Kapitel 1: Hikaru & Rui – Charakterentwicklung & eine Shoppingtour
„Hikaru-san, ich würde dich gerne um einen Gefallen bitten" Nach unserem gemeinsamen Frühstück mit allen Familienmitgliedern, die gerade anwesend waren, stand ich in unserer Küche und nahm Ukyo-san die Arbeit ab, unsere Spülmaschine einzuräumen. Mein älterer Bruder, der sich heute mal wieder als Frau gestylt hatte und dabei wirklich atemberaubend gut aussah, lehnte auf der anderen Seite an der langen Theke und zog bei meinen Worten eine seiner perfekt gezupften Augenbrauen in die Höhe.
„Hmmm", machte er und wirkte interessiert. „Und was könnte das für ein Gefallen sein?"
Ich räumte den letzten Teller ein und gab einen von den Reinigungstabs in die Maschine. Dann schaltete ich sie ein und trocknete meine Hände am Geschirrtuch. „Würdest du heute mit mir in die Stadt fahren und mir dabei helfen ein paar neue Sachen auszusuchen?", bat ich und drückte mental alle Daumen.
Hikaru-san fing an zu kichern und drehte sich komplett zu mir um. „Du möchtest mit mir auf Shoppingtour gehen, Imouto-san? Eigentlich keine schlechte Idee, ich habe heute sowieso nichts Besseres vor und war schon ewig nicht mehr aus" Er schenkte mir ein Lächeln und scheuchte mich mit einer sehr unmännlichen Handbewegung zum Aufzug. „Dann beeil dich und mach dich fertig, wir nehmen das Auto"
Als ich mich beeilte, in mein Zimmer zu kommen, konnte ich nicht anders, als zu grinsen. Kaum hatte er meine Bitte angenommen, begann er auch schon mich herumzuscheuchen. Auf dem Flur begegnete ich den Zwillingen, die mich synchron begrüßten.
Tsubaki-san legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich zu sich. „Sag mal, würdest du mir beim Proben helfen? Immer nur mit Azusa die Skripte durchzuarbeiten ist tödlich langweilig. Ich brauche neue Inspiration"
Bevor ich allerdings antworten konnte, bekam der Weißhaarige von seinem Zwilling eine Kopfnuss verpasst. „Du solltest aufpassen, was du sagst. Wenn ich dir zu langweilig bin, brauche ich dir demnächst ja auch nicht mehr zu helfen. Und lass Ema los" Azusa-san, wie immer seelenruhig und gefasst, lächelte mir zu.
Dankbar um die kleine Hilfestellung, die ich immer noch bitter nötig hatte, weil meine Wangen mehr als bloß glühend heiß waren, lächelte ich zurück, befreite mich von Tsubaki-san und machte ein paar Schritte auf meine Zimmertür zu.
„Tut mir leid, aber ich habe es etwas eilig", erklärte ich ehrlich. „Hikaru-san und ich fahren heute in die Stadt" Und damit ließ ich die beiden verdutzten Brüder stehen, denen gerade die Kinnlade heruntergeklappt war.
Immer noch mit pochendem Herzen sammelte ich schnell meine Handtasche und meine Schuhe ein, verabschiedete mich von Juli und machte mich wieder auf den Weg nach unten, wo Hikaru-san schon auf mich wartete und mit einem Fuß auf dem Boden tippte.
„Da bist du ja, dann können wir also endlich los", sagte er, drehte sich auf dem Absatz seiner Overkneestiefel um und stöckelte davon, ohne darauf zu achten, ob ich hinterher kam oder nicht.
Die Fahrt in die Stadt dauerte eine Weile und ich war die ersten paar Minuten damit beschäftigt gewesen, aus dem Fenster zu schauen und mir Gedanken darum zu machen, welche Klamotten mir gefallen könnten, als Hikaru-san schließlich unser Schweigen brach.
