Kapitel 3: Masaomi & Wataru – Vorlesestunden & Videospiele

Der Bus zuckelte gemütlich seine Route entlang und ich starrte gedankenverloren auf die Straße. Draußen schien die Sonne und fluffige, weiße Wölkchen zogen über den blauen Himmel dahin. Neben mir saß Yusuke und war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

„Ah! Ich weiß einfach nicht was ich machen soll!", rief er irgendwann und raufte sich die feuerroten Haare, was ihm einige erschrockene Blicke von anderen Fahrgästen einbrachte.

Ich kicherte leicht und legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. Dabei nahm sein Gesicht in etwa den gleichen roten Ton an, wie seine Haare. „Yusuke, ein soziales Projekt ist doch kein Muss. Es ist nicht verpflichtend. Hast du nicht richtig zugehört?"

Missmutig ließ mein Bruder den Kopf hängen. „Aber du hast gesagt, du hättest dir schon was ausgesucht" Sein Ton ließ recht deutlich werden, dass er ziemlich verzweifelt war. „Nie im Leben kann ich mir noch für ein außerschulisches Projekt Zeit nehmen und dann auch noch genug lernen, damit es später zum Abschluss reicht"

„Wir sind doch erst im ersten Jahr!", versuchte ich ihn schnell zu beruhigen. „Und deine Noten sind doch wirklich besser geworden, seit du dir so viel Mühe gibst. Vielleicht kannst du ja im nächsten Jahr noch etwas freiwillig leisten. Es hetzt dich doch keiner"

Yusuke seufzte. „Aber es sieht eben gut in der Akte aus und ich dachte noch besser sieht es aus, wenn man es von Anfang bis Ende durchhält"

„Falls es dich beruhigt, mein sogenanntes Projekt ist eigentlich auch gar nicht wirklich fürs College gedacht", gestand ich kleinlaut. „Ich bin bloß darauf gekommen, weil wir in der Klasse darüber gesprochen haben. Eigentlich bin ich noch am überlegen, ob ich es mir eintragen lassen soll, oder nicht"

Der Rothaarige sah mich schief an und fragte schließlich: „Was willst du denn machen?"

„In dem Krankenhaus, in dem Masaomi arbeitet gibt es eine Kinderstation, wo auch er viel Zeit verbringt, weil er Kinder so gerne hat. In letzter Zeit hat er aber so viel Stress und kann nicht oft vorbeischauen. Er meinte er hätte ein schlechtes Gewissen und haut sich deswegen noch mehr Stunden um die Ohren", erklärte ich. „Ich möchte in unserer Klasse sammeln. Ich werde fragen, wer noch alte Spielsachen, Kuscheltiere oder Bücher zu Hause hat, die nicht mehr gebraucht werden. Die sammele ich ein und spende sie dem Krankenhaus für die Station. Und außerdem wollte ich mal nachfragen, ob man sowas wie Vorlesestunden dort machen könnte. Das würde mir bestimmt Spaß machen mal ein, zwei Stunden am Tag mit ein paar Kindern zu verbringen. Und die können im Krankenhaus bestimmt Aufmunterung und Ablenkung gut gebrauchen"

Die ganze Zeit hatte Yusuke mir einfach nur zugehört, aber seine Augen waren immer größer geworden. „Oh man" Er stieß hörbar die Luft aus. „Heißt, du willst nicht nur den Kindern, sondern auch Masa-nii einen Gefallen tun", stellte er fest. „Sag mal, wird dir das langsam nicht etwas zu viel?"

Verwirrt blinzelte ich ihn an. Zu viel? Aber ich hatte doch mit meinem Projekt noch gar nicht angefangen. „Was meinst du?", fragte ich deshalb, als der Bus gerade um eine sehr vertraute Ecke bog und ruckelnd zum Stehen kam.

