Kapitel 12. Sorge um Lucy

Lucy sah hübsch aus in ihrem weißen Kleid, wie sie da so auf dem Bett lag. Allerdings fragte sich Natsu, warum er auf solche im Moment völlig unnötige Gedanken kam. Eigentlich machte er sich Sorgen um seine Partnerin. Neben ihm auf dem Nachttisch saß Happy und vor einigen Minuten waren Wendy und Charle reingekommen und hatten sich neben Lucys Krankenbett gesetzt.

Koma. Das hatte Levy gesagt. Das Wort schwirrte wie eine lästige Mücke immer wieder in seinen Gedanken herum. Dazu kam, dass Lucy immer noch ganz leicht den Geruch nach Drachen mit sich trug. Aber sie roch nicht nur nach einem speziellen Drachen, es waren mehrere Gerüche, die sich vermischten, außerdem waren sie so schwach, dass man sie kaum einzeln wahrnehmen konnte. Aber immer wieder glaubte Natsu seinen Drachenvater Igneel darin zu erkennen.

Eigentlich hätte er sich keine fünf Minuten Hoffnungen darüber machen dürfen, dass Lucy vielleicht wirklich Igneel getroffen haben könnte bei dem, was dabei herausgekommen war. Aber auch dieser Gedanke ließ sich nicht so leicht abstellen. Und die brennende Neugierde darauf, was tatsächlich passiert war. Levys Erklärung hatte dem Feuerdrachen so gar nicht gereicht. Außerdem hätte er sie am liebsten angeschrien, warum sie ihm nicht Bescheid gesagt hatten. Aber als sie da so weinend gesessen und wie ein Häufchen Elend ausgesehen hatte, war sein Ärger schnell verflogen.

Also stand er hier und schaute auf seine immer noch schlafende Freundin herab. Mit dieser Mischung aus schlechtem Gewissen, Sorge und Neugier. Naja und irgendwie auch Dankbarkeit. Nie im Leben hätte Natsu erwartet, dass die Stellargeistmagierin etwas Derartiges tun würde, nur um ihm helfen zu können. Natürlich nicht nur ihm, sondern auch Wendy und Gajeel, aber trotzdem…

Irgendwie war er auch ein bisschen stolz auf sie. Er musterte die Blondine erneut, so wie er es in den letzten Minuten oft getan hatte. Sie war stark geworden, seine Partnerin. Und selbstbewusst. Mutig. Natsu grinste schief, als würde Lucy zurücklächeln, wie sie es immer tat. Er hoffte so sehr, dass sie aufwachen würde. Alleine den Gedanken, dass sie vielleicht nie wieder zurückkehren würde, ertrug der Dragonslayer nicht. Irgendwie war das in letzter Zeit komisch, wenn sie nicht in seiner Nähe war. Es fühlte sich irgendwie… naja nicht richtig an. Falsch eben. Als ob man sowas auch erklären könnte.

Und jetzt nach dieser Aktion, die sie für ihn, also für sie drei, abgezogen hatte, was sollte er da bloß sagen? Eigentlich hätte er sie gerne angeschrien so einen Scheiß ja nie wieder zu machen, aber dabei würde er sich wahrscheinlich mies vorkommen. Immerhin hatte sie damit ziemlich viel riskiert. Andererseits war ein „Danke" auch etwas dünn oder? Klar, er hatte ihr schon oft das Leben gerettet und ihr auch bei anderen Problemen geholfen und sie hatte sich immer bei ihm bedankt, aber das hatte Natsu nie als notwendig angesehen. Seinen Freunden half man eben. Dass Lucy aber mit diesem Gedanken dieses Ritual durchgezogen hatte, einfach nur mit dem Wunsch ihren Freunden zu helfen und dafür alles herzugeben, das machte die Situation irgendwie auch nicht viel besser.

Der Feuerdrache seufzte, man war das kompliziert. In seinem Kopf drehte sich alles. Das Ganze wäre so viel einfacher, wenn Gray da liegen würde und nicht Lucy. Warum konnten Mädchen nur so verdammt komplex in ihrer Art sein?

Gray hätte er einfach eine reinhauen können, wenn der wieder wach geworden wäre. Der hätte das dann schon kapiert. Aber Lucy? Die würde das bestimmt nicht so toll finden. Und Natsu für seinen Teil auch nicht. Irgendwie hielt sich bei ihr die Lust sie zu verdreschen in Grenzen. Lucy ärgerte er lieber, sie bekam immer einen so schönen roten Kopf, wenn sie wütend wurde. Darüber hinaus fühlte es sich bei ihr schon immer besser an, sie zu beschützen. Wie gesagt, sie war halt n Mädchen.

