Kapitel 5: Yusuke & Subaru – Nachhilfe & Basketball
Yusuke und ich saßen in der Bücherei und verzweifelten gemeinsam über einem wirklich langweiligen und schwierigen Geschichtsthema. Schon seit zwei Stunden versuchten wir dem trockenen Schulstoff Herr zu werden, mit mäßigem Erfolg.
Irgendwann, als der Rotschopf mal wieder herzhaft gähnte und ich meine sinkende Motivation auch nicht mehr verbergen konnte, fing ich unfreiwillig an zu kichern, dann richtig zu lachen. Mein Bruder hob den Kopf, sah mich an und stimmte schließlich in mein Lachen mit ein. Zusammen zu leiden war wirklich viel schöner, als alleine in seinem Zimmer zu sitzen.
„Sag mal Yusuke", setzte ich an, schlug das Schulbuch zu und streckte mich ausgiebig. „Meinst du nicht, wir sollten uns öfter zusammentun?"
„Äh, w-was meinst du?", stammelte der Rothaarige und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her.
„Ich meine, dass wir in dieselben Kurse gehen und eigentlich alle unsere Hausaufgaben gemeinsam erledigen könnten. Genauso gut könnten wir uns beim Lernen für unsere Prüfungen jedes Mal zusammensetzen, statt uns alleine in unsere Zimmer zu verziehen. Ich finde zusammen zu lernen ehrlich gesagt wesentlich angenehmer, du nicht auch?", erklärte ich ausführlich.
Yusukes Gesicht verfärbte sich rötlich und er mied meinen Blick. Er starrte stattdessen auf die Tischplatte, als berge sie die Geheimnisse dieser Welt. „A-aber ich halte dich doch nur zurück. Ich bin viel schlechter in der Schule als du. Ich glaube, für dich wäre das nicht so gut"
Um mein Mitgefühl nicht ziemlich offensichtlich herauszukehren, schüttelte ich schnell den Kopf. „Quatsch, so darfst du das nicht sehen. Ich habe mittlerweile auch Probleme mit einigen Themen. Zum Beispiel dieses Geschichtsprojekt finde ich genauso ätzend, wie du. Das ist vollkommen normal, wir gehen jetzt schließlich aufs College, da muss man sich ordentlich reinhängen. Du brauchst vielleicht einfach bloß ein bisschen länger, als ich, das ist alles" Als er mich endlich ansah, versuchte ich so positiv wie möglich auszusehen. „Ich glaube, eine zweite Sicht zu haben ist nie verkehrt. Außerdem macht es so doch auch mehr Spaß. Und wenn du wirklich mal was nicht verstehst, helfe ich dir gerne, du kannst mich ruhig fragen. Und auch wenn wir mal nicht einer Meinung sind, hilft es uns bestimmt, wenn wir das Thema ausdiskutieren"
Er starrte mich mit riesigen, ungläubigen Augen an. Eventuell hätte ich ihm einfach Nachhilfe anbieten sollen, aber irgendwie wiederstrebte mir das. Wir standen auf gleicher Stufe und ich wusste genau, wie viel Mühe er sich gab. Das wollte ich nicht damit kaputt machen, dass ich ihm zwar meine Hilfe anbot, damit aber auch ganz deutlich zeigte, dass ich dachte, dass er sie nötig hätte. Die Art, wie ich es gerade verpackt hatte gefiel mir da viel besser, außerdem war jedes Wort ehrlich gemeint.
„Meinst du das echt ernst?", fragte er und starrte mich immer noch so an.
„Klar meine ich das ernst", antwortete ich mit einem ehrlichen Lächeln. „Also, was sagst du?"
Als er dann endlich zurück lächelte und dabei aussah, wie ein kleiner Junge, dem man ein Eis geschenkt hatte, war ich unglaublich erleichtert. „Also dann, vielen Dank und auf gute Zusammenarbeit", antwortete er leicht steif und ich fing wieder an zu lachen. „Oder so ähnlich", fügte er hinzu und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Aber wenigstens lachte er wieder mit.
Wir beschlossen nach unserem neu geknüpften Bündnis, Geschichte erstmal Geschichte sein zu lassen und wieder nach Hause zu fahren.
