Kapitel 6. Happy Birthday

Als Lucys Wecker schrill anfing zu klingeln, fuhr die Stellargeistmagierin erschrocken auf. Irgendwann war sie wohl doch vor lauter Erschöpfung eingeschlafen und saß nun senkrecht in ihrem Bett, bis sich ihr Herzschlag wieder einigermaßen normalisiert hatte.

Heute war Wendys Geburtstagsfeier, zu der sie die kleine Dragonslayerin abholen sollte. Alle anderen Fairy Tail Mitglieder würden schon in der Gilde auf sie warten und dann würden sie die große Überraschung starten. Lucy war schon so gespannt auf den freudigen Gesichtsausdruck ihrer Freundin, dass sie beinahe ihre Nervosität ganz vergaß. Schließlich konnte sie ihre Aufregung bis zum Abend herunterschlucken, denn Levy hatte die Uhrzeit für das Ritual natürlich auf kurz vor Mitternacht festgelegt. Irgendwie fand Lucy das klischeehaft, aber sie wiedersprach ihrer schriftgelehrten Freundin auch nicht.

Nun doch etwas beruhigt und im Großen und Ganzen fröhlich gestimmt, machte sich die Blondine auf zum Wohnheim für die Mädchen von Fairy Tail und klopfte dort an Wendys Tür, um sie abzuholen.

Eine noch ziemlich verschlafene Dragonslayerin mit wirrem Haar und im hellgelben Nachthemd öffnete die Tür und machte große Augen, als sie Lucy erblickte.

„Lucy-san, guten Morgen", murmelte Wendy und öffnete ihre Tür noch etwas weiter.

„Morgen Wendy", antwortete Lucy heiter. „Begleitest du mich zur Gilde?"

„Natürlich, ähm…" Das kleine Mädchen sah sich forschend in ihrem Zimmer um. „Komm doch bitte rein, ich ziehe mich nur schnell an"

Lucy tat wie ihr geheißen und begleitete Wendy in ihr Zimmer, wo die kleine Magierin schnell in ihr Badezimmer verschwand. Lucy setzte sich derweil auf einen bequem wirkenden Sessel und guckte sich um, bis ihr etwas kleines, weißes aus der Küche entgegen geflattert kam.

„Guten Morgen Charle", begrüßte sie die Exceed, die Wendys Partnerin war.

Diese wirkte genauso verwirrt, wie ihre Partnerin vorher, aber sie nickte höflich und grüßte zurück. Schnell und leise weihte Lucy Charle in ihre die Pläne von ihren Freunden ein und warum sie hergekommen war. Die kleine Katze war begeistert von der Idee und versprach noch nichts zu verraten und schön mitzuspielen, bis die Überraschung raus war.

Nach ein paar Minuten weiteren Wartens, tauchte Wendy endlich angezogen aus dem Bad wieder auf und das Dreiergespann konnte sich frohen Mutes auf den Weg machen. Bis zur Gilde war es nicht weit, trotzdem lenkte Lucy ihre Freundin die ganze Zeit über ab, redete mit ihr über den Auftrag, den sie zusammen mit Natsu, Gray und Happy erledigt hatten und fragte gelegentlich bei einigen Situationen nach, was weiter passiert war.

Endlich bei der eindrucksvollen Burg angekommen, klopfte Lucy dreimal schnell hintereinander und zweimal langsamer an die Tür – das geheime Klopfzeichen, dass Wendy bei ihr war – und öffnete ganz langsam die Tür, um ihren Kameraden genug Zeit zu geben.

Die Überraschung fiel genauso gelungen aus, wie es geplant war. Mit einem laut dröhnenden „Alles Gute zum Geburtstag!" gingen überall die bunten Lichter an, die in mühevoller Kleinstarbeit kunstvoll an die Wände gesteckt worden waren. Alle ihre Freunde und auch der Master sprangen aus ihren Verstecken hervor, warfen Luftschlangen und Konfetti, klatschten und johlten fröhlich. Leise Musik erklang im Hintergrund und überall schwebten bunte Ballons bis zur Decke hinauf, wo sie schließlich hängen blieben. Zum krönenden Abschluss kam Erza mit einem glänzenden Servierwagen aus der Küche, auf dem die mit Wunderkerzen dekorierte Geburtstagstorte thronte.