„Also, Imouto-san", setzte er an und ich konnte an seinem neugierig – interessierten Tonfall schon feststellen, dass er Informationen aus mir herausbekommen wollte, „Weihst du mich in dein kleines Geheimnis ein, warum du so plötzlich mit mir in die Stadt möchtest?" Wie immer war er viel zu wissend. Er hatte genau bemerkt, dass mehr dahinter steckte, als ein harmloser Ausflug unter Geschwistern. Ich seufzte.
„Ich habe gestern mein Zimmer umgestaltet und dabei auch den Kleiderschrank und den Schuhschrank aussortiert", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich habe mir gedacht, dass ich jetzt, wo ich aufs College gehe vielleicht etwas erwachsener werden sollte. Und dazu gehört auch, dass ich nicht mehr wie ein Schulmädchen herumlaufe"
Mein rothaariger großer Bruder warf mir einen Seitenblick zu und verzog die Mundwinkel zu einem schelmischen Lächeln. „Du breitest langsam also deine Flügel aus", stellte er mit einem Nicken fest, was für meinen Geschmack etwas zu zufrieden aussah. „Aber der Auslöser dafür war doch bestimmt nicht nur das College oder?" Er formulierte es als Frage, obwohl er schon längst wusste, dass es nicht so war. Irgendwie mochte ich das an ihm. Er ließ mir trotzdem die freie Wahl, ihm die Wahrheit zu erzählen oder nicht. Ich hätte schwindeln können und mir eine tolle Geschichte einfallen lassen können. Aber gerade weil er mich nicht drängte, hatte ich das Gefühl, mich ihm anvertrauen zu können.
Also erzählte ich ihm das, was ich gestern Nacht Juli schon erzählt hatte. Einerseits hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen und das Gefühl an der momentanen Situation schuld zu sein. Nicht nur das, mir war bewusst, dass ich durch mein Nicht – Handeln einige meiner Brüder verletzt hatte, obwohl ich das nie beabsichtigt hatte. Ich wollte mich grundlegend verändern. Ich wollte an meinem Charakter arbeiten, um selbstsicherer und ehrlicher auftreten zu können. Nicht nur, weil dadurch mir selbst einiges leichter fallen würde, sondern auch, um es meinen Brüdern zu vereinfachen, mit mir umzugehen. Außerdem wollte ich etwas zu einer glücklichen Familienstimmung beitragen. Vielleicht konnte ich ein paar Fehler sogar wieder gut machen.
„Hmmm", machte er bloß wieder gedehnt. Das tat er oft, wenn er über etwas nachdachte oder etwas interessant oder amüsant fand. „Ich finde deine Einstellung wirklich sehr liebenswert, Imouto-san. Aber findest du nicht, dass du dir ein paar Gedanken zu viel machst? Ich schätze es ja, dass du um unser Wohl und unser Glück besorgt bist. Aber du bist nicht alleine für die ganze Familie verantwortlich"
„Ich weiß", murmelte ich, plötzlich verlegen, dass ich so groß dahergeredet hatte. „Aber ich kann mein Bestes geben und aus meinen Fehlern lernen. Zumindest habe ich das ganz fest vor"
Hikaru-san kicherte wieder. „Weißt du, ich glaube nicht, dass du dem Ganzen ein wirkliches Ende setzen kannst. Das habe ich dir vor zwei Monaten schon gesagt und bisher wohl auch Recht behalten. Deine familiären Gefühle sind bei uns allen ganz klar und deutlich angekommen, trotzdem war kein Einziger bereit, aufzugeben, nicht wahr?"
Ich sank in meinem Sitz zusammen. „Nein", antwortete ich, obwohl es schon wieder eine rein rhetorische Frage von ihm gewesen war. „Aber sie waren alle bloß genauso ehrlich zu mir, wie ich zu ihnen", versuchte ich sie irrationalerweise in Schutz zu nehmen.
