nach so viel Essen noch trainieren, da wurde mir nur vom Zuhören ja kotzübel, aber Zushi schüttelte den Kopf. „Ist schon gut, ich bin noch so aufgeregt, ich könnte sowieso nicht schlafen. Vielleicht kann ich euer Schiedsrichter sein, wenn ihr einen Sparringskampf machen wollt.", bot der Braunhaarige an und Killuas Grinsen wurde noch breiter. „Klasse Idee, mein letzter Kampf mit Gon ist schon so lange her, ich will endlich wissen, wie er sich so gemacht hat seit dem letzten Mal und nach deinem Wettkampf sind wir beide total aufgedreht. Wird Zeit mal wieder so richtig Nen einzusetzen!"
Tatsächlich setzten sich die drei Jungs von unserer Gruppe ab sobald wir am Hotel angekommen waren, nicht ohne zu versuchen mich mit ihnen zu schleifen und mich wenigstens zum Zusehen zu bewegen, wenn ich schon nicht vorhatte mitzumachen, aber ich blieb standhaft und weigerte mich kategorisch. Diese Idioten durfte man bei ihrer Unvernunft nicht auch noch unterstützen! Murrend machten sie sich ohne mich auf den Weg, während ich mit Leorio, Wing und Bisky zurückblieb, die sich aber auch bald von mir verabschiedeten, um schlafen zu gehen. So kam es, dass ich wirklich zur Abwechslung mal ganz alleine nach oben auf mein Hotelzimmer ging, mich in Ruhe im Badezimmer fertig machte und meine Sachen für die Abreise zusammenpackte, ohne dass mich quengelnde Jungs dabei hetzten, weil sie noch irgendwelche Pläne mit mir hatten.
Wenig später saß ich in Slip und Schlafshirt in meinem Bett und hatte die Kopfhörer von meinem iPod in den Ohren, um mir nach gefühlten Ewigkeiten mal wieder meine Lieblingsband anzuhören, bevor ich mich endgültig schlafen legte. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, extra Beleuchtung einzuschalten, also war es im Zimmer schon stockdunkel, während ich mit geschlossenen Augen der Musik lauschte und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
Ganz besonders erinnerte ich mich zurück an die Gespräche mit Leorio und Bisky, die mich in meiner Entscheidung alleine weiterzuziehen unterstützt hatten und es sogar gut und wichtig fanden. Ich brütete immer noch über der Frage, die Bisky in mir geweckt hatte. Was konnte ich für die Menschen tun, die mir am wichtigsten auf der Welt waren, auch wenn ich nicht immer bei ihnen sein konnte? Und was hatte sie gemeint, ich sollte nicht vergessen wo ich herkomme, wo meine Wurzeln liegen und wer ich wirklich bin? Theoretisch hatte ich keine Wurzeln. Bloß in einem Reagenzglas, aber ich vermutete natürlich einen tieferen Sinn hinter ihren Worten. Zumindest hatte ich eine leibliche Familie, die mich auch akzeptiert hatte und ich hatte eine Art Adoptivfamilie bei den Ordensschwestern. Aber waren das meine Wurzeln? Meine Vergangenheit, so schrecklich sie auch in den frühen Jahren meiner Kindheit gewesen war, gehörte zu mir, damit hatte die Blondine Recht gehabt. Sie war ein Teil von mir, den ich nicht verleugnen konnte und nicht verdrängen sollte, denn all das hatte mich zu der Person gemacht, die ich heute war, aber was für eine Art von Person war ich überhaupt? Und was für eine Person wollte ich sein? Was mir in meinem Leben am wichtigsten ist…
Meine Familie und meine Freunde hatte ich darauf sofort geantwortet und es auch so gemeint, aber dazu fiel mir noch so viel mehr ein. Ich dachte an die Schwestern, die mich liebevoll in ihrer Mitte aufgenommen hatten und die freiwillig so viel für ihre Gemeinde und die Menschen taten. Sie versuchten auch auf ihre Art und Weise den Leuten zu helfen und gemeinnützige Arbeit zu leisten und ich hatte dabei immer gerne geholfen und sie für ihre Selbstlosigkeit bewundert. Die Bedürfnisse anderer vor seine eigenen zu setzen war wie ich fand eine der schwierigsten Aufgaben, die es gab, aber auch eine der befriedigendsten. Die Dankbarkeit, die Freude und die Erleichterung in den Augen der Menschen zu sehen, denen man geholfen hatte, war so viel mehr wert als alles Geld der Welt und es erfreute auch die eigene Seele. Es machte glücklich, davon war ich überzeugt. Strahlende Kinderaugen, die zu einem aufsahen oder lächelnde ältere Menschen, die es auf ihre alten Tage noch einmal gut hatten… Das waren die schönsten Erfahrungen, die ich in der Kirche hatte sammeln können. Menschlichkeit und Miteinander statt Egoismus und Ignoranz. Davon benötigte die Welt definitiv sehr viel mehr. Das sah man schon daran, was mir passiert war und was sie mir angetan hatten, obwohl ich noch ein unschuldiges Kind gewesen war. Bloß für ihre eigenen schmutzigen Zwecke… So etwas würde ich niemals jemand anderem im Leben wünschen.
