Kapitel 8: Fuuto – Ein aufregendes Konzert & überraschende Ehrlichkeit

Bis ich endlich am Bahnhof und in der Bahn angekommen war, die mich zwei Stunden lang durch die Gegend gondeln würde war ich abgehetzt, klamm und ich fror. Zum gefühlt dreiundzwanzigsten Mal kontrollierte ich meine Handtasche, ob ich auch nichts vergessen hatte. Handy, Schlüssel, Ticket, Geldbörse und meinen hellrosa Lipgloss, der nach Erdbeeren roch. Warum ich den mitgeschleppt hatte, wusste ich gar nicht mehr. Aber viel mehr passte auch nicht in die kleine weiße Umhängetasche aus Kunstleder.

Dass es allerdings angefangen hatte zu regnen, als ich erst die Hälfte des Weges zu der Bahnstation zurückgelegt hatte, war nicht abzusehen gewesen. Morgens war der Himmel klar und blau gewesen, also hatte ich mich dementsprechend gekleidet. Ich trug einen weißen Rock mit schwarzen Punkten, schwarze Kniestrümpfe, meine weißen Ballerinas und eine langärmlige aber dünne pastellrosa Bluse. Und mir war kalt. Das würden schöne zwei Stunden werden. Wenigstens hatten dann meine Haare, die ich heute offen trug, Zeit wieder trocken zu werden. Bis ich an der Konzerthalle angekommen wäre, würde ich wahrscheinlich furchtbar aussehen. Wie ein begossener Pudel. Trotzdem freute ich mich darauf und war hypernervös.

Ich wusste noch nicht, was mich erwartete, als ich an der riesigen Halle ankam, aber kurz vor dem Eingang wurde ich plötzlich abgefangen. Ein großgewachsener Mann mit Sonnenbrille stand vor mir und schenkte mir ein blendend weißes Lächeln. „Bist du Fuutos große Schwester?", fragte er im freundlichen Plauderton und ich nickte total überrumpelt, bis er mir erklärte, dass er sein Manager sei und auf mich gewartet hätte. Noch überraschter verbeugte ich mich und bedankte mich überschwänglich bei ihm für die Karte, die er mir per Einschreiben hatte zukommen lassen. Aber er winkte bloß ab und nahm mich mit hinein.

„Ich wollte, dass du ihn vorher wenigstens kurz sehen und ihm Glück wünschen kannst", erklärte der Manager sachlich, aber nicht unhöflich. „Er benimmt sich merkwürdig in letzter Zeit. Nimms mir nicht übel, aber diese Nachricht, die er dir über seine Liveshow hat zukommen lassen, war nicht gerade förderlich für sein Image. Die Presse hat einen Schwesternkomplex daraus gestrickt, kannst du dir das vorstellen? Eine Frechheit!"

„Das tut mir leid, das wusste ich nicht", antwortete ich bestürzt. „Dann wäre es vielleicht besser gewesen, ich wäre nicht hergekommen…"

Er schüttelte den Kopf. „Keiner weiß wer du bist, wir schützen die Familie und seinen Nachnamen ja nicht umsonst. Ich erhoffe mir davon, dass er etwas zur Vernunft kommt. Teilweise ist er wirklich unerträglich im Moment, weiß der Teufel, was den Jungen plötzlich geritten hat"

Fuutos Manager führte mich an der Tür vorbei, durch die die breite Masse strömte und wir beschrieben einen leichten Bogen durch das Foyer der Halle, bis wir vor einer nobel aussehenden Tür ankamen, an die er ohne zu zögern klopfte.

„Was ist jetzt schon wieder?", kam es gereizt von hinter der Tür und ich erkannte seine Stimme sofort. „Könnt ihr mich nicht mal vor einem Auftritt ein paar Minuten in Ruhe lassen?"

Sein Manager warf mir einen Blick zu, der deutlich zeigte `ich hab's dir ja gesagt´ und seufzte angespannt. „Fuuto, ich bin's nur", rief er zurück. „Ich hab dir eine Überraschung mitgebracht"

Ein Poltern war zu hören, dann wurde die Tür ungeduldig aufgerissen und Fuuto erschien in voller Pracht und seinem weißen, schicken Bühnenoutfit. Er sah gut aus, aber machte einen wahnsinnig genervten Eindruck. Fast so, wie er sich zu Hause manchmal benahm. Ich stutzte, etwas stimmte doch da nicht.

„Fuuto!", setzte ich an, brach aber sofort ab, denn als sein Blick auf mich fiel, stockte er gewaltig und riss die Augen weit auf. Seine gesamte Mimik veränderte sich binnen Sekunden von angepisst auf schockgefrostet. Er starrte mich an, als wäre mir überraschend ein zweiter Kopf gewachsen. Mir schoss kurz durch den Kopf, dass ich ihn vermutlich mit meiner Frisur und der ungewohnten Ansprache überrumpelt hatte.

„Nee-san…", presste er schließlich mühsam hervor und ich schenkte ihm ein, wie ich hoffte, aufmunterndes Lächeln.

„Ich dachte, du würdest gerne wissen wollen, dass sie hier ist", sagte sein Manager beiläufig und sah dann auf seine Uhr. „Du hast noch fünf Minuten" Und an mich gewandt: „Ich bringe dich zu deinem Platz"

„Oh ähm, okay vielen Dank", antwortete ich. Was hätte ich auch sonst dazu sagen sollen? „Ich wünsche dir ganz viel Glück da draußen!", sagte ich noch zu Fuuto, der weiterhin wie versteinert im Flur zwischen den Türrahmen stand. Dann winkte ich ihm noch einmal zu und lief seinem Manager hinterher.

„Leider hat diese Halle keine Logen und keinen VIP Bereich, sondern nur einen Fußraum mit Stehplätzen. Ich hätte dich ja gerne woanders untergebracht, aber diese Location gibt es einfach nicht her", erklärte er mir, während er mich in die Halle dirigierte und wir uns bis ganz nach vorne durchschlängelten. „Zumindest kann ich dir die erste Reihe anbieten und damit du nicht zerquetscht wirst, lassen wir dich hinter das Absperrgitter zu unserer Security", sagte er während er mich tatsächlich in den abgesperrten Bereich direkt vor der Bühne schob und kurz mit einem seiner Mitarbeiter redete. Dieser nickte, sah mich kurz an und bellte dann Anweisungen in sein Funkgerät.

Das überwiegend weibliche Publikum hinter mir fing schon an zu kreischen, als das Deckenlicht der Halle ausgeschaltet wurde und die Bühnenbeleuchtung Funken sprühte. Als Fuuto dann lächelnd und winkend die Bühne betrat und Handküsse in die Menge warf, war tosender Applaus die Folge. Die Menge kriegte sich gar nicht mehr ein und tobte immer noch, als die Musik für den ersten Song schon angespielt wurde. Fuuto ließ seinen Blick über die Menge schweifen, bis er schließlich an meinem hängen blieb. Ich winkte ihm zu und er zwinkerte als Antwort, bevor er anfing zu singen.

Wie schon zuvor Tsubaki und Azusa, fesselte Fuuto mich vom ersten Moment an. Seine Ausstrahlung war strahlend hell. Von der früheren Angespanntheit war nichts mehr geblieben. Sein Lächeln war authentisch und ansteckend und seine Stimme zog mich in seinen Bann und ließ mich komplett die Zeit vergessen. So kam es dann auch, dass ich ziemlich überrascht war, als der Popstar seinen letzten Song für den Abend ankündigte und sich nach zwei Zugaben tatsächlich auch verabschiedete.