Hektisch sprang mein Bruder vom Sitz und winkte ab. „N-nicht so wichtig. Vergiss es einfach" Sein Gesicht war schon wieder hochrot und machte einer Tomate Konkurrenz. „Komm, wir müssen raus"

Später zu Hause wunderte ich mich immer noch über Yusukes merkwürdiges Benehmen, als ich plötzlich in Wataru hinein rannte. Beziehungsweise er prallte gegen mich, als er um die Ecke gesaust kam.

„Tut mir leid, Onee-chan!", entschuldigte er sich sofort und verbeugte sich vor mir. Ich lächelte ihn an und streichelte über seinen Kopf.

„Nichts passiert", versicherte ich ihm. Da fiel mir ein, dass ich ihm versprochen hatte, mit ihm zusammen ein paar meiner Videospiele zu spielen, wenn ich dafür Zeit hatte. Im Moment waren die meisten meiner Brüder auf der Arbeit, also sprach nicht viel dagegen. „Hast du vielleicht Lust zu spielen?", fragte ich ihn und wies mit dem Kopf leicht in Richtung des großen Flachbildschirms.

Sofort fingen seine Augen an zu leuchten und er nickte heftig, also ließ ich ihn die Spiele aussuchen, die er gerne spielen wollte und klemmte mich mit ihm gemütlich vor die Glotze. Natürlich verlor mein kleiner Bruder die meiste Zeit, schmollte jedes Mal eine Weile und entschloss sich dann doch dazu, mich zu einer Revanche herauszufordern. Hilfsmittel lehnte er allerdings ab und ihn gewinnen zu lassen, traute ich mich nicht. Wahrscheinlich würde er es sofort mitbekommen und dann wäre er tödlich beleidigt.

Irgendwann zwischendurch, als Wataru mir gerade ziemlich lustige Geschichten aus seiner Schule erzählte und wir mehr lachten, als wirklich konzentriert zu spielen, kam Masaomi nach Hause. Er wirkte müde und abgespannt, aber als er uns beide lachend auf dem Boden vor der Spielekonsole sitzen sah, hellte sich seine Miene sofort auf und er schenkte uns ein wirklich liebevolles, warmes Lächeln.

Wir lächelten beide zurück und ich nahm mir in Gedanken vor, so schnell wie möglich mein `soziales Projekt´ anzugehen. Bestimmt würde es ihn freuen. Er reagierte schon immer so fröhlich, wenn er sah, dass ich mit Wataru Zeit verbrachte, da würde er sich umso mehr freuen, wenn ich ihm bei den Kindern im Krankenhaus half.

„Onee-chan, guckst du mit mir noch das Konzert an?", riss mich der Rosahaarige aus meinen Gedanken, währen Masaomi gähnte und in der Küche verschwand, um sich einen Kaffee zu machen.

Bevor ich allerdings fragen konnte, was denn für ein Konzert, schaltete Wataru schon um und Fuutos Gesicht in Großaufnahme blickte mir entgegen. Er strahlte sein bezauberndes Super-Idol-Lächeln in die Kamera und richtete ein paar Worte an seine Fans im Publikum und zu Hause, woraufhin die Menge kreischend zu jubeln anfing.

„Fuu-tan ist ja so cool!", schwärmte Wataru und konzentrierte sich voll und ganz auf den Bildschirm.

Ich ließ mich ebenfalls mitreißen. Seine Lieder waren ja wirklich sehr schön und er strahlte eine Präsenz aus, die sich komplett von dem unterschied, wie er privat bei uns war. Trotzdem fehlte irgendwie etwas, wenn er nicht da war. Ich vermisste ihn, genau wie ich die anderen vermisste, die aus dem Haus waren.

„Ob er auf seiner Japan-Tour wohl auch in unsere Nähe kommt?", murmelte ich vor mich hin, während ich mich weiter auf das Konzert konzentrierte und mit dem Fuß leicht zu der Melodie wippte.