„Trotzdem stecken wir alle in der gleichen Situation, wie vorher. Du möchtest deine kleine heile Familie haben und die meisten von uns haben dir gegenüber ganz andere Ambitionen. Es hat sich also überhaupt nichts geändert" Der Crossdresser hielt an einer roten Ampel und drehte sich zu mir um. „Es ehrt dich zwar, dass du versuchst, anders damit umzugehen, aber das Ergebnis bleibt nun einmal dasselbe. Jemanden dabei zu verletzen wird wahrscheinlich unumgänglich werden. Zurückweisungen sind immer schmerzhaft, egal auf welche Art und Weise. Das sollte dir klar werden, denn es ist nicht deine Schuld. Jemandes Gefühle zu akzeptieren und sie zu erwidern sind eben zwei Paar Schuhe"
Unglücklich nickte ich. Ich wusste, dass er Recht hatte. Natürlich hatte er das. Vielleicht war ich einfach sehr naiv gewesen und meine Idee war gar nicht so toll, wie ich erst geglaubt hatte. „Aber ich kann wenigstens versuchen es nicht noch schwieriger und schmerzvoller zu machen, als es sowieso schon ist", sagte ich schließlich verspätet. „Ich wollte mir ein paar Aktionen für jeden einfallen lassen, von denen ich denke, dass sie sie freuen würden"
Wir waren inzwischen schon wieder losgefahren und schlängelten uns durch den Stadtverkehr. Trotzdem konnte ich das überraschte Auflachen von Hikaru-san deutlich wahrnehmen. „Und deswegen hast du mich gebeten, mit dir einkaufen zu gehen?", fragte er mit einem übertrieben affektierten Ton in der Stimme.
Beleidigt und verlegen drehte ich den Kopf, um wieder aus dem Fenster zu gucken, damit die Röte nicht auffiel, die mir schon wieder in den Kopf schoss. „Eigentlich schon", gab ich zu. „Ich finde deinen Stil wirklich sehr schick, egal, ob du dich als Mann oder als Frau kleidest. Du scheinst dich dabei richtig gut auszukennen und ich dachte, du magst Shopping" Ich schielte unauffällig zu meinem Begleiter herüber, um zu sehen, ob er sich immer noch lustig machte. „Mir ist hinterher erst aufgefallen, dass es auch ziemlich eigennützig aufgefasst werden könnte", gestand ich.
Da brach mein älterer Bruder in schallendes Gelächter aus, während er den Wagen in ein riesiges Parkhaus hinein steuerte. „Du bist wirklich ein interessantes Mädchen. Ich verstehe wirklich sehr gut, warum all meine Brüder dir langsam aber sicher verfallen. Aber du hast natürlich Recht. Ich bin eine Stilikone. Und ich liebe Shopping. Und ein klein wenig mehr Eigennützigkeit täte dir ab und zu auch mal ganz gut, wenn du mich fragst"
Total perplex starrte ich ihn an. Manchmal wurde ich aus ihm auch nicht schlau. Für mich war Hikaru-san einer meiner Brüder, der am schwierigsten durchschaubar war. Gerade fuhren wir eine weitere Ebene nach oben, um weiter nach einem Parkplatz zu suchen. Das Parkhaus war rammelvoll.
„Imouto-san", riss er mich wieder aus meinen Gedanken. „Möchtest du meinen Rat?" Ich nickte betäubt. Zu etwas anderem war ich gerade nicht fähig. „Du hast deine Gefühle offen und ehrlich kommuniziert und alle haben es kapiert. Also lass sie doch einfach machen. Eine Umarmung, ein Date oder ein Kuss hat schließlich noch niemanden umgebracht und wenn sie so furchtbar stur sind, werden sie schon sehen, wie weit sie damit kommen. Immerhin drängen sie sich dir auf und nicht umgedreht. Und das, obwohl sie deine Einstellung kennen. Es ist absolut nicht deine Schuld, wenn sie das hinterher dann bereuen, nur weil sie sich nicht beherrschen können. Oh, natürlich sollst du dir nichts gefallen lassen, was du absolut nicht möchtest, aber wo wir gerade beim Thema sind, solltest du nicht vielleicht auch deine eigenen Gefühle mal kritisch hinterfragen?"