Nach dem Konzert sah ich mich noch kurz beim Merchandising um. Leider war alles ziemlich vollgestopft, sodass ich mich lieber am Rand aufhielt.

„Soll ich dir was zurücklegen lassen?", fragte eine bekannte Stimme hinter mir und ich drehte mich zu Fuutos Manager um, der an einem Pfosten lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Schnell schüttelte ich den Kopf. Ich wollte ihm nicht noch mehr Umstände bereiten.

„Tust du mir einen Gefallen?", fragte er ohne Umschweife und ich sah ihn fragend an. Seufzend nahm er seine Sonnenbrille ab und steckte sie in die Brusttasche seines Hemdes. „Ich würde dich das wirklich nicht fragen, wenn ich nicht glauben würde, dass es irgendwie wichtig ist", fuhr er zerknirscht fort. „Unser Idol macht hinter der Bühne einen ziemlichen Aufstand. Er will die Autogrammstunde absagen, die direkt nach dem Konzert angesetzt ist. Deinetwegen. Er meinte, wenn du schon zwei Stunden hierher fährst, sollte er sich auch um dich kümmern. Ich glaube ja, er will bloß Zeit mit dir verbringen und hat Angst, dass du sofort wieder nach Hause fährst, ohne auf ihn zu warten. Dürfte ich dich also in sein Hotelzimmer bringen, damit ich ihm sagen kann, dass du dort auf ihn wartest?"

Mein Mund blieb vor Erstaunen offen stehen und ich vergaß kurzzeitig wie man atmete und blinzelte, bis tatsächlich in meinem Gehirn ankam, was er da gerade zu mir gesagt hatte. Irgendwie fühlte ich mich für dieses Verhalten auch verantwortlich, also ergab ich mich nickend in mein Schicksal. Der Manager wirkte unglaublich erleichtert, als er mich zum Hinterausgang geleitete und wir in einen silbernen Wagen mit getönten Scheiben stiegen.

„Könnte es sein, dass Fuuto so genervt ist, weil ich Masaomi gesagt habe, dass er ihn direkt anrufen soll?", fragte ich irgendwann schuldbewusst in die Stille hinein, aber der Manager schüttelte nur den Kopf und massierte sich die Schläfen.

„Daran liegt es nicht, das hat schon zu Beginn seiner Tour angefangen. Er hat richtig gute Tage, an denen er sich scheinbar zusammenreißt und an manchen Tagen benimmt er sich einfach furchtbar. Als wäre er plötzlich zur Diva mutiert. Vielleicht kannst du ja später mal mit ihm reden, die Anrufe eures Bruders scheinen ja auch nicht viel zu bringen" Nicht, dass das für mich oder jeden anderen aus der Familie eine große Überraschung gewesen wäre, aber das erwähnte ich lieber nicht, sondern nickte wieder bloß zur Antwort.

Fuutos `Hotelzimmer´ entpuppte sich als luxuriöse Suite mit modern eingerichtetem Wohnzimmer, Schlafzimmer und Badezimmer und einer wunderschönen Fensterfront, die auf einen großen Balkon hinaus führte. Warum ich auch etwas anderes erwartet hatte, konnte ich hinterher gar nicht mehr genau sagen. Nachdem ich mich in Ruhe umgesehen hatte, ließ ich mich auf das Sofa im Wohnzimmer fallen und legte meine Handtasche dort ab. Aus dem prallgefüllten Obstkorb, der auf dem Couchtisch stand, fischte ich mir einen Apfel und eine Banane, weil ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte und sich mein Magen langsam bei mir beschwerte.

Schneller, als ich es eigentlich erwartet hatte, konnte ich Geräusche von der Eingangstür her wahrnehmen und nur ein paar Augenblicke später stand mein jüngerer Bruder mitten im Zimmer. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich normale Klamotten anzuziehen. Immer noch im Bühnenoutfit kam er direkt auf mich zu, packte meinen Arm und zog mich erst auf die Füße und dann sofort in eine feste Umarmung. Irgendwie hatte ich ja gewusst, was mich erwartete, schließlich war er immer noch Fuuto. Also entspannte ich mich, wie ich es mittlerweile schon gewohnt war und schlang meine Arme um seine Mitte, um die Umarmung zu erwidern.

Scheinbar überraschte ich ihn damit das zweite Mal an diesem Tag, denn er löste sich von mir, hielt mich auf Armeslänge von sich und musterte mich mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Da bemerkte ich die Augenringe, die er hatte. Er sah abgespannt und müde aus und nach dem, was sein Manager mir erzählt hatte, schien er in letzter Zeit sehr gereizt zu sein.

„Fuuto, geht es dir gut?", fragte ich vorsichtig. Bei ihm wusste man nie so genau, wie er auf so eine Frage reagieren würde. Und so, wie er mich gerade ansah, konnte ich überhaupt nicht in ihm lesen. Ich wusste nicht, was er dachte.

Da breitete sich endlich das altbekannte leicht spöttische Lächeln in seinem Gesicht aus. „Nee-san", hauchte er statt einer Antwort und zog mich wieder zu sich, um seine Hände über meinen Rücken wandern zu lassen. „Was machst du denn hier?" Er schmiegte sein Gesicht in meine Halsbeuge und seine langen braunen Haare kitzelten mich.

Bevor ich antwortete, atmete ich einmal tief durch. „Ich habe mir dein Konzert angesehen. Ich dachte, weil es jetzt schon zwei Mal danebengegangen ist, freust du dich vielleicht, wenn ich komme"

Meine Antwort schien ihm ganz gut zu gefallen, denn er gab einen recht zufrieden klingenden Seufzer von sich und fing an, sich mit mir ihm Arm vorwärts zu bewegen. Ich konnte nicht anders, als zurückzuweichen, bis ich irgendwann einen Widerstand spürte und mit einem kleinen überraschten Kiekser wieder auf der Couch landete, zusammen mit Fuuto, der über mir kniete und seine Hände rechts und links von mir auf der Rückenlehne abstützte.

„Du wolltest mir also eine Freude machen, hm?", fragte er leise und seine Stimme hatte einen tiefen, flirtenden Unterton angenommen, der mir schon viel zu vertraut war. Wenn ich nicht gut aufpasste, wusste ich schon, wo das wieder enden würde. Und dieses Mal saß ich allein mit ihm in seinem Hotelzimmer. „Was, wenn ich dir sage, dass mich das wahnsinnig glücklich macht?" Er beugte sich noch weiter zu mir vor und alles, was ich bewusst wahrnehmen konnte, war seine Nähe.

„Naja, das war der Plan, also freut es mich natürlich", gab ich vielleicht etwas zu hastig zurück, denn sein wissendes Grinsen vertiefte sich dadurch nur und er streckte eine Hand nach meinem Gesicht aus, um über meine Wange zu streicheln und dabei meine Haare hinter mein Ohr zu klemmen. „Steht dir gut", kommentierte er beiläufig, als wäre diese Situation total normal. „Hat unser großer Bruder wirklich toll hinbekommen"

„Oh, danke dir", stieß ich hervor, während ich mich immer noch bemühte, nicht durchzudrehen. Ich wollte ihn nicht schon wieder so heftig von mir stoßen, dass er auf dem Boden landete, aber er war kurz davor, diese Erfahrung zu wiederholen. Stattdessen hielt ich ihn bloß leicht zurück, als er sich mir noch weiter nähern wollte und warf ihm einen besorgten Blick zu. Es beschäftigte mich immer noch, dass etwas nicht zu stimmen schien.

„Fuuto, was ist los mit dir?", fragte ich so behutsam wie möglich. „Du siehst müde und gestresst aus. Ist mit der Tour alles in Ordnung?"