Im Bus trafen wir auf einige Mitschüler aus der Parallelklasse, die uns begrüßten und sich zu uns gesellten. Sie sprachen uns auf einen Artikel an, der in einem Sportmagazin abgedruckt war. Auf dem Bild daneben war eindeutig Subaru zu sehen.
„Sagt mal, ist das nicht auch euer Bruder? Ihr seid doch eine Großfamilie, richtig?", fragte ein hübsches blondes Mädchen, dessen Namen ich nicht kannte.
Yusuke nickte. „Unser älterer Bruder Subaru. Er wird mal Profibasketballer, wenn er sein College abgeschlossen hat"
Die Augen des Mädchens leuchteten. Sie schien begeistert zu sein. „Hier steht, dass er eine wirkliche Bereicherung für das Team ist. Er ist in jedem wichtigen Spiel aufgestellt und in jedem Artikel steht nur Gutes. Sie loben ihn wirklich in den Himmel, ihr müsst ja mächtig stolz sein"
Und irgendwie erfüllte es mich tatsächlich mit Stolz so etwas von einer Außenstehenden zu hören. „Klar, wir sind auf alle unsere Brüder sehr stolz. Und sie auch auf uns. Sie haben und bei unserem High-School Abschluss wirklich sehr unterstützt", antwortete ich und grinste das nette Mädchen an.
„Oh, was bin ich neidisch", meinte sie. „Muss toll sein, so eine große Familie zu haben. Ich bin bloß ein Einzelkind. Ich habe nicht mal einen einzigen Bruder, den ich bei irgendwas anfeuern kann"
Ich verstand sie so gut. „Ich bin wirklich froh, dass unsere Eltern geheiratet haben", gab ich offen zu. „Ich bin ja bloß angeheiratet, vorher war ich auch ein Einzelkind" Und immer allein, aber das sagte ich nicht extra dazu.
Sie nickte nur und blätterte wieder in dem Magazin. „Also ich kenne mich mit Basketball ja überhaupt nicht aus, aber das Team von eurem Bruder scheint ein ziemlich wichtiges Spiel demnächst zu haben. Ich hoffe, sie gewinnen. So Leute, ich muss hier raus. Bis bald mal" Sie hüpfte aus der offenen Tür und winkte noch einmal zum Abschied. Yusuke und ich winkten zurück.
„Wusste gar nicht, dass er wirklich schon so gut geworden ist", murmelte Yusuke, als wir selbst auch schon auf dem Weg in unseren Hof waren.
„Ja, das ist wirklich eine tolle Nachricht", antwortete ich fröhlich.
„Wir sollten ihm die Daumen drücken. Auch für dieses Spiel. Wahrscheinlich wird ja keiner von uns dabei sein. Seit er ausgezogen ist war niemand von uns mehr bei einem Spiel. Er wohnt einfach zu weit weg. Eigentlich echt schade. Vielleicht können wir ihn ja davor mal anrufen oder so, immerhin schreibt er regelmäßig E-Mails", sagte der Rothaarige nachdenklich.
„Eine schöne Idee, Yusuke", antwortete ich, aber in Gedanken war ich wo ganz anders und ich brütete schon über einer eigenen kleinen Idee, die langsam Gestalt annahm.
Abends, als ich mit Juli in meinem Zimmer saß, hielt ich mein Handy in der Hand und starrte einige Zeit nachdenklich darauf, bis ich mich endlich traute, den Kontakt aus meinen Adressen herauszusuchen und auf den grünen Hörer zu drücken.
Er ging schon nach dem zweiten Klingeln ran und ich ließ vor Schreck fast das Telefon fallen. „Hallo?"
„Hallo, Natsume. Ich bin's", begrüßte ich den Drilling.
„Ah, Ema", stellte er fest. Hatte er nicht auf seinem Display nachgesehen? „Hat dir das neue Spiel gefallen? Sag nicht, du bist schon wieder in einer Nacht durch?"
In den letzten Wochen und Monaten hatte er mir wieder ein paar Probe CDs vorbei gebracht, die ich alle wie eine Süchtige durchgezockt hatte. Meine ausführlichen Berichte gingen dabei immer an Natsume.
„Es ist ein wirklich cooles Spiel und ich bin auch schon wieder durch, aber deswegen rufe ich eigentlich nicht an", erklärte ich ein bisschen verschämt. „Es geht um Subaru"
„Ist was passiert?" Er klang sofort alarmiert und ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich das Thema nicht etwas vorsichtiger angesprochen hatte.