Und plötzlich schien es klick zu machen. Wie von selbst schoben sich die Puzzleteile an die richtigen Plätze. Natürlich würde ich solche grausamen Dinge niemandem wünschen, aber die bittere Realität war, dass sie trotzdem tagtäglich immer wieder passierten. Ich dachte an Leorio, dessen bester Freund in seinen Armen gestorben war, was der Grund dafür war, warum er unbedingt Arzt werden wollte und an Kurapika, dessen gesamter Clan abgeschlachtet worden war, nur wegen ein paar seltener Augenfarben. Die Verantwortlichen waren nie dafür bestraft worden und der blonde Kurta litt bis heute unter dem Trauma das er als einziger Überlebender erlitten hatte. Dann dachte ich an Alluka, die ihr Leben lang von ihrer eigenen Familie in einen Keller gesperrt worden war und ihren Bruder Killua, der als Attentäter ausgebildet worden war, obwohl er das gar nicht gewollt hatte. Überhaupt wie die Zoldycks mit ihren Kindern umgingen war mehr als nur fraglich und sie waren nicht die einzige Familie, die ihren Kindern so etwas antaten.
Selbst Ging als hochrangiger Hunter, der bei den Sternzeichen war hatte seinen eigenen Sohn auf eine Insel am Arsch der Welt abgeschoben, weil er sich in seinem Job mächtige Feinde machte, bei denen er jederzeit befürchten musste, dass sie seine Familie dazu benutzen würden, um an ihn heranzukommen. Und weil er mit Kindern nichts anfangen konnte und ihm seine Arbeit wichtiger war als alles andere, aber das hatte damit ja erstmal nichts zu tun… Ich rollte genervt mit den Augen. Dieser Mann… Dieser Vater war mir immer noch nicht so ganz geheuer.
So viele schreckliche Dinge waren passiert, die ich ihnen allen am liebsten erspart hätte, aber die Vergangenheit konnte man leider nicht mehr ändern. Und wie Bisky gesagt hatte, gehörte sie zu uns und hatte uns nachhaltig geprägt, um zu unserer heutigen Stärke zu finden. Aber vielleicht könnte ich ja etwas dafür tun, dass solche Dinge in Zukunft nicht mehr passierten. Oder zumindest weniger als vorher oder bestimmten Leuten nicht mehr, die ich unbedingt beschützen wollte. Ich war zum Elitesoldaten ausgebildet worden, zumindest die ersten zehn Jahre meines Lebens und ich war genetisch modifiziert, sodass ich stärker war als andere Teenager in meinem Alter, zudem kam mein Nen, das besonders war und sich nicht in eine Kategorie einordnen ließ. All das musste doch auch für irgendetwas Positives gut sein!
Nach dieser Art Geistesblitz sprang ich aus dem Bett, warf mir schnell den weißen Bademantel des Hotels über und schlüpfte in die dazugehörigen weißen Pantoffeln. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, wie spät es mittlerweile war, eilte ich zum Fahrstuhl und fuhr in das Stockwerk, in dem Bisky und Leorio untergebracht waren. Wing war schließlich der einzige von uns, der in dieser Stadt in der Nähe der Arena wohnte. Mit klopfendem Herzen hämmerte ich an die Tür der Blondine, die mir verschlafen und in einem sehr krass gerüschten rosa Nachthemd öffnete.
„Komm rein.", gähnte sie und streckte sich herzhaft während sie wieder in ihr Zimmer wanderte und das Licht dabei einschaltete. Sie ließ sich auf ihre Bettkante fallen und ich nahm in einem ausladenden Sessel in der Ecke gegenüber von ihr Platz. „Da du zu so nachtschlafender Zeit hier bei mir auftauchst, bin ich wirklich sehr neugierig zu welchem Ergebnis du gekommen bist, meine Liebe." Erst da ging mir das Licht auf, dass ich sie völlig unnötig gerade aus dem Bett geschmissen hatte.