„Machst du dir etwa Sorgen, Nee-san? Das freut mich" Er versuchte, die Sache herunterzuspielen und mich abzulenken, aber dieses Mal riss ich mich zusammen und ließ mich nicht darauf ein.

„Ja, ich mache mir Sorgen", gab ich zurück. „Dein Manager hat gesagt, du würdest dich merkwürdig verhalten. Er macht sich auch Sorgen um dich. Und Masaomi zu Hause ganz sicher auch"

Das hatte gewirkt. Das neckische Leuchten aus seinen Augen verschwand und er sah auf mich herunter, als hätte ich ihm gerade verkündet, ich würde auswandern. Seufzend fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare und ließ sich neben mich fallen. Er ließ nicht viel Spielraum, aber wenigstens kniete er nicht mehr halb auf mir drauf. „Und ich hab mich schon gewundert, warum er plötzlich ständig bei mir anruft" Er stieß ein Lachen aus und sah mich schief von der Seite an. „Das warst mal wieder du oder? Deinetwegen ruft er an und geht mir auf die Nerven" Dann starrte der Popstar mich wieder durchdringend an und schüttelte nur den Kopf, als wäre er zu einem Ergebnis gekommen, das ihm nicht gefiel. „Was ist los bei euch zu Hause? Was haben die mit dir angestellt?" Er schien zu spüren, dass sich auch bei mir etwas mehr verändert hatte, als nur die Frisur.

Seine wiedergewonnene ungewohnte Ernsthaftigkeit überraschte mich, aber ich schenkte ihm ein Lächeln. Wie es genau dazu kam, wusste ich selbst nicht genau, aber ich begann zu erzählen. Nie im Leben hätte ich erwartet, ausgerechnet mit dem Idol ein ernstes Gespräch über unsere Familiensituation zu führen, aber hier saß ich nun in einer schicken Hotelsuite und breitete mein Innerstes vor ihm aus.

Ich fing ganz von vorne an und erzählte ihm, wie mein Leben abgelaufen war, bevor mein Papa Miwa-san kennengelernt hatte. Ich war sehr oft einsam gewesen und der Einzige, der mir beigestanden hatte in all der Zeit war Juli. Ich erinnerte mich daran, wie ich mal sehr krank geworden war und mit Fieber im Bett gelegen hatte. Auch damals war ich alleine gewesen und hatte mir selbst Suppe gekocht und kalte Waschlappen auf die Stirn gelegt, was mich zu meinem ersten Tag in der Residenz brachte. Ich hatte mich so sehr gefreut und war furchtbar aufgeregt gewesen. Ich hatte keine Ahnung, wie man sich als große oder kleine Schwester verhielt, besonders in einer Großfamilie mit so vielen verschiedenen Charakteren. Natürlich hatte ich auch große Angst gehabt, etwas falsch zu machen oder eine Last zu sein. Aber ich war liebevoll und fürsorglich aufgenommen worden und als ich abends Fieber bekommen hatte, waren alle in großer Aufregung gewesen. Ich war es nicht gewohnt, dass man sich so um mich kümmerte und bemühte und es war mir sehr unangenehm gewesen, aber ich war auch wahnsinnig glücklich gewesen. Immer wieder war mir in meinem Zusammenleben mit meiner neuen Familie aufgefallen, wie wunderbar es war, Brüder zu haben, Menschen, mit denen man zusammen lebte und die sich umeinander sorgten. Vielleicht, so überlegte ich mir, war mir deshalb dieses `Familiending´ von Anfang an so furchtbar wichtig gewesen. Ich hielt eisern daran fest und wollte dieses neue Glück auf keinen Fall gefährden. Ich wünschte mir so sehr eine heile Familie und dass alle glücklich waren, dass niemand traurig sein musste oder verletzt werden würde. Eventuell war ich naiv und weltfremd, aber ich tat vom ersten Tag an mein Bestes, um die Familie zu unterstützen und zu beschützen.

Als mir dann immer mehr aufgefallen war, dass sich das Ganze aus der Sicht meiner Brüder in eine ganz andere Richtung entwickelte und als die Konflikte untereinander losgegangen waren, hatte ich mich schuldig gefühlt. Im Nachhinein wusste ich, dass ich trotzdem falsch reagiert hatte, aber ich hatte Angst bekommen, dass meinetwegen alles auseinanderbrechen könnte. Ich hatte so eine Panik davor gehabt, meine Familie wieder zu verlieren und am Ende wieder alleine zu sein, dass ich auf Biegen und Brechen versucht hatte, alle davon zu überzeugen, für jeden nur geschwisterliche Gefühle zu hegen. Dabei hatte ich aber nie wirklich in mich hinein gehört. Mittlerweile wusste ich, dass meine Gefühle nicht für jeden von ihnen genau gleich waren. Das bedeutete zwar nicht, dass ich mich zwangsläufig verliebt hatte, aber ich hatte begonnen zu differenzieren und mehr auf die Empfindungen jedes Einzelnen und vor allem auch von mir selbst einzugehen.

Wie es dazu gekommen war, berichtete ich auch, angefangen bei meinem Kleiderschrankproblem, der Shoppingtour, meiner äußeren Veränderung und meinen gefassten Entschlüssen über eine Charakterentwicklung bis hin zum jetzigen Zeitpunkt. Ich erzählte von Hikarus Rat und wie er mich aufgewühlt hatte, vom Salonbesuch bei Rui, von den neuen Beeten und dann von meinem Schulprojekt im Krankenhaus. Dabei kam ich auch darauf zu sprechen, was für ein Gespräch ich mit Masaomi über Fuuto und seinen Manager geführt hatte. Und ich erzählte ihm auch besonders gerne von Wataru, mit dem ich Videospiele spielte und mir die aufgenommenen Konzerte ansah.

„Er ist so begeistert von dir, dass er jede Talkshow, jedes Konzert und jeden Werbespot aufnimmt und sich auf DVD brennt", sagte ich und musste bei dem Gedanken daran, wie seine Augen leuchteten lächeln. „Und er erzählt immer, wie neidisch alle in der Schule auf ihn sind, dass du sein großer Bruder bist"

Danach erzählte ich noch davon, wie ich Ukyo bei der Hausarbeit unterstützt hatte und wie ich Kaname einen Brief geschrieben hatte, in dem ich auch den blonden Mönch um seinen Rat gebeten hatte. Natürlich vergaß ich auch nicht zu erwähnen, dass er mir zurückgeschrieben hatte. Ich schilderte, wie ich Yusuke dazu überredet hatte, mit mir zusammen fürs College zu lernen und wie ich mit Natsume zu Subarus Basketballspiel gefahren war. Als ich dann noch erklärte, dass ich Natsume jetzt einmal die Woche etwas zu essen brachte, weil ich sicherstellen wollte, dass er wenigstens ab und zu etwas Ordentliches bekam, musste sogar Fuuto lachen.

Zuletzt berichtete ich noch davon, wie ich für die Zwillinge zur Probepartnerin für die Skripte geworden war und von dem Festival, auf das sie mich eingeladen hatten. Das einzige Detail, was ich bei meinem kleinen Monolog sorgsam ausließ, war der Kuss mit Tsubaki. Das musste ich wirklich niemandem auch noch unter die Nase reiben und der Weißhaarige würde das sicher auch nicht tun.