Wendy hatte es unterdessen die Sprache verschlagen. Mit weit aufgerissenen Augen, in denen Tränen der Rührung standen und mit aufgeklapptem Mund, starrte sie in die Runde und dann auf die riesige Torte. Lucy befürchtete schon, Wendy würde über das Blinzeln hinaus auch noch das Atmen vergessen, deshalb umarmte sie ihre Freundin fest und sagte ihr auch nochmal „Happy Birthday, Wendy"

Da kam endlich wieder ein bisschen Bewegung in den kleinen vor Überraschung erstarrten Körper und die kleine Blauhaarige erwiderte die Umarmung. Als Lucy ihre Freundin wieder losließ, wischte die sich gerade mit dem Handrücken kurz über die Augen und strahlte glücklich ihre Gildenmitglieder an, die immer noch versammelt um sie herumstanden.

„Vielen Dank, Leute", brachte sie schließlich mühselig hervor. Dabei klang ihre Stimme immer noch etwas belegt und unsicher, aber sie lächelte breit von einem Ohr zum anderen.

Natsu stellte einen kleinen Tritt vor den Servierwagen, damit Wendy hinauf steigen konnte.

„Jetzt musst du die Wunderkerzen auspusten und dir dabei was wünschen", erklärte er grinsend und half Wendy mit einer Hand auf die kleine Treppe, damit sie die Kerzen auch erreichen konnte.

Nachdem das Geburtstagskind mit einigem Aufwand auch die letzte Kerze endgültig ausgeblasen hatte, gab es einen großen Applaus und die Wendy durfte ihre Torte auch gleich anschneiden – die Party konnte endlich losgehen.

Nachdem alle ihre Torte verdrückt hatten, zeigte Mira Wendy den Tisch mit ihren ganzen Geschenken, die sie auch gleich auspacken durfte. Es wurde getanzt, gelacht, gefeiert und getrunken, das Buffet leerte sich rasend schnell und Lucy und Lisanna kamen mit Auffüllen gar nicht hinterher, sodass sie Levy und Erza dann schließlich doch um Hilfe bitten mussten.

Aber das Wichtigste war, dass Wendy überglücklich zu sein schien. Den ganzen Tag hatte sie ein fröhliches Lächeln auf den Lippen, machte jedes der Gruppenspiele mit, freute sich wie eine Irre über ihre Geschenke und bedankte sich tausendmal bei allen möglichen Leuten, die ihr über den Weg liefen für die tolle Party.

Lucy war sehr erleichtert und freute sich auch für ihre Kameradin, dass sie so einen Spaß an ihrer eigenen Feier hatte. Sie saß an der Holzbar bei Mira, die gerade ein paar Gläser polierte.

„Da hat sich der ganze Aufwand ja richtig gelohnt, wie schön", meinte die Verwandlungsmagierin freundlich. Lucy nickte nur zustimmend und leerte ihrerseits das Getränk, das sie schon seit ein paar Minuten in der Hand hielt.

Es war mittlerweile schon dunkel draußen geworden. Die Party war schon seit Stunden in vollem Gange, einige hatten sich schon zum Ausruhen in ein paar Sitzecken zurückgezogen, damit sie später vielleicht nochmal auf die Tanzfläche zurückkehren konnten. Als Lucy sich so die entspannt zusammen sitzenden Grüppchen betrachtete, kam die Anspannung, die sie schon am Morgen verspürt hatte, mit voller Wucht zurück.