Da ich zu sehr damit beschäftigt war, einen halben Herzanfall nach seinen Worten zu erleiden, verstand ich zunächst überhaupt nicht, worauf er eigentlich hinaus wollte. „Wie meinst du das?", fragte ich deshalb, als ich sicher war, dass meine Stimme nicht zittern würde.
Hikaru-san lenkte schwungvoll ein und der Wagen glitt elegant in eine freie Parklücke. „Ich meine damit, dass eine kleine Schwester kein Herzklopfen bekommt, wenn sie von ihrem großen Bruder mal in den Arm genommen wird. Normalerweise denkt man sich in diesem Fall doch gar nichts dabei. Man wird nicht rot oder verlegen oder hat irgendwelche komischen Hintergedanken dabei. Nicht wahr?"
Mit offenem Mund starrte ich ihn sprachlos an. Es stimmte tatsächlich, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte von Anfang an auf jeden einzelnen von ihnen so reagiert. Schon als ich bloß zur Begrüßung umarmt worden war, hatte mein Herz angefangen wie wild zu schlagen und ich war knallrot angelaufen. War mein Verhalten von Anfang an schon falsch gegenüber meinen Brüdern gewesen? Ich wusste nicht, wie man sich als kleine Schwester oder als große Schwester benahm. Ich war ja immer bloß alleine gewesen.
Mein Begleiter schenkte mir wieder sein viel zu wissendes Lächeln und ich fühlte mich plötzlich unbehaglich. „Komm, dein hübsches Köpfchen kannst du dir auch zerbrechen, während wir dir eine ordentliche Studentinnengarderobe verpassen. Aber mein Tipp wäre ja, dem Ganzen nicht mehr so viel Bedeutung beizumessen. Mach dir einfach nicht so viele Gedanken und nimm es, wie es kommt. Daran ändern kannst du sowieso nichts mehr und keiner von uns würde absichtlich irgendetwas tun, was dich tatsächlich verletzen würde. Immerhin sind wir eine Familie"
Ich konnte nicht anders, als trotzdem zurückzulächeln. „Hikaru-san…", setzte ich an, wurde aber gleich unterbrochen.
„Also wie wäre es, wenn wir damit anfangen, dass du nicht mehr so förmlich bist, das würde dich uns doch schon einen ganzen Schritt näher bringen", schalt er freundlich. „Lass die Endungen hinter den Namen einfach weg oder sag wenigstens sowas wie `nii-san´, so wie die anderen das auch tun"
Wir stiegen aus dem Wagen und sahen uns nach einem Treppenhauszugang um, den wir auch zu unserer Linken schnell entdeckten. Gemeinsam steuerten wir darauf zu und ich machte mir Gedanken um die Ratschläge, die er mir erteilt hatte.
„Vielen Dank, Hikaru", sagte ich schließlich und entgegen meinen Befürchtungen fühlte es sich überhaupt nicht komisch an, ihn so zu nennen. „Auch dafür, dass du mich heute begleitest"
Hikaru lächelte und wedelt mit einer Plastikkarte vor meinem Gesicht auf und ab, als wir aus dem Treppenhaus direkt in einen Zugang zu einer großen und schicken Mall kamen. „Ich habe zu danken, denn ich werde ziemlich gnadenlos mit dir sein. Du hast mich um Hilfe gebeten und die wirst du nun auch bekommen, ob es dir gefällt oder nicht" Sein Gesichtsausdruck veränderte sich wieder ins Schelmische. „Und da du heute so kooperativ warst und ich ganz viel neuen Input für meine kreative Autoren – Ader bekommen habe, geht das heute alles auf mich"
Eigentlich hatte ich lautstark protestieren wollen, aber Hikaru zog mich schon an meinem Ärmel hinter sich her und schleifte mich kurzerhand in das erste Geschäft.
