Kapitel 7: Tsubaki & Azusa – Probepartner & ein wichtiger Auftritt

Azusa und ich saßen schon seit ein paar Stunden zusammen im Wohnzimmer auf dem Sofa und versuchten ganz ernsthaft ein Skript zusammen durchzugehen. Da Tsubaki und Azusa wieder Rollen bekommen hatten, die sie zusammen sprechen konnten, aber jeder auch mit Einzelprojekten beschäftigt war, passten in den letzten Wochen ihre Zeitpläne leider kaum noch zusammen.

Die beiden verbrachten jede freie Minute, die sie erübrigen konnten gemeinsam und brüteten über irgendwelchen Drehbüchern, aber es reichte nicht, um die gestressten Gemüter zu beruhigen. Beide waren so perfektionistisch veranlagt, dass sie mich gebeten hatten als Probepartner einzuspringen.

Ich war zwar keine professionelle Synchronsprecherin oder Schauspielerin, aber ich tat mein Bestes, um die Rollen möglichst glaubwürdig vorzulesen und eine gute Hilfe beim Üben zu sein.

Leider ging mir gerade im Moment aber meine Professionalität total flöten, denn Azusas neuestes Projekt war ein kurzer Anime mit nur zwölf Episoden, der aber als Hauptgenre in die Komödienschublade einzusortieren war. Und er war wirklich gut. Also, sowohl der Anime als auch Azusa in seiner Rolle.

Immer wieder mussten wir unterbrechen, weil ich einfach nicht aufhören konnte zu lachen und meinen Bruder zu allem Überfluss damit auch noch ansteckte.

„Tut mir wirklich leid", entschuldigte ich mich zum gefühlt tausendsten Mal bei dem Zwilling und wischte mir die Lachtränen aus den Augen. „Ich glaube für diese Rolle bin ich einfach kein geeigneter Übungspartner"

Auch Azusa hatte Mühe seine sonst so beherrschte Art beizubehalten. Seine Mundwinkel zuckten immer wieder verräterisch und er räusperte sich öfter, bevor er sprach. Alles in allem wirkte er recht amüsiert. Aber er schüttelte nur den Kopf. „Das kann man so nicht sagen", widersprach er mir. „So kann ich wenigstens davon ausgehen, dass der Anime ein Erfolg wird und dass ich meine Arbeit gut mache. Wenn ich dich nach jedem zweiten Satz zum Lachen bringen kann, dann habe ich meine Aufgabe doch jetzt schon ganz gut erfüllt"

Wir starteten noch ein paar Anläufe, brachen immer wieder ab, hatten dafür aber eine Menge Spaß. Irgendwann kam auch Tsubaki nach Hause.

„Hey, ihr zwei, was genau ist denn so verdammt witzig?", wollte er natürlich sofort wissen.

Wortlos streckte ich ihm das Skript entgegen und er nahm es mir aus der Hand, um ein paar Seiten kurz zu überfliegen.

„Hm, das ist echt nicht übel", kommentierte er, ebenfalls mit einem schiefen Grinsen im Gesicht. „Sprichst du die Hauptrolle?"

Azusa schüttelte den Kopf. „Eigentlich ist es nur ein Kurzzeitprojekt und ich spreche bloß den Sidekick der Hauptrolle. Ich hatte nicht erwartet, dass es so interessant werden würde, daran zu arbeiten"

„Tja, so kann's gehen in unserer Branche" Der Weißhaarige ließ sich zu uns auf die Couch fallen und gab mir das Skript zurück. „Wobei es bestimmt auch an der charmanten Hilfe liegt, die du da hast" Er zwinkerte mir zu und ich kicherte.

„Eigentlich bin ich die ganze Zeit nur mit Lachen beschäftigt", gab ich zu.

„Dann machst du deinen Job also gar nicht mal so schlecht, was?", neckte Tsubaki seinen Zwilling.

„Ja, das habe ich auch gesagt", gab Azusa zurück und die beiden lächelten sich an.

Es war so schön zu sehen, wie gut die beiden miteinander auskamen. Und ich saß mittendrin und wurde völlig selbstverständlich akzeptiert. So saßen wir noch eine Weile zusammen, bis Ukyo uns zum Abendessen rief und ich mich erschreckte, als ich auf die Uhr sah. Ich saß mit Azusa hier, seit ich mit Yusuke aus dem College nach Hause gekommen war. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war.

Später, als ich schon frisch gebadet war und in meinem Pyjama steckte, betrachtete ich die Karte, die Tsubaki mir übergeben hatte. Das Datum hatte ich mir neben dem Datum für Fuutos Konzert schon rot im Kalender markiert. Ich hatte auch Azusa eingeweiht, dass sein Zwilling mir ein Ticket für ein gemeinsames Event zugesteckt hatte, allerdings war der ziemlich überrascht gewesen, dass Tsubaki ausgerechnet dieses gewählt hatte, um mich einzuladen.

„Chii, willst du da wirklich hingehen?", fragte Juli und sprang neben mich auf mein Bett. „Wie ich das verstanden habe, ist das ein riesiges Festival mit einer ganzen Menge an Menschen. Und mich kannst du nicht mitnehmen, um dich zu beschützen"

Ich nickte nachdenklich. Das gesamte Fest sollte als riesige Aktion aufgebaut werden. Tsubaki hatte mir dazu nicht viel gesagt und mir bloß die Karte in die Hand gedrückt. Azusa war derjenige gewesen, der mir erklärt hatte, was sein Zwilling mir da eigentlich geschenkt hatte.

Eine Firma für Videospiele, ähnlich der für die Natsume arbeitete, veranstaltete ein riesiges Firmenjubiläum. Und da Tsubaki und Azusa schon einige Charaktere für deren Spiele synchronisiert hatten, waren sie als Ehrengäste eingeladen dort aufzutreten. Es würde ein Megaevent als Open Air werden, mit einer ganzen Reihe an Ständen, einer Freiluftbühne, Livemusik, Trinken, Essen und allem Drum und Dran. Natürlich lag der Fokus auch darauf, die Produkte dort zu verkaufen und für künftige Projekte groß Werbung zu machen. Außerdem waren auch ein paar andere bekannte Special Guests eingeladen. Der Firmenvorstand würde ebenfalls anwesend sein, irgendwelche Produzenten und nicht zu vergessen Presse ohne Ende. Ganz sicher würde dieses Event vor Menschenmassen aus allen Nähten platzen. Hinzu kam noch, dass mir Tsubaki scheinbar keine normale Karte gegeben hatte, sondern ein VIP Ticket, mit dem ich die Zwillinge überall hin begleiten konnte. Sprich, ich durfte hinter die Kulissen und würde immer in der ersten Reihe stehen, wenn ich das wollte. Wir würden den gesamten Tag zusammen verbringen können, obwohl die beiden ganz sicher eine Menge Stress haben würden.

