Kapitel 6

Zu meinem riesengroßen Schock machte dieser merkwürdige Magier seine Drohung wirklich wahr und machte keine Anstalten wieder zu verschwinden. Das führte natürlich zu einer Menge Ärger. Er blieb in meiner Wohnung, auch nachts. Er ging mit mir zur Uni und war anwesend, während ich Bewerbungsgespräche für einen neuen Nebenjob führte. Dieser Zauberer mit seinen glühenden Augen wurde zu meinem persönlichen Schatten. Und er ging mir furchtbar auf die Nerven! Er allerdings schien eine fast besessene Freude daran zu haben, mich auf die Palme zu bringen.

Auf offener Straße kam es immer richtig gut, wenn ich nicht daran dachte, dass er für alle anderen unsichtbar war und ich mich dann ordentlich zum Horst machte. Die Leute mussten denken, ich sei aus einer Anstalt entflohen, wie ich so die Luft um mich herum anbrüllte. Mein ständiger Begleiter machte sich gerne einen Spaß daraus, jegliche Art von überschwemmenden Emotionen bei mir freizusetzten. Er nervte mich absichtlich, machte mich wütend, wenn ihm danach war. Zu anderen Zeiten versuchte er mich zum Lachen zu bringen oder er kam mir so unglaublich nah und machte merkwürdige Andeutungen, dass ich vor lauter Verlegenheit glatt vergaß, wie man blinzelte.

Andererseits war er mir gegenüber anscheinend sensibel genug, dass er genau erkannte, ab welchem Zeitpunkt er mich besser in Ruhe ließ. Und das verwirrte mich nur zusätzlich. Irgendwie hatte ich ständig jemanden um mich herum. Es war verrückt sich dadurch weniger einsam zu fühlen, immerhin stritt ich mich fast nur mit diesem Magier. Zu meiner Verwunderung war es nur so, dass ich mir permanent Gedanken über diesen unerwünschten Gast machte und somit weniger Zeit hatte, in meinen alltäglichen Sorgen zu versinken. Und das tat verdammt noch mal gut.

Es stellte nicht die optimale Ablenkung dar, aber immerhin. Ich wollte es nicht zugeben, aber manchmal, ganz selten, war es fast angenehm nicht jeden Tag ganz alleine zu sein. Ich hatte keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern, in der Uni hatte ich noch keinen wirklichen Anschluss gefunden und ich war neu in der Stadt. Ich kannte quasi niemanden und war die meiste Zeit für mich. Der Zauberer war ein Ärgernis, aber… Naja er war da.

Mich mit ihm anzulegen empfand ich auch nicht als so schrecklich, wie mich ständig mit meiner Mutter zu streiten. Es zerriss mich nicht innerlich, im Gegenteil, es war von Zeit zu Zeit unglaublich befreiend, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und wie ein wildgewordener Brüllaffe jemanden anzuschreien. Und wenn das denjenigen dann noch nicht mal verletzte, sondern scheinbar auch noch anmachte, brauchte ich hinterher auch kein schlechtes Gewissen zu haben.

Viel zu schnell gewöhnte ich mich auch noch an diesen unausstehlichen Kerl. Ich fand es immer noch ziemlich gruselig, dass er mein „Leiden", wie er es bezeichnete, anziehend fand. In meinen Augen war das schon ziemlich krank. Man freute sich doch normalerweise nicht, wenn man jemand anderen verzweifelt weinen sah, oder?

Dieser Zauberer war so undurchsichtig für mich wie Milchglas. Was hatte er vor? Mein Instinkt sagte mir jedenfalls, dass da mehr war, als mein Wunsch. Immerhin verfolgte er mich schon von einem Zeitpunkt an, an dem meine Eltern noch verheiratet gewesen waren. Und während er so bei mir rumhing, wurde ich natürlich immer neugieriger.

„Nenn mich doch nicht immer meine Heldin", hatte ich ihn nach einigen Tagen angepflaumt, „Ich habe einen Namen, also benutz ihn gefälligst!"