Als ich damit geendet hatte, wie ich heute zwei Stunden mit der Bahn hierher gefahren war und sein Manager mich in das Hotelzimmer gebracht hatte, merkte ich erst, dass ich den Popstar total aus dem Konzept gebracht hatte. Erst starrte er mich eine ganze Weile nur an, dann sprang er plötzlich auf, nur um dann ungeduldig vor der Fensterfront auf und ab zu tigern. „Du machst mich wirklich fertig, weißt du das?", seufzte er irgendwann, blieb stehen und sah mich so verzweifelt an, dass mir kurz der Atem stockte und ich mir ernsthaft überlegte, ob das gerade sein schauspielerisches Talent war oder der echte Fuuto.

„Am Anfang, da hab ich dich für total unterbelichtet gehalten. Ganz hübsch, aber nichts in der Birne", erklärte er gerade heraus und mir blieb der Mund offen stehen. „Erst lässt du dich von mir verarschen, dann ruinierst du meine Tarnung und schließlich konnte ich dich auch noch schön herumkommandieren. Ich dachte mir, es würde mir Spaß machen, dich zu ärgern und in Verlegenheit zu bringen und so war es ja auch irgendwie…" Das braunhaarige Idol seufzte erneut. „Aber dann hast du mit mir in deinem Zimmer gesessen und auf einmal angefangen, meine harte Arbeit zu loben und Dinge zu sagen, die mich total überrascht haben. Obwohl ich so fies zu dir war, hast du kein Wort darüber verloren. Du hast dich nicht mit mir angelegt, du hast nicht versucht, mich zu meiden und dann setzt du dich vor mich und lächelst mich auf diese Art an, die du an dir hast…" Fuuto ließ den Satz offen in der Luft hängen und drehte sich so, dass er aus dem Fenster sehen konnte.

„Du warst die Erste, die mich ohne zu zögern von Anfang an so akzeptiert hat, wie ich eben war und wie ich mich verhalten habe. Nicht mal meine eigenen Brüder kriegen das immer auf die Reihe. Einige von denen kann ich so auf die Palme bringen, dass beinahe die Köpfe platzen. Aber bei dir wollte ich das irgendwann dann gar nicht mehr. Ich mochte es lieber, wenn du rot geworden bist", redete er offen weiter, aber er sah mich nicht an, sondern starrte weiter aus dem Fenster. „Ich hab mich dann absichtlich in derselben High-School eingeschrieben, wie du und dieser Idiot Yusuke. Obwohl ich genau wusste, dass wir nur ein Jahr zusammen dort verbringen könnten, ziemlich erbärmlich oder? Aber ich hatte dir ja versprochen, dir deinen Alltag zu versüßen, also hab ich schön brav die Schulbank gedrückt wann immer ich zu Hause war. Übrigens weiß ich noch genau, dass du nicht weggelaufen bist, als ich dir die Chance dazu gegeben hatte" Sein anzügliches Grinsen kehrte zurück in sein Gesicht und er drehte sich doch wieder zu mir um.

„Und auf dem Schulfest hattest du tatsächlich Mitleid mit mir oder?", fragte er herausfordernd, wartete aber erst gar nicht auf meine Antwort. „Es war leicht, dich um den Finger zu wickeln, aber ich hab nicht nur geschauspielert. Manchmal ist so ein Leben als Idol wirklich ganz schön einsam. Ich wette, du wusstest das. Ich wette, du bist deshalb mit mir mitgegangen, weil du gemerkt hast, dass nicht alles nur gespielt war" Langsam, als wäre er unsicher kam er zurück zum Sofa, setzte sich aber nicht wieder neben mich. Stattdessen wurde sein Grinsen noch etwas breiter und das gewisse Glänzen, das ich vorhin schon in seinen Augen gesehen hatte, kehrte zurück. „Und dann hast du mich wieder total überrumpelt. Ich hab dir gefallen als Vampir, das weiß ich genau, du brauchst es gar nicht abzustreiten. Ganz weiche Knie hast du bekommen und trotzdem bin ich ziemlich unsanft auf meinem Hintern gelandet. Nie im Leben hätte ich von dir erwartet, dass du mir so einen Stoß verpasst, aber das hat die ganze Sache nur noch interessanter für mich gemacht. Bei jedem anderen Mädchen hätte meine Masche perfekt funktioniert, sie kreischen ja schon, wenn sie mich bloß ansehen. Aber bei dir nicht. Bei dir hat es noch nie funktioniert"

Als er sich endlich wieder neben mir auf die Couch fallen ließ, schien er wieder besser gelaunt zu sein, denn er griff nach meiner Hand und ich ließ sie ihm. „Damals habe ich dir gesagt, ich würde dir keine Liebeserklärung machen, sondern mir einfach alles nehmen, was ich von dir haben will und das war verdammt ernst gemeint", setzte er wieder an und sah mir tief in die Augen. „Bei diesem dämlichen Familienausflug, bei dem ich auch noch gezwungen wurde aufzutreten, bist du einfach verschwunden. Du warst bei meinem Konzert, aber dann warst du viel zu früh einfach weg. Und später sitzt du mit uns allen am Tisch und erzählst was von Familie. Ich musste mich echt beherrschen, um dir nicht klipp und klar zu sagen, was du bestimmt nicht hättest hören wollen. So angepisst war ich glaube ich noch nie. Und dann hab ich abends plötzlich in deinem Zimmer gestanden"

Fuuto legte eine Pause ein und wartete scheinbar auf eine Reaktion, aber ich war so geschockt, dass ich dazu einfach gar nichts sagen konnte. Er war in meinem Zimmer gewesen? Was sollte das bedeuten? „Ehrlichgesagt war das gar nicht wirklich geplant, aber als ich dich da habe liegen und so friedlich schlafen sehen, da ist es total mit mir durchgegangen. Schließlich gehörst du ja mir und deine Spinnereien von Familie wollte ich dir austreiben" Er sagte das, als wäre das schon immer so gewesen. Ich wollte entschieden protestieren, aber er schob sich wieder näher an mich heran und zog mich so in Position, dass wir Arm in Arm auf dem Sofa saßen und ich mit dem Rücken an seine Brust gedrückt wurde. „Leider muss ich ja zugeben, dass ich nicht sehr weit gekommen bin. Nachdem ich einen Knopf geöffnet hatte, habe ich ziemlich schnell feststellen müssen, dass ich das so nicht kann. Oder will" Der Popstar schmiegte sich noch fester an mich und sein Griff um meine Taille wurde enger. „Eigentlich will ich dir ja auch gar nicht wehtun und ich weiß sowieso, dass ich dich auch anders überzeugen kann. Aber an dem Tag hab ich echt total neben mir gestanden"

„Übrigens hast du mir auch einen ganz schönen Schrecken eingejagt, als du einfach nicht heim gekommen bist. Klar hab ich's verstanden, nachdem ich die Umstände mitbekommen hatte, aber dafür steht deine Strafe auch noch aus, das hab ich dir angedroht. Glaub bloß nicht, ich hätte es vergessen" Er kicherte, als ich mich leicht versteifte und drückte mich kurz. „Hast du dich eigentlich gefreut, als ich dich extra angerufen habe, um dir für die Abschlussprüfung Glück zu wünschen? Das war ganz kurz vor einem Auftritt"

Ich nickte und wollte gerade den Mund öffnen, um ihm richtig zu antworten, aber das schien ihm als Antwort schon vollkommen zu reichen, denn er sprach einfach weiter. „Das war auch gar nicht böse gemeint, dass ich gesagt habe, ich würde mich genauso freuen, wenn du das letzte High-School Jahr wiederholen würdest. Du hast gedacht ich würde dich wieder aufziehen, aber ich hab in dem Moment bloß nicht richtig nachgedacht, das wollte ich dir schon lange mal sagen. Ich habe gedacht, dass ich dann einfach ein weiteres Jahr mit dir zusammen zur Schule gehen könnte. Natürlich wollte ich nicht wirklich, dass du durchfällst"

Irgendwann wusste ich nicht mehr genau, wie sehr mich seine unverhoffte Ehrlichkeit noch schockieren könnte und ich fragte mich unwillkürlich, ob es ihm bei mir genauso ergangen war. „Ich freue mich wirklich, dass du extra für mich zwei Stunden hergefahren bist", murmelte er mir leise ins Ohr. „Als du dir in unserem Skiurlaub den Knöchel verstaucht hattest und nicht zu meinem Auftritt kommen konntest, war ich ziemlich traurig. Und natürlich habe ich mir auch Sorgen gemacht. Kannst du dich daran erinnern, dass da noch eine kleine Entschuldigung aussteht, Nee-san?"

