Kapitel 7
Toya wurde zu einer Persönlichkeit, die wahrgenommen und nicht wieder vergessen wurde und er gewöhnte sich viel zu schnell daran. Noch nie hatte er einen Namen besessen. Aika hatte ihm einen gegeben und er hatte ihr im Stillen dafür gedankt.
Zweifelsohne hatte sie ein gutes Herz. Ihm war natürlich auch der Blick nicht entgangen, den sie ihm zugeworfen hatte, als er ihr gesagt hatte, dass er keinen Namen bräuchte. Aber Mitleid war so ziemlich die einzige Gefühlslage, die er an ihr auf keinen Fall sehen wollte. Zumindest nicht ihm gegenüber.
Also hatte er sich sofort und sehr erfolgreich darum bemüht, sie wieder auf die Palme zu bringen. Ihr Mitleid für ihn war sozusagen im selben Moment verflogen. Und genauso schnell verflogen waren die nächsten Tage, die er in Aikas Nähe verbrachte.
Toya beobachtete sie gespannt dabei, wie sie sich abmühte, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Egal, wie viele Rückschläge sie dieses Mal einstecken musste, sie riss sich zusammen und hielt stand.
Aika ging unter der Woche zur Uni, danach war sie meistens auf der Suche nach einem neuen Job. Sie schmiss gekonnt ihren Haushalt, wobei Toya ihr irgendwann sogar freiwillig zur Hand ging. Er hatte so das Gefühl, dass sie ihn vielleicht wenigstens nützlich finden könnte, wenn sie ihn schon nicht leiden konnte.
Die Hausarbeiten und die Lernerei, um die bestmöglichen Noten zu bekommen, nahmen die meiste Zeit ihrer Wochenenden ein, aber so verbissen und ehrgeizig sie auch war, sie ließ es sich nicht nehmen, ab und zu auch zum Spaß etwas zu zeichnen.
Das Zeug, das sie für ihr Kunststudium produzierte war erstklassig, keine Frage. Wann immer Toya allerdings Zeichnungen betrachtete, die Aika aus freien Stücken gezeichnet hatte, stellte er den Unterschied fest, den ihr Herzblut ausmachte. In ihren Bildern lag ein wahnsinnig starkes Gefühl, das bei ihm eine Art Sehnsucht auslöste, die er so noch nicht kannte. Auf was sie sich jedoch bezog, blieb ihm selbst ein Rätsel. Er wusste nur, dass er Aikas Kunst unbeschreiblich schön fand. Meisterhaft.
Und anscheinend zahlte es sich für sie aus, dass sie Kunststudentin war, denn irgendwann kam sie auf die Idee, sich in einer Kunstgalerie zu bewerben. Toya war bei dem Vorstellungsgespräch dabei und die Frau, die das Ganze zu leiten schien, war recht angetan von der Vorstellung, eine Aushilfe zu haben, die auch persönliches Interesse an der Kunst hegte. Sie stellte Aika nach einer Stunde Vorgespräch ein und der Lohn war für einen Nebenjob gar nicht mal so übel.
Als Toya die Galerie mit ihr wieder verließ, strahlte Aika freudig, als hätte sie im Lotto gewonnen. Sie bekam durch den neuen Job ihre Finanzen wieder besser in den Griff. Auch die Noten in der Uni hielten sich wieder konstant gut. War ja auch kein Wunder bei der Menge an Zeit, die sie mit Lernen und Projekten verbrachte.
Trotz allem schien all das sie nicht wirklich zufrieden zu stellen, denn ihr Herzenswunsch verblasste nicht. Aika hatte ihr Leben wieder gut im Griff und managte alles sehr souverän, obwohl sie alleine war. Sie erlaubte sich auch keine Schwächen mehr. Aber der unbewusste Ruf nach Toya, der ihn an ihre Welt fesselte, blieb bestehen. Was ihn darüber nachdenken ließ, ob sie alleine wirklich so viel besser dran war, wie sie selbst immer behauptete.
„Ich denke, du solltest ein bisschen mehr Spaß und Freude am Leben haben", erklärte er ihr irgendwann schnaubend, als Aika ihn fragte, wie lange sie ihn noch ertragen müsste.