Ich bemerkte erst, dass ich laut gedacht hatte, als Wataru aufsprang, aus dem Raum rannte und kurze Zeit später mit einem knallig bunten Magazin wieder vor mir stand und es mir aufgeschlagen entgegen streckte. „Onee-chan, guck mal!"

Vorsichtig nahm ich ihm die Zeitschrift aus der Hand und studierte die aufgeschlagene Seite. Es waren die Tourdaten für Fuutos `Get ready Tonight – Tournee´, neben denen noch die Setlist und einige Songtexte abgedruckt waren. Sein neuester Song war wirklich eingeschlagen wie eine Bombe. Er spielte nur in großen Hallen, sogar ein Stadion war dabei, wie mir auffiel, als ich alle Orte aufmerksam durchsah. Und tatsächlich: eine Halle war wirklich nicht so weit weg. Wenn ich richtig informiert war, würde ich etwa zwei Stunden mit dem Zug brauchen, um hinzukommen.

„Vielen Dank, Wataru", sagte ich und lächelte ihn an. Ich nahm mir vor, bei Zeiten mal im Internet zu recherchieren, ob man für diese Halle überhaupt noch Karten bekam.

Später am Abend, nach unserem gemeinsamen Abendessen, saß ich frisch gebadet mit meinem Laptop im Wohnzimmer auf unserem Sofa. Meine Brüder hatten sich schon einer nach dem anderen in ihre Zimmer oder gleich ins Bett zurückgezogen. Yusuke hatte noch einen halbherzigen Versuch unternommen, mich zum Lernen zu überreden. Aber danach stand mir nicht der Kopf. Außerdem standen keine wichtigen Prüfungen an.

Verzweifelt versuchte ich zum wiederholten Mal überhaupt zum Kartenverkauf durchzukommen, als natürlich mal wieder genau zur rechten Zeit der Server komplett zusammenbrach und mir eine Fehlermeldung angezeigt wurde. Frustriert stöhnte ich auf. Das war jetzt bestimmt schon das fünfzehnte Mal. Die Website funktionierte überhaupt nicht richtig. Wegen der ständigen Überlastung, weil so viele Leute Karten bestellten, brach die Verbindung regelmäßig zusammen. Viele Locations waren schon restlos ausverkauft und meine Chancen schwanden, überhaupt noch ein Ticket zu ergattern.

Genau zu dem Zeitpunkt, als ich meinen seelischen Zustand nicht gerade damenhaft zur Schau stellte, betrat Masaomi den Raum und schenkte mir einen besorgten Blick. „Ist alles in Ordnung?"

Als hätte man mich bei etwas Verbotenem erwischt, zuckte ich zusammen, lächelte ihn aber beruhigend an. „Ja, alles okay" Bei genauerem Hinsehen, dachte ich mir irgendwie, dass ich eher diejenige sein sollte, die diese Frage stellte. „Und geht es dir auch gut?", fragte ich deshalb zurück. Er hatte Augenringe und sah gestresst aus. Ein Arzt zu sein war bestimmt nicht leicht.

Masaomi betrachtete mich überrascht, lächelte aber seinerseits zurück. „Mir geht es gut, ich habe im Moment nur sehr viel zu tun. Durch die Schichtarbeit ist auch mein Schlafrhythmus etwas durcheinander geraten. Deshalb habe ich Probleme beim Einschlafen. Das gibt sich wieder, wenn es im Krankenhaus etwas ruhiger wird"

Mein Laptop gab erneut einen nervtötenden Ton von sich, der mir signalisierte, dass er, oh Wunder, die Verbindung wieder unfreiwillig unterbrochen hatte. Ich seufzte gequält.

„Was machst du denn da, dass du auch so spät noch wach bist?" Ich hörte seinem Ton etwas freundlich Tadelndes an. Aber es war schließlich Wochenende.