Tatsächlich wollte ich nicht zugeben, dass ich mich sehr detailgetreu daran erinnerte, was für eine Entschuldigung er von mir verlangt hatte, aber das war in seinen Augen jetzt schon die zweite Schuld, die ich begleichen müsste. Erst eine Bestrafung, dann eine Entschuldigung. Ich schluckte hart und hoffte plötzlich, dass er noch ein bisschen was zu erzählen hatte.

„Hast du eigentlich gelesen, dass behauptet wird, ich hätte einen Schwesternkomplex?", Fuuto brach in Gelächter aus. „Bescheuert oder? Nur weil ich dir öffentlich zu deinem Abschluss gratuliert habe. Dabei sehe ich dich nicht mal als Schwester. Wir sind ja auch gar nicht wirklich verwandt"

Nach diesen Worten ließ ich den Kopf etwas hängen. „Familie ist man nicht nur durch Blutsverwandtschaft", wiederholte ich stur Ruis Worte, die mir Mut gemacht hatten, als ich gerade erst erfahren hatte, dass ich adoptiert war.

Fuuto entließ mich aus der Umarmung und ich drehte mich wieder zu ihm um. Er machte einen betroffenen Eindruck. „Siehst du, das meine ich, manchmal ist der Mund schneller, als der Kopf", sagte er und verschränkte scheinbar beiläufig und desinteressiert die Arme hinter dem Kopf. „So habe ich das nicht gemeint" Und das war für Fuuto schon etwas, das einer richtigen Entschuldigung sehr nahe kam. Und schließlich wusste ich, wie er es gemeint hatte.

„Ach ja, du wolltest wissen, was mit mir los ist", erinnerte er sich und zwinkerte mir zu. „Was glaubst du, Nee-san?"

„Naja, also ich habe deinen Manager gefragt, ob es an Masaomis Anrufen liegt, aber er meinte, du würdest dich schon länger auffällig verhalten", umschrieb ich dessen Aussage elegant.

„Hmm", machte Fuuto bloß. Ich konnte nicht sagen, ob er unzufrieden mit meiner Antwort war, seine Miene war wieder neutral. „Du hast wirklich jede von meinen Textnachrichten beantwortet oder?", fragte er dann und klang beinahe gelangweilt.

„Äh, ja, natürlich", stotterte ich sehr geistreich. Was hatte das denn jetzt mit unserem eigentlichen Thema zu tun?

Natürlich", wiederholte der Popstar und klang dabei sehr belustigt. Dann warf er mir wieder einen recht intensiven Blick zu. „Ich hab oft an dich gedacht während meiner Tour!"

Ich lächelte ihn an und nickte. „Ja, ich habe dich auch vermisst. Wenn du nicht im Haus bist, fehlt immer irgendwas. Aber du hast fast jeden Tag eine Message geschickt"

Seine Augen weiteten sich erneut und er sog zischend die Luft ein. „Da ist es wieder", murmelte er und ließ seinen Daumen plötzlich über meine Lippen streichen. „Und du merkst es gar nicht" Während er sprach, wurde er immer leiser, als würde er in seinen eigenen Gedanken versinken. „Genau das ist mit mir los", erklärte Fuuto schlicht. „Ich fand's die ganze Zeit immer noch ätzend, wie du Happy Family spielst. Natürlich wollten die anderen Idioten dich auch nicht gleich aufgeben, nicht, dass mich das großartig interessieren würde, schließlich haben die ja alle keine Chance gegen einen Superstar, wie mich. Aber mir war irgendwie ja schon klar, dass du Schmusekurs fahren würdest und versuchen würdest jeden zu verhätscheln"

Der Braunhaarige schüttelte den Kopf und prustete leicht verächtlich. „Versteh mich nicht falsch, deine Unschuld und diese grenzenlose Naivität machen mich ja total an, aber manchmal kapier ich einfach nicht, wie du bestimmte Dinge nicht bemerkst oder wie du sie einfach mit einem Lächeln ignorieren kannst. Besonders dann, wenn ich nicht zu Hause bin, um dir unter die Nase zu reiben, dass du mal wieder vor dich hin träumst. Außerdem dauert diese Tour eine gefühlte Ewigkeit. Ich hatte mir ja wirklich schon überlegt, wie das alles weiter laufen würde, nachdem du ihnen allen eine Abfuhr erteilt hattest"

Sprachlos glotzte ich meinen kleinen Bruder an, der da auf dieser noblen Couch saß und teilweise Dinge sagte, bei denen ich nur `Blablabla´ verstand. Ich sah zwar, dass sich seine Lippen bewegten, aber für mich machte überhaupt keinen Sinn, was dabei heraus kam. Wollte Fuuto, das von sich selbst so wahnsinnig überzeugte Superidol, mir etwas gerade sagen, dass er eifersüchtig war? Schon alleine, dass ihn unsere Situation überhaupt so beschäftigte überraschte mich maßlos. Obwohl ich ihn schon etwas besser zu verstehen schien, als seine Brüder, hatte ich das trotzdem nicht erkannt. Ich hatte geglaubt, dass er derjenige wäre, der es am lockersten nehmen würde. Aber mal wieder war das nur Fassade gewesen, was mir zeigte, dass ich ihn immer noch nicht vollständig durchschauen konnte. Er war so undurchsichtig für mich, beinahe wie Hikaru. Nicht zu erwähnen, dass er ebenfalls eine Abfuhr kassiert hatte…

Scheinbar wieder ganz locker und cool zuckte Fuuto schließlich mit den Schultern. „Naja, jetzt, wo ich die ganze Geschichte von dir gehört habe, bin ich irgendwie erleichtert. Aber das mit dem Geltungsbedürfnis nehm ich dir schon ein bisschen übel, Nee-san"

Erleichtert? Was hatte er sich denn ausgemalt, was bei uns zu Hause während seiner Abwesenheit passierte? Trotzdem zog ich schuldbewusst den Kopf ein.

„Ich wollte dir ja eigentlich nur sagen, dass ich glaube, es wäre besser für dich, wenn du ein bisschen ehrlicher werden würdest", versuchte ich so ruhig und sachlich, wie möglich zu erklären. „Ich habe das Gefühl, dass alle dich als so selbstbewusst und selbstständig wahrnehmen, weil du als Zweitjüngster schon so viel erreicht hast und selten zu Hause bist. Außerdem benimmst du dich so, als ob du nichts und niemanden brauchst und manchmal hat man das Gefühl, dir eher auf die Nerven zu gehen, wenn man dir zu nahe kommt. Weißt du, Masaomi hat sich extra von dir zurückgezogen und deinen Manager angerufen, weil er rücksichtsvoll dir gegenüber sein wollte. Er wollte dich bei deiner Arbeit nicht stören und hatte wirklich das Gefühl, dass seine Anrufe eine zusätzliche Last für dich sein könnten"

„Und du hast ihm gesagt, dass es nicht so ist", stellte das Idol nüchtern fest.

