Kapitel 9. Das Geheimnis wird gelüftet
Aufmerksam beobachtete Lucy Phönix, der sich vorsichtig in eine bequemere Liegeposition sinken ließ und seinen mächtigen Kopf auf den Pranken platzierte. Sie hoffte inständig, dass sie in der Lage sein würde, ihm und seinen Kameraden irgendwie zu helfen.
„Damals kämpfte der König der Feuerdrachen, Igneel, gegen einen mächtigen Dämon, der aus Zerefs Hand entstanden war", setze er zum Erzählen an. „Der Kampf dauerte eine Ewigkeit, aber wir alle wissen, dass insbesondere Dämonen keinesfalls fair kämpfen. So war dieser Dämon nicht allein und Igneel sah sich bald einer Übermacht entgegen. Wir anderen folgten ihm in die Schlacht und riefen auch die Sterne um Hilfe an. Der Stellargeistkönig unterstützte uns mit einer mächtigen Waffe aus Licht, die die Dunkelheit der Dämonen schlagen konnte. Dennoch waren wir zum Scheitern verurteilt, als Zeref Acnologia schickte. Er ist nicht dämonischen Ursprungs, also wirkte das Licht der Waffe gegen ihn nicht und seine Fähigkeiten und Grausamkeit übersteigen die unseren bei Weitem. Geschwächt von der Schlacht waren wir ihnen hoffnungslos unterlegen. Es gab viele Verluste in unseren Reihen"
„Soll das bedeuten, dass ihr alle… dass ihr…" Die Worte wollten nicht über Lucys Lippen kommen. Zu schrecklich war die Vorstellung, dass sie vielleicht mit einer schon verstorbenen Seele kommunizierte, so wie Wendy es mit ihrer Magie Milkyway schon getan hatte.
Der goldene Drache stieß einen Laut aus, der vermutlich beruhigend wirken sollte. „Nein, er konnte nicht alle von uns vernichten. Diejenigen, die das Massaker überlebten wurden von einem mächtigen Fluch verbannt. Ob dieser Fluch nun von Zeref selbst oder von einem seiner Höllenbrut ausgesprochen wurde, kann ich nicht genau sagen. Fakt ist, dass wir in eine ewige Dunkelheit verbannt wurden, aus der es für uns kein Entkommen gibt. Nach so vielen Jahren hatten wir uns mit unserem Schicksal schon beinahe abgefunden, aber in dieser heutigen Nacht konnten wir ein schwaches, kleines jedoch unglaublich gefühlvolles Licht ausmachen, das uns neue Hoffnung gegeben hat. Deshalb habe ich es eingefangen und zurückverfolgt bis zu dir, Lucy Heartfilia"
„Ich war das Licht?", platzte es ungläubig aus ihr heraus.
Sie konnte ein Rumpeln wahrnehmen und wollte schon in Deckung gehen, bis sie merkte, dass es sich um Phönix Lachen handelte. „Ja, kleine Priesterin, du warst dieses Licht", grollte er belustigt. „Sieht so aus, als hättest du herausgefunden, dass diese Dunkelheit zwar von innen kein Entkommen bietet, aber dass man sie von außen durchaus durchdringen kann"
„Aber ich konnte nur meine Magie losschicken", protestierte Lucy niedergeschlagen. „Wie soll ich denn jemanden zu euch bekommen, der euch da rausholt? Oder besser gesagt wie kann ich einen Weg finden, euch mit samt euren Körpern da raus zu bekommen? Nur deine Seele zu erreichen bringt uns doch nicht weiter, vor allem wenn ich jedes Mal erst die Nacht der Drachen abwarten muss. Das würde uns Jahre kosten"
„Nun, deine Stellargeistmagie scheint wohl dazu in der Lage zu sein, ein Loch in diese Dunkelheit zu reißen. Allerdings in zu geringem Umfang", überlegte der Drache. „Was unser anderes Problem angeht, ich denke das haben wir dadurch gelöst, dass unsere Seelen durch das Ritual bereits verbunden sind und ich dir außerdem einen Teil meiner Kraft abgegeben habe, um dich zur Priesterin zu machen. Ich sollte dazu in der Lage sein, in deinen Träumen zu dir zu sprechen"
Ganz kurz überlegte Lucy, dann fragte sie vorsichtig: „Das bedeutet, dass ich einfach nur viel mehr Energie zu euch schicken muss, um ein größeres Loch in diese Dimension zu reißen, in der ihr gefangen seid, hab ich Recht?"