Ehrlich, wenn ich vorher gewusst hätte, worauf ich mich da eingelassen hatte, dann wäre ich niemals in dieses Auto gestiegen. Die Mall war riesig und vollgestopft mit Geschäften und mit Menschen gleichermaßen und Hikaru schien sich ganz prächtig dabei zu amüsieren, mich von einem Laden in den nächsten zu zerren und mich tausende von Sachen anprobieren zu lassen. Dabei redete er in einer Tour, sein Mund stand gar nicht mehr still. Er schien nicht eher gewillt zu sein, wieder nach Hause zu fahren, bis wir nicht in jedem einzelnen Geschäft gewesen waren. Ich begann, mich zu fühlen, wie eine lebendige Barbiepuppe.
Hikaru erklärte mir ausführlich, was mir stand und was nicht, welche Farben er gerne an mir sah, was ich auf keinen Fall tragen sollte und welche Töne man nicht kombinierte. Ich lernte, was meine Beine länger, meinen Bauch flacher und meine Augenfarbe leuchtender machte und irgendwann fing ich sogar an, Fragen zu stellen. Ich hätte es mir kaum vorstellen können, aber etwa ab der Hälfte unseres Marathons, taute ich zunehmend auf und es machte mir plötzlich Spaß.
Als Hikaru merkte, dass ich trotzdem ganz schön fertig war, ließ er sich zu einer Pause und zu einer Pizza überreden, die wir gemeinsam aßen. Ich erzählte ihm noch von meinem Plan, meiner alltäglichen Frisur Lebewohl zu sagen und Rui damit zu überraschen, dass er mir eine neue schneiden durfte.
„Eine schöne Idee, er freut sich tatsächlich immer, wenn einer von uns in seinen Salon kommt. Ich könnte auch mal wieder eine kleine Kürzung gebrauchen, ich bekomme leicht Spliss", erklärte er, während er sich mit einer Serviette den Mund abwischte. „Ich fahre dich nachher noch dort vorbei, aber jetzt gehen wir erstmal die ganzen Sachen einsammeln, die wir für dich haben zurücklegen lassen. Ich habe eine Liste auf meinem Handy erstellt"
Damit wir nicht den ganzen Tag Tüten schleppen mussten, hatten wir in jedem Geschäft Teile für mich zurücklegen lassen. Hikarus Einfall eine Liste davon zu machen, war einfach nur genial, denn ich hatte schon längst den Überblick über die ganzen Läden verloren. Bepackt mit Klamotten, Schuhen, Accessoires und Make-up machten wir uns endlich auf den Rückweg zum Auto.
„Ah, das war entspannend!", seufzte mein Bruder fröhlich, als wir alles im Kofferraum verstaut hatten. „Ich denke, ich bin dir doch was schuldig, es ist schon lange her, dass ich mal ordentlich eingekauft habe" Summend ließ er sich auf den Fahrersitz gleiten. Er schien völlig ausgeglichen zu sein nach dieser Tortur. Mir dagegen taten die Füße weh und ich war tierisch müde.
„Aber du hast nicht ein Teil für dich selbst gekauft und mir auch noch alles bezahlt", protestierte ich. Irgendwie fühlte sich das falsch an. Eigentlich hatte ich ihm ja nur eine Freude machen wollen. Klar, ich wollte auch seinen Rat, aber sein Geld hatte ich nicht geplant zu verschleudern.
„Naja, immer nur für sich selbst etwas zu kaufen wird auch langsam langweilig, das habe ich ständig machen müssen, als ich in Italien war" Ich schüttelte den Kopf. Irgendwie kam ich bei seiner Logik mal wieder nicht mit. Aber ich freute mich, dass es ihm gefallen zu haben schien.
Im Gegensatz zur Hinfahrt, verlief die Fahrt zu Ruis Salon recht ruhig, worüber ich dankbar war. Das Schweigen war auch nicht bedrückend, sondern angenehm und in die Stille hinein dudelte leise Musik aus dem Radio.
