Kapitel 8
Stille senkte sich über den Raum nach diesem seelenruhigen Vortrag. Ich konnte Toya nur anstarren. Der hatte so einen triumphierenden Blick im Gesicht, dass ich ihn am liebsten weiter angeschrien hätte. So etwas wie „Ich habe die Wahl und das ist, was zählt!" Aber selbst das wäre nicht so überzeugend rübergekommen, wie ich es gewollt hätte, das war mir schmerzlich bewusst. Weil ich schon längst keine freie Wahl mehr hatte. Ich war so lange freiwillig alleine geblieben, dass sich die anderen schon daran gewöhnt hatten. Jedes Mal, wenn ich auf einer Feier eingeladen gewesen war, hatte ich abgesagt und mittlerweile fragte mich schon gar niemand mehr. Um also eine Wahl zu haben, hätte ich auch Freunde haben müssen.
Als das Schweigen sich in die Länge zog, seufzte Toya gekonnt theatralisch. „Es ist nie zu spät, weißt du", sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Es fällt tatsächlich wesentlich leichter Leute kennenzulernen, da du dieses Unsichtbarkeitsproblem nicht hast. Ich spreche da aus Erfahrung"
Ich musste lachen. Das war das erste Mal, dass Toya mich tatsächlich zum Lachen brachte. Normalerweise ging er mir absichtlich auf die Nerven und provozierte mich bis zur Weißglut.
Er erhob sich von meiner Couch, was bei ihm durch das Schweben und durch seine magische Aura besonders elegant aussah und kam auf mich zu. „Ich mag dein Lachen", stellte er fest. Seine Miene war ernst, aber in seinen Augen stand dieses besondere exotische Funkeln.
Ich verstummte und erwiderte seinen Blick. „Du magst es auch, wenn ich leide", gab ich traurig zurück.
Toya zog seine Stirn in Falten. „Ich sehe einfach gerne jegliche Art von Emotionen an dir. Du zeigst sie alle so offen und teilweise um einiges stärker, als andere Menschen. Ich habe herausgefunden, dass nur sehr wenige stark emotional reagieren. Vor allem versuchen die meisten Leute, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen"
Interessiert legte ich den Kopf schief. Plötzlich klang das gar nicht mehr so krank, wie ich gedacht hatte. „Ich versuche meine Gefühle doch auch zu verstecken. Ich bin nur nicht besonders gut darin"
Der weißhaarige Magier schüttelte entschieden seinen Kopf. „Du versuchst nur deine Schwächen zu verbergen, weil du eine Kämpferin bist. Andere Emotionen zeigst du und anscheinend sogar, ohne dir dessen überhaupt bewusst zu sein. Das ist beeindruckend", fuhr er ungerührt fort und griff nach einer Strähne meiner langen schwarzen Locken. „Selbst in deinem Leid bist du immer noch ein faszinierendes Geschöpf"
Bei diesem unverhofften Kompliment wurde ich plötzlich verlegen und senkte automatisch den Blick. Ich konnte spüren, wie meine Haare aus seiner Hand glitten und an ihren Platz zurück fielen.
„Geh mit mir aus"
Überrascht schaute ich wieder auf und begegnete Toyas festem Blick.
„So sagen das doch die Männer in dieser Welt, wenn sie eine Frau eindrucksvoll finden"
Mein Mund klappte auf, aber es kamen keine Wörter heraus, nicht mal irgendwelche Töne, bloß heiße Luft. Er zuckte elegant mit den Schultern, wie er es so oft tat.
„Naja wir können nicht zusammen essen gehen oder etwas Ähnliches, weil mich ja niemand sehen kann, aber du könntest mir zum Beispiel den Strand zeigen"
Meine Gedanken kreisten immer noch, wie ein Karussell. „Den Strand", wiederholte ich sehr geistreich.
Toya grinste sein typisches Grinsen. „Dann bräuchtest du dir auch keine Gedanken darüber zu machen, mit wem du mal weggehen könntest. Benutze einfach mich für deine Auszeiten, bis du jemanden in der Uni gefunden hast"
So langsam aber sicher dämmerte es bei mir durch den ganzen Nebel. Er beobachtete mich schon lange, er war gekommen, um meinen Wunsch zu erfüllen und würde bleiben, solange dieser Wunsch nicht erfüllt war. Er sah mich gerne emotional, auf welche Weise auch immer und er fand mich beeindruckend und kämpferisch. Und zu guter Letzt hatte er mich nun gefragt, ob ich mit ihm ausgehen würde.
Ich war ja so ein Schaf! Noch viel deutlicher konnte er mir ja gar nicht zu verstehen geben, dass er mich eigentlich ziemlich gern hatte. Und ich hatte das Klischee von Jungs, die Mädchen ärgern, weil sie sie mögen, immer für bloße Spinnerei gehalten. Wenn man jemanden mochte, dann wollte man ihn doch nicht wütend oder traurig machen. Und man wollte auch nicht, dass dieser jemand litt. Andererseits, wenn man sein ganzes Leben in einer menschenleeren magischen Dimension verbrachte, von allen immer wieder vergessen wurde und Gefühle lange Zeit nur von außen betrachtete, bevor man sie verstand und irgendwann selbst vielleicht empfinden konnte, dann war man wahrscheinlich über jede kleinste Regung froh, die man in jemand anderem auslösen konnte. Und für jedes kleine Lachen wäre man plötzlich dankbar.
Eigentlich hatte ich ja auch schon längst eingesehen, dass er Recht hatte mit dem, was er über mein jetziges Leben gesagt hatte. Und irgendwie war es ja auch ganz süß, dass Toya selbst derjenige sein wollte, der mir dabei half, es zu ändern.
Ich fand es ein bisschen traurig, dass er dachte, ich würde ihn sobald wie möglich durch einen Unifreund ersetzen, aber so wie ich ihn immer anschrie dachte er vermutlich, dass ich ihn immer noch nicht leiden könnte. Was nicht stimmte. Naja, nicht mehr zumindest.
Tief holte ich Luft, weil ich Angst hatte, meine Stimme könnte vor lauter Nervosität einfach versagen. „Okay", stieß ich schließlich mühsam zitternd hervor. „Ich nehme dich am Wochenende mit zum Strand", setzte ich noch hinzu, als ich Toyas Schockstarre bemerkte, die er bei diesen Worten aber schnell wieder überwand und noch näher an mich heran rückte, um mein Kinn mit seinen Fingern anzuheben.
„Dann haben wir zwei jetzt also ein Date"
Ich konnte nur nicken. Wie jedes Mal, wenn er mir so nahe kam, bemerkte ich auch dieses Mal wieder, wie schön er eigentlich auf seine Art und Weise war.
„Und, wirst du einen Bikini tragen?", neckte er mich und verzog anzüglich seine Mundwinkel.
Hitze schoss mir augenblicklich durch den ganzen Körper und ich riss mich abrupt von ihm los, um mich beleidigt abzuwenden.
„Für dich bestimmt nicht", fauchte ich und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
„Warum denn nicht?", lachte Toya amüsiert. „Ich denke, so ein strahlendes Hellgrün wie das deiner Augen würde dir ganz sicher gut stehen"
Ganz kurz ertappte ich mich selbst dabei, wie ich wirklich über Hellgrün nachdachte und musste gegen meinen Willen wieder lächeln.