„Tsubaki scheint es wirklich ziemlich wichtig zu sein, dass du kommst", hatte Azusa nachdenklich gemurmelt. „Klar, es ist ein sehr wichtiger Auftritt für uns und wir bereiten uns schon lange darauf vor, aber ich weiß wirklich nicht, wie er an diese Karte für dich rangekommen ist"

Scheinbar war es selbst für ihn schwierig gewesen, dieses Ticket zu besorgen.

Ich seufzte und legte die Karte zurück auf meinen Schreibtisch. „Ich habe versprochen hinzugehen, wenn er ein Festival ausgesucht hat", antwortete ich Juli. „Ich hätte ja nicht ahnen können, dass er sich ausgerechnet so eins aussucht. Das letzte Mal, als ich mit Yusuke auf so einem Event war, war das eine ganze Hausnummer kleiner und gemütlicher gewesen. Aber da haben sie auch nur Promotion für ein einzelnes Spiel gemacht und nicht für ein gesamtes Firmenjubiläum"

„Mir gefällt das gar nicht, da kann viel zu viel passieren", meckerte mein bester Freund weiter.

„Eigentlich bin ich mit diesem Spezialticket ja etwas sicherer unterwegs", dachte ich laut nach. „Immerhin bin ich die ganze Zeit mit Tsubaki und Azusa zusammen oder ich bin in der Nähe der Bühne und vom Security Personal. Ich sollte mir da glaube ich nicht allzu viele Sorgen machen. Außerdem gehen tausende von Leuten zu solchen Veranstaltungen. Da dürfte man ja nie wieder aus dem Haus gehen, wenn man da ständig drüber nachdenken würde, was alles passieren könnte"

„Ich mache mir eher Sorgen, eben weil du den ganzen Tag mit diesen beiden Raubtieren unterwegs bist. Pass bloß auf, Chii. Unterschätze diese Wölfe niemals, ich kenne deren Hintergedanken!", erklärte Juli in einem ganz professionellen Tonfall.

Ich brummte bloß und verdrehte die Augen. Da hatten wir mal wieder das altbekannte Thema. Er konnte meine Stiefbrüder nicht ausstehen. Und er hatte einen überentwickelten Beschützerinstinkt. Manchmal war ich dankbar dafür, dass Juli kein großer Wachhund war. Sonst könnte ich wahrscheinlich keinen Schritt ohne ihn tun und eine Menge Leute hätten sicher schon Bisswunden davongetragen.

Langsam verdunkelten sich meine Gedanken und mein Bewusstsein dämmerte weg. Ich sank in einen tiefen, ruhigen Schlaf.

Am Tag des großen Auftritts stand ich morgens vor meinem Kleiderschrank und war am Verzweifeln. Wie immer war ich total mit Mode überfordert und Tsubakis Kommentar, dass ich ein Kleid tragen sollte, half mir überhaupt nicht weiter. Welche Art von Kleid? Und welche Farbe? Und hoffentlich hatte ich ein Paar Schuhe, in denen ich den ganzen Tag auch überleben würde.

Die Zwillinge waren schon längst zu ihrer Agentur aufgebrochen, weil sie sich vor dem Auftritt noch mit ihrem Manager treffen sollten. Ich würde die beiden später auf dem Fest treffen. Tsubaki hatte meine Karte handsigniert. Ich sollte sie am Eingang vorzeigen und erklären, dass ich zur Familie gehörte, dann wüssten die schon bescheid und würden mich zum verabredeten Treffpunkt bringen.

Draußen standen schon seit ein paar Stunden zwei Sonnen am Himmel. Es war warm und trocken und ein perfekter Tag für ein Open Air Event. Und für ein hübsches Kleid. Wenn man sich für eins hätte entscheiden können.

Plötzlich fiel mir eine Farbe aus dem Getümmel in meinem Schrank ins Auge, bei der ich sofort lächeln musste. Violett. Genau der schöne, kräftige Farbton, wie in den Augen der Drillinge. Ich zog das Kleid heraus und betrachtete es prüfend. Es hatte hauchdünne Träger, war bis zur Taille schmal gearbeitet und ging dann in einem luftigen leichten Unterteil auseinander. Es war nicht allzu kurz und der Ausschnitt war auch völlig in Ordnung. Der Stoff war recht dünn, aber nicht durchscheinend, sondern einfach nur bei sommerlichen Temperaturen angenehm zu tragen. Eigentlich perfekt, wenn ich es mir recht überlegte.

Schnell schlüpfte ich in das Kleid und suchte mir aus meinem Schuhschrank noch ein Paar silberne Riemchensandalen mit einem leichten, breiten Absatz. Damit würde ich bestimmt keine Probleme mit meinen Füßen bekommen. Gerade als ich mir noch silberne Stecker für die Ohren ausgesucht hatte, klingelte es an meiner Tür und Rui stand davor.

„Guten Morgen, Chii-chan", begrüßte er mich. „Du hast dir ein wirklich hübsches Kleid ausgesucht. Lässt du mich deine Haare machen?"

„Rui", rief ich überrascht. „Ja, gerne, komm rein" Ich winkte ihn herein und Juli begrüßte ihn freundschaftlich.

Klar hatte ich meinen Brüdern erzählt, dass ich mit den Zwillingen auf das Event gehen würde, aber mit dem frühen Besuch des Hairstylisten hätte ich trotzdem nicht gerechnet. Er arrangierte meine braunen Haare zu einer hübschen lockeren Hochsteckfrisur, aus der ein paar Strähnen heraushingen, die er dann mit einem Lockenstab eindrehte. Die gelockten Strähnchen rahmten mein Gesicht hübsch ein und wir entschieden uns gemeinsam noch dazu, ein leichtes Make-up, hellrosa Lipgloss und etwas Wimperntusche aufzutragen.

„So, fertig", sagte Rui zufrieden und schaltete den Lockenstab aus. Sichtlich zufrieden mit seinem Werk lächelte er mich freundlich an. Auch Juli musste zugeben, dass mein Bruder meine Haare immer wieder toll auf die Reihe bekam.