„Nein, nein, alles in bester Ordnung, ehrlich", gab ich schnell zurück. „Es ist nur, …", ich druckste etwas herum und wusste nicht genau, wie ich es ordentlich ausdrücken sollte. „Ich habe von ein paar Mitschülern gehört, dass für seine Mannschaft wohl ein sehr wichtiges Spiel ansteht und Yusuke hat gesagt, dass seit Subaru ausgezogen ist niemand von uns mehr die Gelegenheit hatte, zu einem seiner Spiele zu gehen. Und da habe ich mir gedacht…"
Ich hörte Natsumes trockenes Lachen am anderen Ende der Leitung. „Sag doch einfach, dass du hinfahren möchtest", meinte er schlicht und ich spürte, wie ich knallrot anlief, obwohl er mich gar nicht sehen konnte.
„A-also, ich dachte, wir könnten vielleicht zusammen hinfahren", stotterte ich etwas unsicher. „Ich weiß, dass er von deiner Meinung viel hält und das Spiel ist an einem Samstag."
Kurz herrschte Stille zwischen uns beiden.
„Ich meine, wenn du viel Arbeit hast, verstehe ich das natürlich auch", setzte ich schnell hinterher. Ich wollte nicht, dass er sich meinetwegen verpflichtet fühlte.
Natsume seufzte. „Nein, du hast schon Recht. Nachdem er sich so aufrichtig bei mir entschuldigt hat nach unserer Auseinandersetzung, bin ich es ihm eigentlich auch schuldig. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis und er versucht Kontakt zu halten, indem er mich in alle Mails mit einkopiert. Ich bin ja froh, dass es sich zwischen uns wieder normalisiert hat. Ihn zu besuchen wäre ganz sicher eine gute Idee"
Gott sei Dank! Ich kreuzte die Finger und stieß erleichtert die Luft aus. Also war zwischen den beiden auch wieder alles klar, das freute mich wirklich zu hören.
Wir besprachen kurz, wann wir losfahren würden und dass es wahrscheinlich nicht nötig war, extra ein Hotel zu buchen. Außerdem war Natsume von einer Übernachtung auch nicht unbedingt begeistert, was ich irgendwie nicht ganz verstand. Der Tag würde anstrengender für ihn werden wenn er so früh mit mir hin und spät abends wieder zurück fahren müsste. Aber wir blieben dabei, weil er sich absolut nicht von mir überzeugen ließ.
„Also, ich komme dich dann mit dem Auto abholen. Stell dich am besten raus, damit ich nicht alle wecke um diese Uhrzeit", wies mich der Orangehaarige knapp an.
„In Ordnung", stimmte ich zu. „Also dann, gute Nacht. Und danke"
„Gute Nacht", sagte Natsume und legte dann auf. Ich guckte noch eine Weile mein Handy an, ließ die Glückswelle, die durch mich hindurch flutete etwas wirken, legte es dann weg und ging schlafen. Ich wusste genau, dass ich die Tage zählen würde, bis es endlich so weit war und wir zu Subarus Spiel fahren würden.
Natürlich hatte ich mal wieder Recht behalten und die Tage zogen sich dahin, wie Kaugummi. Ich war froh, dass ich durch die neue Vereinbarung mit Yusuke viel Ablenkung hatte. Meine Brüder waren mehr oder weniger überrascht, als ich ihnen bei einem gemeinsamen Abendessen am Wochenende von meinen Plänen erzählte. Und damit meinte ich, die einen waren mehr überrascht und die anderen eher weniger. Masaomi, Hikaru und Ukyo schienen es sogar geahnt zu haben, Rui mit seinem großen Herzen lobte mich sogar für den Einfall, Wataru war ein bisschen eingeschnappt, dass wir ihn nicht mitnahmen, wünschte mir aber trotzdem viel Spaß, Yusuke brummte nur, dass ich wohl eine noch bessere Möglichkeit gefunden hätte, als er und sah dabei zunächst gar nicht so begeistert aus, bis er sich etwas zusammenriss, lächelte und etwas sagt von wegen „war ja klar" oder so ähnlich und die Zwillinge waren ziemlich angefressen. Sie versuchten es zumindest zu verbergen, aber ich spürte sofort, dass es ihnen gar nicht passte, dass ich mit Natsume alleine wegfahren würde, selbst wenn es bloß Subarus Basketballspiel war.