Sie wusste, dass sie nicht mehr viel Zeit hatte. Auch Levy schien es langsam ähnlich zu gehen. Sie saß bei dem Eisendrachen Gajeel und seinem Exceed Partner Lilly, hatte aber die Unterhaltung seit einer Weile schon nicht wieder aufgenommen und starrte regungslos auf ihren Teller, den sie erst halb leer gegessen hatte.

Lucy beschloss, es ihrer schlauen kleinen Freundin gleich zu tun und sich ebenfalls an den Tisch zu Natsu, Gray, Erza und Happy zu gesellen. Vielleicht könnten die sie noch eine Weile von ihrem aufkeimenden Selbstzweifel fernhalten, der ihr die Kehle zu zuschnüren drohte.

„Oh Lucy, willst du mit mir eine Piñata kaputthauen? Das macht bestimmt Spaß", rief ihr pinkhaariger Freund und hob gleichzeitig zum Gruß die Hand, als er sie auf sich zukommen sah.

Die Stellargeistmagierin unterdrückte ein Stöhnen und schüttelte nur ungehalten den Kopf. „Natsu, wir haben überhaupt keine Piñata aufgehängt. Außerdem würdest du es bestimmt wieder so sehr übertreiben, dass das Ding hinterher in Flammen aufgeht"

„Was keine Piñata?", schmollte der Feuerdrache beleidigt. Den anderen Kommentar schien er großzügig überhört zu haben. „Och wie öde!"

„Warum genau findest du es eigentlich immer dann öde, wenn du nirgendwo draufhauen darfst?", erkundigte sich Lucy schon leicht gereizt. „Außerdem ist es Wendys Party und nicht deine!"

„Bekomm ich zu meinem Geburtstag dann eine von dir? So mit ganz viel Essen drin?" Natsus Augen leuchteten unverhohlen bei diesem Gedanken. Hatte er sich gerade tatsächlich was von ihr zum Geburtstag gewünscht? Seltsam gerührt lächelte Lucy ihren Freund milde an. Ihr Ärger war auf magische Art und Weise irgendwie verschwunden.

„Nur wenn ich dir die Augen verbinden darf, bevor du sie zerschlägst. So geht nämlich das Spiel richtig"

„Woah cool"

Lucy kicherte zurückhaltend. Jetzt hatte Natsu etwas, worauf er sich freuen konnte. Und sie hatte das Problem, dass sie sich irgendwo schlau machen musste, wie man eine Piñata bastelte. Und das auch noch möglichst ansehnlich. Außerdem würde sie das Ding draußen aufhängen müssen, damit die Gilde nicht Gefahr lief abgefackelt zu werden.

Irgendwann, nachdem Natsu Lucy ein ums andere Mal wieder entweder auf die Palme oder zum Lachen gebracht hatte, stand plötzlich Levy neben ihr an dem hübsch verzierten Tisch.

„Es ist langsam soweit", zischte sie ihr leise ins Ohr. Lucy zuckte unvermittelt zusammen und hatte sofort einen eiskalten Knoten im Magen sitzen. Ihre Zeit war also schon gekommen. Sie nickte schwach und stand zittrig von ihrer Bank auf, inständig darauf hoffend, dass niemand ihre Nervosität bemerkte.

Als sie sich zu ihrer Freundin umdrehte, sah die allerdings auch nicht viel besser aus. Sie war blass um die Nase und hatte – wahrscheinlich unbewusst – beide Hände zu Fäusten geballt. Lucy fragte sich, ob Dragonslayer diese Art von mulmiger Anspannung auch irgendwie riechen konnten und schielte unauffällig aus dem Augenwinkel zurück zu dem Feuerdrachen. Der aber beachtete sie schon gar nicht mehr und war total auf einen Grillspieß fixiert, den Happy ihm fliegend unter die Nase hielt, weil er gerade am Buffet gewesen war.

Da anscheinend niemand den Versuch starten würde zu fragen, wohin sie so plötzlich wollte, seufzte Lucy erleichtert und hängte sich an Levy ran, die zielstrebig die große Flügeltür aus massivem Holz ins Visier nahm, die nach draußen führte.