Als wir in Ruis Salon ankamen, begrüßte er uns sofort überschwänglich und freute sich tatsächlich, wie ein kleines Kind darüber, dass wir ihn besuchen kamen. Als wir ihm dann noch erklärten, worum ich ihn gerne bitten würde, wurde er ganz gerührt und versprach, bald zu mir zu kommen. Hikaru und ich ließen uns auf unsere Plätze fallen und ich stieß einen erleichterten Seufzer aus.
„Chii-chan hast du dir schon überlegt, wie du es gerne hättest?", hörte ich bald Ruis Stimme hinter mir, während er sanft meine herzförmige Klammer aus meinem Zopf löste und ganz leicht mit seinen Händen durch meine braunen Haare fuhr. Ich bekam sofort eine Gänsehaut und entspannte mich.
Leicht schüttelte ich den Kopf. „Ich dachte, ich vertraue dir. Du hast doch bestimmt schon etwas im Kopf" Im Spiegel vor mir, konnte ich Ruis überraschten Blick und dann sein warmes, herzliches Lächeln sehen.
„Es muss gar keine große Veränderung sein", sagte er leicht nachdenklich und drapierte meine Haare um meine Schultern. „Die Länge würde ich so lassen. Die kaputten Spitzen werde ich kürzen und ein paar schöne Stufen schneiden. Je nachdem, wie man es dann föhnt oder frisiert, kann man immer wieder etwas Schönes daraus machen. Du hast wirklich tolles Haar. Ich werde noch ein besonderes Shampoo und einen Conditioner für dich heraussuchen, dann glänzt es nachher auch schön"
Ich nickte bloß, lehnte mich entspannt zurück und ließ meinen Bruder seines Amtes walten. Dabei musste ich gut aufpassen, nicht total relaxed und zufrieden einzuschlafen. So kaputt, wie ich mittlerweile war, waren Ruis warme sanfte Hände in meinen Haaren eine wahre Wohltat.
Trotzdem konnte ich meine Gedanken nicht komplett abstellen. Hikarus Worte schwirrten mir immer noch im Kopf herum und machten mich unruhig. Sollte ich mich wirklich in Zukunft so verhalten, wie er es mir geraten hatte? Bei diesen Überlegungen kribbelte mein Körper plötzlich.
„Du darfst jetzt gucken, Chii-chan", unterbrach mich Ruis Stimme schließlich und ich schlug die Augen auf. Was ich sah verschlug mir glatt den Atem. Mit leicht geöffnetem Mund starrte ich mein Spiegelbild an und es starrte zurück. Meine Haare waren immer noch schulterlang, fielen mir durch die Stufen aber voluminöser und weicher um mein Gesicht und rahmten es so spielerisch ein. Im hellen Salonlicht glänzten sie mehr als zuvor. Ich sah wirklich gleich ein bisschen reifer aus, stellte ich erfreut fest. Zumindest erwachsener als mit meinem Zopf. Eine einzelne eingedrehte Haarsträhne hatte Rui auf der rechten Seite mit meiner Herzklammer nach oben gesteckt, was meiner neuen Frisur doch noch etwas Jugendliches verlieh.
„Oh Rui, vielen Dank. Das hast du wirklich super hinbekommen!", lobte ich den Stylisten begeistert.
Ein leichter Rotschimmer breitete sich auf seinem Gesicht aus und ein niedlicher überraschter Ausdruck huschte ganz kurz darüber. „Es freut mich, wenn es dir gefällt" Er schenkte mir ein bezauberndes Lächeln und ich lächelte zurück.
„Du siehst wirklich sehr süß aus, Imouto-san" Plötzlich tauchte auch Hikaru neben uns auf und ich bedankte mich auch bei ihm. „Rui, sollen wir dich dann mit nach Hause nehmen? Wir sind mit dem Auto da"
Natürlich nahm Rui dankend an und schockiert bemerkte ich, dass es draußen schon stockdunkel geworden war. Etwas später saßen wir alle zusammen im Auto und befanden uns auf dem Heimweg. Ich genoss die Rückfahrt mit meinen beiden Brüdern und ließ den ganzen Tag noch einmal wie einen Film in meinem Kopf ablaufen.