Am Tag der Abreise war ich furchtbar aufgeregt, obwohl ich so wahnsinnig früh aufstehen musste. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, was man zu einem Basketballspiel anzog. Außerdem war es so früh morgens recht kühl. In der Sporthalle würde es bestimmt viel wärmer sein. Schließlich wählte ich eine Strumpfhose und ein cremefarbenes knielanges Kleid, dessen obere Hälfte mit einzelnen hübschen Perlen bestickt war und dazu weiße flache Ballerinas. Sicherheitshalber nahm ich noch eine weiße Strickjacke mit. Sicher würde ich sie auf der Hinfahrt brauchen.
Ich hatte am Vorabend ein bisschen was zu essen vorbereitet und in den Kühlschrank gelegt. So früh am Morgen wollte ich noch nicht frühstücken und ich vermutete mal, dass es Natsume genauso ging. Also nahm ich mir vor, noch eine Kanne Kaffee zu kochen und ein paar Wasserflaschen für die Fahrt einzupacken. So würde ich ihn auch dazu bekommen, zwischendurch mal eine Pause einzulegen, wenn er schon den ganzen Tag auf den Beinen war und Hin – und Rückfahrt unbedingt am selben Tag sein mussten.
Dass ich allerdings im Wohnzimmer schwache Beleuchtung vorfand, wunderte mich etwas. So früh war normalerweise niemand von uns wach, es sei denn Masaomi hatte eine seiner Nachtschichten. Neugierig tappte ich weiter vorwärts und blieb überrascht vor unserer Couch stehen, auf der Tsubaki saß und mich mit seinen leuchtend violetten Augen musterte, als ich hereinkam. Beziehungsweise konnte ich nur ein Auge sehen, weil seine weiße Mähne das andere ja verdeckte. Auf seinem Schoß lag ein dickes Heft.
„Guten Morgen", murmelte ich leise. „Du bist heute aber früh dran"
Seine Mundwinkel verzogen sich zu seinem typischen spitzbübischen Lächeln und er wedelte leicht mit dem Heft. „Naja, um so ein viel umjubelter Superstar zu sein, muss ich auch manchmal ein bisschen arbeiten" Er grinste, aber es hielt nicht lange, als sein Blick an meinem hängen blieb. „Ich konnte sowieso nicht schlafen", erklärte er mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme.
Ich seufzte leise und setzte mich in einigem Abstand zu ihm aufs Sofa. „Weißt du, ich habe Natsume gebeten, mit mir zu Subarus Spiel zu fahren. Nicht andersherum" Warum genau ich plötzlich das Gefühl hatte, mich rechtfertigen zu müssen, wusste ich nicht genau. Aber der Blick, den Tsubaki mir zuwarf bestätigte mein inneres Gefühl nur noch. „Ich weiß, dass die beiden sich eine lange Zeit aus dem Weg gegangen sind, obwohl sie vorher ein inniges Verhältnis zueinander hatten und es ist gar nicht so lange her, dass sie eine handfeste Auseinandersetzung miteinander hatten, an der ich auch nicht ganz unbeteiligt war. Subaru hat sich zwar entschuldigt, aber ich dachte mir, es könnte nicht schaden, die beiden mal wieder zusammenzubringen. Das Spiel ist eine gute Gelegenheit. Subaru ist Natsumes Meinung sehr wichtig"
Die Miene des Synchronsprechers veränderte sich und wurde plötzlich sehr weich. „Es war bestimmt nicht deine Schuld", sagte er dann. „Und schon wieder bist du am Streitschlichten was? Ich erinnere mich gut, dass du dafür ein Talent hast. Azusa und mir hat das auch sehr geholfen" Er legte das Skript beiseite, mit dem er geübt hatte und nahm meine rechte Hand in seine. „Trotzdem kotzt es mich echt an, dich mit ihm wegfahren zu lassen"
Ich zwang mich, ruhig zu bleiben und seine Hand beruhigend zu drücken. „Keine Sorge, ich glaube, Natsume ist mit seinen Gedanken ganz woanders. Er schien gestresst zu sein. Ich habe ihm extra angeboten, uns dort ein Hotel zu suchen und erst am nächsten Morgen wieder zurückzufahren, aber er hat darauf bestanden, dass wir noch am selben Abend aufbrechen. Ich konnte ihn nicht überreden, obwohl es für ihn sicher anstrengend wird"
Tsubaki warf mir einen so geschockten Blick zu, als hätte ich ihm eine gescheuert. Dann brach er in Gelächter aus, bis ihm die Tränen kamen. „Oh man", seufzte er und wischte sich die Augen. „Du bist wirklich süß!" Er ließ meine Hand los und legte seine stattdessen an meine Wange. Ich atmete tief und ruhig und sah ihn an. Irgendwie verstand ich ihn nicht richtig. Warum plötzlich süß?