„Natsu-san?", riss eine hohe, dünne Stimme ihn aus seinen Gedanken und er musste sich anstrengen, um sich auf Wendy fokussieren zu können, die ihn angesprochen hatte. Er sah sie nur fragend an. „Glaubst du, es ist unsere Schuld?"

„Wendy", ermahnte Charle sie streng. „Fang nicht wieder damit an"

„Aber vielleicht hätten wir nicht so oft und so offen mit ihr über dieses Drachen – Thema sprechen sollen", sprach die kleine Magierin weiter. „Lucy –san hat so ein gutes Herz und sie hat selbst ihre Eltern verloren. Darüber nachzudenken, dass ihren Freunden das auch passiert ist, war bestimmt belastend für sie. Und wie man jetzt sieht hat sie sich ja auch die ganze Zeit Gedanken darüber gemacht. Sie war sogar traurig darüber, dass sie uns so lange nicht helfen konnte und hat sich auf ihre Art auch schuldig gefühlt. Naja und jetzt liegt sie hier…" Wendy ließ den Kopf hängen.

Natsu überlegte kurz. Er musste das erst mal verarbeiten. Stimmte schon, Lucy hatte auch beide ihrer Elternteile verloren und sie wusste, wie schmerzhaft das war. Und bei ihr waren sie gestorben, nicht nur verschwunden mit der Hoffnung sie irgendwann wiederzusehen. Auf eine gewisse Art und Weise traf Natsu das mehr als er erwartet hatte.

„Also Wendy, wenn du eine Möglichkeit finden könntest, die Eltern von Lucy wieder zurückzuholen, würdest du es dann nicht auch versuchen?", fragte die kleine weiße Katze etwas ruhiger.

Wendy nickte. „Natürlich"

Charle seufzte auf ihre halb arrogante und halb liebenswerte Art. „Na siehst du, das hat sich Lucy auch gedacht. Jeder von uns hätte dasselbe auch für sie getan"

So langsam schien Natsu zu begreifen, was in seiner Partnerin vorgegangen sein musste. Und hätte sie nicht so völlig fertig auf einem Krankenbett gelegen, dann wäre das sogar eine schöne Sache gewesen. Denn sie hatte Vertrauen in ihn. In alle ihre Freunde von Fairy Tail. Und das wollte sie auch erwidern. An sich keine schlechte Idee, aber Natsu dachte darüber nach, dass er Lucy doch irgendwie beibringen sollte, dass er selbst gefälligst der Einzige war, der auch sein Leben dafür opfern durfte. Sie sollte sich mal schön was anderes einfallen lassen, sonst würde er vor Sorge wahrscheinlich bald amoklaufen, jedes Mal, wenn sie alleine unterwegs war. Oder noch besser „alleine unterwegs" war ab jetzt für Lucy ersatzlos gestrichen, entschied er.

„Lucy hat nen Sturschädel", antwortete der Dragonslayer verspätet. „Keine zehn Pferde hätten sie von was abhalten können, was sie sich in den Kopf gesetzt hat, also mach dir keine Gedanken"

Wendy kicherte leise bei diesen lapidaren Worten ihres Freundes und auch Charle fiel mit ein, denn was er gesagt hatte stimmte schon. Die Stellargeistmagierin war stur und zog immer ihr Ding durch, wenn sie sich denn einmal durchgerungen hatte. Auch Natsu grinste breit von einem Ohr zum anderen.

„Uah! Natsu!", rief Happy plötzlich aus und sprang entsetzt auf seine kleinen blauen Pfoten. „Lucy hat sich bewegt!"

Schlagartig drehten sich alle zum Bett um und starrten gebannt darauf. Happy hatte Recht. Die Finger von Lucys rechter Hand hatten angefangen, sich ganz leicht zu bewegen.

„Ich hole schnell Porlyusica-san", erklärte Wendy und war daraufhin auch mit ihrer kleinen weißen Freundin schnell aus dem Zimmer verschwunden.

Natsu blieb alleine in dem Zimmer zurück und starrte die Finger seiner Partnerin an. Dann trat er ein paar Schritte näher an das Bett heran. „Lucy?" Die Antwort war ein merkwürdig brummelndes Geräusch. Natsu lachte erleichtert auf. „Du hörst mich, oder?", rief er. „Komm schon, wach auf!"

Lucys Kopf fiel langsam auf die Seite, ihre Haare bedeckte leicht ihre Wange. Es sah mehr wie ein Unfall aus, als eine gewollte Bewegung. Aber dann entspannten sich die zugekniffenen Augenlider etwas, die rechte Hand rutschte auf die Matratze herab. Ein gequältes Stöhnen kam über ihre Lippen. Natsu kam noch näher. Hatte seine Freundin auch nach der Behandlung noch Schmerzen? Schließlich flatterten Lucys Augenlider und öffneten sich langsam, wie in Zeitlupe.