„Ich versuche eine Karte für eins von Fuutos Konzerten zu kaufen", antwortete ich ehrlich. War ja auch kein Verbrechen. „Leider bricht die Internetverbindung ständig ab, weil die Seite total überlastet ist. Und ich brauche eine Karte für eine ganz bestimmte Halle hier in der Nähe, alles andere auf seiner Tour ist einfach zu weit weg"

„Ah, verstehe" Mein großer Bruder nickte und sah irgendwie fröhlich gestimmt aus. „Weißt du, da kann ich dir vielleicht helfen. Welche Halle ist es denn?" Er kam zu mir und setzte sich neben mich aufs Sofa. Ich drehte meinen Laptop so, dass er ihn auch sehen konnte.

„Wenn ich morgen Fuutos Manager anrufe, frage ich ihn, ob ich eine Karte für ein Familienmitglied bekommen könnte. Bestimmt schickt er uns eine", erklärte Masomi.

„Oh, bitte nicht", lehnte ich entschieden ab. „Ich möchte Fuuto oder seiner Agentur nicht solche Umstände bereiten, außerdem sollte es eine Überraschung werden. Beim Festival vom Club Buddha musste ich notgedrungen sehr früh gehen und auf das Konzert in den letzten Weihnachtsferien konnte ich wegen meiner Verletzung gar nicht gehen. Fuuto war traurig deswegen, da wollte ich ihm eine Freude machen"

„Weißt du, ich telefoniere jeden Tag mit Fuutos Manager. Er ist ein sehr verantwortungsbewusster und freundlicher Mann. Ich erkläre es ihm einfach so, wie du es mir gesagt hast. Er wird es verstehen, da bin ich ganz sicher", überraschte mich Masaomi.

„Du telefonierst mit seinem Manager?", wiederholte ich sehr intellektuell.

„Natürlich, schließlich möchte ich wissen, wie es Fuuto geht und ob alles gut läuft. Sein Manager schickt mir sogar seinen Tagesablauf, wenn Fuuto länger nicht zu Hause ist und holt öfter ohne sein Wissen mein Einverständnis zu einigen Aktionen ein. Ich bin unwahrscheinlich stolz auf ihn, so wie wir alle in der Familie" Als ich ihn weiterhin nur perplex anstarren konnte und gar nicht zu weiteren Gedanken fähig war, lächelte Masaomi wissend. „Er hat einen wahnsinnig schwierigen und sturen Charakter. Ich weiß, dass es oft so aussieht, als hätten wir nicht das beste Verhältnis zu ihm, aber wir glauben alle an ihn, selbst Yusuke, wenn du ihn ganz ehrlich darauf ansprichst. Fuuto ist für sein Alter einfach auch schon sehr selbstständig. Wenn ich ihn ständig bei seiner Arbeit stören würde, dann würde er mir sicher zu verstehen geben, dass ich ihm nicht dauernd auf die Nerven gehen soll. Trotzdem hat er ein zu Hause, zu dem er immer wieder zurückkehren kann und das ist das Wichtigste. Schließlich ist er immer noch der Zweitjüngste"

„Gerade deswegen wäre es besser, wenn du ihn direkt anrufst, meinst du nicht?" Masaomi gab einen überraschten Laut von sich und sah mich an. „Ich weiß nicht so genau, wie ich es ausdrücken soll, aber ich glaube, dass Fuuto oft nur so tut, als wäre ihm alles egal und als wäre er so wahnsinnig selbstbewusst. Gerade weil er der Zweitjüngste ist, kommt es mir eher so vor, als hätte er ein großes Geltungsbedürfnis. Ihm scheint es wichtig zu sein, was andere von ihm denken. Und nicht nur als Popstar oder Schauspieler. Er möchte anerkannt werden. Und er arbeitet wirklich sehr hart und konsequent für seine Träume, was ich wirklich beeindruckend finde. Aber eine Sache, die Yusuke mal gesagt hat, als feststand, dass er auf dasselbe College gehen würde, wie ich, hat mir sehr zu denken gegeben. Yusuke hat offen zugegeben, dass er öfter das Gefühl hatte, weniger wert zu sein als seine anderen Brüder, weniger intelligent oder talentiert. Er hatte die Stärke, es offen zu sagen, nachdem er sein Ziel erreicht hatte. Aber ich denke, Fuuto wäre zu stolz, um so eine Gefühlsregung vor anderen zu zeigen. Oder sie sich selbst einzugestehen. Bis Wataru geboren wurde, war er noch der Kleinste. Das war für ihn bestimmt nicht immer leicht. Ich glaube, in ihm geht viel vor, was wir nicht verstehen und ich glaube, dass er auch viel verstecken will. Vielleicht wäre es da besser, ihm ein bisschen auf die Nerven zu gehen, auch wenn er so tut, als bräuchte er uns nicht"