„Das Schlimmste daran ist, dass ich dir wirklich total abkaufe, dass du dir gar nichts weiter bei der ganzen Aktion gedacht hast", erklärte er und bewegte seinen Daumen leicht hin und her. „Aber den anderen beiden traue ich nicht weiter, als ich sie werfen kann"
Ich legte meine eigene Hand über seine und begann sie wieder zu drücken. So manövrierte ich sie erfolgreich von meinem Gesicht weg und seufzte kurz erleichtert auf. „Du solltest lieber daran denken, wie Subaru sich fühlt!", tadelte ich ihn liebevoll. „Seit er weggezogen ist war keiner von uns mehr bei einem Spiel. Das ist bestimmt nicht so einfach für ihn, wo er doch jetzt auch alleine wohnt und eigentlich eine laute Großfamilie gewohnt ist"
Da schlich sich wieder das typische koboldhafte Lächeln in das Gesicht des Zwillings. „Da wird er aber besonders froh sein, dich dort zu sehen" Ich konnte den leicht sarkastischen Tonfall einfach nicht überhören und rollte mit den Augen.
„Uns", verbesserte ich ihn. „Außerdem wärst du genauso…" Da ging mir plötzlich ein Licht auf. „Okay, hör zu. Zum nächsten Event, bei dem Azusa und du wegen euren neuen Rollen auftretet, komme ich auch. Was hältst du davon?"
Scheinbar hatte ich den Weißhaarigen überrascht, denn sein Mund stand leicht offen. „Im Ernst?"
Ich nickte und hielt ihm den kleinen Finger hin. An diese Geste erinnerte ich mich noch. So versprachen sich Azusa und Tsubaki wichtige Dinge. „Du suchst das Event aus und besorgst mir eine Karte, dann komme ich. Versprochen"
Tsubaki verschränkte seinen kleinen Finger mir meinem. Er sagte nichts, aber die Art und Weise, wie er mich ansah und die Intensität seines Blicks sprachen mehr als tausend Worte. Ich spürte die leichte Röte, die mir nun doch in die Wangen schoss, aber ich war stolz, wie lange ich durchgehalten hatte.
„Abgemacht", sagte er verspätet und seine Stimme hörte sich tief und kratzig an.
Als mein Blick schließlich auf die Uhr an der Wand fiel, brach unsere kleine Blase aus Magie und ich sprang auf. „Ohje, der Kaffee!", rief ich erschrocken. „Den habe ich ganz vergessen"
Um noch pünktlich fertig zu werden, musste ich mich nach der ungeplanten Begegnung mit Tsubaki ganz schön beeilen, aber ich schaffte es, meinen Korb für die Autofahrt rechtzeitig fertig zu packen. Dabei warf mir der Zwilling ab und zu einen neugierigen Blick von der Couch aus zu, wenn er mal von seinem Text aufsah.
„Gib mir das", sagte er irgendwann und ich zuckte zusammen, weil er so plötzlich neben mir stand. Er lächelte und nahm mir den Korb aus der Hand. „Ich bringe dich noch raus"
Draußen dämmerte es zwar schon, aber der Himmel war immer noch dunkel und die Sonne hatte ihre Mühe, sich gänzlich zu zeigen. Ich war froh um die Strickjacke, denn der leichte Wind war kühl.
Natsume ließ nicht lange auf sich warten. Er hielt pünktlich auf die Minute vor unserem Tor. Als er sah, dass sein Drillingsbruder bei mir war, stieg er aus und kam auf uns zu, um uns zu begrüßen. Tsubaki drückte ihm sofort den Korb in die Hand und grinste breit übers ganze Gesicht. Dann drehte er sich zu mir um, packte mein Handgelenk und zog mich ruckartig in eine feste Umarmung.