Der Pinkhaarige sog scharf die Luft ein. Die Augen seiner Partnerin waren nicht mehr dunkelbraun, so wie sie es vorher gewesen waren, sie schimmerten in hellem Bernstein. Fast wie flüssig gewordenes Gold sah es aus. Sie richtete den Blick auf ihn und versuchte ein kränkliches Lächeln zustande zu bekommen. Gott sie wirkte so schwach und zerbrechlich, dass Natsu Angst hatte sie könnte jeden Moment einfach wieder in ihre Ohnmacht zurückfallen.

Schnell versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. „Yo, Lucy" Er ging in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein und lächelte sie an.

„Na – tsu" Ihre Stimme war kaum mehr als ein weicher Hauch, Natsu bekam eine Gänsehaut. Selbst zu sprechen war für seine Partnerin schon anstrengend.

Lucy versuchte, ihre Hand zu bewegen, zuckte aber zusammen. Sie versuchte es erneut und schob langsam ihre Rechte zum Rand des Bettes.

„Hey, was machst du denn da? Du solltest dich nicht bewegen, wenn's noch so wehtut" Aber sie hörte nicht auf ihn, hob ihren Arm sogar ein Stück an. „Oi, Lucy…!" Als ihre Hand auf seinem Oberkörper direkt über seinem Herzen landete, verstummte der Feuerdrache abrupt. Selbst durch den Stoff seines Oberteils konnte er die Wärme spüren, die von ihr ausging.

Unvermittelt schlug die Wärme in feurige Hitze um und ein rotes Glühen übertrug sich von Lucys Hand auf seinen gesamten Körper. Natsu konnte fühlen, wie ihn eine ungeahnte Macht plötzlich durchfuhr. Er fühlte sich stark und zu allem bereit, sein inneres Feuer loderte auf. Es fühlte sich so vertraut an, so heimelig und kräftig. Es war wie der Effekt, wenn er Flammen aß, nur um einiges stärker. Natsu riss ungläubig die Augen auf, als er begann dieses Gefühl besser einzuordnen. Gleichzeitig nahm er einen jetzt sehr kräftigen und nur allzu bekannten Geruch wahr. Und dann war von einer Sekunde auf die nächste alles vorbei. Nur das Gefühl irgendwie gekräftigt zu sein blieb. Der Dragonslayer starrte seine Freundin vor sich an, deren Hand kraftlos an seinem Oberkörper hinab glitt. Er nahm sie in seine und legte sie vorsichtig zurück auf die Matratze.

Lucy lächelte. Es sah etwas verkrampft aus, aber sie lächelte ihn an, als würde sie sich unglaublich freuen. „Ig – neel…", brachte sie mühsam hervor und versuchte ihre Mundwinkel noch etwas weiter zu heben, scheiterte aber daran. Sie stieß ein Keuchen aus und es fiel ihr schwerer, die Augen offen zu halten. Sie blinzelte eindeutig zu oft und zu verkniffen.

Der Pinkhaarige starrte immer noch wie hypnotisiert auf die Stellargeistmagierin herab. Er wusste nicht, was er sagen oder was er tun sollte. Er hatte zwar jetzt die Antwort, die er sich gewünscht hatte, denn Lucy hatte eben tatsächlich Igneel gemurmelt, nachdem sie ihm diese Kraft übertragen hatte. Das hatte sie doch, oder?! Aber jetzt, da er wusste, dass seine Freundin tatsächlich seinen Drachenvater irgendwie getroffen haben musste, war er ziemlich handlungsunfähig. In Anbetracht der Tatsache, dass sie immer noch krank und geschwächt vor ihm lag und ihm trotzdem eine Art „Botschaft" überbracht hatte, drehten sich in seinem Kopf die Gedanken und schlugen Purzelbäume. Er war ja gerade mal so dazu in der Lage, sich ehrlich darüber zu freuen, aber das brachte ja seiner Partnerin nicht viel.

„W… Wen – dy", keuchte die Blondine und fokussierte ihren Blick wieder etwas mehr auf Natsu.

„Oh, Wendy kommt gleich mit der alten Frau wieder", antwortete Natsu schnell, um irgendwie beruhigend zu wirken. „Weißt du, sie hielt es für ganz gut ihr zu sagen, dass du endlich wach bist"

Genau in diesem Moment ging die Tür zu dem Krankenzimmer auf und eine ziemlich abgehetzte Wendy kam mit Porlyusica hereinspaziert. Lucy atmete tief und lange aus, als würde sie seufzen wollen.

