Am Morgen nach dem Frühstück an Halloween war in der ganzen Schule ordentlich was los. Das erste Hogsmeade Wochenende fiel genau auf diesen Tag. Amina war schon seit sie aufgestanden war höchst wachsam. Severus hatte versucht, sie davon zu überzeugen, dass nicht jedes Jahr etwas Schlimmes an Halloween passieren konnte, doch Amina glaubte ihm nicht so richtig. Sie streifte ruhelos durch die Gänge. Severus braute den Wolfsbanntank für den Werwolf und hatte deshalb keine Zeit für sie. Abgesehen davon schien Lupin die beiden sowieso nicht aus den Augen zu lassen, weshalb sie den Tag nicht miteinander verbringen konnten, ohne Verdacht zu erregen. An ihrem eigenen Projekt konnte sie nicht arbeiten, da sie schon vor einigen Tagen einen Versuch gestartet hatte und dieser ruhen musste. Also lief sie lieber durch die Gänge und unterhielt sich abwechselnd mit den Gemälden und den Geistern. Myrte hatte sie heute Morgen gleich als Erste besucht. Das Geistermädchen war traurig, dass Potter und seine Freunde nicht mehr zu ihr kamen. Amina versprach es den dreien auszurichten, dass sie sie mal wieder besuchen sollten.
Als sie in den Gang mit den Klassenzimmern einbog, sah sie Potter nur wenige Meter vor sich. „Potter.", sprach sie ihn mit kühler Stimme an und er zuckte zusammen. Dann drehte er sich um. Sie hörte ein „Oh nein." aus seinen Gedanken. „Wollen Sie nicht nach Hogsmeade?", fragte sie ihn mäßig interessiert. „Nein, Frau Professor. Ich…mein Onkel und meine Tante haben das Formblatt nicht unterschrieben.", antwortete er ihr. Er schien traurig deswegen. Doch Sie bemerkte auch sein Misstrauen ihr Gegenüber. Sie verzog keine Miene. „Schade für Sie. Vielleicht sollten Sie das nächste Mal erst, nachdem einer der beiden unterschrieben hat, von zu Hause weglaufen.", stichelte sie. „Ja, wäre wohl besser.", antwortete er mit saurer Miene.
„Ich soll Ihnen von Myrte ausrichten, dass sie sich über einen Besuch von Ihnen, Miss Granger und Mr. Weasley freuen würde.", richtete sie schließlich ihr eigentliches Anliegen aus. Der Junge sah sie überrascht an, nickte dann aber und wandte sich zum Gehen. „Ach und Potter…", sprach sie in noch mal an, nachdem er schon einige Meter gelaufen war. Er blickte fragend über die Schulter. „…blasen Sie nicht so viel Trübsal. Wie ich Sie kenne, werden Sie schon beim nächsten Hogsmeade Wochenende eine Möglichkeit gefunden haben mitzugehen und dabei wieder sämtliche Schulregeln vergessen.", sagte sie ihm noch mit verächtlichem Schnauben und verschwand dann aus seinem Blickfeld. Amina wusste, dass der Verteidigungslehrer jedes Wort gehört hatte, doch er würde mit dem Gesagten nicht viel anfangen können. Amina schien es, als wüsste er nicht, wie er sie einzuordnen hatte. Ständig schien er sie zu beobachten.
Am Nachmittag rief ihr Urgroßonkel sie zu sich ins Büro. Amina überlegte, ob er vielleicht ihren Sonntagsnachmittagstee vorverlegen wollte. Seit die Schule wieder angefangen hatte, traf sie ihn jede Woche sonntags zu einem Tee. Sie waren auch ein oder zwei Mal nach Hogsmeade in den Eberkopf gegangen, um Aberforth zu besuchen. Dieser hatte sich immer mehr oder weniger über ihre Besuche gefreut. Amina verstand sich auch immer noch recht gut mit ihm, auch wenn seine Vorliebe für Ziegen etwas befremdlich war.
In dem Schulleiterbüro standen tatsächlich schon eine Kanne Tee und zwei Tassen bereit. Albus lächelte seine Urgroßnichte an. „Hallo Amina. Schön, dass du Zeit für mich hast.", begrüßte er sie freundlich. „Für dich, so oft ich kann.", antwortete sie ihm ehrlich. „Das freut mich zu hören." Er sah sie mit seinen durchdringenden blauen Augen an. „Ich würde dich gerne um etwas bitten, aber du musst mir versprechen, dass es unter uns bleibt. Auch Severus darf davon nichts erfahren.", sprach er mit freundlicher Miene. Amina runzelte die Stirn. „In Ordnung, um was willst du mich bitten?", fragte sie ihn.