„Vielen Dank, Rui" Ich lächelte zurück und war ebenfalls richtig glücklich mit dem Ergebnis. „Was würde ich nur ohne dich machen?"

Während ich noch schnell die wichtigsten Sachen in eine kleine Umhängetasche einpackte, verabschiedete Rui sich von mir und wünschte mir und den Zwillingen ganz viel Spaß. Ich fand es immer wieder süß, wie er sich darüber freute, wenn er mir die Haare machen durfte und ich mich bei ihm bedankte.

Nach einem schnellen Frühstück, bei dem es von meinen anderen Brüdern ebenfalls Komplimente hagelte und ich verlegen auf mein Essen starrte und mich immer wieder dafür bedankte, machte ich mich auch schon auf den Weg zur Bahnstation. Wie zu erwarten gewesen war, war die Bahn rammelvoll und ich hatte Mühe, an der richtigen Station wieder auszusteigen.

Bis zum Festivalgelände war es nicht weit und ich traf schon auf dem Weg dorthin auf riesige Gruppen von Menschen, die alle in dieselbe Richtung strömten. Die Schlangen am Eingang waren auch ziemlich lang und die Sicherheitschecks recht streng, sodass es eine Ewigkeit dauerte, bis ich endlich an die Reihe kam und mein Spezialticket vorzeigen konnte.

Schnell erklärte ich der älteren, schwarzhaarigen Securitykraft, was Tsubaki mir aufgetragen hatte und sie tastete mich kurz ab und schaute in meine Handtasche, bevor sie mich einem jungen Kollegen mit einem netten Lächeln übergab.

„Hier entlang, bitte" Der Junge trug eine schwarze Kappe und eine Weste mit der weißen Aufschrift `Staff´ und führte mich über ein scheinbar endlos großes Gelände. Bunte Stände mit verführerisch duftendem Essen, kühlen Getränken oder Unmengen von Videospielen oder Merchandising leuchteten mir von allen Seiten entgegen und viele Leute tummelten sich schon auf dem riesigen Platz. Vom Eingang her strömten immer mehr Gäste herein und die warme Sonne strahlte von einem blauen, wolkenlosen Himmel herab. Staunend sah ich mich um, während ich dem Mitarbeiter folgte, der mich zielstrebig auf einen runden Platz mit einer wirklich beeindruckenden Bühne führte. Auf der Bühne wuselten ein paar Leute hin und her, die alle die gleichen Klamotten trugen, wie mein Führer. Sie trugen Equipment hin und her und gestikulierten einander lautstark zu.

Der junge Mann brachte mich in einen abgesperrten Bereich hinter der Bühne und ein paar Ständen, gab mir einen Ausweis, den ich mir um den Hals hängen musste und schickte mich in ein aufgestelltes hellgraues Zelt, dann war er auch schon wieder in der Menge verschwunden.

Neugierig näherte ich mich dem großen Zelt aus dicken Planen und schob mich vorsichtig durch den Eingang. „Entschuldigung, Hallo?", rief ich unsicher als ich eintrat und sofort drehten sich ein paar Leute zu mir um und starrten mich an, inklusive der beiden Brüder, wegen denen ich eigentlich gekommen war.

„Da bist du ja", begrüßte mich Azusa und stand auf, um zu mir zu kommen, aber Tsubaki war schneller und zog mich in eine kurze Umarmung zur Begrüßung.

„Ein wirklich schönes Kleid" Er zwinkerte mir zu und grinste sein Koboldgrinsen.

„Du siehst wirklich süß aus", bestätigte auch sein Zwilling.

Ich lächelte den beiden zu, bedankte mich brav und freute mich wirklich ziemlich über mich selbst, dass ich gar nicht rot angelaufen war, so wie sonst. Wenigstens die anderen Leute in dem Zelt schenkten mir keine Beachtung mehr, seit die Zwillinge sich zu mir gesellt hatten. Ich wurde quasi schweigend akzeptiert.

„Okay, dann lasst uns auf ein Date gehen", schlug Tsubaki wie selbstverständlich vor und stieß seinen Bruder mit dem Ellenbogen an. „Was meinst du?"

Azusa nickte und sagte noch schnell jemandem Bescheid, dass die beiden jetzt für eine Weile unterwegs sein würden.

„Seid aber pünktlich zu eurem Auftritt wieder da. Und denkt dran, dass ihr vorher noch in die Maske müsst", rief eine junge Frau mit tollen roten Locken hinter den beiden her, als sie sich zusammen mit mir aus dem Zelt drückten.

Bewaffnet mit den schwarzen ärmellosen Westen und den Schildkappen der Mitarbeiterkleidung, zogen mich die beiden mit hinter einen Stand und `verwandelten´ sich in scheinbar ganz normales Personal, bevor jeder eine meiner Hände in seine nahm und wir gemeinsam über das Fest liefen.

Am Anfang war es merkwürdig in der Mitte von den beiden und mit verschränkten Fingern wie bei einem richtigen Date über so ein Event zu laufen, aber nach und nach gewöhnte ich mich daran. Ich entspannte mich immer mehr, wir lachten viel und irgendwann fühlte ich mich richtig wohl und konnte den schönen Tag sehr genießen. Ein bisschen fühlte es sich wie damals an, als wir zusammen im Vergnügungspark gewesen waren und ich lächelte in mich hinein. Seitdem hatte sich so viel verändert und doch wieder nicht.

Zusammen zogen wir über den gesamten Platz und schauten uns alles an. Je mehr ich anfing, mich für die Videospiele und die Fanartikel zu begeistern und mir von den beiden Essen und Trinken ausgeben ließ, desto mehr schienen die beiden zu strahlen. Besonders Tsubaki leuchtete wie eine Glühbirne von innen heraus. Am laufenden Band riss er blöde Witze, gab sarkastische Kommentare zu den Klamotten und Frisuren von irgendwelchen Leuten ab, die wir überhaupt nicht kannten und ständig stand er mit anderen Süßigkeiten vor uns und drückte uns etwas in die Hand, was wir probieren sollten.

„Ich habe ihn noch nie so nervös erlebt", kommentierte Azusa irgendwann leise, als der Weißhaarige mal wieder an einem Stand hängen geblieben war.

Ich warf ihm einen total überraschten Blick zu. Auf mich wirkte er ausgelassen und fröhlich.