Ich dachte daran, dass er mir Textnachrichten schickte, seit er auf Tour war. Sie enthielten meistens kleine Sticheleien und waren recht kurz, aber ich antwortete jedes Mal.

Dieses Mal war es mein Bruder, der den Mund nicht mehr zubekam und mich ansah, als hätte ich ihm gerade irgendeine Art von Erleuchtung gebracht. Und dann breitete sich ein so liebevoller Gesichtsausdruck auf seinen Zügen aus, dass es mir fast unangenehm war.

„Du bist wirklich ein liebes und aufmerksames Mädchen", kommentierte er meinen kleinen Monolog. „Es ist wirklich gut, ab und zu mit dir über diese Dinge zu sprechen. Du zeigst einem immer auch eine andere Art, sie wahrzunehmen. Aber jetzt solltest du wirklich ins Bett gehen und dich ausruhen. Ich spreche morgen mit Fuutos Manager"

Am nächsten Morgen direkt nach dem Frühstück beeilte ich mich, aus dem Haus zu kommen, bevor mich irgendjemand fragen konnte, was ich vorhatte. Die Fahrt mit dem Bus bis zum Krankenhaus dauerte nicht sehr lange und ich hatte sogar daran gedacht, dass Masaomi heute ebenfalls arbeiten musste und ihm ein selbstgemachtes Mittagessen eingepackt. Er war schon sehr früh aufgestanden, obwohl er genauso spät wieder ins Bett gegangen war, wie ich.

Ich meldete mich unten im Foyer am Empfang und schilderte der freundlichen Krankenschwester, worum es sich bei meinem sozialen Projekt handeln sollte. Die war sofort begeistert von meiner Idee und bedankte sich sogar bei mir. Sie lud mich dazu ein, mich im Schichtplan mit einzutragen als `Betreuung´ für die kleinen Patienten, die das Bett für ein bis zwei Stunden verlassen durften. Diejenigen dürfte ich in einer hübsch eingerichteten Leseecke treffen und dort Kindergeschichten für sie vorlesen. Natürlich willigte ich ein und versprach außerdem, bald mit der versprochenen Spende vorbeizukommen.

„Wenn wir bloß ein paar Leute mehr hätten, die sich für die armen Kinder interessieren würden", seufzte die junge, blonde Schwester. Sie begleitete mich auf die Kinderstation und in das dortige Schwesternzimmer, wo sie ihren Kolleginnen fröhlich erzählte, warum ich dort war. Ich wurde freundlich begrüßt und wir beugten uns gemeinsam über den Schichtplan. Wir beschlossen, dass drei Tage die Woche genügen würden, da ich ja noch aufs College ging und dass ich die Zeiten recht flexibel mit meinem Stundenplan vereinbaren konnte. Wir schrieben mich für die nächste Woche ein und ich machte mir ein Foto davon, um meine Termine nicht zu vergessen.

„Bring am besten das Schulformular gleich mit, wir füllen es dir gerne aus", riet mir eine ältere Schwester mit einigen weißen Strähnen im sonst braunen Haar.