„Hab ganz viel Spaß, ja?", murmelte er in mein Ohr. „Und feuer den kleinen Angeber für mich mit an"
Kurz versteifte ich mich und wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte, aber dann redete ich mir beinahe mantraartig ein, dass das völlig normal war. Eine Verabschiedung, sonst nichts. Es war bloß eine Umarmung, keine große Sache. Ich entspannte mich und nickte. Zu sprechen traute ich mich nicht. Natürlich wusste ich, dass es für ihn eine ziemlich große Sache war, aber ich tat trotzdem etwas, was ich noch nie getan hatte in so einer Situation. Ich erwiderte einfach die Umarmung und drückte Tsubaki kurz, bevor ich mich wieder von ihm löste.
„Und du fahr bloß vorsichtig", fügte er an seinen Bruder gewandt noch hinzu. „Es werden schließlich zwei lange Fahrten für dich heute" Er zog das Wort unnötig in die Länge, zwinkerte mir dann schelmisch zu und kicherte, als hätte er einen Insiderwitz erzählt, den ich verstehen müsste.
Auch als wir schon längst im Wagen saßen, stand der Weißhaarige noch da, sah uns nach und winkte. Dabei kam es mir so vor, als würde er von innen heraus leuchten. Er strahlte, als hätte er gerade im Lotto gewonnen. Bald war er allerdings für mich nicht mehr sichtbar.
Natsume schnaubte vernehmlich. „Was ist denn mit dem heute los?" Er schüttelte bloß den Kopf.
Die Fahrt verlief angenehm und ruhig. Wir unterhielten uns viel über Videospiele und Natsumes Arbeit. Gelegentlich fragte er mich auch, wie es bei mir am College lief oder was gerade zu Hause so los war. Natürlich stellte sich heraus, dass mein Essenskorb eine ziemlich gute Idee gewesen war, denn ich konnte meinen Bruder dadurch tatsächlich zu einer etwas längeren Pause überreden.
Er lobte mal wieder mein selbstgemachtes Essen und beschwerte sich spielerisch darüber, dass die anderen, die noch in der Residenz wohnten das täglich genießen durften. Leicht über sich selbst schmunzelnd erzählte er mir, dass er vor lauter Arbeit manchmal das Essen sogar vergaß oder sich oft von Fertigessen oder Fast Food ernährte. Alles, was eben schnell ging und irgendwie satt machte. Und selbst wenn er mal selbst kochte, war er davon scheinbar lange nicht so begeistert, wie wenn ich es tat. „Mein Talent dafür hält sich in Grenzen", meinte der Orangehaarige bloß schulterzuckend.
Als wir endlich an der Sporthalle ankamen, wimmelte es dort schon vor lauter Menschen. Wir hatten einige Schwierigkeiten dabei, unsere Sitzplätze zu finden und drückten uns unbehaglich durch die Menge an Leuten. „Erstaunlich, wie voll es ist, obwohl es noch gar kein echtes Profispiel ist", wunderte ich mich laut, als wir endlich saßen. Die Plätze lagen wirklich sehr gut, das Spielfeld war ganz in der Nähe. Der Blick war fantastisch und ich freute mich richtig auf das Spiel. Ich erinnerte mich noch gut, wie aufregend das erste Mal gewesen war, als ich Subaru mit Natsume angefeuert hatte. Damals war es ein ungeplantes Aufeinandertreffen mit dem Drilling gewesen.
Ich war so aufgeregt, dass es mir wie eine Ewigkeit vorkam, bis die Spieler endlich einliefen. Zu allem Überfluss hatte ich Recht behalten und es war wirklich warm und stickig in der Halle, sodass ich meine Strickjacke wieder auszog. Nachdem Natsume uns noch etwas zu trinken besorgt hatte, war es dann endlich soweit. Als ich Subaru unter seinen Teamkameraden ausgemacht hatte, sprang ich von meinem Sitz und rief laut seinen Namen. Da stellte es sich als wirklicher Vorteil heraus, dass wir so nah am Spielfeld saßen, denn er drehte sich tatsächlich um.
Aufgeregt winkte ich ihm zu und dieses Mal ließ sich selbst mein Begleiter dazu hinreißen, seinen Sitzplatz kurz zu verlassen und die Hand zum Gruß zu heben. Er war nicht so euphorisch, wie ich, aber unsere Anwesenheit schien tatsächlich bemerkt worden zu sein, denn Subaru stand da, bekam riesen große Augen und starrte uns an, bis ein anderer aus der Mannschaft zu ihm kam und ihm auf die Schulter klopfte.