Er schenkte ihnen Tee ein, bevor er weitersprach. „Ich möchte, dass du diesen Brief hier jemanden übergibst.", erklärte er ihr und holte einen versiegelten Brief aus einer Schublade. Amina war überrascht. „Ich soll einen Brief übergeben? An wen?", fragte sie dann ruhig und nahm einen Schluck ihres Tees. „An Sirius Black.", antwortete Albus ihr heiter. Sie verschluckte sich und begann zu husten. Erst nach einer guten Minute hatte sie sich wieder gefangen.
„Ich soll einem Massenmörder einfach so einen Brief überbringen? Du weißt schon, dass wir nicht wissen, wo er sich aufhält?", fragte sie ihn ungläubig. Ihr Urgroßonkel lächelte geduldig. „Und, deshalb sollst du ihm den Brief übergeben. Ich bin mir sicher, er wird demnächst versuchen, in die Schule zu kommen. Sirius kennt das Schloss und die Geheimgänge gut. Ich nehme an, es wird ihm auch gelingen. Du sollst ihn dann ausfindig machen und ihm den Brief geben. Eventuell musst du ihm auch aus dem Schloss wieder raushelfen. Er soll ihn nicht im Schloss lesen. Sollte er auf ihn antworten wollen, wird er einen Weg finden. Da bin ich mir sicher.", erklärte er ihr. „Ich würde es ihm selbst diese Nachricht zukommen lassen, doch du weißt ja, eine Eule braucht auch eine Anschrift und nicht nur den Namen der Person an die der Brief gehen soll. Sonst hätten die Auroren einfach einer Eule hinterherfliegen müssen, um ihn zu fingen."
Amina sah ihn lange an, bevor sie sprach. „Du willst Black gar nicht fangen, oder?", fragte sie ihn. Er sah sie mit einem gewissen Stolz in den Augen an. „Nein, will ich nicht. Sonst wären die Sicherheitsmaßnahmen strenger. Hast du denn durch deine Analysen etwas erfahren?" Amina schüttelte den Kopf. „Nein aber bedingt durch die Uhrzeiten, habe ich auch nicht damit gerechnet. Allerdings…" Sie nahm einen Schluck Tee. „…allerdings sind meine, nennen wir es Sinne, um einiges sensibler als ohnehin schon. Ich bemerke jede noch so kleine Maus in den Wänden. Menschen spüre ich lange bevor ich sie sehe. Meine Fähigkeiten werden stärker. Mit jedem Mal, wenn ich die Analyse durchführe, kommt mein Geist weiter. Selbst die Schutzzauber, die auf dem Schloss liegen, sind nur noch ein geringes Hindernis." „Es scheint dich zu beunruhigen.", stellte der Schulleiter fest. Sie nickte.
„Tut es. Denn wenn jemand neben mir steht, wird es immer schwieriger, nicht jeden einzelnen Gedanken zu lesen. Bei Potter, Hagrid, Pomona und einigen anderen ist es besonders schlimm. Severus und du gehen, dank eurer Okklumentik." „Du wirst dich an die neuen Fähigkeiten gewöhnen. Tu mir einen Gefallen und versuche unter keinen Umständen in Sirius' Geist einzubringen, wenn du ihm begegnest. Dein Schwur würde sich auslösen." Seine Augen blitzten hinter seiner Halbmondbrille hervor. „Black ist ein Verbündeter? Trotz seiner Morde?", fragte sie zweifelnd. „Ich bin mir sicher, dass er die Morde gar nicht begangen hat, für die er in Askaban saß. Es war jemand anderes. Warum er aber ausgerechnet hinter Harry her ist, ist mir noch ein Rätsel."
Nachdenklich betrachtete Albus seinen Tee. „Ich denke, das werden wir noch erfahren. Vielleicht auch von ihm selbst. Ich werde ihm den Brief geben. Sag Onkel, wie hoch ist die Priorität, dass er nicht geschnappt wird? Ich mache meine Patrouillen zum größten Teil mit Severus. Er hasst Black, zurecht, wie ich finde, und er würde ihn, ohne zu zögern, ausliefern." Amina sah ihn ernst an. „Wenn du ihn ablenken musst, um Sirius zu decken, dann tu es. Egal wie.", antwortete er ihr. „Egal wie? Auch durch…Zuneigung?", fragte sie mit einem zögern in der Stimme. Bis jetzt war es von äußerster Wichtigkeit, dass niemand von der Beziehung zwischen Severus und ihr erfuhr, und jetzt sollte es ausgerechnet gegenüber dessen Feind egal sein. Ihr Urgroßonkel nickte. „Ich vertraue dir in dieser Sache voll und ganz.", sprach er dann und sah sie liebevoll an.