Als ich gerade fragen wollte, ob jemand wusste, wo Masaomi war, stand der plötzlich ebenfalls vor mir im Schwesternzimmer. „Ema!", rief er überrascht und sah besorgt aus. „Ist was passiert?"

Schnell winkte ich ab. „Nein, nein, ich bin wegen einem Schulprojekt hier", winkte ich schnell ab. „Aber ich habe dir Mittagessen mitgebracht" Ich hielt die durchsichtige Plastiktüte mit der hellgelben Lunchbox darin in die Höhe und übergab sie ihm.

Natürlich mussten wir nach dieser Szene dann erklären, dass wir Stiefgeschwister waren. Die Schwestern waren davon wirklich sehr angetan und lobten mein Engagement vor Masaomi, was mir furchtbar peinlich war. Sie übertrieben es maßlos.

Als ich mich dann schließlich verabschiedete, bestand mein Bruder darauf, mich zum Ausgang zu begleiten und warf mir auf dem Weg einen prüfenden Blick zu. Ich lief rot an.

„Ema, es tut mir leid, dass du solche Umstände meinetwegen hast", seufzte er schließlich. „Aber ich bin trotzdem wirklich glücklich darüber, dass du mir helfen willst"

„Eigentlich hilfst du ja mir", platzte ich etwas zu schnell heraus. „In meinem Zeugnis sieht ein soziales Projekt später sehr gut aus, besonders wenn ich es über die gesamte Zeit halten kann. Du gibst mir die Unterschrift doch? Für die anderen ist es gar nicht so leicht, überhaupt eine Stelle zu finden, habe ich gehört" Zugegeben, ich nahm Yusuke als Beispiel, aber das musste ich ja nicht erwähnen. Es war also keine richtige Lüge.

„Natürlich bekommst du die Unterschrift", antwortete Masaomi offensichtlich amüsiert. „Glaube aber nicht, dass ich nach unserem Gespräch gestern auf die kleine Ausrede mit deinem Projekt komplett hereinfalle. Ich weiß, dass du dir in letzter Zeit mehr Gedanken um uns alle machst"

Zum Abschied streichelte mein Bruder mir sanft über den Kopf und auf seinem Gesicht erschien sein typisches herzensgutes Lächeln. „Ich habe übrigens mit Fuutos Manager gesprochen und er meinte, er wäre wirklich froh darüber, dass Fuuto und ich eine so fürsorgliche Schwester bekommen hätten. Er schickt dir gerne eine Karte zu und hält es vor Fuuto geheim, dass du kommst. Und er stimmt dir in deiner Meinung ebenfalls zu. Genauso, wie ich. Ich habe wirklich noch lange über unser Gespräch nachdenken müssen. Ich denke, ich werde Fuuto von jetzt an selbst anrufen, auch wenn er deshalb ganz sicher genervt reagieren wird. Seinen Manager kann ich immer noch erreichen, falls ich von ihm keine befriedigenden Antworten bekomme, was sicher auch oft genug der Fall sein wird, allein aus Trotz"

Ich kicherte und verabschiedete mich von dem gutmütigen Arzt.

„Ich danke dir, Ema" sagte er noch, als ich mich schon halb umgedreht hatte, um zu gehen.

Und in seiner Stimme, sowie in seiner Mimik lag plötzlich so eine Ernsthaftigkeit, dass sich mir der Magen umzudrehen drohte. Trotzdem lächelte ich zurück und winkte noch einmal.

„Gern geschehen"

Als ein paar Tage später auch meine Sammelaktion bei meinen Schulkameraden ein voller Erfolg wurde und ich schon ein paar Vorlesestunden abgehalten hatte, hatte ich die Herzen der Krankenschwestern und der Kinder gleichermaßen erobert. Und nicht nur ihre, auch zu Hause hatte Masaomi allen von meiner Aktion erzählt und Wataru hatte sogar eigenes Spielzeug dazu beigesteuert. Alle waren beeindruckt. Und Masaomis Augenringe verschwanden tatsächlich wieder.