Phönix hob seine lange Schnauze und blickte aus seinen eisig blauen Augen zu ihr. Sein Blick enthielt etwas wie verhohlenes Erstaunen. „Nein, bedaure, mein Kind. So groß dein Mut auch sein mag und so tief deine Gefühle für deine Freunde auch reichen mögen, diese Art von Macht kannst du alleine nicht aufbringen. Alleine der Versuch würde dich töten, auch mit einem Teil meiner Drachenmagie"
Verzweifelt rang die Blondine mit den Händen. Allmählich spürte sie, wie die Verbindung immer schwächer wurde. Sie hatte sie viel zu lange aufrechterhalten und auch die neu gewonnene Kraft durch Phönix schwand aus ihrem Körper, zerrann ihr unter den Fingern hindurch, wie Sand, der durch eine Sanduhr rieselte.
„Unsere Zeit ist bald um, meine Freundin. Wir sollten uns bald wieder treffen. Du wirst so schon einen hohen Preis bezahlen müssen für das, was du dir zugemutet hast, wir sollten es nicht noch schlimmer machen"
Also hatte der Drache es auch gespürt. Traurig ließ Lucy den Kopf hängen. Phönix wieder in dieses dunkle Loch zurück zu schicken erschien ihr einfach zu grausam, als das sie sich dazu in der Lage gefühlt hätte. Tränen rannen heiß und salzig ihre Wangen hinab. Sie hatte gar nichts für die Drachen tun können und das tat ihr leid. Es schmerzte in ihrer Seele, die Antwort beinahe zum Greifen nahe zu haben und sie dann doch wieder zu verlieren, weil es an Kraft fehlte.
„Verzweifle nicht ob unserer Trennung, mein Kind. Wir haben Jahre in der endlosen Dunkelheit gefristet, da werden uns ein paar Augenblicke mehr auch keinen großen Schaden zufügen. Immerhin kann ich uns allen wieder Hoffnung schenken, indem ich von dir und unseren anderen Kindern berichte, die nach uns suchen" Geräuschvoll erhob der Sternendrache seinen golden schimmernden Leib und streckte seine mächtigen Glieder. „Ich habe vollstes Vertrauen in euch alle. Und ich bin mir sicher, dass ihr nicht ruhen werdet, bis wir endlich eine Lösung gefunden haben"
„Warte!", schrie Lucy alarmiert, als Phönix Anstalten machte, sich zurückzuziehen. „Igneel, Grandine und Metallicana…"
„Sie sind wohl auf", unterbrach der Drache sie sanft. „Und sie werden glücklich darüber sein, dass ihre Kinder so wundervolle Freunde wie dich gefunden haben und auf der Suche nach ihren Eltern sind" Und damit verschwamm seine Gestalt vor ihren Augen und wurde immer undeutlicher, bis sie schließlich ganz verschwand.
Sie glaubte noch ein letztes „Auf bald, meine Freundin" hören zu können, dann riss die Verbindung abrupt und Lucy wurde zurückgeschleudert. Vor ihrem inneren Auge drehte sich alles, ihr wurde kotz übel. Funken stoben, dann wieder Dunkelheit um sie herum. Stimmen.
Stimmen? Ja, ganz sicher, Stimmen.
Eine warme, freundliche weibliche Stimme. „Ich danke dir, dass du so gut auf meine Tochter achtest, Priesterin" Sie spürte einen kalten Lufthauch, ein leichtes grünes Glimmen, dann wieder die Stimme. „Bitte überbringe ihr meine Grüße, ich werde an sie denken"
Das gleiche Spiel, sie wurde abgestoßen, herumgewirbelt. Lucy stöhnte, versuchte sich auf einen festen Punkt zu konzentrieren, fand aber wieder nur eine Stimme. Kräftiger dieses Mal, dunkler, fast schon etwas herrisch. „Ich bin stolz auf dich und auf meinen Sohn, er ist ein guter Drache geworden" Ein warmes, knisterndes Gefühl, ein roter Schimmer. „Das wird euch nützlich sein"
Und noch einmal dieselbe Prozedur. Schwindel, Übelkeit und das Gefühl völlig entkräftet und verloren zu sein. Schließlich wieder eine andere Stimme. „Hab nie an dem Jungen gezweifelt, sag ihm das. Alle zusammen kriegt ihr das schon hin" Lucy spürte etwas kaltes, glattes, hartes an ihrer Hand, dann einen schwarz – grauen Schein. „Schätze, das kann er gut gebrauchen" Und dann war alles einfach vorbei.
In einem letzten nervenaufreibenden Wirbel wurde Lucy ein letztes Mal weggedrückt. Dann spürte sie einen schmerzhaften Ruck, sie stieß einen röchelnden Laut aus. Ihr Körper fühlte sich wie brennendes Blei an. Schwer, unbeweglich und ein einziger sich ausbreitender Schmerz. Und dann fiel sie.