Azusa lächelte. „Er überspielt es wirklich gut", erklärte er ohne Aufforderung meinerseits. „Aber es ist nicht nur Freude, was du dieses Mal siehst. Natürlich ist er glücklich, dass du wirklich gekommen bist, genau wie ich auch. Aber gleichzeitig will er jetzt noch mehr als vorher alles perfekt hinbekommen"

„Und bist du auch nervös?", fragte ich verständnisvoll.

„Sicher", räumte er ohne zu zögern ein. „Es ist ein sehr wichtiger Auftritt für uns beide und für die Firma. Und auch mit einer Menge Erfahrung verschwindet das Lampenfieber nie vollständig, aber ich weiß auch, dass du an uns glaubst. Und selbst wenn wir da oben gleich einen Fehler machen würden, würdest du uns das sicher nicht vorwerfen"

„Natürlich nicht", rief ich empört.

Azusa lächelte und strich mir eine gelockte Strähne hinters Ohr. „Siehst du, das gibt mir Kraft. Du wärst wahrscheinlich die Einzige hier, die nicht von uns enttäuscht wäre. Du würdest uns Mut machen und uns aufbauen, während unser Manager uns eine Standpauke halten würde" Er sah hinüber zu Tsubaki, der gerade seine Bestellung aufgab. „Er weiß das auch, aber er ist eben ein kleiner Angeber. Er will dir zeigen, wie gut er das hier auf die Reihe bekommt und wie lässig er das Ganze wegsteckt. Er macht auf cool, wie immer. Du kennst ihn ja mittlerweile"

Ich lachte und nickte. „Ich bin sicher, ihr bekommt das heute beide richtig gut hin. Ich werde euch auf jeden Fall die Daumen drücken und sehr gut zusehen und zuhören"

Der Zwilling sah mich lange an und wollte gerade etwas erwidern, als Tsubaki dazwischen platzte und die drei riesigsten Softeistüten in den Händen hielt, die ich jemals gesehen hatte.

„Schaut doch mal", rief er total begeistert. „Das ist das beste Softeis der Welt, garantiert!"

Er drückte Azusa Schokolade in die Hand, behielt selbst Vanille und mir gab er das zweifarbige aus beidem und grinste. Das freudige Glitzern in seinen violetten Augen war ansteckend und ich probierte belustigt.

„Oh, das ist wirklich richtig gut!", stellte ich fest.

„Sag ich doch!", freute sich der übermotivierte Synchronsprecher. „Und was möchtest du als Nächstes?", fragte er mich und schnappte sich wieder meine Hand, um seine Finger mit meinen zu verschränken.

Seine kindliche Freude und Euphorie waren wirklich schön und ansteckend. Ich mochte es, ihn und Azusa lachen zu sehen. Aber ich wollte ihm auch seine Nervosität ein bisschen nehmen und ihn beruhigen. Mir tat es leid, dass ich es nicht von Anfang an bemerkt hatte, unter welchem Druck die beiden eigentlich standen. Also drückte ich Tsubakis Hand und versuchte mich ganz auf die beiden einzulassen.

„Zuckerwatte", antwortete ich ehrlich. Ich liebte das pappige Zeug und wusste selbst nicht genau, wieso.

„Ach, ich wusste einfach, dass du mich verstehst", schwärmte der Weißhaarige in einem verträumten Tonfall und schielte dann zu seinem Bruder. „Und du?"

Der schüttelte nur den Kopf. „Bei dem Zeug passe ich" Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. „Wir müssen dann auch langsam zurück zur Bühne"

Sein Zwilling murrte bloß und hielt meine Hand noch ein bisschen fester. Ich drückte wieder entgegen, in der Hoffnung, ihn etwas zu erleichtern.

„Wow, die sind ja riesig", staunte ich, als wir an einem Stand mit Zuckerwatte angekommen waren. Der Verkäufer reichte gerade überdimensionale Portionen an ein paar kleine Kinder weiter. „Das schaffe ich nach dem Mittagessen und dem Eis auf gar keinen Fall!" So gerne ich die klebrige rosa Masse auch hatte, das war wirklich zu viel des Guten.

„Dann teilen wir", entschied Tsubaki einfach und schob mich neben Azusa. „Warte hier"

Als ich ihm hinterher blickte und einfach nicht aufhören konnte, zu kichern, warf mir der Dunkelhaarige ebenfalls einen belustigten Blick zu. „Es ist wirklich schön, euch beide so zu sehen", sprach ich meine Gedanken laut aus.

„Es ist auch schön, dich so zu sehen", gab er genauso freimütig zurück.

„Oh man, du hattest recht, die sind wirklich gigantisch" Tsubaki kam tatsächlich mit der größten Zuckerwatte wieder zurück, die ich jemals gesehen hatte.

Auf dem Weg zurück zur Bühne teilten wir uns den großen pinken Ballon aus süßer Masse und tatsächlich ließ sich dann auch Azusa dazu überreden ein paar Bissen zu nehmen. Allerdings war er nicht halb so begeistert wie sein Bruder oder meine Wenigkeit.

Die Zwillinge brachten mich bis direkt vor die Bühne und parkten mich quasi in der allerersten Reihe.

„Bleib genau hier stehen, dann bekommst du alles gut mit und kannst auch gut sehen", wies mich Azusa an und ich nickte gehorsam.

„Vor allem können wir dich auch gut sehen von da oben aus", grinste Tsubaki und deutete auf die Bühne. „Das Programm dürfte jeden Moment losgehen Wir müssen nochmal in die Maske, aber ich glaube wir sind auf dem dritten oder vierten Platz, wenn ich mich richtig erinnere"

„Wir kommen dich nachher dann wieder abholen", fügte der dunkelhaarige Zwilling noch hinzu, bevor sich die beiden von mir verabschiedeten.

„Viel Glück", rief ich ihnen hinterher. „Ich drücke euch die Daumen!"

Beide warfen mir noch einen letzten Blick über die Schulter zu und hoben die Hand, dann waren sie hinter den Ständen in Richtung Zelt verschwunden.

Das Bühnenprogramm begann damit, dass ein paar wichtige Leute, wie Produzenten und Vorstandsmitglieder der Firma ein paar eröffnende Worte sprachen, allen Beteiligten und besonders den vielen Fans ihren Dank aussprachen und geplante neue Projekte vorstellten. Dabei wurden auch die Gäste vorgestellt, die heute extra angereist waren, um auf dem Festival dabei zu sein. Darunter natürlich Tsubaki und Azusa und einige andere der bekannteren Synchronsprecher, aber auch die Live Band, die heute spielen würde und der DJ, die an einigen Musikstücken in den Spielen beteiligt gewesen waren. Ebenfalls vorgestellt wurden ein paar Sponsoren, bei denen sich auch noch einmal überschwänglich bedankt wurde.

