Kapitel 4. Zweifel und Gewissensbisse
Als Lucy den Saal wieder betreten hatte, hängte sich sofort Levy an sie heran und wollte genau wissen, worüber ihre Freundin mit Loki so lange gesprochen hatte. Allerdings entlockte die Geschichte auch der Blauhaarigen keine Begeisterungssprünge.
„Ich klemme mich nochmal dahinter", versprach sie entschieden. „Es muss noch andere Anhaltspunkte geben. Dieses Buch kann nicht das Einzige sein. Vielleicht haben wir bisher nur die falschen Ansätze gehabt. Wenn ich gezielt nach der Nacht der Drachen suche, finde ich sicher etwas, das uns weiterhilft"
Die Blondine lächelte dankbar, ließ aber dennoch die Schultern hängen. Sie hatte die Zuversicht verloren. Selbst wenn Levy noch mehr erfuhr, was würde das helfen, wenn sie nicht dazu in der Lage wäre, das Ritual selbstständig durchzuführen?
Lucy hatte sich so sehr erhofft, die Seelen der Drachen auch dort zu erreichen, wo sie sich nun aufhielten, egal wo das auch sein mochte. Und durch die Verbindung ihrer Seelen mit ihrer eigener und vielleicht ihren Stellargeistern hätten sie eine Möglichkeit gehabt, einen Hinweis auf den Aufenthaltsort zu bekommen. Mit sehr viel Glück hätten sie vielleicht sogar mit einem von ihnen sprechen können, um zu erfahren was wirklich passiert war und dann hätte man den Drachen vielleicht sogar helfen können.
Aber das alles waren viel zu viele „Hättes" und „Vielleichts". Jetzt, da sie wusste, was für ein wahnsinniger Kraft und Magieaufwand das Ritual darstellen musste, war sie sich nicht mehr sicher. Und sie überlegte sich, dass es schon schwer genug gewesen sein musste, als die Drachen noch in dieser Welt gelebt hatten. Wie viel schwerer würde es durch ihre bloße Abwesenheit wohl werden, wenn Lucy die Magie des Rituals noch auf eine weite Reise schicken musste?
Fragen über Fragen, die ihre Zweifel an der Sache und sich selbst nur verschlimmerten. Und keine beruhigenden Antworten in Sicht. Hoffentlich würde wenigstens Levy ihre Zuversicht nicht verlieren und etwas Hilfreiches herausfinden.
Am nächsten Morgen saß Lucy alleine in einer Ecke und hatte sich mit selbstgemachten Tischdekorationen zurückgezogen, um sich von ihren düsteren Gedanken abzulenken. Sie war auch recht erfolgreich damit gewesen, bis Levy sie aufgeregt aus ihrem tagträumerischen Zustand aufschreckte.
„Lu-chan?" So wie die Blauhaarige sie ansah, hatte sie das schon einige Male wiederholt. „Mensch, Lu-chan, hör mir doch mal zu!" Beleidigt stemmte die kleine Magierin ihre Hände in die Hüften.
Die Stellargeistmagierin zuckte zusammen und schaute von dem ganzen bunten Krepppapier auf, das auf dem hellen Holztisch vor ihr verstreut lag. „Hm?"
„Du glaubst einfach nicht, was ich gestern noch herausgefunden habe!", platzte es aus der Schriftmagierin heraus. Sie war völlig aus dem Häuschen und stützte sich mit beiden Armen vor Lucy auf dem Tisch ab. „Die Nacht der Drachen, also die Nacht, in der das Bündnis geschlossen wurde ist in genau vier Tagen. Immer am selben Datum, logischerweise. Das Ritual jährt sich also normalerweise"
Die Blondine wurde hellhörig. „In vier Tagen?", fragte sie erschrocken. „Aber genau da feiern wir Wendys Party" Und da war ja noch eine Kleinigkeit… Lucys Blick wurde trüb. „Levy-chan, ich weiß nicht mehr so genau, ob das so eine gute Idee ist"
„Ich weiß. Ich hab auch Angst", gestand ihre Freundin kleinlaut und setzte sich missmutig zu ihr. „Diese ganze Sache ist uns von Anfang an ziemlich über den Kopf gewachsen"
„Andererseits können wir jetzt nicht so einfach aufgeben", setzte sie wieder an. „Die Lösung liegt direkt vor unserer Nase und wir sind die einzigen, die das hier durchziehen können. Immerhin geht es hier mehr oder weniger um die „Eltern" von unseren Freunden" Levy setzte das Wort mit einer vagen Geste in Anführungszeichen.
Natürlich war Lucy das auch klar. Sie hatte schon oft mit Natsu darüber gesprochen. Und noch öfter hatte sie heimlich beobachtet, wie Natsu seinen Schal in der Hand gehalten und traurig betrachtet hatte, wenn er dachte, es würde niemand mitbekommen. Der Schal war ein Geschenk des Feuerdrachen gewesen. Das Einzige, was von ihm geblieben war.
Sie schluckte schwer und erinnerte sich an all die Situationen, in denen Natsu für sie da gewesen war, sie beschützt hatte, ihr auf seine eigene verrückte Art Mut gemacht hatte. Und schon fühlte sie sich erbärmlich, weil sie wirklich darüber nachgedacht hatte, alles abzublasen.
„Ich bin eine schreckliche Freundin", schluchzte die Blonde und eine Träne fiel herab. „Ich habe wirklich darüber nachgedacht, es nicht zu versuchen. Ich bin ein gottverdammter Feigling" Sie wischte schnell mit dem Handrücken über ihre Augen, um die salzige Träne wieder loszuwerden.
Levy nahm die Hände ihrer besten Freundin in ihre eigenen und drückte sie zaghaft. „Das Gefühl kenne ich gut, glaub mir. Ich fühle mich auch immer klein und schwach. Aber wir sind zu zweit. Zusammen schaffen wir es ganz sicher. Ich helfe dir, soweit ich kann!" Die beiden Mädchen sahen sich an und lächelten, dabei wurde Lucy wieder etwas wärmer ums Herz und sie dachte für einen kurzen Augenblick, dass sie es tatsächlich schaffen könnten.
Sie nickte schwach. „Ich werds tun", entschied sie. „Natsu hat schon so viel mehr für mich getan. Ich weiß einfach, dass er es auch für mich riskieren würde"
„Allerdings hat Natsu auch vor nichts Angst. Für ihn wäre es keine Überwindung. Wahrscheinlich würde er nicht mal eine Sekunde darüber nachdenken und blindlings einfach losstürmen, wie er es sonst auch tut", versuchte Levy sie zu ermutigen.
Das entlockte Lucy ein entnervtes Seufzen. „Er übertreibt es auch einfach immer so" Daraufhin musste sie kichern und ihre Freundin kicherte mit ihr. Die Schwere in ihrem Herzen war plötzlich wieder gelöst und sie fühlte sich entschlossener als zuvor ihren Kameraden zur Seite zu stehen.
„Danke, Levy-chan"
„Wozu hat man eine beste Freundin?"
„Wir sollten uns nochmal genau ansehen, wie wir das Ritual durchführen müssen", überlegte Lucy. „Ich meine, so genau es eben geht und bekannt ist. Ich würde wirklich ungerne Fehler machen. Vor allem weil ich nicht weiß, welche Konsequenzen sie hätten"
Die Blauhaarige nickte zustimmend. Also war es beschlossene Sache. Lucy würde sich mit Levy abends von Wendys Feier schleichen, um in der Nacht der Drachen das Ritual zu vollziehen, das die Seelen der Drachen mit ihrer eigenen verbinden konnte. Keine große Sache, eigentlich…