„Oh mein Gott, Bisky, bitte entschuldige, daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht! Ich kann auch morgen wiederkommen. Ich war nur so aufgeregt…", entschuldigte ich mich sofort, aber die ältere Hunterin wedelte mit der Hand. „Schon gut, jetzt bin ich eh wach und wenn du mir nicht sagst was los ist, kann ich die ganze Nacht nicht wieder einschlafen, also rede schon." Ihre Augen, die schon längst keine Anzeichen von Müdigkeit mehr zeigten, funkelten voll unverhohlener Neugier und ich musste ein Lachen unterdrücken. Sie war ja so ein altes Klatschweib!
„Ich glaube ich möchte Crime Hunter werden.", platzte es schließlich ganz ohne Umschweife aus mir heraus. Bisky nickte nachdenklich. „Und wie kommst du zu dieser Erkenntnis?" Kurz überlegte ich, wie ich es am besten erklären könnte, verließ mich dann aber auf die Intuition der Blondine. Selbst wenn es mir nicht so gut gelang es in Worten auszudrücken, würde sie sicher verstehen, was in mir vorging. „Ich habe über die ganzen schlimmen Dinge nachgedacht, die in der Vergangenheit passiert sind und darüber, dass man sowas eigentlich niemandem wünschen würde, dass es aber trotzdem jeden Tag immer wieder passiert. Die Schwestern zu Hause haben oft Menschen geholfen, die schon arm dran waren, ich würde gerne verhindern, dass es überhaupt erst dazu kommt. Ich möchte die Menschen beschützen und vor schrecklichen Dingen und auch vor schrecklichen Personen bewahren, ganz besonders natürlich die Menschen, die ich liebe, aber auch alle anderen haben Schutz nötig und verdienen ihn. Wir brauchen mehr Selbstlosigkeit auf der Welt!", erklärte ich umständlich.
„Ich verstehe. Nun, wenn man es genau nimmt ist das gar nicht verwunderlich. Du wurdest als Soldat ausgebildet und Soldaten dienen ihrem Land und sollen die Bevölkerung beschützen. Auch wenn diejenigen, die dich ausgebildet und erschaffen haben diese edlen Ideale nicht im Sinn hatten, scheinst du sie trotzdem zu verinnerlichen. Du möchtest deine überdurchschnittlichen Fähigkeiten für das Gute und für die Menschheit einsetzen und genau das ist es, wer du bist und wo deine eigentlichen tiefen Wurzeln liegen. Du bist eine Person, die beschützt und verteidigt, Gwen und das bis aufs Blut, wenn es sein muss. Du würdest niemals zulassen, dass vor deinen Augen jemandem wehgetan wird, wenn du es verhindern kannst und um es zu verhindern wäre dir jedes auch nur erdenkliche Mittel recht. Nur musst du dabei gut aufpassen, dass du nicht rücksichtslos dein eigenes Leben aufs Spiel setzt. In dieser Beziehung scheinst du deinem Bruder unheimlich ähnlich zu sein, was mir wiederum große Sorgen bereitet. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ich dir bei deinem Ziel ein wenig helfen kann.", antwortete Bisky und schenkte mir ein sehr warmherziges, mütterliches Lächeln das ich ihr gar nicht zugetraut hätte.
Mit großen Augen starrte ich sie an. Sie ließ meinen Charakter so heroisch und selbstlos klingen, aber so fühlte ich mich kein bisschen. „Mir helfen? Wie denn?", fragte ich verwirrt nach all dem, was ich von ihr gerade gehört hatte. Ich war wohl immer noch nicht ganz darüber hinweg, dass ich mich selbst jahrelang für ein Monster gehalten hatte. So ganz plötzlich den Wandel zu einer Mutter Theresa zu machen wollte mir gerade in diesem Augenblick überhaupt nicht gelingen. Aber Bisky zwinkerte nur verschwörerisch. „Och, ich kenne da so jemanden… Vertrau mir einfach. Und jetzt solltest du schlafen gehen, wir haben morgen viel vor. Du musst dich verabschieden und wir beide werden eine längere Reise zusammen machen müssen." Und damit entließ sie mich und schickte mich zurück in mein eigenes Zimmer.