Das Ganze endete dann damit, dass noch über zukünftige Zusammenarbeiten mit ein paar Popstars und Synchronsprechern von neuen Anime Shows, die gerade erst auf den Markt gekommen waren gesprochen wurde. Dann wurde den Leuten viel Spaß mit dem Programm und der darauf folgenden Party gewünscht.

Das Programm war wirklich gut. Nach den Reden traten zuerst vier Synchronsprecher auf, die eine Szene aus einem der neuesten Computerspiele nachspielten. Es war wirklich professionell aufgezogen. Sie trugen die Kostüme ihrer jeweiligen Rollen und soweit ich es beurteilen konnte hielten sie sich genau an den Text aus dem Spiel. Ich war eher auf Konsolen als auf Computerspiele spezialisiert. Danach spielte die Band drei Titelsongs, die sie extra für die Spiele produziert hatten und die Menge rastete förmlich aus und verlangte nach einer Zugabe, die wir aber erst nach dem eigentlichen Programm bekommen sollten. Es war die gleiche Band, die auch für die Livemusik zuständig war.

Nach einer kurzen Pause hielt unser Bürgermeister eine kurze Ansprache, wie geehrt er sich fühlte, dieses Event ausrichten zu dürfen. Er wünschte dem Vorstandsvorsitzenden weiterhin viel Glück, Gesundheit und Erfolg und sprach seine Glückwünsche zum Jubiläum aus.

Und dann waren endlich meine beiden Brüder an der Reihe. Ihr Auftritt war einsame Spitze. Sie strahlten wie echte Superstars auf ihrer Bühne und einmal mehr bemerkte ich, wie sehr ich ihre Stimmen eigentlich mochte, besonders wenn sie sie einsetzten, um die Leute zu begeistern. Mit viel Witz und ihrem einzigartigen Charme trugen sie ein paar Fakten über einige Spiele vor, die schon erschienen waren und machten eine großartige Werbeshow daraus. Das Publikum lachte und klatschte. Die Stimmung war ausgelassen und fröhlich und alle konzentrierten sich bloß noch auf die beiden, einschließlich mir. Danach machten sie eine super Promotion für ein neues Konsolenspiel, das bald veröffentlicht werden sollte und knüpften damit an die erste Rede an, die gehalten worden war und nur einige Einblicke geliefert hatte.

Als die beiden sich schließlich für den Abend verabschiedeten, kam es mir vor, als wären bloß ein paar Wimpernschläge vergangen. Die Acts, die danach noch kamen waren zwar alle professionell und wirklich genauso gut, wie die vorangegangenen, aber ich konnte mich trotzdem nicht so sehr darauf konzentrieren. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab und ich persönlich fand, dass niemand an Azusa und Tsubaki herankam. Nicht nur, weil wir eine Familie waren, sondern weil ich einfach von ihrer Ausstrahlung so begeistert gewesen war.

Das Bühnenprogramm lief noch eine ganze Weile, bis es schon leicht dämmerte. In der Umbaupause, die danach folgte, damit später die Band auftreten konnte, kamen wie versprochen meine beiden Begleiter wieder, um mich abzuholen.

„Und, wie hat es dir gefallen?", fragte Tsubaki mich sofort, bevor ich auch nur Luft holen konnte.

„Ganz großartig!", sagte ich mit ehrlicher Begeisterung. „Ihr habt richtig gestrahlt da oben, ich war wirklich beeindruckt"

Die beiden tauschten einen teils erstaunten, teils erfreuten Blick miteinander und schenkten mir dann ihr Lächeln. Dieses Mal nur für mich.

„Na dann hat sich die ganze Arbeit ja wenigstens gelohnt" Der Weißhaarige verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er wirkte jetzt tatsächlich noch ein bisschen lockerer als vor dem Auftritt.

Azusa nickte. „Ich bin froh, dass jetzt auch für uns der gemütlichere Teil anfängt. Du bleibst doch für die Party, oder?"

Ich nickte feierlich. Ich hatte mir vorgenommen, bis ganz zum Schluss dabei zu bleiben, auch wenn es ein wirklich langer Tag werden würde.

„Klasse, ich gehe uns was zu trinken besorgen", erklärte Tsubaki, aber Azusa hielt ihn am Arm zurück.

„Tsubaki…" Seine Stimme hatte einen warnenden Unterton angenommen und er sah seinen Zwilling sehr eindringlich an. „Denk bitte an das, was wir vorhin besprochen haben…"

„Ja, ja", machte der bloß und winkte ab. Dann war er in der Menge verschwunden und ließ seinen seufzenden Bruder und mich alleine zurück.

„Stimmt etwas nicht?", fragte ich leicht beunruhigt. So ernst gingen die beiden normalerweise nur miteinander um, wenn es wirklich wichtig wurde.

Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf und versuchte mich zu beruhigen. „Du kennst ihn doch" Er schien abzuwägen, wie viel er mir erzählen konnte. „Ich habe ihm vorhin gesagt, dass er dir erstens keinen Alkohol geben soll und dass wir zweitens heute die Verantwortung dafür tragen, dass du sicher mit uns wieder zu Hause ankommst. Er sollte sich wirklich etwas zurückhalten"

Ich kicherte erleichtert. Azusas Vernunft und Weitsicht waren immer wieder beeindruckend. Er wirkte so erwachsen in manchen Momenten und das gab mir auch ein Gefühl der Sicherheit. „Du musst dir keine Sorgen machen, ich mag überhaupt keinen Alkohol", versicherte ich ihm.

„Wenigstens eine von uns", gab der Zwilling zurück. „Wahrscheinlich wird es sowieso darauf hinauslaufen, dass ich mir später darüber Gedanken machen muss, wie ich einen sturzbetrunkenen Tsubaki zurück zur Residenz bekomme"

„Ich könnte dir ja tragen helfen", bot ich an und musste ein neuerliches Kichern unterdrücken, weil ich mir bildlich vorstellte, wie Azusa und ich versuchten, einen torkelnden Tsubaki nach Hause zu tragen.

Wenigstens brachte ich ihn damit zum Lachen. Wahrscheinlich hatte er sich genau dasselbe vorgestellt.