„Ich sehe es nur ein bisschen anders", gab ich sanft zurück. „Ich bewundere dich für deine harte Arbeit und dafür, dass du deine Träume verfolgst. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, wie hart das sein muss. Wenn man eigentlich eine Großfamilie gewohnt ist und plötzlich für Wochen und Monate alleine in einem Hotelzimmer sitzt, jeden Tag seine volle Leistung abrufen muss, weil der Erfolg natürlich zählt und wenn man jeden um sich herum irgendwie zufrieden stellen muss. Du hast Recht gehabt, ich habe dir sofort geglaubt, als du mir gesagt hast, ein Leben als Idol wäre einsam"

Die ganze Zeit über hörte mir Fuuto schweigend zu, aber sein Blick trübte sich leicht ein. Ich konnte die Fassade langsam bröckeln sehen und ich wusste genau, dass er darüber nachdachte, was ich ihm sagte.

„Was wäre denn so schlimm daran, wenn du wenigstens zu Hause versuchen würdest ein bisschen mehr von dir nach außen zu lassen? Wenn du dich daheim nicht sicher und geborgen fühlen kannst, wo sonst? Du musst dich doch nicht ständig verstellen. Bestenfalls würdest du sogar mit den anderen etwas besser auskommen, wenn du ihnen nicht ständig über den Mund fährst. Manchmal finde sogar ich es richtig schwierig zu sagen, ob du gerade etwas ernst meinst oder nicht"

Und ganz plötzlich wurde ich mit dem Rücken in das weiche Polster der Couch gedrückt und meine Handgelenke befanden sich in einem starken Griff, der nicht lockerer wurde, als ich versuchte, mich zu bewegen. Der Popstar war über mir und schaute auf mich herunter. Zwar schimmerte es verdächtig in seinen Augen, aber seine Lippen waren zu einem leichten Lächeln verzogen, das etwas Raubtierhaftes an sich hatte.

„Zur Hölle, sag mir bitte, wie ich mich da jetzt noch zurückhalten soll!", stieß er hervor und seine Stimme war viel zu tief. „Du siehst ja sogar die Dinge, von denen ich nicht mal will, dass du sie mitbekommst. Wo ich mich wohl fühle?" Sein Lächeln wurde verführerisch und er fing meinen Blick mit seinem ein, bevor er noch weiter zu mir herunter kam. „Genau hier, Nee-san", flüsterte er in mein Ohr und jagte mir mit seinem warmen Atem einen Schauer über den Rücken. „Weil du die Erste und Einzige bist, die mich versteht, obwohl ich es eigentlich nicht wollte. Aber dir konnte ich von Anfang an nichts vormachen und dich konnte ich auch nicht beeindrucken oder ganz einfach um den Finger wickeln, wie meine Fans oder meine älteren Brüder. Das macht es zu einer Herausforderung"

Immer weiter näherte er sich mir. Ich konnte seinen Körper an meinem wahrnehmen und je kleiner die Distanz zwischen uns wurde, desto schneller wurde mein Herzschlag. „Fuuto…!" Ich wollte ihn bitten von mir runter zu gehen, aber er kam mir zuvor.

„Ich spiele nicht mehr vor dir, Nee-san", sagte er ernst und es klang, wie ein Versprechen. „Du wirst mich nur noch so sehen, wie ich bin"

Das freute mich wirklich das aus seinem Mund zu hören, trotzdem konnte ich mich leider nicht so sehr auf seine Worte konzentrieren. Außerdem war es nur ein erster Schritt, denn ich fand es tatsächlich wichtig, dass er sich auch gegenüber unseren Brüdern etwas öffnete. Ich konnte schließlich nicht immer Vermittler zwischen ihm und Masaomi sein.

Bei dem erneuten Versuch, mich von meinem aufdringlichen kleinen Bruder zu befreien, fiel mein Blick auf die leuchtende Digitalanzeige des hoch modernen Radioweckers und ich erstarrte.

„Was? Schon so spät?", rief ich erschrocken, was dann Fuuto tatsächlich dazu veranlasste, kurz von mir abzulassen, sodass ich mich aufrappeln konnte. Amüsiert beobachtete er mich dabei, wie ich hektisch nach meiner Tasche griff. „Ich muss mich beeilen!"

„Beeilen?" Er warf mir einen fragenden Blick zu und hielt mich am Arm fest. Die Tasche pflückte er wieder von meiner Schulter und beförderte sie recht unsanft zurück aufs Sofa.

„Fuuto, das ist nicht lustig. Ich muss jetzt wirklich zurück zum Bahnhof. Ich laufe noch eine Weile, außerdem dauert alleine die Fahrt schon zwei Stunden. Die anderen werden sich Sorgen machen. Und ich weiß auch gar nicht, ob es so spät noch regelmäßige Verbindungen gibt", ratterte ich hastig herunter.

„Nee-san, also wirklich!", tadelte er mich mit einem übertriebenen Tonfall während er aufstand, meinen Arm dabei aber nicht losließ. Er stellte sich ganz nah vor mich und legte seine andere Hand an meine Wange. „Glaubst du tatsächlich, dass ich dich um diese Uhrzeit im Dunkeln alleine zum Bahnhof gehen lasse, wo du dann auch noch am Gleis herumstehst? Und dass ich dich einfach so zwei Stunden lang mit der Bahn in der Gegend herumschicke, so wie diese anderen Idioten? Ehrlich, wenigstens einem von denen hätte einfallen können, dich herzufahren"

Völlig perplex schnappte ich nach Luft, um ihm zu erklären, dass so ein Umstand einfach nicht nötig gewesen wäre und dass ich schließlich kein kleines Kind mehr war, aber da hatte sich der Popstar schon umgedreht und damit begonnen, mich hinter sich herzuziehen. Im Schlafzimmer mit dem wunderschönen Himmelbett aus dunklem Holz angekommen, öffnete er den riesigen Kleiderschrank und drückte mir einen Stapel Wäsche inklusive Handtücher in die Hand.

„Das Bad ist vorne links", erklärte er mir und wedelte mit der Hand in Richtung Tür, nicht ohne mir ein wirklich anzügliches Grinsen zuzuwerfen. „Es ist abschließbar" Das `Leider´ war irgendwie nicht zu überhören.

Ich ahnte, worauf er hinaus wollte und zu meinem großen Erstaunen erschreckte es mich nicht halb so sehr, wie es vielleicht gesollt hätte. Innerlich seufzend fragte ich mich mal wieder, was genau meine Gefühlswelt eigentlich anstellte, aber ich musste feststellen, dass ich den Gedanken hierzubleiben überhaupt nicht schlimm fand. Bei Natsume war es genauso gewesen. Klar, die Situation war eine andere gewesen, aber die einzige Sache, die mir wirklich unangenehm gewesen war, war dass er meinetwegen auf dem Boden geschlafen hatte. Und mit dem Kuss hatte ich auch noch nicht richtig umgehen können, aber das war ja eine ganz andere Geschichte, die sich gerade im Begriff war zu ändern. Hoffentlich. Und wie ich Fuuto kannte, würde der ganz sicher nicht auf dem Boden übernachten.

Die heiße Dusche tat wirklich richtig gut, aber die Klamotten des Idols waren mir doch etwas zu groß. Die weiße Jogginghose musste ich oben am Bund sehr fest zusammenziehen und zuschnüren, damit sie hielt und das hellgrüne Shirt war zu weit und zu lang. Er war wirklich gewachsen und kräftiger geworden. Das spürte ich auch jedes Mal an seinem Griff. Und er war auch erwachsener geworden. In einigen Punkten war er meiner Meinung nach seinem Alter schon die ganze Zeit voraus gewesen, aber unser Gespräch, das wir geführt hatten zeigte mir, dass ich nicht die Einzige war, die sich veränderte.