Besser hätte es eigentlich für mich nicht laufen können. Klar hatte ich auch einiges aufzuarbeiten und hatte viel zu hören bekommen, was mich furchtbar nachdenklich gemacht hatte, aber genau dafür war dieser Tag auch gut gewesen.
Als ich von der Rückbank meine beiden Brüder beobachtete, die sich angeregt über Hikarus und meine Shoppingtour unterhielten, durchflutete mich ein schönes, warmes Gefühl. Die beiden sahen fröhlich und ausgelassen aus und ich hatte wirklich das Gefühl, dass der Tag ihnen auch gefallen hatte. Darüber war ich froh und ich nahm mir ganz fest vor, mir für meine anderen Brüder auch jeweils eine Kleinigkeit einfallen zu lassen, was sie am Ende des Tages so fröhlich aussehen ließ.
Was mich selbst anging, ich war auch sehr glücklich. Mit meinen neuen Klamotten, der neuen Frisur und den gut gemeinten Tipps von Hikaru. Und überhaupt mit dem ganzen Tag. Ein kleiner Teil meiner „Mission", auf der ich mich befand war schon mal geschafft und ich würde mich ordentlich reinhängen, um bis an mein Ziel zu kommen.
Natürlich brach unter den Brüdern, die in der Sunrise Residenz anwesend waren sofort ein riesen Tumult aus, als Hikaru, Rui und ich vollgepackt mit Einkaufstüten und ich mit einer neuen Frisur hereinkamen. Der arme Ukyo tat wirklich sein Bestes, um die anderen dazu zu bewegen, uns doch erstmal zuzuhören, aber bis alle wieder friedlich auf dem gemeinsamen Sofa saßen, verging einige Zeit. Natürlich fiel es auch sofort auf, dass ich meine Art und Weise verändert hatte, die anderen anzusprechen, sobald ich den Mund aufmachte. Yusuke wurde bloß rot, als er mich ansah und vermied meinen Blick. Tsubaki wirkte irgendwie angefressen, Azusa und Ukyo waren neugierig etwas über unseren Tag zu erfahren, genau wie Wataru, der gerade erst mit Masaomi die Tür hereinkam und natürlich gleich meine Frisur ansprach.
„Onee-chan, du siehst hübsch aus", rief er aufgeregt und ich dankte ihm für das Kompliment und streichelte seinen rosa Schopf.
Nachdem wir endlich über unseren Tag gesprochen hatten und den Abend so ausklingen ließen, bot Rui mir noch seine Hilfe an, um alles in mein Zimmer zu bekommen. Ich entschuldigte mich für die Umstände und bedankte mich das gefühlt hundertste Mal bei ihm an diesem Tag.
Später auf dem Flur, als ich eigentlich nur noch ins Bad und dann ins Bett wollte, wurde ich plötzlich abgefangen und von hinten in eine kräftige Umarmung geschlossen.
„Mir gefällt deine neue Frisur", murmelte mir Tsubaki leise ins Ohr und schloss die Umarmung noch etwas fester. „Aber nächstes Mal kannst du ruhig mich fragen, ob ich mit dir in die Stadt fahre" Ich konnte spüren, wie seine Haare mich am Hals kitzelten und mein Puls raste. Diese Stimme… wirklich kein Wunder, dass er Karriere als Synchronsprecher machte. Meine Knie drohten weich zu werden. Genau in dem Moment kamen mir Hikarus Worte in den Sinn und ich wurde noch röter im Gesicht. „Ich hoffe ja, dass ich bald ein paar von den neuen Kleidern zu sehen kriege", neckte Tsubaki mich weiter, ließ aber etwas lockerer, sodass ich mich umdrehen konnte. Eigentlich wollte ich mich befreien, aber er nahm mir die Entscheidung ab, in dem er selbst einen Arm fallen ließ und den anderen nur noch locker um meine Taille gelegt ließ. Er lächelte und die violetten Augen leuchteten. „Ich wollte dir noch gute Nacht wünschen", sagte er bevor er mich endgültig losließ.