„Bitte was?", fauchte sie Toya an, der lässig auf ihrer Couch hing und durch das Fernsehprogramm zappte.
Er zuckte nur die Schultern. „Versteh mich nicht falsch, ich bewundere deinen Ehrgeiz", sprach er einfach weiter, als hätte sie gar nichts erwidert. „Aber alles was du tust ist in die Uni zu fahren, danach zu arbeiten und hier zu Hause lernst du wie eine Besessene, weil man sich ja mit nur neunzig Prozent nicht zufrieden geben kann"
Toya merkte schnell an dem wütenden Funkeln in Aikas Augen, dass er sie mal wieder so weit hatte. Sie platzte fast, so sehr hielt sie sich noch zurück. Komm schon, dachte Toya, zeig mir, wie viel Temperament du hast!
„Mein Studium macht mir Spaß!", stellte sie knurrend klar. „Und ich will es unbedingt mit der bestmöglichen Note abschließen. Dazu ist Fleiß nun mal nötig. Und Disziplin"
Toya hob eine Augenbraue. „Jetzt klingst du wie deine Mutter"
Aika erstarrte auf der Stelle. Mit weit aufgerissenen Augen maß sie ihn mit einem ungläubigen Blick, als hätte er sie geschlagen. „Meiner Mutter werde ich so zeigen, dass ich keine Versagerin bin!", schrie sie plötzlich verzweifelt los. „Ich werde ihr zeigen, dass ich auch gut ohne sie auskomme und ich werde eine berühmte und angesehene Künstlerin sein. Nur noch ein einziges Mal werde ich ihr ins Gesicht sehen und zwar um ihren jämmerlich geschockten Ausdruck in ihren Augen zu sehen, wenn sie all das schließlich erkennt!"
Der Weißhaarige setzte sich in eine aufrechte Position und lehnte sich dann ein Stück zu ihr vor. Ach, wie er ihre Ausbrüche doch immer genießen konnte. „Was bringt es dir, von deiner Mutter getrennt zu leben, wenn jetzt du selbst diejenige bist, die sich unter Druck setzt?", reizte er sie weiter mit seinem viel zu ruhigen und belehrenden Tonfall.
Aika schnappte nach Luft. Ihre Wangen waren vor Wut rot verfärbt. „Es bringt mir, dass ich genau das studieren kann, was ich will", tobte sie weiter. „Es bringt mir, dass ich mir nicht mehr Tag für Tag anhören muss, was ich doch alles falsch mache, was ich für ein Fehlschlag bin und was für eine Versagerin. Dass ich es im Leben nie zu etwas Akzeptablem bringen werde, obwohl meine Mutter ja ach so viel in mich investiert hat. Ich muss mir keine Verbote mehr anhören. Ich kann tun und lassen, was immer ich will!"
Aufmerksam hörte Toya ihr zu. Er hatte das alles auch miterlebt, hatte gesehen, was für eine Schreckschraube Aikas Mutter nach der Trennung von ihrem Mann geworden war. Trotzdem konnte er sich ein hinterlistiges Grinsen nicht verkneifen. Er hatte sie. Sie wusste es nur noch nicht. Aber gerade holte er zu einem bösen Tiefschlag aus.
„Ich frage dich jetzt noch einmal: Was genau hat dir das bisher gebracht?" Ungläubiges Schweigen war die Folge. „Du lebst doch weiterhin nach der Maxime deiner Mutter. Du brauchst ihre Verbote gar nicht mehr. Du triffst dich freiwillig mit niemandem, gehst nicht auf Partys, hockst nur in deinem Zimmer und lernst, so wie sie es immer von dir erwartet hat. Zeigst du ihr damit nicht eher das Gegenteil von dem, was du dir wünschst? Du zeigst ihr damit doch nur, dass ihre Erziehungsmethoden richtig waren und dass du sie aus freien Stücken für dich selbst übernommen hast. Dann wird es sie auch sicher nicht überraschen, wenn du damit Erfolg hast. Und mal ganz ehrlich, bist nicht mittlerweile du es selbst, die Angst davor hat, tatsächlich eine Versagerin zu sein?"