„Lucy-san!", freute sich Wendy, als sie sah, dass ihre Freundin die Augen geöffnet hatte. Sie lief um das Bett herum mit Tränen der Erleichterung in den Augen. Als die Stellargeistmagierin dann ein zaghaftes Lächeln versuchte und ihre Hand hob, überlegte die kleine Magierin nicht lange und ergriff sie.

„Gran – di – ne", ächzte die Blonde und holte dann rasselnd Luft. Wendy erstarrte, als sie den Namen ihrer sanften Winddrachen Mutter hörte. Konnte es sein, dass ihre Freundin ihr etwas über sie mitteilen wollte, aber noch zu schwach war? Wendy war neugierig, aber sie wollte Lucy trotzdem sagen, dass das warten konnte, bis sie sich besser fühlte. Dazu kam sie allerdings nicht mehr, denn ein blass grünes Leuchten erfüllte ihren Körper mit Geborgenheit und Liebe. Und dieses Mal war es nicht ihr eigenes heilendes Leuchten, sondern es ging von der Hand aus, die sie umklammert hielt. Lucys Hand. Wendy roch den süßen Duft ihrer Mutter und musste die Augen schließen, damit sie nicht vor Tränen brannten. Dann bekam sie einen kräftigen Schub Energie, der wie Adrenalin durch ihre Adern pulsierte. Ein letzter sanfter Windhauch war zu spüren, dann war es vorbei. Alles was von diesem nostalgischen Erlebnis blieb war, dass Wendy sich stark und mutig und ungewöhnlich wach und aufgekratzt fühlte. Sie begriff schnell, dass Grandine ihr einen Teil ihrer Energie über Lucy geschickt hatte und biss tapfer die Zähne zusammen. Sie vermisste sie so sehr. Und Lucy ging es so furchtbar schlecht deswegen. „Vielen Dank", murmelte sie deshalb nur, ließ die Hand ihrer Freundin aber nicht los.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein", seufzte die Heilerin und schüttelte den Kopf. „Junge Dame, man sollte doch meinen, du hättest deine Lektion gelernt. Stattdessen wachst du auf und das erste was du tust ist weitere Energie zu verschwenden!" Sie ging zu dem Nachtschrank, auf dem Happy stand und scheuchte den blauen Kater herunter, um ein Glas mit ekelhaft brauner Flüssigkeit vorzubereiten.

„Freun – de!", presste die Blondine heraus. Ihr Ton klang tatsächlich ärgerlich. Natsu musste grinsen, so kannte er seine Lucy.

Die Heilerin ignorierte ihren Einwand. „Nicht sprechen!", herrschte sie sie bloß an und mühte sich dann damit ab, Lucy das ganze Glas einzuflößen. Das gestaltete sich schwierig, denn das Zeug schmeckte furchtbar, außerdem war die junge Magierin immer noch zu schwach, um alleine den Kopf zu heben.

„So", meinte sie energisch und stellte nach dieser Prozedur das leere Glas wieder auf besagtem Nachttisch ab. „Und jetzt wird geschlafen. Keine Magie, keine Versuche zu sprechen oder sich zu bewegen, keine Art von Anstrengung!", befahl die alte Dame. „Und ihr vier", damit warf sie einen missbilligenden Blick auf Natsu, Wendy, Charle und Happy. „Raus mit euch!"

Gehorsam, ja fast schon etwas dankbar schloss Lucy ihre Augen wieder, die in der Zwischenzeit wieder zu ihrem normalen Braun zurückgekehrt waren, wie Natsu noch bemerkte. Deshalb also hatte sich Wendy gar nicht gewundert.

Auch die kleine Blauhaarige und die beiden Exceeds trotteten unter dem strengen Blick Richtung Ausgang. Der Feuerdrache allerdings verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und starrte einfach nur herausfordernd zurück. Wenn sie versuchen wollte, ihn von diesem Krankenbett wegzubekommen, würde sie sich schon mit ihm anlegen müssen. Und zwar ordentlich.

Zu seiner Überraschung zog die alte Heilerin einfach nur eine Augenbraue in die Höhe und maß ihn mit einem musternden Blick. Mit einer merkwürdigen Andeutung eines Lächelns um die Lippen, die irgendwie viel zu wissend aussah, wandte sie Natsu in stiller Akzeptanz den Rücken zu und marschierte hinter seinen drei Freunden aus dem Raum.

Irgendwie hatte der Dragonslayer die Situation zwar nicht kapiert, aber solange die alte Lady nicht rumzickte und er bei seiner Partnerin bleiben konnte, war das ja auch egal. Er zog einen abgewetzten Holzstuhl zu sich heran, platzierte ihn direkt neben dem Kopfteil des Bettes und ließ sich dann mit einem Seufzen darauf fallen. War eine lange Nacht gewesen…