Am Abend lief Amina zum Festessen. Bess hatte es sich ausnahmsweise auf ihrer Schulter gemütlich gemacht. Sie war kurz vorher mit einem Brief der Flamels bei Amina angekommen. Unterwegs stieß Lupin zu ihnen. „Lupin.", begrüßte sie ihn mit einem kurzen Nicken. „Nennen Sie mich bitte Remus, Amina. Wie heißt denn Ihre Eule?", fragte er sie freundlich. Amina verzog das Gesicht. Sie hatte keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten. „Sie heißt Bess.", antwortete sie ihm knapp. „Haben Sie sie denn schon lange?", fragte der Braunhaarige weiter. Anscheinend wollte er sich wohl mit ihr unterhalten.
„Seit ein paar Jahren. Sie war ein Geschenk der Flamels zum Abschluss meiner Alchemisten Ausbildung." „Dann haben Sie noch Kontakt zu den beiden?" Skeptisch musterte Amina ihren Kollegen. Der letzte, der ihr so viele Fragen zu den Flamels gestellt hatte, war Quirinus gewesen, der an den Stein der Weisen herankommen wollte. „Ja, habe ich. Einen sehr guten sogar.", antwortete sie schließlich misstrauisch. „Verzeihen Sie, ich war nur neugierig.", lachte ihr Kollege, dem ihr Unterton natürlich nicht entgangen war.
„Sagen Sie, Amina, wussten Sie, dass es unter den Lernenden das Gerücht gibt, Severus hätte eine Geliebte?", fragte er sie nach einigen Sekunden des Schweigens aus dem nichts heraus. Sie sah ihn irritiert an. Wollte er auf etwas Bestimmtes hinaus? Hatte diese Unterhaltung überhaupt einen tieferen Zweck? „Ja, es kursiert schon seit einiger Zeit. Bis jetzt ohne Bestätigung, meines Wissens nach.", antwortete sie ihm nach einigen Sekunden mit desinteressierter Stimme. „Dann hat er keine Freundin?", fragte der Verteidigungslehrer weiter. „Ich weiß es nicht, Remus. Es geht mich auch nichts an, was mein Arbeitskollege in seiner Freizeit tun oder mit wem er sich trifft." Amina bedachte ihn mit einem kalten Blick. „Ich dachte nur, weil Sie sich gut mit ihm zu verstehen scheinen…", versuchte der Braunhaarige sich zu erklären. „Wir kommen gut miteinander aus. Vor allem unsere Fachgebiete sind sich ähnlich. Das hat jedoch nichts mit unserem Privatleben zu tun.", antwortete sie schließlich und beendete das Gespräch damit. Remus war ihr unangenehm. Er war zu neugierig und mischte sich, aus ihr unerklärlichen Gründen, viel zu sehr in Severus und damit auch in ihre Privatsphäre ein.
Den Rest des Weges schwiegen sie. Amina lauschte den leisen Schritten von Remus. Dabei versuchte sie nicht zu sehr in seinen Geist einzudringen.
Vor der Halle trafen sie auf Severus. Bess flog begeistert zu ihm und knabberte ihm liebevoll das Ohr. Er streichelte ihr kurz über den Kopf. Die Eule flog von seiner Schulter aus Richtung Decke und verschwand durch eine Öffnung nach draußen.
Amina bemerkte das Erstaunen des Werwolfs über die Zutraulichkeit Bess' gegenüber dem finster wirkenden Tränkemeister. Severus war, ohne die beiden anzusehen in der Halle verschwunden. „Warum hat sie ihn so begrüßt? Macht sie das bei allen?", fragte der Braunhaarige sie ungläubig, als sie an den Tischen vorbeischritten. „Nein, nicht bei allen. Nur bei denen, die sie kennt und mag.", erwiderte sie möglichst ungenau. Ihr Gesprächspartner erwiderte daraufhin nichts mehr. Er schien über etwas intensiv nachzudenken.