„Lass ihn doch ruhig, er freut sich so", setzte ich hinzu. „Wir bekommen das schon irgendwie hin. Schließlich sind wir zu zweit. Aber du solltest auch etwas feiern"

Azusa lächelte. „Das ist lieb von dir. Aber ich kann mich zurückhalten"

Als gerade die Lichter an der Bühne ihre Farbe wechselten und die Bandmitglieder unter tosendem Applaus wieder die Bühne betraten, quetschte sich Tsubaki wieder zu uns nach vorne durch und hielt einen Plastikhalter mit drei Bechern in der Hand. Darin schwappten bunte Flüssigkeiten hin und her, die mit Früchten, kleinen Schirmchen und grellen Strohhalmen garniert waren. Er drückte Azusa und mir jeweils einen Becher in die Hand und stellte den Halter vor uns auf dem Boden ab. Ich konnte sehen, dass es in den Bechern der Zwillinge blau schimmerte. Mein Getränk war hellorange. Ich schnupperte vorsichtig daran, aber es roch bloß fruchtig und süßlich.

„Das ist Mangosaft", rief Tsubaki mir über die laute Musik hinweg zu und ich nickte als Zeichen, dass ich ihn verstanden hatte. Wir stießen alle drei an und ich probierte den hübsch angerichteten Fruchtsaft. Er war wirklich gut und auch ganz sicher ohne Schuss. Azusa warf mir einen forschenden Blick zu und ich nickte bloß unauffällig, was ihn zum Grinsen brachte.

Die Band spielte dieses Mal keine Titelsongs von Videospielen, sondern die Songs ihres neuen Albums, das vor zwei Monaten erschienen war. Ich hatte davon noch nicht viel mitbekommen, aber nach den ersten beiden Liedern fand ich es ziemlich gut. Ein paar der Leute tanzten und hüpften herum, einige waren jetzt schon betrunken.

Nachdem die Band ihren letzten Song angekündigt hatte, war es schon dunkel und überall auf dem Fest waren die Lichter angegangen. Auch die Lightshow, die von der Bühne kam fesselte mich, genau wie die Musik. Neben meinen Brüdern fühlte ich mich wohl und sicher und wir hatten gemeinsam eine Menge Spaß, allerdings hatte Azusa darauf bestanden, dass er die Getränke holen ging.

Nach einer weiteren kurzen Umbaupause löste der DJ die Live Band ab und das gesamte Event verwandelte sich vor meinen Augen zu einer Art Outdoorclub. Der Platz vor der Bühne wurde nun als Tanzfläche benutzt und die meisten Verkaufsstände hatten geschlossen, ausgenommen die, die Snacks und Getränke verkauften. Am meisten los war natürlich an den Buden, wo man Cocktails und andere alkoholische Getränke kaufen konnte.

Die Zwillinge und ich standen etwas abseits zusammen und hatten uns einen Stehtisch gesichert, auf dem unsere Getränke standen. Fasziniert ließ ich meinen Blick immer wieder über die Menge, die Bühne und die vielen Lichter schweifen. Der DJ machte einen guten Job. Die meisten Songs erkannte ich sofort und das Publikum nahm es auch super auf. Die Tanzfläche war vollgestopft mit Menschen.

Zwischendurch verschwand immer mal einer von den beiden, weil sie jemanden in der Menge entdeckt hatten, den sie kannten oder weil tatsächlich jemand sie erkannte hatte. Meine Brüder trugen ihre Verkleidungen nicht mehr, aber in der Masse fiel das gar nicht besonders auf. Auch die anderen Leute, die heute aufgetreten waren, sollten hier irgendwo unters Volk gemischt feiern, hatte ich mir sagen lassen. Ab und zu gab man mal das ein oder andere Autogramm, aber keiner wurde belagert. Ich hatte auch schon seit einer Weile keine Presseleute mehr bewusst wahrgenommen. Alles verschwamm zu einer einzigen großen feiernden Menschenmenge.

Allerdings wunderten Azusa und ich uns schon etwas, als Tsubaki irgendwann gar nicht mehr wiederkam. Er war schon eine ganze Weile verschwunden und der Dunkelhaarige wollte ihn gerade suchen gehen, als mich jemand stürmisch von hinten umarmte und kurz hoch hob.

Ich stieß einen kleinen überraschten Schrei aus, beruhigte mich aber wieder, als mir eine Hand, die mich umschlungen gehalten hatte plötzlich etwas entgegen streckte. Es war ein kleines gelbes Küken an einem weißen Plastikstiel und es war in einer Folie verpackt. Als ich es annahm und draufdrückte, war es ganz weich.

„Zuckerwatte", murmelte mir der Weißhaarige in mein Ohr und seine Haare kitzelten mich, weil er so nah kam. „Die magst du doch" Er stand hinter mir und hielt mich weiterhin fest.

„Wie süß!", rief ich und versuchte mich in der Umarmung umzudrehen, was gar nicht so einfach war. „Danke, Tsubaki" Ich schaffte es bloß, einen halben Blick über die Schulter zu werfen. „Wo hast du das denn her?"

Da ließ er mich los, sodass ich mich umdrehen konnte und wedelte mit dem einen Arm vage in eine Richtung. „Von da drüben irgendwo" Seine Stimme klang irgendwie leicht undeutlich und als er mich angrinste wusste ich auch, warum. Seine Wangen waren gerötet und sein Blick leicht glasig. Er hatte eindeutig genug. Noch ein paar Gläser mehr und er hätte zu viel. „Glaub ich zumindest", fügte er unsicher hinzu und kicherte.

„Wo warst du denn die ganze Zeit?", fragte Azusa. Ich konnte seine Mimik nicht richtig deuten. Irgendwie schwankte sie zwischen Belustigung und Resignation. Beinahe konnte ich das `Ich hab dir doch gesagt…´ schon hören, aber er beließ es dabei. Sein Bruder würde ihn wohl auch so verstehen.

Der für seinen Teil legte ihm bloß einen Arm um die Schultern und grinste noch breiter als zuvor. „Hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht?", neckte Tsubaki seinen Zwilling. „Das finde ich aber süß von dir" Aber Azusa schüttelte nur den Kopf und seufzte. Wenn er sich wirklich jedes Mal Sorgen um seinen Zwilling machen würde, hätte er sicher bereits graue Haare und einige Falten.

Tsubaki lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Tanzt du mit mir?", fragte er total unverblümt und hatte mein Handgelenk schon gepackt, bevor ich auch nur einen Ton gesagt hatte. Recht zielstrebig für seinen Zustand zog er mich einfach hinter sich her.