„Glaubst du, er freut sich, dass wir da sind?", fragte ich hoffnungsvoll, als wir wieder saßen.
Natsume grinste schief und nickte, als wäre er sehr sicher. „Bei dem Gesicht, das er gemacht hat ganz bestimmt. Hoffentlich spornt es ihn auch an"
Das Spiel begann und war ab der ersten Sekunde fesselnd. Beide Teams waren wirklich gut und die Bewegungen teilweise so schnell, dass man ihnen kaum folgen konnte. Es fielen viele Körbe auf beiden Seiten und immer wieder gelang einem Team der Ausgleich, wenn ein anderes in Führung gegangen war. Schlussendlich war es eine wahnsinnig knappe Entscheidung, aber Subarus Team gelang es in der letzten Minute den entscheidenden Korb zu werfen.
Wir jubelten, bis es in meiner Kehle schon kratzte und dieses Mal konnte auch Natsume seine Freude nicht hinter seiner coolen Fassade verstecken. Überschwänglich fielen wir uns gegenseitig in die Arme, bis wir bemerkten, was wir da eigentlich machten und uns schnell wieder voneinander lösten.
Natürlich mussten wir als Zuschauer die Halle direkt nach dem Spiel wieder verlassen, aber wir beschlossen, vor dem Haupteingang zu warten. Natsume war davon überzeugt, dass Subaru nochmal zu uns raus kommen würde, jetzt wo er wusste, dass wir da waren. Allerdings klingelte sein Handy und er ging ein paar Schritte, um den Anruf entgegen zu nehmen.
Genau in diesem Moment sah ich Subaru, der aus der Halle gejoggt kam. Ich lief ihm ein paar Schritte entgegen und landete direkt in seinen starken Armen. Schon wieder eine Umarmung. Ganz sicher aus purer Freude, versuchte ich mir schnell einzureden und entspannte mich, um sie zu erwidern, wie ich es bei Tsubaki schon gemacht hatte. Immerhin hatten wir uns auch eine lange Zeit nicht gesehen. Mein Puls war trotzdem zu schnell.
„Herzlichen Glückwunsch zum Sieg!", gratulierte ich ihm schnell, bevor ich mich wieder von ihm löste. Sein Gesicht war hochrot angelaufen und er starrte kurz auf seine Füße, bevor er meinem Blick wieder begegnete.
„D-danke", stotterte er und starrte mich dann eine Weile an, bevor er wieder sprach. „Schöne Frisur", nuschelte er kaum hörbar und kratzte sich dann verlegen am Hinterkopf. „I-ich freue mich wirklich, dass du hergekommen bist"
„Es war wirklich ein tolles Spiel!", sagte ich und lächelte ihn an. „Ich glaube ich habe keine Minute still gesessen"
„Das kann ich nur bestätigen", hörte ich Natsumes Stimme hinter mir. Er hatte sein Telefonat beendet und gesellte sich zu uns. „Das habt ihr wirklich sauber hinbekommen. Meinen Glückwunsch"
„Natsu-nii" Subaru lächelte seinerseits ehrlich erfreut und die beiden gaben sich die Hand.
Wir standen noch eine ganze Weile so beisammen und unterhielten uns miteinander, bis von der Halle her ein paar Jungs zu Subaru hinüberriefen und gestikulierten.
Natsume nickte in deren Richtung. „Na los, geh schon. Du solltest bei deiner Mannschaft sein nach so einem wichtigen Sieg. Wir müssen sowieso gleich wieder los, wir fahren ja noch eine Weile"
„Die Jungs und ich wollen eine Siegesfeier veranstalten. Wollt ihr nicht vielleicht mitkommen? Ihr solltet wenigsten was essen, bevor ihr nach Hause fahrt", schlug Subaru vor.
Ich sah Natsume an. „Wir hatten sowieso geplant vorher essen zu gehen", stellte ich bloß fest und er seufzte und nickte bloß. „Wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag sollte schon sein", räumte er ein.