Natürlich war ich zu diesem Zeitpunkt einfach davon ausgegangen, dass er wusste, wie ich hieß. Man stalkte ja nicht ein Mädchen jahrelang, ohne ihren Namen zu kennen, das erschien mir ziemlich unwahrscheinlich.

„Hast du eigentlich keinen Namen?" Aus reiner Neugier hatte ich diese Frage noch angehängt. Mein Mitbewohner hatte daraufhin bloß ein trockenes, bitteres Lachen übrig gehabt.

„Wozu?", hatte er mich gefragt und dabei war er mir selbst zum ersten Mal ziemlich traurig vorgekommen. „Damit ihn alle außer mir sowieso wieder vergessen? Nicht nötig"

„Aber jeder muss doch einen Namen haben", protestierte ich genervt. „Wie soll ich dich denn sonst ansprechen? Ich kann dich schlecht nur Zauberer nennen" Naja hätte ich theoretisch schon gekonnt, wollte ich aber einfach nicht. Er zuckte nur mit seinen Schultern, als wäre ihm das völlig egal.

„Gib du mir doch einen", sagte er plötzlich ohne jeden Spott in der Stimme, wie sonst. Irgendwie brachte mich das in Verlegenheit. Immerhin standen wir uns nicht besonders nahe. Also zumindest ich war ihm gegenüber immer noch sehr distanziert. Oder sah ich etwa aus, wie seine Mutter?

Schließlich seufzte ich angestrengt. Wenn ich ihn wirklich nicht Zauberer nennen wollte, würde ich mir wohl oder übel etwas Besseres einfallen lassen müssen.

„Ich finde ja Toya passt ganz gut", überlegte ich nach einem ausgedehnten Schweigen laut.

Der Weißhaarige wirkte wieder einmal von mir überrascht und dann stahl sich erneut dieses Grinsen in sein Gesicht. Dieses teilweise gefährliche, freche Grinsen, was ihn so aussehen ließ, als hätte er etwas vor, von dem er wusste, dass es einem nicht gefallen würde. Anscheinend zeigte es sich immer dann bei ihm, wenn ich etwas tat oder sagte, was er nicht erwartet hätte. Das schien ihm jedes Mal wieder zu gefallen.

„Es wird mir eine Ehre sein den Namen zu tragen, den du mir gegeben hast", antwortete er mit einer spielerischen Verbeugung in meine Richtung.

Ich konnte mir einfach nicht helfen. Irgendwie fühlte ich mich ständig von dem Kerl verarscht. „Jetzt übertreibs halt nicht gleich wieder so", schnaubte ich verächtlich und wollte ihn damit einfach stehen lassen.

Im nächsten Moment schwebte er direkt über mir. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, sodass ich das Glühen in seinen mysteriösen Augen sehen konnte.

„Es ist mir ganz ernst, Aika" Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und ich schnappte gebannt nach Luft. Es war das erste Mal, dass er meinen Namen benutzte statt mich seine Heldin zu nennen. Allerdings war es bei Weitem nicht das erste Mal, dass er mir so verdammt nahe kam. So nahe, dass ich den angenehm orientalisch anmutenden Duft wahrnehmen konnte, den er verströmte.

Ich lehnte mich auf der Couch weiter zurück und drückte mich in den weichen Stoff der Rückenlehne, während der Zauberer, während Toya, in seiner ganzen Pracht über mir in der Luft hing und auf mich herab blickte. Wie jedes Mal, wenn er das tat, auch wenn er es nur deshalb tat, um mich zu ärgern, wurde ich knallrot im Gesicht und konnte meinen Blick nicht mehr von den bunten Farben seiner Gewänder und dem Glitzern seines exotischen Schmucks abwenden.

Atemlos starrte ich ihn dann immer an, wollte vermeiden ihm in die wunderschönen Augen zu sehen und scheiterte doch jedes Mal aufs Neue kläglich, bis der Moment endlich vorbei war und er sich zufrieden von mir zurückzog.