„Hey, warte mal", protestierte ich und versuchte mich zu befreien. „Ich kann überhaupt nicht tanzen!"

Mein Bruder zuckte mit den Schultern und zwinkerte mir zu. „Ich auch nicht", meinte er bloß.

Hilfesuchend warf ich Azusa einen Blick zu, aber der winkte uns nur fröhlich hinterher und behielt uns wohl im Blick. Anstalten mich zu retten machte er keine.

Auf der Tanzfläche angekommen ließ ich mich einfach von dem Zwilling mitziehen. Übermütig wirbelte er mich herum und wir hüpften und lachten mehr als das wir wirklich tanzten. Zu meinem Glück, denn ich hatte nicht gelogen. Ich konnte kein bisschen tanzen. Als dann ein etwas langsameres Lied angespielt wurde, zog er eine beinahe beleidigte Schnute, schloss mich aber dennoch in eine weitere Umarmung.

„Komm mit, ich zeig dir was Schönes" Tsubaki zeigte mit dem Finger an der Bühne vorbei in eine Richtung, wo ich bloß die Absperrung des Geländes ausmachen konnte und ein paar Bäume. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, aber er hatte sich schon wieder meiner Hand bemächtigt und nahm mich einfach mit.

Er half mir weiter hinten über die Absperrung zu klettern. Dahinter stieg das Gelände ziemlich steil zu einem Hügel an, den wir bis nach oben erklommen. Ganz oben angekommen nahm Tsubaki mich an den Schultern und drehte mich sanft in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

Staunend ließ ich meinen Blick über das Festivalgelände schweifen. Die tanzenden verschiedenfarbigen Scheinwerfer der Bühne malten verspielte Muster in die Dunkelheit und die Lichter der noch betriebenen Stände funkelten wie Sterne.

„Es ist wunderschön!", sagte ich atemlos.

„Ja, ist es", bestätigte Tsubaki, aber als ich ihm einen schnellen Seitenblick zuwarf, sah er mich an, nicht das Gelände weiter unter uns. Er fing meinen Blick auf und seine Miene veränderte sich, wurde beinahe wehmütig. Er musterte mich eine Weile auf diese Weise, bevor er schließlich auf mich zutrat.

„Ich wollte mich bei dir bedanken", murmelte er und kickte mit einem Fuß ein paar Steinchen umher. „Dafür, dass du gekommen bist. Ich hab mich echt gefreut" Er sah mir in die Augen und lächelte, aber das Lächeln wirkte unsicher, so gar nicht typisch für den Weißhaarigen.

Ich schüttelte den Kopf und wollte schon etwas dazu sagen, hoffentlich etwas, das ihn wieder aufheitern würde, aber er griff nach meiner Hand und unterbrach mich.

„Und mir tut's leid" Er bemühte sich wirklich sehr, deutlich zu sprechen und mich dabei gerade anzugucken. „Ich wollte dir nie wehtun, ich hoffe, dass du mir das glaubst"

Geschockt starrte ich ihn an. Was war denn das plötzlich für eine Wandlung? Es war das Letzte, womit ich heute gerechnet hätte. Außerdem machte ich ihm überhaupt keine Vorwürfe. „Tsubaki...", setzte ich vorsichtig an, um mich zu erklären, aber er ließ es erneut nicht zu und drückte meine Hand.

„Nein, bitte, lass mich ausreden", bat er mich und ich schwieg. „Versteh mich nicht falsch, mir tut es überhaupt nicht leid, dass ich dich geküsst hab oder dass ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe. Das war alles vollkommen ernst gemeint und dafür werde ich mich nie im Leben entschuldigen. Was mir leidtut ist, dass ich deine Gefühle verletzt habe. Ich war egoistisch und aufdringlich und ich habe dir sogar Angst eingejagt, sodass Azusa mich von dir fernhalten musste. Ich hab überhaupt nicht an deine Gefühle gedacht und das Schlimmste daran ist, dass ich mich immer noch nicht richtig im Griff habe" Er verzog das Gesicht. Es quälte ihn wirklich und ich wünschte mir so sehr, ihm diese Last nehmen zu können.

„Ich hatte noch nie Angst vor dir", platzte das Erstbeste aus mir heraus, was mir dazu einfiel und erntete dafür einen mehr als nur erstaunten Blick aus den violetten Augen meines Bruders. „Ich weiß ganz genau, dass du mir nie etwas antun würdest, ich vertraue dir. Außerdem..." Ich holte tief Luft und versuchte die heiße Röte zu ignorieren, die mir in den Kopf schoss. „A-außerdem ist von einem Kuss schließlich noch niemand gestorben", wiederholte ich Hikarus Worte und klang dabei nicht halb so überzeugend.

Da trat er noch näher an mich heran und sah auf mich hinunter. Ich musste den Kopf ganz leicht anheben, weil er größer war als ich. „Wie machst du das bloß immer?", fragte er leise, aber eindringlich. „Wie sagst du immer genau das, was man hören will?"

Und noch bevor ich überhaupt richtig verarbeiten konnte, was er da gerade gesagt hatte, hatte er sich zu mir herunter gebeugt und seine Lippen auf meine gelegt. Irgendwie hatte ich in den letzten paar Minuten damit gerechnet, aber so selbstsicher, wie ich gerade versucht hatte zu tun war ich noch lange nicht. Mein Magen vollführte Purzelbäume, mein Herz setzte einen Schlag aus, bevor es anfing zu rasen und mein Gesicht fühlte sich an, als würde es in Flammen stehen.

Trotzdem war es anders als sonst. Einen Arm hatte er locker um meine Mitte geschlungen und die andere Hand lag warm und sanft in meinem Nacken, dennoch war der Kuss federleicht. Tsubaki war nicht wirklich aufdringlich, so wie er es die letzten Male gewesen war. Dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass er mir absichtlich Raum ließ, um mich vor ihm zurückzuziehen.

Ob es nun diese Tatsache war oder meine Entschlossenheit, mich zu ändern oder etwas ganz anderes, wusste ich hinterher nicht mehr, aber ich entspannte mich. Kaum zu glauben bei all den heftigen körperlichen Reaktionen, aber dieses Mal löste sich meine anfängliche Anspannung. Ich schaffte es sogar, meine eigenen Arme um Tsubaki zu legen und als hätte ich einen unsichtbaren Schalter umgelegt, zog er mich plötzlich ganz fest an sich und vertiefte unseren Kuss.