Am Lehrkräftetisch angekommen setzte sich Remus an Aminas Platz und deutete ihr, dass sie sich auf seinen setzen sollte. „Dann können Sie beide sich besser unterhalten.", erklärte er, als er ihre verständnislose Mine sah. Sie nickte knapp und setzte sich neben Severus. Bemüht, ihn nicht anzusehen oder zu berühren. Doch sie bemerkte, wie er kurz mit seinem Bein gegen ihres drückte, um sie zu begrüßen. Der Werwolf wollte die beiden testen, das wusste sie. Diese Absicht konnte sie klar bei ihm erkennen. Doch sie verstand nicht, wofür diese Information, ob Severus und sie sich nahestanden, wichtig für ihn sein sollte. Sie hoffte dies bald herauszufinden. Er verfolgte sie schon seit Wochen und fragte immer wieder verschiedene Dinge wie auf dem Weg zur Großen Halle. Seit etwas mehr als einer Woche hatten Severus und Sie schon keine gemeinsame Zeit mehr gehabt, wegen seinen Bemühungen etwas herauszufinden.
Das Essen selbst lief ab wie jedes Jahr. Amina hielt sämtliches laufendes Essen von ihrem Teller fern und bediente sich an dem Festtagsbraten. Nach dem Essen gaben die Geister eine Vorstellung zum Besten. Der Blutige Baron nickte ihr dabei kurz zu und Myrte winkte hysterisch in ihre Richtung. Amina musste schmunzeln bei dem Anblick. Nach der Vorführung schwebte der Blutige Baron auf sie zu. „Frau Professor Tahnea. Wie hat Ihnen die Vorstellung gefallen?", begrüßte er sie in hoheitsvollem Ton. „Sie war furchterregend Herr Baron. Sie haben bestimmt einige Zeit gebraucht, um sie so hinzubekommen.", erwiderte sie höflich. „Gewiss, das haben wir. Durch die ganze Aufregung mit Mr. Black mussten wir vor allem die Tagzeiten nutzen. Professor Snape war so gütig, uns einen der Kerker zur Verfügung zu stellen. Aber das wissen Sie bestimmt.", antwortete er ihr im Plauderton.
„Ja, er hat es erwähnt. Meine Klassen sollten ebenfalls nicht zu früh auf die Überraschung stoßen." Amina hoffte, er würde keine weitere Anspielung an ihre Beziehung machen. Doch bevor er etwas erwidern konnte, spürte sie eine Welle des Entsetzens und der Angst. Sie seufzte. „Verzeihen Sie Baron. Ich fürchte, wir müssen unsere Unterhaltung zu einem späteren Zeitpunkt fortfahren.", sagte sie entschuldigend zu dem Geist und stand auf. Die Lehrkräfte um sie herum sahen überrascht zu ihr auf. Sie wollten eigentlich alle sitzen bleiben, bis die Lernenden alle weg waren. „Kein Problem, Frau Professor. Ich verabschiede mich.", sprach der Geist und schwebte davon. Amina lief zu Albus, der sie ebenfalls überrascht ansah. Hinter Minerva und ihm blieb sie stehen.
„Bei den Gryffindors stimmt etwas nicht. Entsetzen und Angst kommt von da.", erklärte sie den beiden. Sofort sprang der Schulleiter auf. Minerva, Severus und Remus standen ebenfalls auf. „Ist einer der Teenager verletzt?", fragte Minerva sie. Amina schüttelte den Kopf. Die drei verließen die Halle. Sie selbst blieb stehen und zog ihren Zauberstab. Diesen richtete sie auf ihren Kopf und dachte: „Legiliquintum." Ein vertrautes Ziehen machte sich breit, als sich ihr Geist ausdehnte. Sie konnte das Erstaunen der noch übrigen Lehrkräfte und Lernenden in der Halle bemerken und weitete ihren Geist weiter aus.
Sie fand Black ziemlich schnell. Er befand sich im vierten Stock und bewegte sich langsam in Richtung des Dritten. Er hatte sehr einfach gestrickte Gefühle. Als wäre er kein Mensch. Hatte er sich in ein Tier verwandelt? Hatte er etwa einen Zauberstab oder war er ein Animagus? Doch diese waren selten. Es war so gut wie unmöglich, dass er einer war. In jedem Fall würde sie ihn abfangen können, um den Brief zu übergeben. Wenn er fliehen wollte, bräuchte er ohnehin Hilfe. Sie zog ihren Geist zurück.