Barfuß tappte ich zurück ins Wohnzimmer, wo Fuuto mittlerweile ebenfalls im Schlabberlook dasaß und sein Handy ans Ohr hielt.

„Jetzt reg dich nicht künstlich auf, ich setze sie morgen früh in ein Taxi", blaffte er gereizt. „Hör mal, hättest du sie mit dem Auto gebracht und wieder abgeholt, so wie sich das für einen älteren Bruder gehört, müsste sie jetzt gar nicht bei mir übernachten. Was ich mache ist absolut vernünftig!" Und damit legte er einfach auf und warf sein Handy klappernd auf den Couchtisch.

Als er mich hereinkommen sah, hellte seine Miene sich wieder auf und er musterte mich von oben bis unten. „Mir gefällt, wenn du meine Klamotten an hast, Nee-san", sagte er, was mich dazu veranlasste an mir runter zu gucken.

Langsam stand er auf und kam zu mir, als hätte er Angst, mich zu verschrecken. „Soll ich den Zimmerservice rufen?" Schnell schüttelte ich den Kopf. Ein Taxi? Den Zimmerservice? Langsam fühlte ich mich, als wäre ich in einer Seifenoper gelandet und mittlerweile war ich einfach nur noch müde und bekam Kopfschmerzen von dem ganzen Durcheinander. Ich rechnete ihm ja wirklich hoch an, dass er zumindest versuchte sein Grinsen zu unterdrücken, was nicht besonders gut funktionierte. „Dann sollten wir langsam schlafen gehen", stellte er nüchtern fest.

„Weißt du, Nee-san, ich habe denen zu Hause erzählt, dass ich eine Schlafcouch in meiner Suite habe", erklärte mir Fuuto noch bevor ich mir etwas einfallen lassen konnte, was mich aus dieser Situation sicher herausbrachte. „Das ist nicht mal gelogen, das schweineteure Ding lässt sich tatsächlich ausziehen", redete er weiter und griff nach einer Strähne meines braunen Haares, um sie durch seine Finger gleiten zu lassen. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte er die Idee des Jahrtausends gehabt. „Wir müssen denen ja auch nicht erzählen, dass keiner von uns beiden sie benutzt hat"

Er nahm meine Hand, verschränkte seine Finger mit meinen und zog mich mit Richtung Schlafzimmer. Endlich aus meiner Starre gerissen, versuchte ich dagegen zu halten.

„Fuuto, warte mal, ich glaube wirklich nicht, dass das eine gute Idee ist…!", protestierte ich schwach, aber da spürte ich schon einen kräftigen Ruck und dann machte mein Rücken Bekanntschaft mit der hinter mir ins Schloss gefallenen noblen Schlafzimmertür aus edlem Holz. Rechts und links neben meinem Kopf wurden meine Handgelenke ebenfalls an die glatte Oberfläche gedrückt.

„Ich hab es schon so oft versucht, aber jedes Mal kam etwas dazwischen", sagte der Popstar, während er sich dicht an mich drängte und auf mich herunter sah. Natürlich war sein Blick nicht bedrohlich, sondern eher verspielt und belustigt. Trotzdem stellte ich kurzzeitig das Atmen ein und ich hätte wetten können, dass meine Augen doppelt so groß wurden, während ich ihn anstarrte. „Aber mir ist gerade klar geworden, dass ja heute überhaupt niemand in der Nähe ist, der uns unterbrechen könnte. Also liegt es bloß an dir"

Er machte eine kurze Pause, legte seine Stirn an meine und schloss für einen Moment die Augen, während er durchatmete. Die Spitzen seiner hellbraunen Haare kitzelten mich und sein Atem strich sanft und warm über mich hinweg.

„Ich dachte mir, vielleicht könnte ich dir ja helfen, deine Gefühle zu ordnen", murmelte er und ich bekam eine Gänsehaut. „Würdest du die Augen für mich schließen, wenn ich dich darum bitte?"

Meine Gedanken rasten, genau wie mein Puls und ich gab ein kleines überraschtes Geräusch von mir. Fuuto bat mich tatsächlich darum? Bisher hatte er immer bloß versucht, mich einfach zu küssen. Und wie er sagte, war jedes Mal etwas oder besser gesagt jemand dazwischen geplatzt.

Ohne großartig weiter darüber nachzudenken begegnete ich noch einmal seinem flehenden Blick, dann tat ich es einfach. Ganz fest kniff ich die Augen zusammen und hörte noch Fuutos ungläubiges Aufkeuchen, bevor ich seine Lippen auf meinen spürte.

Von Zurückhaltung war bei ihm allerdings keine Spur zu finden. Hungrig und leidenschaftlich küsste er mich, als hinge sein Leben davon ab und er ließ meine Hände erst los, als er merkte, dass ich mich tatsächlich versuchte etwas zu entspannen und mich nicht gegen ihn wehrte. Dafür vergrub er eine Hand in meinen Haaren und schlang den anderen Arm um meine Taille, um meinen Körper fest an seinen zu pressen. Ich hatte das Gefühl, ihn überall an mir spüren zu können und ein Kribbeln durchfuhr mich bis in die Zehenspitzen.

Als ich gerade dachte, er würde sich von mir lösen, nahm ich wahr, wie er sanft aber bestimmend meine Lippen leicht auseinander schob, damit sich seine Zunge einen Weg zu meiner bahnen konnte. Kurz zuckte ich zusammen und klammerte mich unsicher an dem Shirt des Idols fest, aber Fuuto strich mir beruhigend über den Rücken und die Arme. Gerade als ich das schwindelige Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen, gab er mich frei, ließ mich aber nicht los.

Der Popstar vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Er atmete schnell und flach, genau wie ich. Ich glaubte, mein Herz hätte bereits aufgehört zu schlagen, als ich plötzlich das Adrenalin wieder spüren konnte, wie es durch mich hindurch jagte. Beinahe überall am Körper hatte ich Gänsehaut und meine Knie waren so weich, dass ich mich schon unbewusst mehr an Fuuto lehnte.

„Ema", flüsterte der Braunhaarige mir plötzlich ins Ohr. Seine Stimme klang rau und kratzig. „Bleib bei mir, Ema", flehte er.

Ema? Nicht mehr Nee-san? Mein Gehirn hatte sich zu Gemüse verwandelt und sehr erfolgreich den Dienst quittiert. Alles, was ich noch genau sagen konnte war, dass ich nicht vorhatte, ihn jetzt einfach hier stehen zu lassen und davon zu laufen. Wahrscheinlich würde ich kein Auge zu tun in dieser Nacht. Und ich würde sehr viel haben, worüber ich nachdenken musste, wenn ich wieder zu Hause war.

Aber erstmal hob Fuuto mich einfach hoch, trug mich hinüber zu dem riesigen Bett und legte mich erstaunlich sanft darauf ab, bevor er selbst auf der anderen Seite die Decke zurückschlug und darunter kletterte. Wortlos breitete er seine Arme für mich aus und ich rutschte mit rot glühendem Gesicht etwa näher an ihn heran. Scheinbar war ihm das aber nicht nah genug, denn er zog mich wieder einmal fest an sich heran und drapierte die Bettdecke über uns beiden.