Ein tiefer Seufzer drang aus seiner Kehle und seine Hand begann meinen Rücken hoch und wieder runter zu wandern. Da ich überhaupt keine Ahnung vom Küssen hatte und darüber hinaus auch nicht unbedingt in der Lage war, mir gerade über so etwas Gedanken zu machen, ließ ich ihn einfach gewähren und hielt mich weiterhin an ihm fest. Irgendwann registrierte ich noch, dass er ziemlich gut nach Minze schmeckte, was ich entweder auf ein Bonbon oder ein Kaugummi zurückführte, aber was den Rest betraf, verweigerten meine grauen Zellen mir den Dienst.

Als er sich dann irgendwann ganz langsam und fast wiederwillig von mir löste, hatte ich das Gefühl eine Ewigkeit nicht geatmet zu haben und schnappte nach Luft. Der Weißhaarige stieß ebenfalls schwer die Luft aus und legte seine Stirn an meine. Er hatte mich nicht losgelassen. Und als ich feststellte, wie er so selig und verträumt vor sich hin lächelte, traf mich die Realität wie ein Schlag in die Magengrube.

Was hatte ich gerade getan? Ich hatte mich einfach auf ihn eingelassen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Wahrscheinlich machte er sich jetzt Hoffnungen. Das, wofür er sich eben noch reumütig bei mir entschuldigt hatte, hatte ich jetzt in Perfektion wiederholt.

„Tsubaki...", setzte ich leicht panisch an und war heilfroh, dass meine Stimme nicht zitterte, aber er fuhr mir mit seinem Finger über die Lippen.

„Shht", machte er bloß. „Ich weiß"

„Weißt du, ich glaube ich sehe es als kleine Chance", murmelte er leise weiter. „Etwas an dir hat sich verändert und vielleicht gibst du ja einem von uns die Gelegenheit dazu, ein Teil dieser Veränderung zu sein. Oder du entscheidest dich ganz anders. Egal, wie es letztendlich ausgeht, wichtig ist, dass du glücklich bist" Er strich mir eine meiner gelockten Strähnen hinters Ohr und als er dann einen Schritt zurück trat, empfand ich beinahe so etwas wie Verlust. „Ich glaube ja, dass du gerade dabei bist herauszufinden, was du wirklich willst. Diese Familiengeschichte hat dir keiner so richtig abgenommen. Natürlich war es das, was du ehrlich empfunden hast, du hast uns nicht belogen. Aber so, wie du dich zurzeit verhältst zeigt mir, dass du ziemlich verwirrt bist, was deine eigenen Gefühle angeht. Ich hoffe, du findest deinen Weg. Mit oder ohne einem von uns"

Nach seinen Worten traten mir Tränen in die Augen, ohne genau zu wissen, warum. Er zeigte mir so viel Verständnis, obwohl es ihm genauso wehtun musste. Er zog in Erwägung, dass er nicht derjenige sein würde, der an meiner Seite sein würde, was bedeutete er müsste zusehen, wie es einem seiner Brüder gelingen würde. Oder keinem von ihnen. Immerhin gab es nicht nur meine Stiefbrüder auf dieser Welt und ich ging aufs College. Unglücklich betrachtete ich meine Hände und zupfte an meinen Fingernägeln.

„Hey, jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht" Tsubaki nahm mein Kinn und hob meinen Kopf an, sodass ich ihn ansehen musste. „Egal, wie du dich entscheidest, ich will es auf jeden Fall wissen, okay? Und wenn eine zweite Abfuhr draus wird, dann werde ich damit leben und dich dieses Mal auch in Ruhe lassen, versprochen" Ich war bloß zu einem Nicken fähig. Wahrscheinlich starrte ich ihn so fassungslos an, wie ich mich fühlte. Das alles ausgerechnet von Tsubaki zu hören war merkwürdig und mehr als unerwartet für mich.

„Aber heute hast du mich wirklich mehr als glücklich gemacht", setzte er nach einer kleinen Pause hinzu. „Deswegen brauchst du auch kein schlechtes Gewissen zu haben. Und weißt du was? Ich hab auch keins" Und damit drückte er mir noch einen schnellen Kuss auf die Lippen, bevor er mich wieder an der Hand nahm. „Jetzt lass uns zurück zu Azusa gehen, bevor er die Bullen ruft"

Allerdings sah Azusa nicht besonders besorgt aus, als wir wieder an dem Stehtisch ankamen. Im Gegenteil, ein paar andere Leute hatten sich zu ihm gesellt und sie unterhielten sich ausgelassen miteinander. Eine Weile blieben wir noch bei der lustigen Runde, bis wir beschlossen, ein Taxi nach Hause zu nehmen. Es war schon sehr früh am nächsten Morgen und die letzte Bahn hatten wir sowieso verpasst und wir wollten auch niemanden anrufen und aufwecken, damit man uns abholen kam.

Ich stellte immer wieder fest, wie praktisch es war, einen Fahrstuhl zu haben. Da Tsubaki schon im Taxi auf meiner Schulter einschlief, hatten Azusa und ich ziemlich unsere Mühe damit, ihn wieder halbwegs wach und in sein Zimmer zu bekommen. Und da er immer noch betrunken war, war es genauso schwierig ihn davon zu überzeugen, dass ich nicht bei ihm bleiben konnte. Dabei war eine von Azusas berühmten Kopfnüssen mal wieder sehr hilfreich.

Der Dunkelhaarige begleitete auch mich noch bis zu meinem Zimmer, gab mir einen Kuss auf die Stirn und bedankte sich noch einmal bei mir für den schönen Abend, bevor er sich selbst in sein eigenes Zimmer zurückzog.

Ich selbst brauchte eine ganze Weile, bis ich mich beruhigt hatte. Leise zog ich mich um und schlüpfte in mein Bett. Da es schon drei Uhr morgens war, lag Juli schon längst auf meinem Kissen und schnarchte, sodass ich ihn vorsichtig zur Seite schieben musste, um mich selbst hinzulegen.

Noch lange, nachdem ich meine Augen geschlossen hatte, wirbelten Gedanken und Erinnerungsfetzen an das Event durch meinen erschöpften Geist, aber ich hatte nicht mehr die Kraft und die Konzentration, mich auf etwas Bestimmtes zu fokussieren.

Irgendwann wurde es schließlich doch dunkel um mich herum und ich war so erledigt, dass ich sogar das Frühstück verpasste und bis zum Mittag durchschlief.