Also begleiteten wir unseren Basketballstar und seine Mannschaft in eine Art Bar, in der es super leckeres Essen, alkoholfreie Cocktails und gute Musik gab. Natürlich waren alle ziemlich überrascht so plötzlich zwei von Subarus Familienmitgliedern kennenzulernen, aber wir wurden sehr herzlich aufgenommen und konnten so auch noch ein paar Geschichten aus dem Schulalltag der Jungs lauschen.
Wir lachten sehr viel und besonders Subaru schien sich wirklich zu freuen, dass wir extra angereist waren, aber leider fiel Natsumes Blick viel zu schnell auf seine Armbanduhr und trübte die Freude im Gesicht unseres Bruders.
„Es ist echt schade, dass ihr so schnell wieder los müsst", brummte er, als er uns draußen vor dem Lokal verabschiedete. „Aber ich komme in den Ferien auf jeden Fall nach Hause, also sehen wir uns bald wieder" Sein Lachen kehrte zurück in sein Gesicht und ich war sehr froh darüber.
Eine Weile blickte er uns noch nach und winkte, bevor er sich umdrehte, um wieder an der Siegesfeier drinnen teilzunehmen. Natsume und ich machten uns auf den Weg zurück zum Parkplatz, um die Heimfahrt anzutreten. Es war gut, dass wir gegessen hatten, denn mein Korb war nur für ein Frühstück gedacht gewesen und alles, was noch übrig war, waren ein paar Cracker und eine Flasche Wasser. Aber nach dem reichhaltigen Essen mit dem Team würde das für die Rückfahrt schon reichen.
„Du siehst erschöpft aus. Vielleicht solltest du versuchen ein bisschen zu schlafen", sagte der Orangehaarige nach einer Weile, als ich länger nichts gesagt hatte und ehrlichgesagt auch Mühe damit hatte, die Augen offen zu halten. Ich wollte bloß nicht unhöflich sein. Dass er es trotzdem so offensichtlich bemerkt hatte, war mir irgendwie peinlich.
Ich wollte schon protestieren, aber das Lächeln, das er mir mit einem fürsorglichen Seitenblick zuwarf, ließ mich verstummen und Hitze in meinen Kopf steigen. Also kniff ich schnell die Augen zusammen, in der Hoffnung, dass er es nicht bemerkt hatte.
Als ich die Augen das nächste Mal aufschlug, ruckelte es irgendwie unangenehm und ich murrte leise. Erst war mir gar nicht klar, wo wir uns gerade befanden, bis mein Blick auf unsere Residenz fiel und mein Mund offen stehen blieb. Es war schon stockdunkel draußen und es nieselte leicht.
„Du meine Güte, ich habe die ganze Fahrt verschlafen!", rief ich total schockiert. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, wie fertig ich eigentlich gewesen war.
Natsume lachte bloß. „Das ist nicht witzig, warum hast du mich nicht geweckt?", beschwerte ich mich bei ihm. Er schüttelte den Kopf. „Aber warum denn? Es war schließlich ein langer Tag" Seine Stimme klang weich und verständnisvoll. „Außerdem hast du ganz niedlich ausgesehen, so leise schnarchend" Seine Mundwinkel zuckten verräterisch.
„Ich schnarche überhaupt nicht", murmelte ich verlegen und starrte das Handschuhfach vor mir an.
Bevor das Schweigen zwischen und zu ausgedehnt wurde, bedankte ich mich schnell noch einmal bei ihm, dass er mich begleitet hatte und wir verabschiedeten uns. Er versprach mir, vorbei zu kommen, wenn Subaru uns in den Ferien tatsächlich besuchen kam und außerdem hatte er vielleicht bald wieder ein neues Spiel für mich.
Oben in meinem Zimmer angekommen wurde ich von einem total panischen Juli angesprungen, den ich erstmal beruhigen musste. Er hatte sich den ganzen Tag lang Sorgen um mich gemacht und ich musste ihm alles haargenau erzählen, bis er sich wieder beruhigte. Mir fiel ein dicker Umschlag auf, der auf meinem Schreibtisch lag. „Juli, was ist denn das?", fragte ich meinen besten Freund verwundert und stand auf, um ihn mir genauer anzusehen.
„Der wurde heute unter der Tür durchgeschoben", erklärte er. „Keine Angst, ich habe niemanden hier rein gelassen"
Das Papier war sehr weich und edel. „Imouto-chan" stand ordentlich auf der Rückseite. Ich lächelte.