Als ich seinem Blick auswich, fing er an zu lachen und ich konnte die Vibrationen in seiner Brust spüren. „Eigentlich kann ich kaum glauben, dass du älter bist als ich, so unschuldig, wie du bist", murmelte er und strich mir ein paar Haare aus dem Gesicht. „Keine Sorge, ich lasse meine Finger schon bei mir. Selbst ich weiß ganz genau, wenn ich eigentlich schon mehr bekommen habe, als ich hoffen konnte" Er suchte sich eine bequemere Position zum Liegen und zog mich mit sich, sodass ich meinen Kopf auf seine Brust legen konnte. „Entspann dich und schlaf. Morgen rufe ich dir ein Taxi"

Ich erwachte davon, dass etwas ziemlich dicht neben mir klapperte und rieb mir murrend die Augen, bevor ich sie öffnete. Auf der Bettkante saß Fuuto in ganz normalen Alltagsklamotten und zog einen vollgepackten silbernen Servierwagen näher an das Bett heran. „Guten Morgen, Nee-san", grinste er und wies auf den Wagen. „Frühstück ist fertig"

Verwirrt blinzelnd richtete ich mich auf und staunte das viele Essen an, was sich auf dem praktischen Gefährt türmte. Frühstück? Und jetzt wieder Nee-san? Das Idol reichte mir eine Tasse, aus der es dampfte und nach Kaffee duftete. „Guten Morgen", antwortete ich verspätete und nahm sie an mich. „Danke"

Mein Blick fiel auf die Uhr, die an der Schlafzimmerwand hing und ich war schlagartig wach. „Warum hast du mich denn nicht geweckt?", beschwerte ich mich bei dem Braunhaarigen, der ebenfalls an einer Tasse nippte. „Musst du heute gar nicht arbeiten?"

Aber er winkte bloß ab. „Den Tag über habe ich heute frei. Mein Auftritt findet heute Abend erst statt. Ich muss noch zur Probe, aber die ist auch erst später. Außerdem hast du so zufrieden ausgesehen, da hätte ich dich doch unmöglich stören können, Nee-san" Er setzte wieder sein halb spöttisches Lächeln auf. „Möchtest du gar nichts essen? Oder soll ich dich vielleicht füttern?"

Vielleicht etwas zu schnell und zitterig lehnte ich das Angebot ab, nahm aber das Frühstück trotzdem gerne an. Wir aßen zusammen im Bett, als würden wir einen gemeinsamen Urlaub machen. Natürlich schafften wir nicht einmal die Hälfte von dem, was Fuuto alles geordert hatte. Er erklärte mir, dass er nicht genau wüsste, was ich mochte, also hätte er einfach von allem etwas bestellt.

Nach dem Frühstück verschwand ich schnell im Bad und zog wieder meine eigenen Klamotten an und Fuuto rief tatsächlich in der Lobby an und bestellte mir ein Taxi. Egal, wie sehr ich protestiert hatte, dass das alles viel zu teuer wurde, er hatte sich nicht davon abbringen lassen. Scheinbar fand er die Vorstellung, dass ich alleine mit der Bahn fuhr ziemlich furchtbar. Darüber wunderte ich mich natürlich, was dachte er denn, wie ich sonst von A nach B kam? Schließlich hatte ich weder ein Auto, noch einen Führerschein und schon gar keinen Chauffeur.

„Ich kann nicht mit runter kommen, das verstehst du doch, oder?", fragte er ernst, als ich wieder ins Wohnzimmer kam und er mir meine Tasche über die Schulter legte.

„Natürlich" Ich nickte und lächelte ihn an. „Das ist schon in Ordnung" Vielleicht hatte ich ihn so schon in Schwierigkeiten gebracht. Wenn irgendein Papparazzi mitbekommen hatte, wo Fuuto wohnte und mich gesehen oder eventuell sogar fotografiert hatte, war der Skandal vorprogrammiert.

Er sah trotzdem nicht zufrieden aus und als der Anruf von der Rezeption kam, ging er nur widerstrebend dran. Zwar brachte er mich bis zur Tür, aber ich spürte, wie es ihm gegen den Strich ging, mich gehen lassen zu müssen.

Bevor ich wirklich endgültig aus der Tür heraus war, hielt er mich noch einmal zurück, küsste mich zum Abschied und nahm mir das Versprechen ab, weiterhin zu antworten wenn er mir schrieb.

Auf dem Weg nach unten fühlte ich mich seltsam leer und emotionslos. Mir kam das alles wie ein merkwürdiger Traum vor, aus dem ich immer noch nicht erwacht war. Erst als ich schon im Taxi saß und wir eine Weile unterwegs waren, drangen die Erlebnisse langsam zu mir durch und ich löste mich allmählich aus meinem Dämmerzustand.

Endlich zu Hause angekommen hatte ich aber gar keine Gelegenheit, mir über irgendwas davon auch nur ansatzweise weiter Gedanken zu machen, denn alle meine Brüder, die zu Hause waren bestürmten mich sofort mit Fragen, wie es mir ging, ob alles in Ordnung wäre und Masaomi und Ukyo entschuldigten sich beide bei mir dafür, dass sie mich nicht gefahren hatten. Dann wurde ich gefragt, ob ich Hunger hatte und ob mit Fuuto alles gut gelaufen war.

Leicht überfordert beantwortete ich alle Fragen so gut es ging, ließ einige Details aus und zu der Sache mit der Schlafcouch schwieg ich einfach und ließ sie in dem Glauben. Immerhin hatte der Popstar ihnen diese halbe Lüge aufgetischt, da würde ich nicht diejenige sein, die da wiedersprach.

„Mir geht es gut, es ist ja nichts Schlimmes passiert", versuchte ich alle zu beruhigen. „Ich finde ja, Fuuto hat auch ein bisschen überreagiert aber er wollte mich zu dieser Uhrzeit einfach nicht alleine fahren lassen"

„Oh ja, ich wette er war ziemlich besorgt und hat dich nur deshalb bei sich behalten", höhnte Tsubaki von seinem Platz auf der Couch aus und kassierte dafür sofort einen kritischen Blick von seinem Zwillingsbruder.

„Und ich würde wetten, du hättest genauso reagiert, wenn sich die Gelegenheit ergeben hätte", gab dieser bloß trocken zurück.

Tsubakis Mundwinkel verzogen sich zu seinem frechen Lächeln. „Na klar", gab er ungerührt zu und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Deswegen stelle ich mir gar nicht erst vor, wie das wahrscheinlich abgelaufen ist" In seiner Stimme lag Sarkasmus, aber er warf mir einen sehr ernsten Blick zu, der mich beinahe augenblicklich doch noch erröten ließ.

„Hat er dir was getan?", fragte Yusuke beinahe verärgert und wurde deshalb von Ukyo getadelt, er solle nicht solche Dinge über seine eigenen Geschwister denken. Auch ich schüttelte den Kopf nachdrücklich.

Froh das Theater endlich hinter mir zu lassen, zog ich mich in mein Zimmer zurück, wo ich endlich hoffte etwas Ruhe zu finden. Stattdessen fand ich einen stinkwütenden Juli, der aussah, als stünde er kurz vor einem Herzinfarkt und mich in der Minute ansprang, in der ich das Zimmer betrat.

Natürlich durfte ich mir erst eine Moralpredigt von ihm anhören und dann musste ich quasi zum zweiten Mal alle möglichen Fragen beantworten und zwischendurch immer neue Schimpftiraden über mich ergehen lassen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er sich endlich wieder beruhigt hatte, aber nach dem Abendessen war Juli zum Glück schon etwas versöhnlicher.

In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig. Immer wieder wachte ich auf und wälzte mich herum. Ich wusste, dass ich am nächsten Tag wieder in die Uni müsste, trotzdem wollte sich der Schlaf bis zuletzt nicht richtig einstellen.